Ein Kunstobjekt entsteht

Michael Beutler arbeitete in Temeswar. Art Encounters rückt näher.

Im Frühjahr hatte Michael Beutler Temeswar besucht, um Kontakt mit der Stadt aufzunehmen und Inspirationsquellen zu suchen.

So sah die Künstlerwerkstatt aus. Fotos: die Verfasserin

An der Pforte wird alles genau vermerkt, Name, Vorname, Ausweisnummer, Uhrzeit. Im Corneliu-Miklosi-Museum gibt es sonst keinen Einlass, denn zurzeit ist keine Ausstellung, die Halle dient als Atelier.

Das Gebäude liegt groß und etwas verschlafen da, es ist zehn Uhr morgens im STPT-Museum und der Berliner Künstler Michael Beutler ist für einige Tage in Temeswar, um die für Art Encounters vorgesehene Installation fertigzustellen. Die Zeitung darf dem Künstler auf die Finger schauen. Mit dabei sein, wenn das Werk entsteht. Mal nicht das fertige Werk anschauen, wenn sich die Besucher auf die Zehen treten und die Blitzlichter am Eröffnungstag alles entdecken und festhalten wollen, sondern die Arbeit, die dahinter steckt, die Idee, die Planung, und selbstverständlich das Fiebern, die Erwartung.

10:30 Uhr. Die Glocken der Kirche von nebenan läuten. Die ersten Gehilfen haben sich eingefunden, Freiwillige, die dem Künstler bei der Arbeit helfen. Michael Beutler hat alle vorbereitet: meterlange Bretter, Papier, Tapetenkleber, Bolzen. Der für Großinstallationen bekannte Künstler, der schon in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Italien ausgestellt hat, kreiert speziell für die Biennale in Temeswar ein Kunstwerk, das Bezug zu Stadt hat. Künstler und Freiwillige unterhalten sich auf Englisch. Über den Tag und die Arbeit.

Ein riesiges Atelier ist das Corneliu-Miklosi-Museum. Keine künstlerische Unordnung, sondern eine mit Präzision geplante und in höchster Ordnung gehaltene Baustelle und Kunstatelier zugleich. Das ist wichtig, damit man alles schnell zur Hand hat, sauber, schnell und gut arbeiten kann.

Nicht zu übersehen sind die zwei Chassis, auf einem stehen schon einige weiße Bretter und Latten. Nicht nur wegen ihrer Dimensionen lassen sie sich nicht übersehen, sie sind das Kuriosum, sie sind die Attraktion, dass sich damit etwas Besonderes verbindet, ist klar. Und tatsächlich: „Die Vorbereitungen dauern schon eine Weile, aber da die Chassis erst seit kurzem da sind, haben wir eigentlich am Montag mit der genauen Planung angefangen, als sie da waren, vorher gab es nur eine Skizze, die die Idee formulierte“. Auf den Chassis soll das Kunstwerk aufgebaut werden.

Michael Beutler war schon vor uns allen da, er hat alles vorbereitet, jetzt ist er vertieft in den Skizzen, nimmt das Heft zur Hand, misst, schneidet, schraubt, die meiste Zeit sitzt er in der Hocke oder gebückt. Die Arbeit verlangt Konzentration und auch physisch einiges vom Künstler ab.

Dort, wo die Freiwilligen stehen, sind Traffalets, ein Eimer mit Tapetenkleber, Pinsel, Holz, Papier, jede Menge weiße Blätter, aber auch bedrucktes Papier, Menüs eines Restaurants, das sich mit „crafted food“ lobt, und die auch als Untersetzer dienen im Restaurant, hier sind sie stapelweise, also nicht zum Lesen und Bestellen, sondern werden womöglich einverleibt in das Kunstwerk, das ja auch „crafted“ ist. Und tatsächlich gibt es nackte Holzteile, Holzteile, die mit Weißpapier überklebt sind und solche, bei denen unter das Weiß ein Schimmer von einem bedruckten Papier zu sehen ist. Die Freiwilligen öffnen die Tapetenkleberbehälter und vermengen die Kleber im Eimer. Dann wird gepinselt und geklebt. Mittlerweile haben sich alle sechs eingefunden: „Zwei von ihnen arbeiten für Art Encounters, es sind noch drei Studenten von der Kunstfakultät und eine freischaffende Künstlerin dabei, die auch ausstellt, die aber interessiert ist, wie diese Arbeit geht“.

In der Nähe steht ein Tisch, Wasserflaschen sind hier jede Menge. Es ist Juli und heiß. Und eine Espressomaschine. Und viele Becher. Auch ein paar Obststücke (Bananen und Wassermelonen) und Brot.

Die Künstlerwerkstatt nimmt vielleiht ein Achtel der Halle ein, die einst als Depot diente. Im Hintergrund stehen alte Straßenbahnen, um zu erinnern, wo wir sind, sogar eine Pferdebahn und die touristische Straßenbahn der Stadt. „Die Idee kam erst einmal, als es fest stand, dass ich hier ausstellen würde und wir auch in dem Straßenbahndepot gewesen sind, das jetzt aktiv ist, da stand es auch fest, dass ich auch eine Straßenbahn bauen würde, und auch schon, dass ich sie so bauen würde, dass sie nicht funktioniert, sondern parallel zu den Straßenbahnspuren, die Chassis stehen parallel auf den Straßenbahnspuren, nicht hintereinander. Die Chassis sind echt, sie wurden uns zur Verfügung gestellt wie auch der Ort hier“. Der Bezug zu Temeswar ist offensichtlich, wie das der Künstler bestätigt, die Straßenbahnen und Temeswar - eine Geschichte, die vor 150 Jahren begonnen hat.

Anca Rujoiu, eine der beiden Kuratorinnen der diesjährigen Biennale, und Mihaela Tilincă, die Vizevorsitzende des Kulturvereins „Contrasens“, kommen jetzt in die Halle, sprechen mit dem Künstler, schauen sich das Werk an, die voranschreitenden Arbeiten. Sie lassen sich erklären, Michael Beutler erzählt, gestikuliert. Sie erzählen auch mit den Freiwilligen. Von draußen dröhnt der Verkehr.

Jetzt bleiben Künstler und Freiwillige wieder ganz dem Werk überlassen. Michael Beutler, nimmt Brille und Ohrenschutz, sägt haarscharf auf einer Linie, die er mit dem Bleistift auf dem Brett gezogen hatte, der Bleistift klemmt jetzt zwischen den Zähnen. Sägemehl schwebt durch die Luft. Die Freiwilligen bekleben weiter das Holz. Michael Beutler meint zu den Materialien: „Es ist Holz, viel Papier, Metallgitter, Bolzen, die Materialauswahl ist so, dass es einfach zu bearbeiten ist und ein bisschen Werkzeug. Papier deckt das Holz ab und soll dem Blech ähneln, das heißt, es hat eine Verwandtschaft mit den Straßenbahnen, aber auch mit der Halle. Die Konstruktion der Halle wird in die Konstruktion des Waggons hineinkopiert. Das Dach des Waggons hat ein bisschen die Form dieser Halle und Holz und Bolzen wiederfinden sich auch drin, also ein bisschen Mimikry der großen Halle“.

Wie das Papier geklebt ist, sieht es ein bisschen aus wie Farbe, die abblättert, meine ich. „Ja, das ist bewusst so gemacht worden, die Verbindung zwischen neu und alt, aber es soll nicht unbedingt abgenutzt wirken, sondern eine gewisse Ornamentik, die reinläuft, eine gewisse Geste soll sichtbar bleiben, die wir einarbeiten, etwas Florales, wie in viktorianischen Stahlbauwerken, kleine Flügel, oder kleine Ohren, die abstehen, es geht ja nicht darum, dass wir das Holz abdecken“.

Damit rücken wir dem Ziel näher: „Der Arbeitstitel ist Tramswing, eine große Schaukel, die zwischen den Straßenbahnen hängt, also es gibt noch eine Form Bewegung, nicht nur parallel zu den Schienen, sondern auch mit den Tramschienen, hin und her, und die Schaukel die dazwischen hängt ist eine Tramschaukel“. Die kann das Publikum dann am 20. September im Corneliu-Miklosi-Museum in der Eröffnung der Biennale sehen.