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Notizen zum 15. Graduiertenkolloquium in Bad Kissingen

Auf den ersten Blick haben Vermögensregister von Patrizierfamilien, Minderheiten in Geschichtsschulbüchern, Wallachen in mittelhochdeutschen Texten und literarische Übersetzungen in sozialistischen Ländern wenig gemeinsam. Doch beim Internationalen und Interdisziplinären Graduiertenkolloquium zur Kultur und Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas in Bad Kissingen begegnen sich seit Jahren so manche Forschungsthemen an einem Tagungstisch, deren Wege sich sonst nicht unbedingt kreuzen würden. Die diesjährige 15. Auflage der Veranstaltung fand vom 18. bis 20. November in der Akademie Mitteleuropa in Bad Kissingen statt und wurde durch eine Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ermöglicht.

Im Rahmen des Kolloquiums stellen Studierende und Promovierende ihre laufenden Forschungsprojekte vor, die sich räumlich mit jenen Gebieten Ostmittel- und Südosteuropas befassen, wo auch deutschsprachige Gemeinschaften existieren oder existiert haben. Thematisch kamen die Master- und Doktorarbeiten auch in diesem Jahr aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften bzw. der Kultur- und Beziehungsgeschichte von Deutschen und ihren Nachbarn im östlichen Europa. Den jungen Nachwuchswissenschaftlern hatten die Veranstalter Fachleute zur Seite gestellt, sodass der Gedanken- und Erfahrungsaustausch offen und ergiebig war, was beide Seiten bestätigten. Die Sektion Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft wurde von den Historikern Dr. Konrad Gündisch (München) und Prof. Dr. Frank Schuster (Universität Lodz) begleitet, den Bereich Literatur und Kulturwissenschaft moderierte der Sprachwissenschaftler und Historiker Prof. em. Dr. Ernst Erich Metzner (Goethe Universität Frankfurt am Main), während die Sektion Sprachwissenschaften von Dr. Juliane Brandt (Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München) betreut wurde.

Als erster stellte Andor Nagy von der Universität Eger (Ungarn) sein Dissertationsprojekt vor, bei dem es um „Lebensweisen der Kronstädter Patrizierfamilien an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert” geht. Nagy recherchiert für dieses Thema bereits seit längerer Zeit im Archiv und der Bibliothek der Honterusgemeinde in Kronstadt/Braşov und befasst sich mit einem bisher fast unerforschten Korpus, bestehend aus Gelegenheitsdrucken und Vermögensregistern, in denen bekannte Kronstädter Namen wie Bartholomäus Hirscher, Simon Draudt, Petrus Mederus oder Valentin Plecker auftauchen. Seine bisherigen Ergebnisse zeigen, das die Führungsriege im ehemaligen Kronstadt eine sehr schmale gesellschaftliche Schicht der Stadt und eine „geschlossene Gesellschaft” darstellte, die großen Wert auf gut ausgebaute Beziehungen und „Netzwerke” legte.

Über „Darstellungen des Deutschen in ausgewählten rumänischen Geschichtsschulbüchern von 1910 bis 2013” sprach Journalistin Christine Chiriac aus Rumänien, die ihre Masterarbeit zu diesem Thema an der Leibniz Universität Hannover schreibt. Sie analysiert neben aktuellen Schulbüchern auch Geschichtslehrwerke aus der Vor- und Zwischenkriegszeit sowie dem Sozialismus unter der Fragestellung, wie die Deutschen als Fremdbild im kollektiven Bewusstsein der rumänischen Nation dargestellt werden. Dass Schulbücher „ein Politikum an der Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft” sind und ihre Inhalte sich parallel zu politischen Entwicklungen stets wandeln, spielt dabei eine nicht unwichtige Rolle. Ein ähnliches Thema behandelt auch Maja Kósa aus Stara Moravica (Vojvodina) in ihrer Masterarbeit an der Universität Szeged (Ungarn). Sie untersucht die Konstruktionen nationaler Identitäten bei der ungarischen und deutschen Minderheit in der Vojvodina im Rahmen des Geschichtsunterrichts und macht sich auf die Suche nach Identitätsmerkmalen und Konfliktfeldern, die bereits in der Schule erkennbar werden. In einer Region, in der neben der serbischen Mehrheit weitere 28 Minderheiten leben, dürfte das Vorhaben zu interessanten Erkenntnissen führen.

Über das Südosteuropabild in der deutschen Literatur des Mittelalters sprach Eva Spanier von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie stellte einen Teilbereich ihrer Dissertation vor, bei dem es um die Begriffe „Rumanie/Rumeney” und „Walachei” in mittelalterlichen literarischen Werken – beispielsweise dem „Nibelungenlied”, dem Versroman „Wilhelm von Österreich”, der Sage vom Wunderer oder der „Mörin” von Hermann von Sachsenheim – ging. Unterhaltsam und auch gruselig waren zudem die mittelhochdeutschen Zitate aus dem Gedicht „Von ainem wutrich der hiess Trakle waida von der Walachei” („Von einem Wüterich, der hieß Fürst Dracula aus der Walachei”). Die „Walachei” soll damals noch keine pejorative Konnotation gehabt haben, aber die „Rumanie” wurde gelegentlich von den Autoren des Mittelalters als gefährliche, wilde, dünn besiedelte Gegend, als mythischer Raum zwischen dem Orient und dem Okzident, aber auch als Ursprungsland guten Weins beschrieben, so Eva Spanier. Dabei stehe eine genaue Verortung der „Rumanie” noch unter Fragezeichen, jedenfalls könne das Gebiet nicht mit dem heutigen rumänischen Territorium gleichgesetzt werden.

Mit einem völlig anderen Zeitrahmen beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit Izabella Nyári von der Universität Wien. Sie forscht zum Thema literarisches Übersetzen im Sozialismus und hat sich vorgenommen, in diesem Bereich die frühere Ungarische Volksrepublik und die DDR zu vergleichen. Nyári hob bei ihrer Präsentation den Sozialismus als Wendepunkt in Kultur, Literatur und Übersetzung hervor und unterstrich die Rolle von literarischen Übersetzungen, die von der damaligen Politik bewusst zum „Aufbau der sozialistischen Gesellschaft” oder als erzieherisches Mittel und Ausgleich für Lücken in den einheimischen Literaturen eingesetzt wurden. Beim Fazit beschrieb einer der Teilnehmer die wissenschaftliche Runde als „klein, aber fein”. Man könne sich nur wünschen, dass bei künftigen Auflagen noch mehr Studierende und Promovierende auf das Kolloquium aufmerksam werden und daran teilnehmen, so der Tenor der Abschlussdiskussion. Der Veranstaltung gelang es jedenfalls auch in diesem Jahr, verschiedene Disziplinen zusammenzubringen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Diskussion zu stellen, offene Fragen zu klären, den jungen Nachwuchswissenschaftlern gerade in einem frühen Stadium ihrer Arbeit noch ein paar wertvolle Tipps auf den Weg zu geben und das Ost-und-Mitteleuropa-Netzwerk auf dem Gebiet der Wissenschaft zu stärken – all das in einem „kleinen Plenum in gesichertem Raum, ohne Leistungsdruck und Noten”, wie es Dr. Marco Bogade, Projektkoordinator an der Akademie Mitteleuropa, auf den Punkt brachte.