Ein totes Pferd reiten

In Rumänien kein Ausstieg aus der unrentablen und schädigenden Kohlekraft geplant

Seit Erstellung dieser Grafik hat sich einiges getan – so hat Österreich den Ausstieg auf 2020, die Slowakei auf 2023, Deutschland auf 2038 festgelegt.

Dass die Klimakrise keine dystopische Zukunftsvision mehr darstellt, sondern gerade geschieht, ist inzwischen für alle spürbar. Als Beispiel: Dieses Jahr erlebte die Erde den heißesten Juni seit Beginn der Aufzeichnungen – noch um ein Grad heißer als der bisherige Rekordhalter 2016 (genau gemessen wurde dies vom Copernicus-Dienst zur Überwachung des Klimawandels). Überall auf der Welt nehmen extreme Wettererscheinungen wie Dürre, Sturm und Hochwasser zu, und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bereits heute 150.000 Menschen jährlich ihr Leben aufgrund solcher Auswirkungen des Klimawandels verlieren.

Auch Rumänien ist davon stark betroffen. Seit den 1960er Jahren ist die durchschnittliche Temperatur im Sommer im Süden des Landes um zwei Grad gestiegen; der Winter 2006/07 war der wärmste je gemessene, und die Anzahl an Dürren und Überflutungen ist dramatisch gestiegen und bedroht nicht nur Landwirtschaft und Natur, sondern kostet auch Menschenleben (76 allein beim Hochwasser von 2005). 

Rumänien gilt laut Weltrisikobericht als eines der am stärksten gefährdeten Länder der EU, bei steigender Tendenz – laut eines Berichtes der Weltbank sind dafür neben der Erderwärmung unzureichende Maßnahmen zur Risikoreduzierung verantwortlich, was schlicht heißt, dass die Gefahren ignoriert werden.

Die genannten Phänomene werden sich in Zukunft massiv verstärken und zu weiteren Folgen wie Ernährungsunsicherheit, Lebensraumverlust und daraus resultierenden Klimaflüchtlingen führen. Die schlimmsten Ausmaße können noch verhindert werden – und eine der wichtigsten Maßnahmen ist der schnellstmögliche Ausstieg aus Kohlekraft, die für etwa die Hälfte der weltweit ausgestoßenen Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist. Dass dieser Übergang schwierig und – kurzfristig – teuer wird, liegt auf der Hand; auch dass er für ehemalige Ostblock-Staaten, die gerade durch eine Transition gegangen sind bzw. noch mitten darin stecken, eine große Herausforderung darstellt. Aber: Die Frage ist nicht, ob sich etwas verändert – dies geschieht ohnehin bereits –, sondern, ob man diesen Wandel aktiv gestaltet oder sich ohnmächtig den Folgen ausliefert. Die meisten westeuropäischen Staaten haben beispielsweise ein Datum für den Kohleausstieg festgelegt, was eine planbare, kontrollierte Abwicklung ermöglicht. Rumänien und die meisten anderen osteuropäischen Staaten haben das nicht. 

Gegen die Kohlekraft spricht nicht nur der drohende Klimakollaps, sondern auch diverse andere Gründe. Zunächst ist sie einfach teuer: Sie scheint zunächst günstig, wenn man nur die Produktion betrachtet. Aber diese verursacht nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten: Das Deutsche Umweltbundesamt rechnet vor, dass in Deutschland Steinkohle 6,27 bis 9,86 Cent pro produzierter Kilowattstunde kostet, aber fast 19 Cent pro Kilowattstunde an Umweltkosten verursacht. Hinzu kommen sogenannte „Ewigkeitskosten“, die auch nach Stilllegung des Kohleabbaus für etwa Grubenwasserhaltung, Grundwasserreinigung und Behandlung von Dauerbergschäden anfallen. Die deutsche RAG-Stiftung schätzt die jährlichen Ausgaben Deutschlands dafür auf rund 280 Millionen Euro. Hinzu kommen die Kosten, die die Kohleindustrie indirekt verursacht, indem die Luftverschmutzung etwa die Behandlung chronischer Krankheiten, Krankenhausaufenthalte oder Krankenstände erforderlich macht – in Rumänien verursacht dies laut Bankwatch Romania Kosten im Umfang von etwa zwei Milliarden Euro jährlich. Diese Zahlen verweisen auch auf das menschliche Leid, das durch diese Form der Energiegewinnung verursacht wird. Die Luftverschmutzung, deren Hauptverursacherin die Kohleindustrie neben dem Verkehr darstellt, ist in Rumänien bekanntlich hoch und führte laut einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie im Jahr 2013 zum vorzeitigen Tod von 25.330 Menschen.

Ein weiterer gravierender Nachteil der Kohlekraft ist ihre Ineffizienz. Laut Deutschem Umweltbundesamt erreichen auch modernste Kraftwerke nur einen Netto-Wirkungsgrad von höchstens 50 Prozent, was bedeutet, dass die Hälfte der Energie einfach verpufft. „Modern“ können die rumänischen Anlagen aber kaum genannt werden: Das jüngste zählt 32, das älteste gar 52 Jahre – die wirtschaftliche Rentabilität eines Kohlekraftwerks liegt nach allgemeinen Schätzungen bei 40 Jahren. Der Betrieb der Kraftwerke ist daher nur durch staatliche Subventionen möglich: Allein im Jahr 2018 hatte der Energiekomplex Oltenia (Societatea Complexului Energetic Oltenia S.A., CEO), die 80 Prozent der rumänischen Kohlekraft produziert, laut Bankwatch Romania 14,7 Millionen Lei an Förderungen erhalten.

Massive Investitionen im Bereich der Stromerzeugung und Infrastruktur sind also aufgrund des Veraltens der Anlagen ohnehin unumgänglich, um die Versorgung in Zukunft sicherzustellen. Am ökologisch wie wirtschaftlich sinnvollsten wäre die Investition in erneuerbare Energie: Durch die rasante technologische Entwicklung der letzten Jahre ist diese inzwischen auch in der Produktion günstiger als Kohle- oder Kernkraft. Verschiedene Studien nennen divergierende Zahlen, aber die gleiche Kernaussage: Unter guten Bedingungen produzieren vor allem Festland-Windanlagen und große Photovoltaik-Anlagen bereits heute günstiger als Kohle- oder Kernkraftwerke, die Umwelt- und Ewigkeitskosten sind weitaus niedriger, und die Preise werden weiter sinken.

Gerade für diese beiden Formen der Gewinnung erneuerbarer Energie – Wind und Sonne – verfügt besonders der Süden Rumäniens durch seine geografische Verfasstheit über ausgezeichnete Voraussetzungen. Auch hier variieren die Zahlen, die Experten sind sich aber einig, dass Rumänien über das höchste Potenzial in Südosteuropa verfügt – die International Renewable Energy Agency (IRENA) etwa geht davon aus, dass 16,9 Gigawatt durch Photovoltaik-Anlagen, und gar 84 Gigawatt durch Windkraft erzeugt werden können.

In diese Richtung hatte sich das Land bereits vielversprechend bewegt: Die Ziele, die sich die EU in Hinsicht auf erneuerbare Energie für 2020 gesetzt hatte, konnte Rumänien bereits 2014 erreichen – einerseits dank des hohen Anteils an Wasserkraft, die bereits vor 1989 ausgebaut wurde, andererseits durch den Boom an Investitionen im Bereich Wind- und Solarkraft, den das Land ab 2008 durch die Einführung von Grünstromzertifikaten erfuhr. Dieser führte beispielsweise dazu, dass sich der größte Festland-Windpark Europas auf rumänischem Boden befindet. 2016 wurde das Programm beendet, was zu hohen Insolvenzraten bei Energieunternehmen und zu einem Schiedsgerichtsverfahren gegen Rumänien führte.

Heute dagegen plant das Energieministerium, das Braunkohlekraftwerk in Rovinari um einen Block zu erweitern und damit den Kohleausstieg um Jahrzehnte zu verzögern. Im April diesen Jahres gründete die CEO gemeinsam mit der China Huadian Engineering Company eine Projektgesellschaft zum Bau des etwa eine Milliarde teuren Blocks, wie zahlreiche Medien berichteten. Auch die Erweiterung des Kernkraftwerks in Cernavod² für sechs Milliarden Euro soll unter chinesischer Beteiligung erfolgen – ungeachtet der Tatsache, dass weder Kohle- noch Kernkraft mit erneuerbaren Energien in Zukunft wirtschaftlich konkurrieren können und darüber hinaus die Frage der Atommüllendlagerung ungeklärt bleibt.

Als Begründung für das Weiterführen von Kohlekraft führen Politiker, nicht nur in Rumänien, meist Arbeitsplätze an, und verweisen dabei auf abschreckende Beispiele wie das Schiltal/Valea Jiului. Dort hatte die Kohleindustrie im Jahr 1989 noch 50.000 Arbeitsplätze geboten, nach Schließung der meisten Minen waren 2016 nur noch 4700 übrig geblieben. Dies führte zu Arbeitslosigkeit, Abwanderung und dem ökonomischen Niedergang der Region – was aber verhindert hätte werden können: Gelder wurden von der EU und der Weltbank zur Verfügung gestellt, aber nicht für nachhaltige Programme und Investitionen genutzt.

Dies wird aber nicht als politisches Versagen eingestanden, stattdessen wird die Entwicklung der Region heute als Argument gegen den Kohleausstieg benutzt. Allerdings  bietet die Kohleindustrie in Rumänien momentan noch 18.600 Arbeitsplätze, die aufgrund der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit von Kohlekraft wenig zukunftsträchtig sind. Anstatt diese durch Subventionen zu erhalten, wäre es beschäftigungspolitisch wohl sinnvoller, die am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren zu fördern – das sind Dienstleistung, Tourismus und Technologie. Gerade in letztgenanntem Bereich wären Investitionen in Forschung und Entwicklung dringend notwendig. Diese existieren, allerdings im Ausmaß von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (in den Jahren 2007 bis 2017, laut Romania Horizon 2020-Bericht der Europäischen Kommission), einer der niedrigsten Anteile in der EU. 

Das rumänische Bildungssystem bringt jährlich gut ausgebildete junge Menschen hervor, mangels dieser Investitionen bleibt aber denjenigen, die einen ihren Qualifikationen entsprechenden Arbeitsplatz anstreben, oft nur die Emigration. Dies verschärft das demografische Problem Rumäniens, und der dadurch entstehende Fachkräftemangel wird den Umstieg in der Zukunft noch weiter erschweren. 

Es gibt also dringenden Handlungsbedarf, der von der Passivität der Entscheidungsträger konterkariert wird. Es sind politische Akteure und Institutionen, die die Macht haben, auf verschiedenen Ebenen den Wandel zu gestalten: Durch Verabschiedung entsprechender Gesetze, durch konsistente Politik (die politische Instabilität osteuropäischer Staaten schreckt, vor allem nach den Erfahrungen in Rumänien 2016, Investoren ab) – und vor allem dadurch, dass der Staat selbst der größte Player im rumänischen Energiesektor ist: 73 Prozent der Erdgas-, 98 Prozent der Kohle und die komplette Kern- und Wasserkraft sind in Staatsbesitz. Hierin mag auch ein Grund dafür liegen, dass die Politik entgegen aller Vernunft weiter an der Kohlekraft festhält. Ein Teilnehmer einer Diskussionsrunde zum Thema, die kürzlich von der Friedrich Ebert-Stiftung organisiert wurde, hatte eine einleuchtende Idee, wie die Politik auf den Geschmack erneuerbarer Energie kommen könnte: Man müsse den Politikern nur zeigen, wie auch hier öffentliche Gelder in die eigene Tasche abgezweigt werden könnten. Er erntete bitteres Gelächter von den anwesenden Experten. 

Hinzu kommt, dass die PSD laut Bankwatch Romania viele Wähler in Kohleregionen hat. Dies erinnert an das Vorgehen von US-Präsident Donald Trump, der mit dem Versprechen einer Kohle-Renaissance um die Stimmen von ehemaligen oder Noch-Kohlearbeitern geworben und damit Hoffnungen auf Arbeitsplätze in einer Industrie geschürt hatte, die nicht mehr profitabel ist und daher in absehbarer Zeit verschwinden wird.

Viel schwieriger, aber dafür nachhaltiger als unhaltbare Versprechen und das Verteilen öffentlicher Gelder in Form von Subventionen wäre es, aus den Fehlern im Schiltal/Valea Jiului zu lernen und langfristige Pläne zu entwickeln, wie der Kohleausstieg sozial verträglich gestaltet und das Verschwinden der Arbeitsplätze in der Kohleindustrie durch neu entstehende im Bereich erneuerbarer Energie kompensiert werden kann. Eine schwierige Aufgabe, der sich die Verantwortlichen bis dato weitgehend entziehen – notwendig ist also politischer Druck. Aufgrund der hohen Armutsrate und der wachsenden Ungleichheit sieht die rumänische Bevölkerung aber nachvollziehbarer Weise ganz andere Probleme als primär an – die steigenden Preise und Lebenserhaltungskosten, das Gesundheitswesen, oder die Emigration (genaue Zahlen bietet Eurobarometer Romania). All diese Probleme sind natürlich nicht von der Hand zu weisen – aber: Die Frage von zukünftigem Wohlstand hängt stark davon ab, wie auf die klimatischen Veränderungen reagiert wird; wenn jetzt nicht gehandelt wird, werden sich all diese Probleme massiv verstärken.

Globale Bewegungen wie Fridays for Future haben gezeigt, dass viele junge Menschen inzwischen verstanden haben, dass ihre Zukunft davon abhängt, ob die Politik jetzt handelt und die Erderwärmung auf ein Maß reduziert, das den Fortbestand unserer Zivilisation ermöglicht. Aber es ist eine weitaus stärkere Mobilisierung der Zivilgesellschaft notwendig, um ausreichend Druck auszuüben und die Politik zum Handeln zu zwingen.