Ein Abenteuer im Theater

Zur Premiere von „Der Meister und Margarita“ am Hermannstädter Radu-Stanca-Theater

Margarita (Ofelia Popii) und der Meister (Marius Turdeanu) Foto: Paul Băilă

Eine Adaptation bietet die Möglichkeit, ein Kunstwerk zu überdenken. Um dieses Abenteuer zu wagen, benötigt es Mut und eine klare, saubere Konzeption. Der das sagte, war Zoltán Balázs. 1977 in Klausenburg/Cluj geboren, studierte er Schauspiel und Regie in Budapest, Paris und Stuttgart, erhielt für seine Hamlet-Rolle mehrere internationale Preise und ist in Ungarns Hauptstadt seit 2001 Leiter des von ihm gegründeten unabhängigen Maladype-Theaters. Dessen Ensemble nahm am Internationalen Theaterfestival in Hermannstadt/Sibiu teil und dabei wurde eine Zusammenarbeit mit dem Radu-Stanca-Theater besprochen.

Das Ergebnis kam am vergangenen Wochenende auf die Bühne: Am Freitag (22. März) fand die Premiere mit der rumänischen Besetzung statt, am Samstag waren in drei Rollen ungarische Darsteller zu sehen und Sonntag wurde die erste Fassung nochmals gespielt. Zu sehen war „Der Meister und Margarita“.

Michail Bulgakow hat seinen komplizierten Roman, der als Meisterwerk der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts gilt, zur Zeit des stalinistischen Terrors geschrieben. Verflochten werden, wie das in der russischen Romantradition so üblich ist, Phantasie und Realität, Philosophie und Mystizismus, Lebensfreude und Abrutsch in tiefe Depression. All diese werden in „Der Meister und Margarita“ mit drei Themen verflochten.

Diese zu entdecken und zu verfolgen, insbesondere aber auf die Bühne zu bringen, ist nur mit etwas Abenteuerlust möglich, meinte Zoltán Balázs bei der Pressekonferenz vor der Premiere. Er, Theaterdirektor Constantin Chiriac und die Schauspieler hatten diese Abenteuerlust. Gefördert wurde sie in Workshops, die der Spielleiter, der auch als Choreograf zeichnet und zusammen mit Ilona Kiss den Text adaptierte, mit den Darstellern hielt. Die Inszenierung sei ein großes Abenteuer und am Weg, sich zu verwirklichen, zu reifen, ihre Gestalten mit Leben zu erfüllen, sagte Balázs.

Eigentlich stellt jede Inszenierung eines Romans eine undankbare Aufgabe dar. Der Regisseur verwirklicht auf der Bühne seine eigene Vorstellung vom Roman, wählt die ihm wichtigen Szenen aus und kann nur hoffen, beim Publikum auf ein gewisses Verständnis zu stoßen. Balázs fand an manchen Szenen sichtlich Gefallen. Der Ball dauert im Buch drei Stunden lang – und ebenso lang scheint die entsprechende Szene zu dauern.

Auch andere Handlungen ziehen sich in die Länge und geben das Gefühl der unangenehmen Übersättigung. Mitten in das Stück baut der Regisseur eine  musikalische Varietéeinlage ein. Diese stellt zwar eine willkommene Abwechslung dar zu der sonst eher statischen und langwierigen Handlung und unterstreicht die musikalische Begabung des Hermannstädter Ensembles, überrascht aber wiederum durch ihre unnötige Dauer.

Der Roman schildert auf seiner ersten Ebene das Leben im Moskau der starren und absurden Bürokratie und des Atheismus. Fast starr, für das Theater jedenfalls sehr statisch, wird dieser Handlungsstrang auf der Empore des grandiosen Kulissenbaus gespielt, zu dem eine armenische Kirche in Polen Balázs inspiriert hatte. In dieser Atmosphäre erscheint eines Tages der Teufel als Zauberkünstler Voland verkleidet und stiftet Verwirrung an. In diesem Durcheinander taucht der „Meister“ auf, so genannt, weil er seinen Namen vergessen hat, und erzählt seinem Kumpanen im Irrenhaus sein Leben. Auch dass er an einem Roman über Pontius Pilatus schreibt und es in seinem Leben eine Margerita gibt. Das Hin und Her über Gut und Böse, Leben und Tod, Gott und den Teufel wird emotional ausgetragen und um den Wechsel der beiden Ebenen Spiel bzw. Reflexion zu verdeutlichen, werden Filmsequenzen eingebaut.

Diese auf eine riesige Leinwand ausgestrahlten Videos stellten den wahrscheinlich größten Stolperstein der Vorstellung dar. Gehalten waren sie in einem mehr als sehr gemütlichen Tempo und zogen sich schier ins Unendliche. Trotz der interessanten Kameraführung und der spielerischer Leistung der Darsteller stellten diese Sequenzen die Fähigkeit, nicht einzuschlafen, auf eine harte Probe.

In der mit den rumänischen Schauspielern besetzten Fassung der Vorstellung wurde die Rolle Volands von Mariana Mihu interpretiert. Eine großartige Entscheidung des Regisseurs! Eigens für diese Vorstellung lernte Mihu die Gebärdensprache, mit der sie den mit heiserer, kaum hörbarer Stimme gesprochenen Text begleitete. Marius Turdeanu, der die Rolle des Meisters spielt, ist dem Publikum als Darsteller von Emil Cioran bekannt. Auch diese Rolle scheint wie für ihn geschrieben: tragisch, philosophisch, zum Nachdenken anregend. Sie passt zu ihm und er interpretiert sie gut. Etwas anders verhält es sich mit seiner Partnerin Ofelia Popii, der Margarita. Nach Popiis großen Auftritten in „Faust“, „Felii“ oder „Lulu“ scheint diese Rolle klein und unbedeutend zu sein.

Margarita, mit ihrem Leben unzufrieden, obwohl vom reichen Gatten materiell bestens versorgt, liebt den Meister und sehnt sich nach ihm. Sie lässt sich auf einen Handel mit einem Gehilfen Volands ein, „Ballkönigin“ zu sein. In die Ballszene flicht der Regisseur seine Reflexion über die Kunst ein – und es erscheinen alle namhaften Dramatiker und Regisseure bis hin zu Silviu Purc²rete, welchen Balázs seine Gedanken in den Mund legt. Als Dank für die erfüllte Aufgabe, darf Margarita nochmals eine Zeit mit dem Meister in dessen Kellerwohnung verbringen.

Die zweite Handlung des Romans, die sich später als der Roman des Meisters entpuppt, die Geschichte um Pontius Pilatus und Jeschua, wird in der Inszenierung subtil eingeflochten und kommt erst am Schluss richtig zur Geltung. Dem Zuschauer sei empfohlen, das Stück mehrmals anzuschauen, um die verschiedenen Zusammenhänge und Interpretationen zu verstehen.