Ein fast unmögliches Projekt vollendet

Das Juwel von Bistritz und seine Restaurierung ist eng mit dem Schicksal der Nordsiebenbürger Sachsen verbunden

Dr. Hans Georg Franchy und Bürgermeister Ioan Turc Fotos: George Dumitriu

Restaurierte Bistritzer Stadtpfarrkirche

Repliken der wertvollen osmanischen Teppiche

Stefano Ionescu, Horst Göbbel, Dr. Hans Georg Franchy

Wie war das damals mit den Nordsiebenbürger Sachsen? Warum sind sie Ende des Zweiten Weltkriegs fast alle von dort verschwunden? Heute leben kaum noch Deutsche in der Region, viele ihrer Kirchen verfielen... Und doch gibt es einen harten Kern, deren Herz - ob in Deutschland, Österreich, Kanada, den USA oder Australien – immer noch für die alte Heimat schlägt, ...der mitgelitten hat, als die schöne alte Stadtpfarrkirche von Bistritz/Bistri]a im Juni 2008 gebrannt hat, ...der gespendet und sich engagiert hat für ihre Restauration, ...der angereist ist aus aller Welt zur kürzlich, am 13. Mai, erfolgten Wiederweihe, als sie wie der Phönix aus der Asche auferstanden ist. Dass das Juwel von Bistritz wieder leuchtet und man vom höchsten mittelalterlichen Turm Siebenbürgens wieder stolz über das Nösnerland blicken kann, ist in hohem Maße Dr. Hans Georg Franchy zu verdanken. Der aus Bistritz stammende, heute in Drabenderhöhe, einer kompakten Siedlung ausgewanderter Siebenbürger Sachsen in Deutschland, lebende Leiter der Heimatsortsgemeinschaft (HOG) Bistritz-Nösen hat keine Mühe gescheut, seine Landsleute für dieses Herzensprojekt zu mobilisieren. Verstehen kann man das, wenn man seine Geschichte kennt - stellvertretend steht sie für das Schicksal vieler Nordsiebenbürger Sachsen. Im Gespräch mit Nina May verrät er am Tag vor der Wiederweihe der Kirche und dem Nordsiebenbürgen-Treffen in Bistritz die bewegendsten Momente.

Herr Franchy, fangen wir am besten mit der Situation der Nordsiebenbürger Sachsen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an. Wie erging es Ihrer Familie damals, 1944, als Sie geboren wurden?

Ich bin in Klausenburg geboren - durch Zufall, mein Vater hatte dort seine Anstellung -, doch meine Eltern stammen aus Bistritz. Mein Bruder, neun Jahre älter als ich, war jahrelang Pfarrer in Bistritz. 1944, in der Endphase des Krieges, rückte die Front nach Siebenbürgen vor - Nordsiebenbürgen gehörte damals zu Ungarn - und wir wurden alle evakuiert. Alle Sachsen, bis auf ganz wenige, wie die aus Moritzdorf, die sich einfach geweigert haben. Das ist ein kleines, abgelegenes Dorf in einer Hügelregion und die Moritzdorfer sagten einfach, zu uns kommt kein Krieg, und sind hiergeblieben. Dort leben immer noch ca. 40 Leute - die stärkste Gemeinde heute.

Alle anderen aber wurden evakuiert. Im Viehwaggon oder, wenn sie Pferde oder Ochsen hatten, im Treck in Richtung Westen. Zuerst hieß es, nur für zwei Wochen, dann wird die Front zurückgeschlagen. Aber die Flucht war für die meisten für immer. Ein Weg in eine ungewisse Zukunft.

Sie sagen, für die meisten. Also gab es auch Rückkehrer?

Ja. Im Herbst 1944 war die Evakuierung gewesen, 1945 das Kriegsende, und jene, die sich dann im sowjetischen Sektor aufhielten, wurden gezwungen, wieder zurückzukehren. Von ca. 35.000 evakuierten Sachsen in Nordsiebenbürgen sind fünf- bis sechstausend zurückgekehrt. Unser Horst Göbbel ist auf der Flucht im Waggon geboren und ich war damals ein kleines Baby. Ich war krank und wurde notgetauft, in Freistein, heute Slowakei, dort war das Notquartier. Im Juni 1945 mussten wir dann zurück.  Kurz darauf wurde mein jüngster Bruder geboren, in Bistritz, wie seine Vorfahren. 

Wie ging es nach der Rückkehr weiter? Konnten Sie wieder in Ihr altes Haus?

Die meisten Rückkehrer hatten nichts mehr - aber wir durften wieder in unser Haus zurück. Es wurde nicht verstaatlicht, weil eine Schwester meines Großvaters nicht geflüchtet war, und die Kommission, die einen bei der Ankunft begutachtet und entweder ins Lager oder zur Zwangsarbeit geschickt hat, hat wohl befunden, dass mein Großvater ein ehrenwerter Mensch sei, weil er auch in der Zeit, als an Juden nichts mehr verkauft werden durfte, dafür gesorgt hat, dass Essenspakete an sie gelangt sind. Wir durften also in unser Haus. Aber es war schwer, es mangelte an allem und mein Vater war in Österreich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Erst zwölf Jahre später, als der Eiserne Vorhang gelockert wurde, durfte er zu uns zurückkehren. 

Meine Mutter hatte dann entschieden, dass wir Kinder die Landessprache erlernen, und so ging ich die ersten Klassen in die rumänische Schule. Das war eine weitblickende Entscheidung! Aber Abitur hab ich 1962 in der deutschen Schule gemacht. Ab 1947 gab es wieder deutsche Schulen, wenn auch nicht im alten Gymnasialgebäude, sondern in improvisierten Lernsälen. Dann hab ich Veterinärmedizin in Klausenburg studiert und bin bei einem staatswirtschaftlichen Betrieb als Tierarzt in den Dienst getreten. 

Gab es 1945 auch aus Nordsiebenbürgen Deportationen nach Russland?

Die gab es, aber der Großteil der deutschen Bevölkerung war ja noch evakuiert. Es gab zahlenmäßig wenig Deportierte, auch weil nicht so viele in der richtigen Altersklasse waren (Anm. Red.: deportiert wurden Männer im Alter von 17 bis 45 und Frauen von 18 bis 30 Jahren). Selbst aus Moritzdorf wurden wenige deportiert, es war außerdem etwas abgelegen. 
Wir haben (später) übrigens einen schönen Film gedreht über Moritzdorf (rum. Moru]), Horst Göbbel hat sich mit alten Frauen und Männern aus dem Dorf unterhalten, denn man muss ihren Dialekt sprechen, Hochdeutsch können sie nicht. Wir haben alle Ortschaften Nordsiebenbürgens aufgesucht und dokumentiert und sogar mit Drohnen gefilmt.

Warum kam Ihr Vater so spät zurück?

Nun, die Grenzen waren zu, ein Austausch war nicht mehr möglich, erst als Deutschland mit Russland ein Abkommen geschlossen hatte. Mein Vater war in Mondsee bei Salzburg. Es gab immer wieder Kontakte in der Zeit, wo mein Vater in Österreich war. Ab und zu kamen Pakete von ihm an, aber die waren alle zerfleddert, damit konnte man nicht mehr viel anfangen (lacht)... 
1956 kehrte er zur Familie zurück und die Not war sehr groß. Geringes Einkommen, schlechte Versorgungslage... 

Dachte man damals schon  an Auswanderung?

Ja, mein Vater hatte von Anfang an den Wunsch, so schnell wie möglich mit der ganzen Familie auszuwandern. Man muss aber wissen: Mein Großvater ist 1885 als katholischer Deutschlehrer aus Österreich nach Bistritz gekommen, mein Vater hatte also noch Verwandtschaft dort, ein Bruder war freischaffender Schriftsteller... Er hat also eingereicht zum Auswandern, aber es hat gedauert und gedauert... Im Dezember 1972 ist mein Vater gestorben - und im Januar darauf kam die Bewilligung zur Ausreise! Dann wollte meine Mutter alleine auswandern, aber es hieß: Nein, Sie haben ja als Ehepaar eingereicht. Aber in den späteren 70er Jahren waren die meisten weg aus Nordsiebenbürgen.
Der Staat hatte damals ein gewisses Interesse, Nordsiebenbürgen deutschfrei zu bekommen. Denn das machte keinen guten Eindruck, wenn die aus dem Westen mit großen Autos herkamen. Als es das Abkommen zum Freikauf gab zwischen Deutschland und Rumänien, hat man die Leute aus Nordsiebenbürgen ziehen lassen. Meine Mutter reiste 1974 aus, meine Frau Liliana – eine Rumänin aus Felmern, wir hatten uns beim Studium in Klausenburg kennengelernt – und ich erst 1979.

Ihre Frau war Rumänin? War das nicht besonders schwierig für sie? 

Von Behördenseite her war es kein Problem, es genügte, dass ich als Deutscher anerkannt war. Aber sie hat sich in der Tat sehr schweren Herzens zur Auswanderung entschlossen. Sie musste ihren Glauben und ihre Sprache aufgeben, sie hatte hier Lehramt studiert und ihre Fächerkombination war in Deutschland nicht anerkannt, außerdem konnte sie kein Deutsch. Das hat sie aber dort in kurzer Zeit gelernt und  akzentfrei gesprochen.  Sie hat sich geopfert, denn wir wollten für unseren Sohn eine bessere Zukunft haben. Und das Opfer hat sich gelohnt. Er hat Medizin studiert, hat geheiratet und Kinder, lebt in gesicherten Verhältnissen.

Wie lief die Auswanderung der Sachsen aus Nordsiebenbürgen insgesamt ab? 

In Deutschland und Österreich gab es Kreisgruppen der Siebenbürger Sachsen - da, wo sie sich organisiert hatten. Man hatte versucht, dörferweise zusammenzubleiben. Es gab sogar den Versuch der Leitung der Nordsiebenbürger Sachsen, den Zusammenhalt als Gesamtgruppe zu erhalten. Das war aber in Deutschland nicht möglich, also hat man Kontakt mit Frankreich aufgenommen. Die Franzosen haben uns das zugesagt - aber sie wollten keine deutschen Schulen und damit war das Thema durch. Man hatte auch mit Südamerika Kontakt aufgenommen... In Kanada und den USA gab es schon Anfang des 20. Jahrhunderts eine große Kolonie aus Siebenbürgen. Nach Kanada wanderten viele aus, die als Lehrer in Deutschland nicht angestellt werden konnten. Ein Cousin meiner Mutter etwa, er war Sportlehrer in Bistritz. Bis heute gibt es diese Siedlungen - in Toronto, Ontario, oder in Kitchener, hundert Kilometer westlich davon. Aber leider haben sie spätestens in der dritten Generation die deutsche Sprache verloren. 

Sind die Leute einzeln oder in Gruppen ausgewandert? Hatten sie am Zielort Kontakte? Oder wie kann man sich das vorstellen?

Für die Leute aus Nordsiebenbürgen gab es damals in Bistritz einen Generaldechanten, der Bischofswürden hatte, der hat sich für die Gesamtgruppe eingesetzt. Es wurde ein Komitee gebildet und das hat die Auswanderung dieser Gruppen nach Kanada ermöglicht.

In Deutschland gab es die Landsmannschaft, die sich eingesetzt hat. Dort waren ja sehr viele Siebenbürger Sachsen, die nach dem Krieg nicht (nach Rumänien) zurückgekehrt sind, weil sie hier keine gute Zukunft gehabt hätten. In Drabenderhöhe bei Köln gibt es die größte kompakte Siedlung der Siebenbürger Sachsen - über 3000 Leute. Das gibt es sonst nirgendwo. Und das ist ein kleiner Ort - in Nürnberg leben auch 20.000 Sachsen, aber verstreut. Diese Siedlung hat das Land Nordrhein-Westfalen speziell für die Siebenbürger Sachsen errichtet. Die in Österreich verbliebenen Sachsen erhielten erst in den 50er Jahren die Staatsbürgerschaft. Es gab eine Aktion in Deutschland, im Ruhrgebiet wurden Arbeitskräfte aus Österreich angeworben. So sind Siebenbürger Sachsen nach Oberhausen, Setterich und Herten zur Kohleförderung gekommen und  haben dort Siedlungen gegründet. Der Arbeitgeber hat ihnen die Möglichkeit gegeben, Häuser zu bauen. So sind die Kreisgruppen entstanden, auch Drabenderhöhe hat eine Kreisgruppe. Aber in Kreisgruppen waren auch Siebenbürger Sachsen aus unterschiedlichen Regionen vertreten.

Wie kam es dann zur Gründung der Heimatortsgemeinschaften, wenn die ausgewanderten Sachsen  schon organisiert waren? 

Die HOGs entstanden, als man einen gewissen Wohlstand erreicht und das Bedürfnis hatte, sich wieder mit seinen alten Leuten zu treffen. Meine Auslegung ist, dass die Kreisgruppen eine sehr wichtige Funktion vor Ort (d.h. in Deutschland) hatten, während den HOGs eher die Bedeutung zukam, mit den ursprünglichen Heimatorten wieder in Kontakt zu kommen. 

Warum diese Rückbesinnung, wo man doch freiwillig ausgewandert ist?

Wenn man an einem Ort Kindergarten, Schule, Konfirmation und Heirat erlebt hat, dann ist da eine gefühlsmäßige Verbindung, die man nie aufgegeben hat. Und als der Ostblock zusammenfiel, konnte man ohne Bedenken wieder in die alte Heimat, man wurde nicht mehr bespitzelt, man durfte sich nicht mehr nur bei Verwandten ersten Grades aufhalten. Da sind viele wieder nach Siebenbürgen gereist.

Was gab es in Nordsiebenbürgen noch zu besuchen?

Es waren nur noch wenige Deutsche dort, aber man hatte den Friedhof. Auch heute (Interviewtag: 12. Mai) ist eine Gruppe von uns (d.h. den ca. 200 aus Deutschland und Österreich zum Nordsiebenbürger Treffen vom 13.-14. Mai Angereisten) nach Windau (rum. Ghinda) unterwegs, die Gräber der Vorfahren besuchen.

Nach 1944 gab es noch etwa 2000 Deutsche in Bistritz, aber das waren nicht alles Städter. Als die Dorfbewohner nach der Evakuierung zurück mussten, aber nicht mehr in ihre Häuser auf dem Dorf durften, sind sie in die Stadt gezogen und da sind dann ihre Kinder geboren, sie wurden Städter. Aber die Alten, die hatten noch Kontakt zu ihren Dörfern. 

Wann sind Sie zum ersten Mal zurückgekommen?

Wir sind schon vorher immer wieder nach Rumänien gereist, aber nicht nach Bistritz, sondern zur Verwandtschaft meiner Frau. Sie ist in Felmern bei Fogarasch geboren, ihr Großvater war dort orthodoxer Pfarrer. Schon als Kind hatte sie eine ganz besondere Beziehung zum Sächsischen. Nach dem Gottesdienst gab es dort immer Blasmusik und Volkstanz. Das hat sie bis zum Lebensende gemocht und sich in siebenbürgisch sächsicher Gesellschaft immer wohlgefühlt.

Wie kam dann Ihr persönliches Engagement für die HOG Bistritz-Nösen, die Sie heute leiten?

Mein Bruder war Pfarrer in Bistritz, wie ich schon sagte, und nach seiner Auswanderung wurde er zum Sprecher der losen Gemeinschaft der Bistritzer Sachsen. Die haben in kommunistischer Zeit schon Geld gesammelt, um Material wie Kupferblech oder Baugeräte nach Bistritz zu vermitteln, für die Reparatur der Kirche. Als ich 60 wurde, hat mein Bruder, er ist neun Jahre älter als ich, mir gesagt, jetzt musst du das Amt übernehmen. Ich sagte, das mach ich nur, wenn wir uns als juristische Person als Verein organisieren, denn wenn ich nach Bistritz komme, möchte ich die Mitglieder aus Österreich, Kanada oder Australien als gewählter Vertreter vertreten. 

Dann haben wir 2005 in Dinkelsbühl die HOG Bistritz-Nösen gegründet. Der damalige Bischof, Dr. Christoph Klein, war bei unserer Gründung dabei, der hat das unterstützt. Horst Göbbel hat dann den Verband der HOG in Deutschland als Parallelverband zur Landsmannschaft gegründet, was diese zwar erst als Konkurrenz angesehen hat, aber letztlich hat sich das durchgesetzt. Vor Ort (in Deutschland)  haben die Landsmannschaft und die Kreisgruppen die Wichtigkeit, und hier (in Rumänien) die HOGs. Auch die Frau Ilse Welther, die Vorsitzende des Bundesverbandes der HOGs, ist heute hier. 

Wir haben also den Verein gegründet und dann Kontakt nach Bistritz aufgenommen, weil das Kirchendach löchrig war und der Regen die Mauern zu beschädigen drohte. Da haben wir einen Hilferuf für das Sammeln von Spenden getätigt: zur „Rettung des Juwels in Bistritz“. Es kamen tatsächlich Spenden und wir konnten das Dach dicht machen. Damals haben wir auch Kontakt zum Bürgermeister und der Presse aufgenommen und sofort Anerkennung gefunden. Wir wurden als Partner akzeptiert, weil wir eine juristische Person waren.

Dann haben wir begonnen, im Innenraum der Kirche das Gewölbe über der Orgel zu reparieren, wurden aber von den Behörden vor Ort gebremst, weil es kein Projekt gab. Wir hatten direkt mit Baufirmen Kontakt aufgenommen und die Rechnungen selbst bezahlt. Also nicht nur Geld geschickt, sondern uns selbst eingesetzt.

Das war vor dem Brand am 11. Juni 2008...

Ja - dann kam der schreckliche Brand... Ich hab das live verfolgt in Deutschland, wir hatten zuhause auch rumänisches Fernsehen. Über 70.000 investierte Euro waren mit einem Schlag weg. Es war dramatisch! Dann sind wir in der ersten und zweiten Woche danach gleich nach Hermannstadt zur Landeskirche gefahren, mein Bruder und ich, und anschließend nach Bistritz. Wir wollten helfen! 

Pfarrer Krauss hatte uns erzählt, dass die Glocken geschmolzen waren und die schöne alte Uhr mit den Gewichten kaputt war. Als Kind war ich oft auf dem Turm, der hatte 1857 schon mal gebrannt und war nur notrepariert worden, das war immer abenteuerlich, da hochzuklettern. Ich hab auch in der Neujahrsnacht ein paarmal mitgeholfen, eine halbe Stunde die Glocken zu läuten, da war ich aber schon 17 oder 18. Also haben wir gesagt, wir wollen eine Glocke spenden - doch es kam so viel Geld zusammen, dass wir bald drei Glocken hatten! Mit 21.000 Euro konnen wir die Glocken in Passau gießen und nach Bistritz überführen lassen. Man hat uns mit großer Presse empfangen.

So stark war der Verein damals?

Wir hatten über tausend Anschriften der losen Vereinigung. Aber wir sagten, wer sich zu dieser Gemeinschaft bekennt, der muss auch bereit sein, einen Jahresbeitrag zu zahlen. Doch da gab es auch Differenzen: Die alten Nordsiebenbürger, die 1944 nach Österreich ausgewandert sind, haben gesagt, wir sind zu alt, wir sind die Geflüchteten, ihr seid Spätaussiedler. Aber auch zwischen den alten und neuen Bürgern  aus Bistritz wurden Unterschiede gemacht: etwa 2000 Bistritzer kamen ja ursprünglich aus Dörfern, das hat den alten Bistritzern, den Städtern, nicht so gut gefallen. Aber damit wir die Neubürger auch ins Boot kriegen, haben wir den Verein HOG Bistritz-Nösen genannt, nicht nur HOG Bistritz. Wir hatten über 300 zahlende Mitglieder. Inzwi-schen sind aber schon sehr viele alt geworden oder gestorben...

Unser Spendenaufruf hat jedenfalls gewirkt. Wir haben rund eine halbe Million Euro seit dem Brand nach Bistritz gebracht und immer ganz gezielt eingesetzt - für Glocken, für das Mauerwerk, das gelitten hat, dort wo die Uhren sind, den Renaissanceturm haben wir neu machen lassen, die Sakristei und die beiden Pfarrergestühle restaurieren lassen, Repliken der osmanischen Teppiche anfertigen lassen...

Sind denn die Orignale verbrannt?

Nein - das ist eine ganz besondere Geschichte! Das Kirchengut wurde 1944 mitgenommen auf die Flucht...

Im Pferdewagen oder Viehwaggon? 

Nein, das hat die Wehrmacht gemacht auf ihrem Rückzug von der Ostfront. Der Kirchenschatz ist dann nach Wien und über Reith nach München gebracht worden und befindet sich heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, wo es seit 1952 unter Geheimhaltung gelagert war. Nach der Wende war dann die Geheimhaltung nicht mehr nötig. Und heute gibt es auch Bistritzer, also keine Siebenbürger Sachsen, die sagen, der Kirchenschatz muss zurückerstattet werden.

Die wertvolle osmanische Teppichsammlung von Bistritz wird nur von der in der Schwarzen Kirche in Kronstadt übertroffen: 54 Teppiche aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die leider in sehr schlechtem Zustand sind. Sie dürfen nicht hängen, weil sie sonst zerschleißen. Da haben wir uns entschlossen, Repliken anfertigen zu lassen. Mithilfe von Spenden konnten wir mit Stefano Ionescu, der in Rom lebt - er ist eigentlich Ingenieur, also ein Teppichlaienfachmann, aber er gehört zu den wenigen Leuten, die etwas von osmanischen Teppichen verstehen - 21 dieser Teppiche reproduzieren lassen. 

Die hängen also jetzt in der Kirche...

Dann haben wir dazu beigetragen, dass 2010 erstmals das Sachsentreffen in Bistritz stattfand. Das war vorher immer nur in Birthälm gewesen und einmal in Hermannstadt. Da haben wir gesagt, was die Hermannstädter können, das können wir auch! Da war die Kirche gerade wieder so weit fertig, dass das möglich war. Dann hatten wir 2019 ein zweites Sachsentreffen in Bistritz. Damals hab ich gesagt, das wird wohl eines der letzten großen Feste hier. Die Kirchengemeinde ist klein, es sind noch 250 Leute gemeldet, aber seit Jahren sind kaum mehr als fünf Leute noch regelmäßig im Gottesdienst. Mehr als 100 aktive Mitglieder sind es nicht mehr - und nur noch 70 Prozent sind der deutschen Sprache mächtig. Die anderen sprechen nur Rumänisch oder sächsischen Dialekt. Aber mit der Kuratorin, Katharina Borșoș, haben wir sehr guten und engen Kontakt. Sie und ihr Mann haben einen gutgehenden Betrieb und sie unterstützen die Kirchengemeinde sehr.

Können Sie schätzen, wieviele Leute aus dem Ausland jetzt zur Wiedereinweihung angereist sind?

Wir haben ein Blasorchester aus Drabenderhöhe und eins aus Traun, die waren auch bei den Sachsentreffen immer mit dabei, das sind schon mal 70 Leute. Dann noch ein Reisebus aus Deutschland mit 50 Leuten... Viele sind auch privat angereist, ich schätze, insgesamt um die 200. Hinzu kommen die Gäste aus Siebenbürgen, jedoch nur wenige aus Nordsiebenbürgen. In Jaad (rum. Liveziile) gibt es noch eine kleine evangelische Gemeinschaft, die regelmäßig Gottesdienste hält... 

War es schwierig, alles fertigzubekommen für dieses Ereignis?

Oh ja, es haben zeitweise 200 Leute gleichzeitig in der Kirche gearbeitet. Was für ein Lärm und Staub! Es ist auch nicht alles fertig - die Restauration der Prause-Orgel, die größte in Siebenbürgen, ist nicht ganz abgeschlossen, aber sie spielt und für Laien ist der Unterschied nicht erkennbar. Sie wurde zweimal erweitert, man hat sie jetzt in den Originalzustand von 1795 zurückversetzt. Auch dafür hatten wir Geld gesammelt. Dann kam das EU-Projekt und wir mussten alles zurückstellen. Aber es war noch etwas übrig in dem Topf, damit haben wir jetzt die Anreise des Kronstädter Bachchors finanziert, der in den Jahren nach dem Kirchenbrand auf einer Tournee durch Deutschland für die Reparatur der Orgel Geld gesammelt hatte. 

Die EU-Gelder hat auch die HOG beantragt?

Nein, die Stadt - aber damit sie das konnte, musste sie die Kirche pachten. Da haben wir mitvermittelt, dass das zustande kam. Deshalb ist die Stadt auch so stark involviert. Der damalige Bürgermeister, Ovidiu Cre]u, ist ein wunderbarer Mensch und wir haben sehr viel gemeinsam gemacht. Die Stadt hat die Projekte geschrieben. Auch der jetzige Bürgermeister, Ioan Turc, ist sehr engagiert. Die Feier für das Nordsiebenbürgentreffen im Keller des alten Gewerbevereins (heute das Bistritzer Kulturhaus) für 200 Personen zahlte zur Hälfte die HOG und zur Hälfte die Stadt.

Vielen Dank für das interessante Gespräch – und viel Erfolg für weitere Herzensprojekte!