Ein kleines Fleckchen Hermannstadt

Geschichtliches und Heutiges vom Huetplatz

Blick vom Kirchturm auf den Kleinen Ring: Links das Schatzkästlein, rechts der Ratsturm Fotos: Aurelia Brecht

Die Evangelische Stadtpfarrkirche in Hermannstadt mit dem Denkmal des Bischofs Georg Daniel Teutsch.

Aufgang zum Kirchturm

Das Fleckchen Hermannstadt: links die Brukenthalschule, rechts die Evangelische Stadtpfarrkirche, in der Mitte das Café Wien

Das Hauptschiff der Stadtpfarrkirche mit Blick auf die Sauer-Orgel

Tafel und Steinplatte verweisen auf das Grab Brukenthals.

Epitaphe in der Ferula

Malecke für Kinder im vorderen Seitenschiff

Vorreformatorischer Altar in der Ferula

Wer die Stadt im Zentrum Siebenbürgens zum ersten Mal besucht, kommt um den Besuch des Stadtkerns nicht herum. Das Herz der Altstadt besteht aus dem Großen und Kleinen Ring sowie dem Huetplatz, auf dem  die Evangelische Stadtpfarrkirche, das Wahrzeichen Hermannstadts,  die traditionsreiche Brukenthalschule und  die Statue des Bischofs Georg Daniel Teutsch zu finden sind. Auf diesem Platz ist auch das „Café Wien“ angesiedelt, das seine Gäste seit bald fast schon fünfzehn Jahren mit Wiener Kaffeehausatmosphäre und mit österreichischen Spezialitäten verwöhnt.

Biegt man vom Großen Ring ins heutige Brukenthalsträßchen ein, zwischen Rathaus auf der einen und Blauem Haus und Brukenthalmuseum auf der anderen Seite gelegen, stößt man rechter Hand alsbald auf den Kirchhof. Hier befinden sich viele Sehenswürdigkeiten, die auf keinen Fall verpasst werden dürfen. Auf dem Hof erstreckt sich zur Linken die Brukenthalschule, die bereits 1380 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Sie ist damit die älteste Schule in Siebenbürgen, an der in deutscher Sprache unterrichtet wird, und sie genießt bis heute einen hervorragenden Ruf. Der Kirchhof ist seit Jahrhunderten zugleich der Schulhof für viele Generationen von Schülerinnen und Schülern. 

Vor dem Haupteingang an der Südseite der Kirche blickt die Statue des Sachsenbischofs Georg Daniel Teutsch auf die Schule. Der Bischofssitz, der knapp 300 Jahre in Birthälm/Biertan war, wurde während seiner Amtszeit wieder nach Hermannstadt/Sibiu verlegt. Teutschs Verdienst ist der Ausbau der evangelischen Kirche zur Volkskirche, der mit weitreichenden Reformen im Bildungswesen einherging. Ein bisschen wirkt es so, als passe der Bischof bis heute auf das Traditionsgymnasium  auf.

Die Stadtpfarrkirche, deren Vorgängerbau die Hauptkirche der 1191 gegründeten Propstei im damaligen „Cibinium“ war und die ursprünglich der Heiligen Maria geweiht war, ist seit jeher das Zentrum des religiösen Lebens der Siebenbürger Sachsen. Der ursprünglich romanische Bau wurde ab dem 14. Jahrhundert schrittweise zur heutigen gotischen Kirche umgebaut und erweitert.

In den Jahren 2018 bis 2021 war die Stadtpfarrkirche wegen Restaurierungsarbeiten für Besucher geschlossen. Im Zuge der Renovierung bekam sie eine hellere Farbe; im Innenraum wurden Bänke entfernt und somit mehr Platz geschaffen. Durch archäologische Grabungen war es möglich, die Fundamente der ehemaligen romanischen Kirche im Altarraum freizulegen und unter im Boden eingelassene Glasplatten für Besucher dauerhaft sichtbar zu machen. Der Raum wurde durch die Arbeiten insgesamt weiter und heller gestaltet. Seit der Einweihung im Herbst 2021 erstrahlt das Gebäude nun im neuen Glanz und hält seitdem seine Tore weit geöffnet – mit Andachten, Konzerten, Ausstellungen und Begegnungen. Für ein breites musikalisches Repertoire sorgen hier regelmäßig die Organistin Brita Falch-Leutert und der Musikwart Jörg Leutert gemeinsam mit verschiedenen Musikformationen und dem Hermannstädter Bachchor.

Die Stadtpfarrkirche – ein Ort der Begegnung für alle

Bei einem Rundgang mit Stadtpfarrer Kilian Dörr wird deutlich, dass die Veränderungen an der Kirche nicht nur baulicher Natur waren: In verschiedenen Momenten der Besichtigung wird erkennbar, dass die Einbeziehung eines breiten Publikums in den Kirchenraum beabsichtigt war. Ein ganzheitliches Konzept sollte es sein, eine Kirche für alle, die allen Generationen und Menschen aus verschiedenen Orten der Welt einen herzlichen Empfang bereiten möchte.

In einem neu eingerichteten gläsernen Empfangsraum neben dem Eingang der Ferula können sich die Besucher informieren. Gegen eine Spende kann ein handgestricktes Paar Socken oder eine Tragetasche erworben werden. Das Geld wird im Rahmen der „Orgel-Benefizaktion“ gesammelt, in deren Rahmen die Sauer-Orgel restauriert werden soll.

Die Ferula zieren Epitaphe, 66 an der Zahl. Die Inschriften aller Grabplatten wurden bereits übersetzt – in Zukunft sollen sie auch online zugänglich gemacht werden. Eine App mit den Inschriften und historischen Personen könnte gerade für jüngere Generationen einen spielerischen Zugang zur Geschichte der Stadtpfarrkirche ermöglichen. Das jedenfalls hofft Stadtpfarrer Kilian Dörr: „So ein Erinnerungsort ist wichtig für eine Kirche wie die Stadtpfarrkirche. Dass sie Erinnerung ganz verschiedener Epochen zugänglich macht und die Leute dazu anregt, sich wieder damit auseinander zu setzen.“

Dass die Kirche ein lebendiger Ort ist, ist auch an diesem Vormittag spürbar: Besucher streifen durch die Kirche, der Kirchenführer informiert emsig, zur Mittagszeit kommt eine kleine Gruppe zum Gebet zusammen: „Man kommt herein und es passiert an allen Ecken und Enden etwas. Hier sind zwei Touristen, drüben sind Handwerker, die an der Orgel etwas machen, weiter oben üben die Kinder oder der Kirchenführer erklärt etwas. Es ist wirklich jeden Tag etwas los. Wir haben jetzt in der Passionszeit wieder mit den Mittagsgebeten begonnen, und am Freitag weitet sich das aus zu einer Mittagsmusik. Diese Kirche ist ein Ort, wo man sich auch selber finden kann. Wo man in die Geschichte hineingeht und sich erinnert, der Ruhe und Konzentration möglich macht. Wenn man durch den Aufenthalt hier einen Schritt weiter kommt in seinem Leben, etwas ruhiger wird oder eins wird mit sich, dann ist schon viel gewonnen. Das geht auch oft durch die Musik“, so Pfarrer Dörr.

Alle Generationen haben ihren Ort in der Kirche. In einer Ecke befindet sich ein Schreibtisch mit Stühlen, eine Malecke für Kinder. Hier sind schon viele Werke entstanden, die auch in der Kirche ausgestellt werden. Im Moment zieren viele Kinderbilder die ukrainische Flagge: „Letzten Freitag war der 24. Februar, da haben wir des Jahrestags des Kriegsbeginns in der Ukraine gedacht. Darüber hatten wir die ukrainische Gemeinschaft in Hermannstadt verständigt – in der Stadt leben zurzeit etwa 4200 Ukrainer. Es kamen etwa 60 Ukrainer in die Kirche. Das war ein sehr bewegender Gottesdienst.“

Sehenswürdigkeiten im Inneren der Kirche

Kirchenführer Linus Mărginean führt regelmäßig durch das Gebäude und weist auf zahlreiche Sehenswürdigkeiten im Inneren der Kirche hin: Der Fußboden deutet seit den Renovierungsarbeiten mit eingelassenen Steinen den Verlauf der Mauern der  alten romanischen Kirche an. Das Bronze-Taufbecken aus dem Jahr 1438, wie es heißt, aus einer Kanone gegossen, stammt gemeinsam mit dem gotischen Flügelaltar und dem großen „Rosenauer Wandbild“ an der nördlichen Chorwand aus vorreformatorischer Zeit. Das Grab des Gouverneurs von Siebenbürgen, Samuel von Brukenthal, das heute noch durch eine Tafel und eine Steinplatte im Boden zu erkennen ist, befindet sich ganz in der Nähe der Vierung. Auch beherbergt die Stadtpfarrkirche seit der Renovierung  mehrere Orgeln, neben der berühmten Sauerorgel auch die Martinsberger Orgel, die nun auf dem Turmsockel der Ferula ihren Platz gefunden hat: Ein Grund mehr dafür, dass das Internationale Theaterfestival „FITS“ in diesem Jahr in der Kirche und gleich mit fünf Orgeln eröffnet wird.

Hoch oben auf dem Turm: Spektakuläre Aussicht

Wer die Kirche besichtigt, sollte sich die Aussicht vom Turm nicht entgehen lassen und unbedingt auch den 73 Meter hohen Bau hinaufsteigen. Nach einem nicht ganz schwindelfreien Aufgang gelangt man zu den vier Ecktürmchen, unter denen sich ein wunderbares Panorama der ganzen Stadt ausbreitet: Der Ratsturm, die katholische Kirche, die orthodoxe Kirche, das Schatzkästlein am Kleinen Ring, die Sagstiege. Und bei klarem Wetter: Ein besonders schöner Blick auf die Fogarascher Berge.

Und was gibt’s da draußen im Kirchhof noch?

Dass die Kirche zugleich auch als ökologisches Projekt zu verstehen ist, zeigt sich im Kirchhof. Acht alte Linden säumen diesen, zwei neue Bäume konnten in letzter Zeit gepflanzt werden. An der Nordseite der Kirche befindet sich ein Beet mit Pflanzen, eine Art „Wildgarten mit Spontanvegetation“, wie Kilian Dörr es nennt. Fünfzehn Pflanzenarten haben sich hier „selbst angelegt“ und wachsen fröhlich vor sich hin.

Wiener Charme und Wohlfühlatmosphäre – Das Café Wien

Zum Abschluss der Besichtigung bietet sich ein Besuch im Café Wien an. Das Café offeriert eine breite Palette an Speisen und Getränken und wartet mit einer reichhaltigen Kuchenvitrine auf. Von Sachertorte, Apfelstrudel mit Vanilleeis und Linzer-Torte über das berühmte Wiener Schnitzel bis hin zu diversen Kaffeespezialitäten: Der „überstürzte Neumann“, die „Wiener Melange“, der „Maria Theresia“ und der „Brukenthal-Kaffee“ sind nur einige unter vielen. Aus den Lautsprechern tönt ein österreichischer Radiosender – wenn nicht, spielt der Pianist des Hauses, Barry, auf dem Klavier. Im Sommer kann man auf einer der beiden Terrassen die Aussicht auf Hermannstadt genießen. Schlagobers inklusive.

All das können Besucher von Hermannstadt allein auf diesem kleinen Fleckchen Erde erleben und genießen. Und eine Extraportion Geschichte an jeder Ecke und an jedem Stein gibt’s garantiert noch oben drauf.