Eduard, Waldmenschen und Devisen -Teil I

Anmerkungen zum Dokumentenband über die Securitate und die Ausreise der Deutschen aus Rumänien (I)

Vorbemerkung

Jede Quellenedition muss prinzipiell begrüßt werden. Sie bietet jenen, die aus verschiedensten Gründen nicht selbst in Archiven recherchieren können die Möglichkeit, Dokumente zu lesen, die Informationen zu historischem Geschehen enthalten. Keine Sammlung wird alle für ein bestimmtes Thema relevanten Urkunden umfassen können, sondern nur einen Einblick in die Problematik bieten. Sowohl in der Einleitung als auch durch die Wahl der veröffentlichten Dokumente lassen sich die Absichten des oder der Autoren herauslesen. Das gilt auch für den Band „Ac]iunea ‚Recuperarea’. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)“, 2011 im

„Enciclopedica“-Verlag in Bukarest erschienen. Der vom Nationalrat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) und dessen Mitarbeitern Florica Dobre, Florian und Lumini]a Banu sowie Laura Stancu herausgegebene Wälzer umfasst Urkunden aus rumänischen Archiven über die Art und Weise, wie die Securitate im Auftrag der höchsten Staats- und Parteiführung Rumäniens von der Bundesrepublik Deutschland zunehmend mehr Devisen erpresste, um Deutsche aus Rumänien ausreisen zu lassen. Die Mehrzahl der abgedruckten Dokumente stammen aus dem Fonds des Auslandsgeheimdienstes SIE, von dem CNSAS Teile des Archivs übernommen hat. Vorab sei die Bemerkung erlaubt, dass es für den Band von Vorteil gewesen wäre, statt der Abrechnungen von bei Treffen der Unterhändler gehabten Ausgaben oder informationslosen Zuschriften mehr Dokumente zur Problematik aus dem Dokumentarfonds des Securitate-Archivs zu veröffentlichen.

Die hätten die Informationen über dies Thema besser abgerundet.
Die erklärte Absicht der Herausgeber ist es, Licht in die Gerüchteküche und Spekulationen zu bringen, die nach 1989 tatsächlich Blüten trieben. Die Autoren der Einleitung – Florica Dobre und Florian Banu – schreiben, Ion Mihai Pacepa (der 1978 in die USA übergelaufene stellvertretende Chef des Auslandsgeheimdienstes und Berater von Ceauşescu) habe in seinen Büchern und Interviews die Rolle der Securitate beim „Verkauf“ der Juden und Deutschen übertrieben. Das stimmt. Die in diesem Band veröffentlichten Urkunden beweisen jedoch, wie tief die Securitate in diese Geschäfte verwickelt war, ja, sie abgewickelt hat.

Erstmals erhält man nun Aufschluss, dass sich der Geheimdienst seit 1962 (!) massiv in das Erteilen der Ausreise-Visa für die Rumäniendeutschen eingebracht hat – für Devisen. Das diesbezügliche Dokument vom Januar 1962 ist das erste der insgesamt 468 in dem 930 Seiten umfassenden Buch. Die Securitate ließ diesen Handel zunächst über Rechtsanwälte erfolgen, die ihre Agenten waren, seit 1964 sind hochrangige Offiziere – unter Decknamen – die Verhandlungsführer auf rumänischer Seite gewesen. Die zahlreich abgedruckten Bankbelege sollen beweisen, dass das Geld an die National- und an die Außenhandelsbank ging. Sehr schön. Es handelt sich um die vom deutschen Unterhändler „offiziell“ überwiesenen Riesensummen, von denen man auf rumänischer Seite wusste, dass sie aus deutschen Haushaltsmitteln kamen und sich die Blöße nicht geben konnte, sie zu unterschlagen. Die Schmiergelder? Dazu gibt es Hinweise in mehreren der veröffentlichten Urkunden. Bekannt ist den Autoren das Interview mit dem deutschen Unterhändler Dr. Heinz-Günther Hüsch zum Freikauf der Rumäniendeutschen, das im vorigen Jahr in mehreren deutschsprachigen Zeitungen erschien. Die von Dr. Hüsch mitgeteilten Details werden großteils von den Dokumenten der Securitate im vorliegenden Band bestätigt, so Dobre und Banu.

Einen Persilschein versuchen die Herausgeber Rumänien für den Menschenhandel zu erteilen. (Das Feilschen um Quoten und Summen ist in zahlreichen Dokumenten belegt.) Israel beziehungsweise die Bundesrepublik Deutschland sei an Rumänien mit dem Vorschlag herangetreten, wirtschaftliche „Entschädigungen“ anzubieten für den Akt des guten Willens, Mitglieder der jüdischen bzw. der deutschen Gemeinschaft ausreisen zu lassen. Den Beginn des Handels rechtfertigen sie verharmlosend mit dem Marktgesetz: Der Ausreisewille nahm zu, der „politische Faktor“ verhinderte jedoch das Ausstellen der Pässe in gewünschter Anzahl, was dazu führte, dass Geschäftsleute die Möglichkeit erkannten, aus dieser Nachfrage materielle Vorteile zu erzielen (S. XXIX). In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre hätten Personen aus der Bundesrepublik von der wirtschaftlichen Öffnung Rumäniens „profitiert“ und inoffizielle „Interventionen“ bei rumänischen Behörden unternommen, die sie mit „kleinen Aufmerksamkeiten“ begleiteten, um Leute aus Rumänien rauszuholen.

Verschwiegen wird (willentlich oder aus Unwissen?), dass der Eiserne Vorhang die Ausreise der infolge des Kriegsgeschehens getrennten Familienmitglieder verhinderte, sodass einige Personen keinen anderen Ausweg hatten, als zu diesem Prozedere zu greifen. Bis zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik gab es nur Wirtschaftsvertretungen im anderen Staat, an die auch mit dem Problem „Familienzusammenführung“ herangetreten wurde. Laut einer Urkunde aus dem Fonds des Zentralkomitees der RKP (Abteilung auswärtige Beziehungen, Dossier 42/1959, Historisches Zentralarchiv Bukarest) seit 1954. Die deutsche Seite versuchte, das Junktim Wirtschaftsverhandlungen – Familienzusammenführung wiederholt zu trennen, gelungen ist das nicht.

Die für Rumänien günstigen Wirtschaftsklauseln (und später Zinsen bei Krediten) erwiesen sich als wirksames Druckmittel für das Freigeben der im Land verbliebenen Deutschen. Das oben zitierte (im besprochenen Band nicht veröffentlichte) Dokument beweist, dass die Securitate schon früh ihre Hand im Geschäft hatte: zu den drei rumänischen Unterhändlern bei einem Wirtschaftsgespräch gehörte Ion Mihai Pacepa, zwischen 1956-1960 der stellvertretende Leiter der rumänischen Wirtschaftsagentur und Leiter der Spionage-Niederlassung in der Bundesrepublik. 

Der Dokumentenband

Verfolgt werden kann anhand der im Band abgedruckten Urkunden (18 davon auch als Faksimile), wie die Securitate-Offiziere in den Gesprächen mit den deutschen Unterhändlern für die Ausreise von Rumäniendeutschen immer mehr Devisen forderten. In den 1960er und 1970er Jahren ließ die rumänische Seite sich zudem Geschenke machen. Für das Zentralkomitee der KP und das Innenministerium nahmen Securitate-Offiziere 1970 zum Beispiel sechs Autos, darunter einen Mercedes 250 SE mit Fernseher und einen BMW in Empfang. „Fără plată“ (ohne Zahlung), so das Dokument. Später kaufte man modernste Technik und andere Waren aus einem Teil des Freikauf-Geldes.

Nachdem Ceauşescu seinen wirtschaftlichen Alleingang eingeschlagen hatte und immer mehr Geld für die größenwahnsinnigen Projekte, aber auch die Schuldenabzahlung brauchte, erbaten die Unterhändler von der Bundesregierung Kredite mit günstigem Zinssatz. Alles im Gegenzug für den „guten Willen“, Rumäniendeutsche ausreisen zu lassen. Was wenig bekannt und erstmals von Alexandru Popescu (ehemaliger Kulturattaché an den rumänischen Botschaften in der BRD und Österreich in seinem Buch „România şi cele trei războaie mondiale în arhivele diplomatice germane şi austriece“, Iaşi 2002) erwähnt wird: Bundeskanzler Helmut Kohl bot 1987 (über Unterhändler Dr. Hüsch) im Vorfeld des Rumänien-Besuches vom 21.-22. Dezember an, die „Konvention auf alle Personen deutscher Herkunft auszuweiten, ganz gleich, ob es sich um Fälle von Familienzusammenführung handelt oder nicht“ (S. 686).

Die Position wird 1988 nochmals bekräftigt, in einem Schreiben von Dr. Hüsch an „Ministerialrat Dr. Anghelache“ in dem mitgeteilt wird: „Gleichwohl bleibt die deutsche Seite daran interessiert, die Familienzusammenführung zu intensivieren, beziehungsweise sie in kürzester Zeit abzuwickeln. Sie ist bereit, eine weit höhere Anzahl von Bürgern deutscher Volkszugehörigkeit aus der Sozialistischen Republik Rumänien in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen.“ Der deutschen Seite wurde stets abgestritten, sich auch für jene einzusetzen, die nicht ausreisen wollen, was so nicht stimmt. „Darüber hinaus ist die deutsche Seite in allen Fällen zu neuen Verhandlungen bereit, um die Lebensverhältnisse der Bürger deutscher Volkszugehörigkeit, insbesondere ihr Verbleiben in der Sozialistischen Republik Rumänien, zu erleichtern,“ heißt es in demselben Schreiben (in Faksimile S. 918-919).

Versucht hat die deutsche Seite ab der 1980er-Jahre über diesen Weg soziale und kulturelle Förderungen für die Rumäniendeutschen anzubieten und vermitteln, für den Erhalt der Identität und um ein Verbleiben im Land angesicht der immer schlimmer werdenden Lage zu erleichtern (zum Beispiel den Druck von Sachbüchern, Unterstützung der deutschen Theater oder Bau von Altenheimen – jawohl, es war keine Nach-Wende-Absicht!). Dergleichen Themen blockte die rumänische Seite ab. Im Dezember 1987 bietet Deutschland angesichts der schlechten Versorgungslage humanitäre Hilfe an. Ihrem Mandat gemäß antworten die rumänischen Unterhändler: „Rumänien löst seine eventuellen Probleme selbst und fordert von Niemandem Unterstützung,“ (S. 687).   

Das erstabgedruckte Dokument in dem von CNSAS herausgegebenen Band stammt von Januar 1962 und gibt Aufschluss, wie der Freikauf der Rumäniendeutschen eingefädelt worden ist: Anwalt Crăciun Şerbănescu (laut Urkunden Securitate-Agent) erhielt vom Stuttgarter Anwalt Ewald Garlepp (im Dokument Nr. 2 wird er als Vertreter des Auswärtigen Amtes bezeichnet, was sonst nirgend belegt ist) Geldsummen für die Vermittlung von Ausreisevisa. Der Kontakt bestand seit 1958. Garlepp legte das Geld in der Schweiz an und es stellte sich nun die Frage des Transfers der hohen Summen nach Rumänien, weswegen Direktion I Außeninformationen (der Securitate – die offiziell verschiedene Bezeichnungen hatte, einfachheitshalber in dieser Besprechung jedoch mit dem bekannten Kürzel benannt wird) Kontakt zur Direktion II Spionageabwehr aufgenommen hat.

Jenseits des Geldtransfers bekunden die Offiziere großes Interesse an Garlepp, einem „einflussreichen Mann“, der beim Lösen einer Reihe von Nachkommensangelegenheiten helfen könne. Diese werden als Köder verwendet, um Garlepp nach Rumänien einzuladen – und zwar von der Nationalbank. Sein erster Kontaktmann stellt sich als Anwalt Dr. Roman Por²stau vor, ist selbstverständlich Securitate-Agent, und schreibt in seinem Bericht, Garlepp sei gekommen um Möglichkeiten der „Repatriierung“ von Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik zu erkunden und biete pro Familie zwischen 20.000 – 50.000 DM (S. 36-38.) Am 13. Juli 1962 genehmigt Innenminister Alexandru Drăghici nicht bloß die Ausreise von Albert Hann (aus Hermannstadt) gegen 30.000 DM sondern auch das „Fortsetzen dieser Kombinationen auch für andere Personen deutscher Nationalität, für die Garlepp bedeutende Devisensummen anbietet“ (S. 42).

Die Securitate-Leute hatten das Finanzpotenzial derartiger Transaktionen erkannt, und „wahren Wirtschaftsleuten gleich“ dachten sie an „das Beseitigen der Konkurrenz durch Monopolisieren“, schreiben die Herausgeber (S. XXXII). Am 9. August 1962 genehmigt Drăghici den Bericht, in dem mitgeteilt wird, dass ein „gedeckter Kanal zum Rausbringen aus dem Land von Personen mit Verwandten in der BRD“ geschaffen wurde. Es sei eine Möglichkeit, zum künftigen erfolgreichen Rausschleusen „unserer Agentur“ als auch für das ins Land Bringen von bedeutenden Devisensummen. Angesichts des neuen „Kanals“ bzw. von Anwalt Garlepp sollen künftig alle Ausreisen von Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik über diesen „dirigiert“ und die ziemlich hohe Zahl an Familien, welche die Ausreise derzeit auf üblichem Weg erhalten, reduziert werden (S. 46-47).

Im November 1962 bringt Garlepp eine Liste von über 100 Personen mit und es beginnt das Feilschen, d. h. die rumänische Seite versucht, möglichst viel Geld rauszuschlagen.
Die Bezeichnung „Kanal“ ist für diese Abwicklung bis zu ihrem Ende im Dezember 1989 genauso konstant geblieben, wie der Decknamen „Eduard“ (auch „Edward“ geschrieben) für den deutschen Beauftragten/Unterhändler, der von Garlepps Vornamen Ewald auf seinen Verhandlungspartner und Nachfolger (ab 1968) auf deutscher Seite, Dr. Heinz Günther Hüsch, übertragen worden ist. Auf rumänischer Seite übernehmen 1964 hochrangige Securitate-Offiziere die Verhandlungen und das Abwickeln der Geschäfte.