Ein Blick zurück im Zorn

Wie 2020 vielleicht doch ein passables Jahr werden könnte

Einer der politischen Höhepunkte des Jahres war der haushohe Wahlsieg des Präsidenten Klaus Johannis. Archivfotos: Agerpres

Am weitgehenden Machtverlust der Sozialdemokratischen Partei (PSD) schuldig: Viorica Dăncilă und Liviu Dragnea.

„Die Wut des Zeitalters ist tief“, hieß es schon bei Heimito von Doderer; dieser wohl berühmte Satz aus Doderers Roman „Die Merowinger oder die totale Familie“ beschreibt wie kaum ein anderer die Verhältnisse der Gegenwart: der Klimawandel, der Brexit, die bevorstehende Wiederwahl von Donald Trump, der Dauerkrieg in Syrien, die Flüchtlingskrise, die Ermordung des iranischen Generals im Irak, die Krise der Europäischen Union, die Digitalisierung, die Krise der Wahrheit und der Vernunft, selbst die Krise der Krise. Wer sich zum Beispiel zwischen Weihnachten und Neujahr oder in den vermeintlich weniger hektischen ersten Januar-Tagen mit der westlichen Presse befasst hat, kann nicht umhin: Wir leben in einer Zeit der Wut, der Verängstigung und der Dauerkrisen. Die westliche Welt scheint auf der Flucht vor sich selbst zu sein, während die unterschiedlichsten Fliehkräfte an ihren Fundamenten rütteln. Ob die neuen 20er Jahre golden sein werden, wie „Der Spiegel“ (Nr. 1/28.12.2019) mutmaßt, bleibt ungewiss. Eine einzige Gewissheit gibt es jedoch: Durch Digitalisierung, Alterung, Klimawandel und neue Machtverhältnisse in der Weltpolitik werden wir von heute in zehn Jahren in einer vollkommen anderen Welt leben. Und hierin ähneln die neuen 20er Jahre ihren Vorgängern, den 1920ern, an deren Ende sich die Welt im Vergleich zu jener von 1919 ebenfalls grundlegend geändert hatte, auch wenn diesmal dem neuen Jahrzehnt kein Weltkrieg vorausgeht.

Das gilt selbstverständlich auch für dieses Land, obzwar die rumänische Öffentlichkeit die Debatten der „global society“ nur bedingt zur Kenntnis nimmt und sich wenig bis gar nicht mit ihnen auseinandersetzt. Die großen Themen, welche die Welt beschäftigen, von Klimawandel bis Digitalisierung, stehen hierzulande nicht unter den ersten Punkten auf der Tagesordnung, die üblicherweise von jener der großen weiten Welt immer abweicht. Man kocht unbeschwert sein eigenes Süppchen, bis die Welt und das Zeitalter hineinspucken.

Was hat Rumänien also im vergangenen Jahr beschäftigt? In erster Linie der Machtverlust der PSD, der mit dem Debakel bei den Europawahlen und der Inhaftierung Liviu Dragneas begonnen und mit der erwarteten, aber deshalb keineswegs weniger bitteren Niederlage von Viorica Dăncilă bei den Präsidentschaftswahlen sein vorläufiges Ende gefunden hat. Einmaliges in der Geschichte Rumäniens nach 1989 ist im Vorjahr geschehen: Eine Partei, an deren Machtfülle nur wenige zweifelten, zerlegte sich quasi selbst, getrieben von dem heißen Wunsch ihres Vorsitzenden, dem Gefängnis zu entkommen. Dass keiner in der Sozialdemokratischen Partei den richtigen Aufstand gegen Dragnea gewagt hat, obwohl alle wussten, dass sie mit ihm und der glücklosen Premierministerin seiner Gnaden in einer Sackgasse landen werden, bleibt für Außenstehende ein Rätsel. Wer sich einen tieferen Blick erlaubt, versteht: Mehr als jede andere Partei, die in Rumänien nach 1989 existiert hat, war und ist die PSD von einem bösen Geist der Verbrecherschaft, der Ausplünderung des Staats, der Ausnutzung aller seiner Hebel zu rein persönlichen Zwecken gekennzeichnet. Dass sie nun mit sich selbst beschäftigt sein wird und dass sie 2020 nur noch auf ein deutlich zurechtgestutztes Wählerbecken zurückgreifen kann, ist im Grunde begrüßenswert. Aber man muss sich keine allzu großen Hoffnungen machen, eine moderne sozialdemokratische Partei wird die PSD nie mehr, wenn nicht aus den verschiedensten inneren Gründen, dann schon wegen der Tatsache, dass die Sozialdemokratie europaweit im Sterben liegt. An gewieften Populisten wie Boris Johnson kommt eine Lachnummer wie Jeremy Corbyn nicht mehr vorbei und nach 15 Jahren unter Angela Merkel bereitet sich Deutschland wahrscheinlich auf den ersten grünen Regierungschef vor, der eine geschrumpfte SPD womöglich gar nicht mehr braucht, weil die Schwarzen mit den Grünen koalieren würden, denn Grün ist das neue Rot. Genauso sieht es Österreichs junger alter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz.

Nun, für Rumänien war der Sieg des amtierenden Präsidenten Klaus Johannis ein positives Ereignis. So ist die Garantie, dass das Land auf Westkurs bleibt, weiterhin gegeben. Aber die PNL-Regierung, die vor zwei Monaten an die Macht gespült wurde, hängt letztendlich nicht nur von der Glaubwürdigkeit des Präsidenten ab: Einige in der Regierungsmannschaft lassen die größten Zweifel aufkommen. Nicht nur, dass der Eindruck entstanden ist, dass sich nun wieder alte PDL-Kader aus der Endphase des Băsescu-Regimes auf dem Weg zur Macht befinden, einige Taten des neuen Kabinetts deuten darauf hin, dass nun Politik für Großunternehmen und da vor allem für ausländische Konzerne gemacht werden soll. Sollte sich der eingeschlagene Kurs 2020 bestätigen, wird die PNL kein leichtes Leben haben.

Deshalb wird sie höchstwahrscheinlich versuchen, vorgezogene Wahlen herbeizuführen, und dies so schnell wie möglich, denn sie braucht eine stabile Mehrheit. Erst dann kann sie verkünden, was sie sich bisher nicht getraut hat: Die großzügigen Gehalts- und Pensionserhöhungen, die die PSD verabschiedet hatte und die in diesem Jahr teilweise umgesetzt werden sollten, ersatzlos zu streichen. Dass sie die Öffentlichkeit nicht allzu sehr provozieren will, lässt sich auch am Beispiel des Staatssekretärs Raed Arafat ablesen, den der durchaus peinliche Innenminister Marcel Vela nicht einfach feuern kann, sich zuweilen hinter Prüfberichten verstecken will und deshalb von Nervenkrisen geplagt ist, vor allem dann, wenn er die Kontrolle über sich verliert, seinen Untergesetzten vor laufenden Kameras anbrüllt und diesen fragt, was er 20 Jahre lang gemacht hat. Wer Vela mit seiner Securitate-Vergangenheit und seiner Angst vor den bösen Geistern in seinem Büro (die er dieser Tage mit Hilfe des Karansebescher Bischofs austreiben will) als Nachfolger von Ludovic Orban ins Spiel gebracht hat, sollte es sich überlegen.

Aber Orban selbst ist für den Stuhl, auf den er geklettert ist, zu schwach und sollte sich alsbald nach einem anderen Job umschauen. Einer käme in Frage, der von den Bukarester Bürgern vergeben wird, doch wenn die USR nicht mitspielt und nicht auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, regiert die PSD mit der unmöglichen Frau Firea im Bukarester Rathaus weiter und Orban geht leer aus. Die bevorstehenden Kommunalwahlen sind aber nicht nur deshalb interessant, sondern auch, weil sie für die USR und für den Bündnispartner PLUS lebenswichtig sind. Wenn die beiden Parteien gut abschneiden und über eine angemessene Zahl an Bürgermeistern, Stadt- und Kreisräten verfügen werden, dann wird das Debakel der Präsidentschaftswahlen vergessen und das Bündnis kann sich auf 2024 vorbereiten.

Nach zwei Monaten der PNL-Regierung ist von der versprochenen moralischen Wende nicht allzu viel übrig geblieben. Mit harschen Worten hatte Präsident Johannis die PSD kritisiert und vor allem die Tatsache angeprangert, dass die Sozialdemokraten Verwandte, Freunde und Geliebte auf gut bezahlten Staatsposten platziert hatten, doch was die Liberalen seit Machtantritt aufführen, ähnelt der PSD-Praxis bis ins kleinste Detail. Die Geburt des „normalen Rumäniens“ erweist sich demnach als schwierig.

Aber wenn die Regierung sich zu einer besonnenen Wirtschaftspolitik aufrappelt, die Investitionen ankurbelt, das Staatshaushaltsdefizit in den Griff bekommt und es gleichzeitig schafft, die gesetzlich verankerten Gehalts- und Rentenerhöhungen zumindest halbwegs umzusetzen, dann kann man sich zufriedengeben. Tatsächlich ist das nicht leicht, die Wirtschaftslage ist zwar nicht desaströs, so wie PNL-Finanzguru Florin Cîțu erklärt hat, aber die Wahrung der makroökonomischen Stabilität ist keineswegs eine leichte Aufgabe. Natürlich müsste man dann vor allem über die Bildung reden, aber eine Regierung, die bis zu den Parlamentswahlen, ob vorgezogen oder nicht, agiert, kann da nicht viel bewirken. Und es geht um die großen Fragen der langfristigen Entwicklung: Was geschieht mit Rumäniens Industriesektor, wenn die deutsche Automobilindustrie die Wende zum elektrischen Auto geschafft hat? Oder wenn sie diese Wende nicht schafft? Wie bekämpft Rumänien den Klimawandel? Welche Maßnahmen könnten den alarmierenden Bevölkerungsschwund verlangsamen? Inwiefern ist das Land für die Digitalisierung gerüstet? Wie bekämpft es den funktionalen Analphabetismus seiner erwachsenen Bürger? Wie wird die Immigration gehandhabt, wenn in fünf Jahren in den Großstädten eine halbe Million asiatischer Gastarbeiter leben werden? Das Dauergerede über die Justiz, das hauptsächlich als Waffe in der politischen Auseinandersetzung dient, kann diese Diskussionsthemen nicht mehr lange verdrängen, sie müssen endlich in den Vordergrund rücken.

2020 könnte für Rumänien ein passables Jahr werden, ein Jahr eines etwas gedämpfteren Wirtschaftswachstums, aber immerhin. Und nur dann, wenn der Westen, genauso wie 2019, noch einmal davonkommt, der tief sitzenden Wut des Zeitalters zum Trotz.