Ein Deutscher als Bürgermeister in Rumänien

Dominic Samuel Fritz – vom Schwarzwald schon seit einem Jahr in Temeswar an den Hebeln

So ließ sich Dominic Samuel Fritz auf den Höhen der Euphorie nach dem Wahlsieg am 27. September 2020 feiern, so dankte er seinen Wählern und dem Wahlkampfteam der USR/PLUS, die ihn zum Bürgermeister einer der bedeutendsten Städte Rumäniens machten. Über die „Mühen der Ebenen“, des (politischen, administrativen und gesellschaftlichen) Alltags in einer nur nach außen von harmonischem Zusammenleben geprägten Stadt informierte sich Thomas Wagner vom Deutschlandfunk.
Foto: Zoltán Pázmány

Dies ist die Geschichte eines Deutschen, der auszog in ein fernes Land, um dort als Parteifunktionär und Oberbürgermeister einer der größten Städte des Landes Karriere zu machen: Dominic Samuel Fritz, gegen 40, stammt eigentlich aus dem Südschwarzwald, studierte Politik- und Verwaltungswissenschaften in Konstanz, Paris und New York, arbeitete später unter anderem als Büroleiter für den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Der eigentliche Sprung nach oben, wenn man das so nennen kann, gelang Dominic Fritz aber vor etwas über einem Jahr, nämlich am 27. September 2021: Damals wurde er bei den Kommunalwahlen in Rumänien zum Oberbürgermeister der westrumänischen Großstadt Timișoara/Temeswar gewählt. 

Damit gewann er als Deutscher gegen den rumänischen Amtsinhaber Nicolae Robu, der eigentlich am liebsten weiter Rathauschef geblieben wäre. Seit über einem Jahr nun ficht der aus Deutschland gekommene Oberbürgermeister in Rumänien einen schwierigen Kampf gegen Bürokratie, Vetternwirtschaft und Korruption aus. „Salut, salut…toate bune?“, begüße ich den Bekannten aus dem Raum meiner Heimatgegend auf Rumänisch. 

Er spricht die Landessprache fast akzentfrei. „Grüße Sie, alles ok?“ Wenn Samuel Dominic Fritz durch die Innenstadt von Temeswar läuft, ist der Plausch mit Passanten, den er mit dieser Formel einleitet, nichts Ungewöhnlichen. Jeans, Sakko, Hemd ohne Krawatte, dies sein Outfit, als ich ihn begleiten darf. Nur ein paar Minuten später ist der jugendlich wirkende Enddreißiger im Innenhof eines Begegnungszentrums eingetroffen, sitzt im Halbkreis mit gut einem halben Dutzend Frauen und Männern, redet über Europa: „Vieles an Europa ist zu bürokratisch ausgelegt. Es müsste vielmehr direkte Kontakte geben mit den Gemeinden vor Ort, mit deren Problemen. Wenn man das nicht schafft, wird das europäische Projekt scheitern.“ Das sagt einer, der sich selbst als Europäer durch und durch bezeichnet. Denn Dominic Fritz, 1983 im baden-württembergischen Landkreis Waldshut im Südschwarzwald geboren, hat wie wohl kein anderer Deutscher in Rumänien vom EU-Kommunalwahlrecht profitiert. Demnach durfte er als Deutscher für das Amt des Temeswarer Oberbürgermeisters kandidieren – und wurde im September 2020 auch prompt mit 54 Prozent der Stimmen gewählt. Was nach Ansicht von Dominic Fritz dabei überzeugte: Sein Programm, das auf grundlegende Veränderungen setzt – in einem Land, in dem Bürokratismus, Vetternwirtschaft und nicht selten auch noch Korruption an der Tagesordnung sind. 

„Die Richtung, die wir eingeschlagen haben, ist auf jeden Fall die richtige: Die öffentlichen Institutionen in Rumänien, aber hier auch, in Temeswar, brauchen ganz dringend Reformen, brauchen eine Transformation hin zu mehr Bürgernähe, zu Transparenz, und das ist jetzt der Kampf, den wir führen, von innen heraus, sagen wir mal – und deswegen bin ich hier auch am richtigen Platz, finde ich.“
Ist ein Deutscher auf dem Chefsessel eines rumänischen Großstadt-Rathauses am richtigen Platz? Keine Geschichte ohne Vorgeschichte: Dominic Fritz kam bereits nach dem Abitur nach Temeswar, arbeitete in einem Waisenhaus, organisierte in den Jahren darauf Kulturprojekte; die Stadt Temeswar wurde zu seiner zweiten Heimat, weil: „Sie hat eine sehr aktive Zivilgesellschaft, eine lebendige Kulturszene. Was eben fehlt – und das war der Grund, weswegen ich mich um das Amt beworben habe – ist eine Stadtverwaltung, die, sage ich mal, nicht korrupt ist, und die integer ist, und das ist jetzt genau diese Transformation, die wir angehen.“

Besprechung mit einer Verwaltungsmitarbeiterin im Rathaus: Dominic Fritz spricht, heißt es in Temeswar, perfekt und nahezu akzentfrei Rumänisch. Das, sagt er, sei unabdingbar – auch, um sich Respekt zu verschaffen. Denn da gibt es alte Seilschaften im Rathaus, die sich gegen Veränderungen zu wehren wissen, Gerichtsprozesse gegen den neuen Rathauschef anstrengen, angedachte Personalrochaden auszubremsen versuchen, Verzögerungstaktiken anwenden. Zudem sind die politischen Parteien im Rat untereinander zerstritten. 

Dominic Fritz gehört der USR an, das steht für „Uniunea Salva]i România“, zu Deutsch: „Union Rettet Rumänien“, eine Partei, die vor einigen Jahren aus der Protestbewegung gegen eine umstrittene Justizreform der Regierung hervorgegangen ist, die unter bestimmten Umständen Korruption nicht mehr unter Strafe stellen wollte. 

Die „Partidul Social Democrat“, kurz PSD, die seinerzeit auf Landesebene diese Justizreform angestoßen hat, gilt im Temeswarer Stadtrat mit als schärfste Kritikerin des Oberbürgermeisters aus Deutschland. Radu }oanc² ist im Gemeinderat Fraktionssprecher der PSD: „Dominic Fritz wurde mit 54 Prozent von den Temeswarern gewählt. Und die hatten eine immens hohe Erwartungshaltung. Und nach einem Jahr im Amt verkörpert Dominic Fritz und seine Verwaltung die größte Enttäuschung in der jüngsten Geschichte der Stadt.“ Dominic Fritz habe Versprechungen nicht gehalten und durch eine Politik der Veränderung für große Unruhe im Rathaus gesorgt. „Als öffentliche Person, als Mensch ist Dominic Fritz beliebt, das gebe ich zu. Aber als Verwalter einer der größten Städte Rumäniens ist er eine Null.“

Andere wiederum schlugen nationalistische Töne an: Ein Deutscher habe im Amt des Oberbürgermeisters einer Großstadt in Rumänien nichts zu suchen – auch dieses Argument musste sich Samuel Fritz öfters anhören. „Natürlich wird diese Ausländerkarte gegen mich gespielt, das ist auch wenig überraschend. Das hat man aber im Wahlkampf schon gesehen, dass das bei den Bürgern hier in Temeswar nicht zieht.“

Wohl wahr: Spontane Umfrage auf der „Pia]a Victoriei“, dem zentralen Platz zwischen Oper und Kathedrale in Temeswar. Einige Stimmen, ganz zufällig unter Vorbeigehenden aufgenommen: „Natürlich kenne ich Dominic Fritz. Manche sprechen gut, manche weniger gut über ihn. Ich persönliche habe eine sehr gute Meinung über Dominic Fritz. Er hat sich zum Beispiel sehr für die Sanierung des katholischen Doms in unserer Stadt eingesetzt. Und dafür sind wir sehr dankbar.“ „Dominic Fritz? Der ist sehr bekannt bei uns. Aber ehrlich: Nach nur einem Jahr in diesem Amt ist es ziemlich schwer, sicher verfrüht, da ein Urteil zu fällen. Da gibt es viel zu tun in einer Stadt wie Temeswar.“

Straßenmusiker an vielen Ecken und öffentlichen Plätzen: 2023 wird Temeswar ein Jahr lang zur europäischen Kulturhauptstadt; die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Doch die größte Aufgabe sieht Bürgermeister Fritz darin, die Mentalität des politischen Alltags zu drehen. Dazu hat er sich auch zum Kreisvorsitzenden der jungen Protestpartei USR wählen lassen. „Wir müssen es schaffen, dass die Menschen verstehen – und zum Glück verstehen das auch immer mehr – dass wir grundsätzlich etwas an der Art und Weise ändern müssen, wie in diesem Land Politik gemacht wird und dass wir auch eine neue Art von Politikerinnen und Politikern brauchen. Und genau deshalb werde ich auch nicht aufgeben.“