Eine andere Art von Krieg

Und ein Plädoyer für den Kampf. Eigentlich bin ich ja Pazifist…

Seit fast zwei Jahren sind wir im Krieg. Der Feind? Ein Virus. Die Waffen? Am Anfang hatten wir keine. Ziemlich nackt standen wir im unsichtbaren Kugelhagel. Reiner Zufall, wer getroffen zu Boden sank. Dann kam die Impfung. Sie ist unsere einzige, einigermaßen zuverlässige Waffe in diesem Krieg. Eigentlich bin ich ja Pazifist... Aber Krieg ist Krieg. Wir haben ihn nicht begonnen, wir sind angegriffen worden. Und jetzt müssen wir uns verteidigen. Uns, unser Land,  unser ganzes bisheriges Leben, unsere Welt.

Der Feind

Wir nennen ihn SARS-CoV-2. Manchmal trifft er zielsicher und tödlich. Doch allzu oft ist es nur ein warnender Streifschuss. Covid-19 ist nicht Ebola, ebenfalls eine aus dem Tierreich übergesprungene Krankheit, die je nach Virusart 25 bis 90 Prozent aller Infizierten tötet. Trügerisch: Viele haben Covid-19 bereits überlebt. Manche sagen, es war gar nicht so schlimm. Wozu sich also impfen lassen?

Die Waffen

Vakzine von Pfizer, Moderna, Astrazeneca, Johnson&Johnson: Wie sicher sind diese Waffen? Ein Gewehr oder ein Messer kann auch für den, der es zur Selbstverteidigung in die Hand nimmt, gefährlich sein. Würden Sie es deshalb im Angriffsfall nicht benutzen? 

Die Impfung ist eine solche Waffe. Erprobt, getestet, wirksam – aber nicht 100-prozentig. Dasselbe gilt für ein Gewehr: Der Schuss kann nach hinten losgehen. Man kann danebenschießen und der Feind schießt zurück: bumm, getroffen, tot. So ähnlich ist das auch mit der Impfung. Nebenwirkungen sind nie ganz ausgeschlossen. Und auch nicht, dass man trotzdem krank wird, sehr selten sogar schwer. Doch wie bei der Waffe kommt es auf die Abwägung der Vor- und Nachteile an. Und die ist eindeutig: Das „Gewehr“ Anti-Covid-Impfung explodiert einem selten in der Hand und trifft stattdessen meist ziemlich zielsicher. 

Die Armee...

Ach Gott, was für ein Haufen! An der Front, seit Anbeginn, tapfer und unsichtbar: die Ärzte, Schwestern, Pfleger, Krankenträger, Rettungssanitäter… Wie viele haben wir schon verloren? Sie kämpfen in Schutzanzügen, seit es überhaupt welche gibt, in denen ihnen der Schweiß in die Gummistiefel rinnt und man Windeln trägt, stundenlang. Beim übermüdeten Auskleiden läuft man Gefahr, doch noch etwas vom Virus abzukriegen. 

Das Fußvolk: Zuerst gab es einige, die rannten, um sich schnell eine Waffe zu sichern, was für ein Andrang!  Aber: Unser Land hatte ausreichend Waffen und Munition, im Gegensatz zu vielen anderen. Und wir sprechen dabei nicht von der Dritten Welt! Selbst in Deutschland gab es bis diesen Sommer immer noch nicht für jeden Bürger eine Waffe, sprich, eine Impfdosis. 

Dann gab‘s die Zögerer: Soll ich – oder lieber noch warten? Vielleicht geht der Krieg ja schnell vorbei. Irgendwann holten auch sie sich zähneknirschend ein „Gewehr“. 

Dann die Ignoranten: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin... Augen zu, Kopf in den Sand, weitermachen wie immer.

Dann die militanten Pseudopazifisten: Es gibt gar keinen Krieg, das redet uns nur jemand ein! All die Bilder von sterbenden und nach sauerstoff japsenden Patienten – Fake News, gezielt lanciert von denen, die am Krieg verdienen, also den Waffenproduzenten. Weltverschwörungsgeschrei.

Dann die, die den Krieg für sich instrumentalisieren, um sich als Freiheitskämpfer darzustellen. Schoschockiernd! Verantwortungslos.

Gibt’s noch andere Kategorien? Ach ja, die Vergnügungssüchtigen: Würden Sie ein Fußballspiel oder ein Rockkonzert besuchen, wenn Sie wüssten, dass sich dort ein Terrorist versteckt, der einmal um sich ballert und dabei X Prozent der Besucher niedermäht?
 
Oder die Mimöschen: Die Maske ist so unbequem! Sprich: Der Stahlhelm drückt. Es gibt sie immer noch, obwohl wir inzwischen aus unzähligen Studien wissen, dass Masken tatsächlich schützen. Aber eben auch nicht 100-prozentig. Ist dies der Grund, warum viele im unsichtbaren Kugelhagel auf ihren Helm verzichten? Wir leben in einer Alles oder Nichts Gesellschaft, Dinge sind schwarz oder weiß. Und im Film gewinnt immer das Gute.

Die Vertrauensfrage

Inzwischen schleppen unsere Frontsoldaten Kanonen: Am vergangenen Donnerstag lancierte die Bukarester Ärztekammer einen verzweifelten Appell an die Bürger. Der niedrige Impfstand sei ein Zeichen für mangelndes Vertrauen in die Ärzte, heißt es darin unter anderem. Wirklich? 

Es gibt sicherlich manches zu kritisieren an Ärzten, der Schulmedizin, Big Pharma: Iatrogene Erkrankungen. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika. Lobby gegen Naturmedizin. Aber sie sind nicht unser Feind! Die Dinge sind nicht schwarz oder weiß. Sie ändern ihre Farben vor dem jeweiligen Hintergrund. Kritisiert und boykottiert man den Waffenhersteller im Krieg? Falsche Zeit, falscher Ort.

Andererseits kann die Theorie vom mangelnden Vertrauen nicht recht stimmen: Alle 200 Meter gibt es selbst im Dorf eine Apotheke. Für ein Halskratzen nimmt man bereitwillig Antibiotika. Mit Kanonen auf Spatzen schießen, ja. Aber bloß keine Waffe gegen den echten Feind richten...

Unrecht, potenziert

Glaubenssysteme gibt es viele, jedem ist etwas anderes heilig. Aber es gibt nur eine Wissenschaft. Und die ist sich gerade weltweit ziemlich einig. Sie kann mit Daten und Zahlen aufwarten, die beweisen, dass jetzt, in diesem Krieg, die Impfung hilft. Die uns noch dazu zur Verfügung steht! Jederzeit, gratis, gleich um die Ecke. 

Wovon die Menschen in der dritten Welt nur träumen können, etwa jene, die Ebola erlebt haben, aus allernächster Nähe. Ein viel tödlicherer Feind. Aber auch sichtbarer, deswegen. Kaum jemand überlebt und sagt, das war ja eigentlich gar nicht so schlimm…

Freilich, über die vielzitierte Herdenimmunität kann man streiten. Gibt es sie, kann man sie erreichen, verhält sich dieses Virus tatsächlich wie im Lehrbuch? Muss man seine Backe (oder den Arm) hinhalten, um andere zu retten? Natürlich ist jedem die eigene Haut am nächsten. Verständlich.

Doch im Moment passiert das Schlimmste vom Schlimmsten: Zurecht kritisiert die WHO, dass Menschen in reiche(re)n Ländern schon die dritte Impfdosis erhalten, während sich in ärmeren nicht mal die Ärzte und Risikogruppen schützen können. Von denen es viele möchten. Bei uns aber, wo alle könnten, möchten die meisten nicht mal die erste oder zweite Dosis. Und potenzieren damit das Unrecht!

Die Folgen

Als Konsequenz verbreitet sich der Virus sowohl hier als auch dort ungehemmt weiter. Und mutiert! Denn bei so mancher neuen Reproduktionsrunde passieren kleine Fehler. Meistens ist das „tödlich“ für den Virus, er verliert seine Funktionsfähigkeit. Selten, sehr selten aber verbessern die Fehler den Schlüssel, mit dem er in die Zelle eindringt. Er schließt dann noch leichter, noch schneller auf, oder umgeht ihr Alarmsystem. Und hat damit einen Vorteil gegenüber den bisherigen „Artgenossen“. Er verdrängt sie, er wird „dominant“. Der Bessere gewinnt. So wie die Delta Variante.

In Ländern, wo viele Viren zirkulieren, weil sich nur wenige impfen lassen oder die Schutzregeln beachten, ist es umso wahrscheinlicher, dass eine neue Virusvariante entsteht. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit. Die neue Variante beginnt dann ihren Eroberungsfeldzug, erst durch das Land, dann durch die Welt. Und wenn sie – was ebenfalls selten, aber nicht ausgeschlossen ist – den bisher entwickelten Impfstoffen ausweichen kann, geht alles von vorne los, nur schlimmer. Länder, die viele Virus-Reproduktionsrunden zulassen, weil sich ihre Bürger nicht schützen können oder wollen, gefährden so die ganze Welt. Und tatsächlich wird unter Experten schon ernsthaft spekuliert, ob es nicht bald eine Rumänien-Variante geben wird! 

Schuldfrage

Die Mutanten heißen jetzt nicht mehr Großbritannien oder Indien-Variante, sondern Beta oder Delta, um von der Schuldfrage abzulenken. Der Epidemiologe und Vizepräsident der Rumänischen Gesellschaft für Epidemiologie, Emilian Popovici, sieht durchaus einen solchen Zusammenhang: In Indien, „vor einem Hintergrund an religiösen Dingen“ ist die Delta Variante entstanden; in Südafrika, wo sich wegen vielen durch HIV immungeschwächten Menschen die Infektion massiv ausbreiten konnte, die Südafrika-Variante; in Brasilien, wo „ein Präsident dazu aufrief, keine Masken zu tragen“, die Brasilien-Variante, in Großbritannien, wo „ein Premierminister die Nichtbeachtung der Regeln propagierte“, die Großbritannien-Variante, erklärte er kürzlich auf Hotnews. Theoretisch kann eine hochinfektiöse Mutante überall entstehen. Viel wahrscheinlicher ist es aber dort, wo es viele Infizierte gibt. Die Infektionen in Schach zu halten, ist gerade in Demokratien nicht einfach, politische Entscheidungsträger sehen sich zu einem Eiertanz gezwungen. Sind die Fallzahlen niedrig, schreit das Volk: Wozu Einschränkungen, es ist ja alles gut! Explodieren sie dann, braucht man einen Sündenbock. 

Was nun?

Was passiert, wenn es so weitergeht? Auch medizinische Angestellte erkranken, sterben, werden pensioniert, suchen sich andere Berufe, sind auch nur Menschen, die sich und ihre Lieben schützen wollen und begrenzt belastbar. Und mittlerweile ziemlich genervt! In ihrem offenen Brief an die Bevölkerung klagt die Bukarester Ärztekammer: Man sei verzweifelt ob der hunderten Toten täglich und des Leides; das medizinische Personal gehe an seine Grenzen, viel zu oft hörten sie die Sätze „Ich kann nicht atmen“ und „Ich bin nicht geimpft“. Und erinnern, dass die Pandemie durch Impfungen und Schutzmaßnahmen gemeinsam bekämpft werden kann! 

Allein letzte Woche wurden täglich rund 16.000 neue Fälle  gezählt. Und wenn wir doppelt so viel testen würde, wären es doppelt so viele, sagt Popovici.

Das Virus ist doch auch „unerprobt”!

Die Ignoranz der Bürger hat Konsequenzen. Nicht nur wirtschaftliche! Wer will unter diesen Umständen noch Arzt, Pfleger oder Sanitäter werden? Was können die anderen Kranken dafür, dass nach Luft japsende Covid-Patienten als Notfälle in Spitälern natürlich bevorzugt werden?

Was passiert mit unseren Rechten, unserer Freiheit, wenn wir diese Schlacht jetzt nicht solidarisch mit unseren Frontsoldaten schlagen? Und ihnen für ihren Einsatz den Mindestrespekt zollen? Mit etwas Zivilcourage und einem Pieks. Das Impfrisiko ist deutlich geringer als das bei Covid, die Spätfolgen der Krankheit so ungewiss wie die der Impfung. Der Virus ist ja auch noch „unerprobt“!

Diese Woche hat  eine Delegation der  Weltgesundheitsorganisation (WHO) Rumänien besucht, um sich ein Bild zu machen, wieso die Impfrate so niedrig ist. Denn wenn diese auf dem Niveau der letzten 6 Wochen bleibt (ohnehin ist sie seit Anfang September von täglich fast 4500 auf fast 70.000 gestiegen!), dauert eine Impfquote von 74 Prozent, der aktuelle Schnitt in der EU, noch gut zweieinhalb Jahre...

Viele hoffen wohl immer noch, der liebe Gott wird’s schon richten. Was aber, wenn er uns gerade vor eine eigene Wahl stellt? Die Waffen hat er uns gegeben. In die Hand nehmen müssen wir sie selbst. Und in der nächsten Runde Frieden beschließen wir dann, was wir tun müssen, damit sich Vergleichbares nicht wiederholt. Den Luxus, Pazifist zu sein, muss man sich manchmal auch erkämpfen.