Ein Festival verändert die Stadt

Zum Abschluss der George-Enescu-Festspiele in Bukarest

Zur Eröffnung erklang in konzertanter Aufführung Enescus Oper „Oedipe“ unter Leitung des Festivaldirektors Wladimir Jurowski mit dem London Philharmonic Orchestra und einer internationalen Solistenbesetzung. Dieselbe Interpretation wurde bald danach in der Londoner Festival Hall wiederholt.
Foto: Andrei Gîndac

Gerade für die Einheimischen ist die Hauptstadt Rumäniens vor allem eine hektische, rastlose Stadt. Kultur ist eine Oase, in der so mancher seine Flucht aus dem Sog des Alltags sucht.  Alle zwei Jahre im September findet in Bukarest das George-Enescu-Festival statt, das mittlerweile die Menschen in besonderer Weise in seinen Bann zieht. Dann steht die klassische Musik im Vordergrund und sie scheint die gesamte Gemeinschaft mitzunehmen, auf eine Entdeckungsreise, die man so im Bukarester Alltag nicht für möglich hält: Die gesamte Elite der Klassikwelt scheint sich zwischen Athenäum und der Sala Palatului versammelt zu haben, die meisten haben im Hilton Logis bezogen.
Das Festival war in der Vergangenheit eher etwas für die Elite, einem kleinen Kreis von erlesenen Gästen zugänglich. Mittlerweile hat sich dies gewandelt, Kenner und Konzertsaaldebütanten finden sich ein, die meisten Konzerte sind lange im Voraus ausverkauft. Eine in den letzten Jahren deutlich professionalisierte Bewerbung hat den Hype verstärkt: Medien berichten täglich, im (öffentlichen) Rundfunk und Fernsehen wird geworben, live übertragen und ausgiebig interviewt. Es gehört auch zum guten Ton in der Hauptstadt, im Konzert gesehen zu werden oder im Bekannten- und Mitarbeiterkreis zu berichten, wie Martha Argerich gestern Abend gespielt hat, ob das Concertgebouw Orchester so wunderbar ist wie sein Ruf oder ob man für das Konzert mit dem Royal Philharmonic noch Karten ergattern konnte.

So sehr man auch Musikliebhaber ist, die Vielfalt an Konzerten und Künstlern ist schlichtweg überwältigend: Konzerte am Nachmittag im Athenäum, die großen sinfonischen Werke am Abend in der Sala Palatului und die Mitternachtsmusik erneut im Athenäum, am Wochenende Kammermusik-Matineen, dazu Konzerte zeitgenössischer Komponisten im Konzertsaal des Rumänischen Rundfunks. Es bleibt alleine die Möglichkeit, sich einige persönliche Schwerpunkte zu setzen und sich die eigenen Highlights des Festivals auszusuchen. So war Zubin Mehta, der auch Ehrenpräsident des Festivals ist, am Pult des hervorragenden Israel Philharmonic Orchestra einer der am meisten gefeierten Dirigenten. Seine Aura, seine aristokratische, jedoch nicht abgehobene Souveränität machen ihn zu einem absoluten Liebling des Publikums, dessen Sympathie für den Maestro bedingungslos ist. Antonio Pappano und seine Accademia di Santa Cecilia samt fabelhaftem Chor präsentierten in zwei Konzerten Enescus beeindruckende 3. Sinfonie und Mahlers grandiose 2. Sinfonie („Auferstehungssinfonie“), in der ein ganzes Klanguniversum in Bewegung gesetzt und auch eine selten gehörte Sanftheit und Innigkeit offenbart wird. Auch der junge und international sehr gefragte Dirigent Cristian M²celaru erreichte eine hervorragende Symbiose mit dem wunderbaren Orchester der Tschechischen Philharmonie Prag.

Desgleichen bezauberten Philippe Jaroussky und das Arpeggiata Ensemble, die sagenhafte Martha Argerich, der sensationelle Leonidas Kavakos oder der mit seiner Präzision überragende Frank Peter Zimmermann. Und dann kam Khatia Buniatishvili und überraschte mit ihrer Lesart des Klavierkonzerts von Robert Schumann. Schon die ersten Takte ließen aufhorchen: sanft, mysteriös und deutlich reduzierter im Tempo. Man lauscht gebannt. Unerhört. Oder besser: So noch nicht gehört. Khatia Buniatishvili wagt es, Hörgewohnheiten in Frage zu stellen und neue Wege zu gehen, sie hebt die Modernität des Romantikers Schumann hervor. Eine fabelhafte Interpretation und einer der Höhepunkte des Festivals.

Es sei an dieser Stelle die besondere Bedeutung des Festivals zur Förderung des Schaffens des Komponisten George Enescu erwähnt, dessen Werke in den vergangenen Wochen von den großen Orchestern gespielt wurden und somit in deren Fokus gelangten. Darüber hinaus führte erst jüngst das London Philharmonic Orchestra unter der Leitung des Festivaldirektors Wladimir Jurowski seine Oper „Oedipe“, nach der Eröffnung des Enescu Festivals, in gleicher Besetzung auch in der Londoner Festival Hall auf. Auch die Tatsache, dass einige Solisten und Ensembles, die in Bukarest auftreten, auch in anderen rumänischen Städten zu erleben sind, stärkt die Wirkung dieses Musikfestes im ganzen Land.
Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, wo innerhalb eines Monats die Crème de la Crème der Klassikwelt zu erleben ist. Bukarest ist alle zwei Jahre im September eine Musikhauptstadt im wahrsten Sinne des Wortes. Es zeigt sich, dass die Stadt und ihre Menschen ein neues Selbstbewusstsein entwickeln und hohe Kunst zu schätzen wissen. Zieht man die zahlreichen Festivals in Betracht, die in jüngster Zeit in der Stadt ins Leben gerufen worden sind, ob Theater, Popmusik, Film oder sonstige Events, die ein immer breiteres und internationaleres Publikum ansprechen, so stellt man fest, dass sich die rumänische Hauptstadt aus kultureller Sicht wandelt. Seine Menschen sind dabei, Bukarest zu einer lebendigen Metropole mit einem besonderen Flair werden zu lassen, die ihren Platz in Europa neu definiert.