Eine Baustelle als Zeichen der Hoffnung

29. Sachsentreffen in Bistritz unter dem Motto „Gemeinsam – Gedenken – Aufbauen“

Vor dem Gottesdienst Fotos: George Dumitriu

Erste Begegnungen vor der Kirche

Festgottesdienst in der in Restauration begriffenen Bistritzer Stadtpfarrkirche

Festgottesdienst

Kirche innen

Vor der Kirche

Trachtenparade am Rathaus vorbei zum Hauptplatz

Trachtenzug2

Trachtenzug3

Trachtenzug4

Trachtenzug vor dem Rathaus

Trachtenzug vor der Kirche

Hauptplatz

Ansprachen auf dem Hauptplatz

Begegnungen

Blick vom Kirchturm

Mit der Honterusmedaille geehrt: Johann Schaas aus Reichesdorf und Ortrun Morgen aus Schweischer

Pfarrer Krauss erinnert vor dem Denkmal an die Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen im September 1944.

Gedenkveranstaltung Flucht 1944

Denkmal

Konzert der Welser Philharmonie im Kulturhaus

Festgottesdienst in der Bistritzer evangelischen Kirche: An den Seiten verhüllen Leintücher gnädig die Gerüste. Der Orgelprospekt ist leer und mit Folie abgedeckt, an der Stelle des Altars prangt nur ein Bild. Im Eingang rieselt auf so manchen Besucher ein wenig Sand herunter… Stolz, als würden sie die Baustelle gar nicht bemerken, schreiten die Pfarrer, die Ehrengäste, die Trachtenträger ein. Die Kirche füllt sich bis auf den letzten Platz. Von den Seiten flankieren schmucke Zunft- und Nachbarschaftsfahnen die versammelte Gemeinschaft, deren Mitglieder aus ganz Rumänien, Deutschland und Österreich, ja sogar aus Kanada angereist waren: Hauptsache gemeinsam!

„Gemeinsam – Gedenken – Aufbauen“: Unter diesem Motto stand in diesem Jahr das 29. Sachsentreffen in Bistritz/Bistrița, das sich vom Freitagabend bis zum Sonntag (20.-22. September) erstreckte, da auch die Regionalgruppe Nordsiebenbürgen-Nösen des HOG-Verbands auch zu einem Nordsiebenbürger Treffen geladen hatte. Die Wahl des Datums reflektiert den zweiten Aspekt des Mottos – Gedenken: Hier, vor genau 75 Jahren, vom 20. bis 23. September 1944, wurden die letzten Nordsiebenbürger Sachsen  von der Deutschen Wehrmacht vor der vorrückenden Roten Armee evakuiert. 35.000 wurden auf den Weg gebracht, 860 blieben. Einige wurden, als die Russen einen Teil Österreichs besetzten, wieder zurückgeschickt. Manche von ihnen erwartete 1945 die Deportation in die ehemalige Sowjetunion...

Dem Gedenken an die Flucht widmeten sich gleich zwei Veranstaltungen: die vor dem 2014 aufgestellten Denkmal des Bildhauers Mircea Mocanu am Dominikanerplatz, dem in diesem Jahr zehn Tafeln mit den Ortsnamen und der Anzahl der Geflüchteten hinzugefügt worden waren,  und der Vortrag von Dr. Horst Göbbel im Kulturhaus, der als „Zeitzeuge“ zum Thema berichtete: Er und seine Zwillingsschwester Erika hatten während der Evakuierung in einem Viehwaggon das Licht der Welt erblickt. Die Flucht der Siebenbürger Sachsen markierte „das Verschwinden einer Welt, die nie wiederkehrt“, bedauert Bürgermeister Ovidiu Crețu. Der Verlust wirke sich bis heute auf das Alltagsleben der Stadt Bistritz aus. Stadtpfarrer Johann Dieter Krauss ergänzt: „Als die Ostfront Nordsiebenbürgen überrollte, veränderte sich das Weichbild der von den Siebenbürger Sachsen gegründeten Ortschaften grundlegend.“

„Sie sind nicht allein“

Warme Worte vertreiben bald die eisige Kälte in der Kirche. Pfarrer Krauss erinnert an die Zeit nach dem dramatischen Brand des Turms im Juni 2008. „Sie sind nicht allein – und wir lassen Sie nicht allein“, tröstete ihn ein Anruf aus dem fernen Australien. Dreimal läutete das Telefon aus Deutschland und Hans Georg Franchy, Vorstand der HOG-Bistritz-Nösen, verkündete: „Wir haben das Geld für die erste Glocke bei-sammen“. Dann für die zweite, die dritte. Neben Sachsen aus aller Herren Länder beteiligten sich die Bundesrepublik Deutschland, die evangelische Landeskirche, der rumänische Staat, das Rathaus Bistritz am Wiederaufbau. Heute ist der höchste mittelalterliche Kirchturm des Landes, als einziger mit einem Aufzug ausgestattet, nicht zu übersehen, betont Bischof Reinhart Guib. Und in zwei Jahren wird die Kirche, heute noch Baustelle, eine Perle unter den Kirchen Siebenbürgens sein. „Dies – aber auch die sechs Theologiestudenten im ersten Semester und die vier neuen Vikare, die dieses Jahr ihr Amt antreten – macht Hoffnung für die Zukunft!“

An ihre „Brüder und Schwestern“ richtet sich Hildegard Servatius-Depner in ihrer Predigt. Auf dem Dorf sei diese Anrede früher üblich gewesen, erklärt sie, „Bruder Misch“ oder „Schwester Maja“. Heute schließt die Pfarrerin auch Rumänen, Ungarn und andere Ethnien, die jüngere wie die ältere Generation, als „Brüder und Schwestern unter Christus“ explizit mit ein. Könne es eine schönere Anrede geben?

Dem Herrgott scheint‘s zu gefallen: Nicht nur, dass plötzlich ein Lichtstrahl das dunkle Kirchenschiff durchdringt und auf einer Fahne und einigen Gesichtern ruhen bleibt. Auch der anschließende Trachtenzug defiliert in strahlendem Sonnenschein.

„Wir sind heute alle Sachsen!“

Auf der Bühne am Hauptplatz kommen Organisatoren, Gastgeber und Ehrengäste zu Wort: Martin Bottesch, Leiter des Siebenbürgenforums, Hans Georg Franchy, Bürgermeister Crețu, die österreichische Botschafterin Isabel Rauscher, Hans Erich Tischler, deutscher Konsul in Hermannstadt/Sibiu, Rainer Lehni, stellvertretender Vorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Ilse Welther, Vorsitzende des HOG-Vereins, Manfred Schuller, Obmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich, und Cristian Roth-Gross, Vorsitzender des Bistritzer Forums.

Crețu betonte die Verantwortung der Stadt für das Erbe der Siebenbürger Sachsen – „nicht nur im materiellen Sinne: hinterlassene Häuser, Schulen“, sondern „auch im spirituellen Sinne: Bildung und Kulturlandschaft“. Als gute Nachricht verkündet er: Die Gelder für die drei Jahre dauernde Modernisierung des Nationalkollegs „Liviu Rebreanu“ mit deutscher Abteilung seien gesichert. An Bischof Guib und Martin Bottesch überreichte er einen originellen symbolischen Dank für die langjährige Unterstützung der Stadt durch das Siebenbürgenforum und die evangelische Kirche: einen zur Ehrenplakette umgestalteten Dachziegel des abgebrannten Kirchturmdachs. „Wir sind heute alle Sachsen!“ verkündet er am Hauptplatz.

In der Rede von Botschafterin Isabel Rauscher klärt sich auf, warum die Österreicher heuer so stark vertreten sind: In Österreich haben nach 1944 viele Nordsiebenbürger eine neue Heimat gefunden. Musiker und Tanzgruppen aus Traun und Wels defilierten im Trachtenzug, die Trauner Adjuvanten bestritten das abendliche Blasmusikkonzert am Hauptplatz, das Welser Symphonieorchester ein außerordentliches Konzert im Kulturhaus. Eine Delegation aus zwei stellvertretenden Bürgermeistern und sechs Stadträten aus Wels würdigte die Partnerschaft dieser Stadt mit Bistritz, vor fünf Jahren initiiert von Dr. Fritz Frank, dem 96-jährigen Ehrenobmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich.

Konsul Tischler lobte den Beitrag der HOGs in Deutschland  als „wahre Brücke zwischen den Ländern“: Ohne die konkreten Aktionen der Heimatortsgemeinschaften – „mal wird hier eine Orgel restauriert, mal dort ein Friedhof instandgesetzt“ – wären die bilateralen Beziehungen bei Weitem nicht so stark.

Gemeinsam an der Zukunft bauen

Im Sinne der Gemeinschaft steht auch die Verleihung der Honterus-Medaille auf der Festveranstaltung im Kulturhaus, an Kurator Johann Schaas aus Reichesdorf/Richiș und Ortrun Morgen aus Schweischer/Fișer.
Um Gedenken ging es bei der Vorstellung der Briefmarke zum Anlass der freiwilligen Anschlusserklärung der Siebenbürger Sachsen an Rumänien 1919 durch Thomas Șindilariu.

Zum dritten Punkt des Mottos, Aufbau, berichtet Architekt Klaus Birthler aus Sächsisch- Regen/Reghin: Vom gezielt betriebenen Verlust der Identität im Kommunismus – z. B. durch Abschlagen sächsischer Fassadendekoration – zu heutigen integrierten Projekten,wie dem Mühlkanal mit Park und Kajakclub in Sächsisch-Regen – inspiriert, begründete er eine Datenbank zur Dokumentation der Veränderungen von Städten im Zehn-Jahres-Rhythmus. Veränderung kann aber auch positiv sein: Als Stipendiat in Hamburg beneideten ihn dort die Kollegen. In Deutschland sei alles schon getan, meinten sie, „aber ihr habt alles noch vor euch“!

Unter Aufbau kann man aber auch das Lebenswerk von Ortrun Morgen und Johann Schaas betrachten. Die pensionierte Lehrerin und Pfarrersgattin engagiert sich ehrenamtlich in Forum und Landeskirche für die hiergebliebenen Landsleute, organisiert Frauenkreise, unterstützt ihren Mann bei der seelsorgerischen Betreuung und predigt selbst als Lektorin. Mit ihren Gottensdiensten erreichte sie die Herzen vieler Menschen, so Laudator Karl Hellwig. Die Laudatio auf den 86-jährigen Johann Schaas hielt Pfarrer Ulf Ziegler: Für seine beruflichen Qualitäten als Weinbauer, Wagner, Zimmermann, Eisenbieger und Elektriker geschätzt, seit 1990 auch als Kurator; privat als Musiker, Bastler und Erfinder, habe er vor allem durch seine charmanten Kirchenführungen Reichesdorf (und den „grünen Mann“) weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Durch sein Wirken seien dort „Zuwanderer aus Bukarest, aus Europa und den USA ansässig geworden“. Er schaffte es, für die Restaurierung von Kirche und Orgel zu werben. Unermüdlich erzählt er – auch auf Youtube - die Geschichten seines Dorfes und der Siebenbürger Sachsen. „Er hat uns weltbekannt gemacht in einer Weise, in der jeder Hörer neugierig wird und mehr erfahren mag.“

Renoviert, umgebaut und aufgebaut wird heute an vielen Kirchenburgen im Land, nicht nur in Bistritz, bemerkt Bischof Guib. „Das Aufbauen ist im Heute verankert, zielt aber auf die Zukunft“. „Ich betrachte Bauen und Aufbauen als eine Art Therapie in der Vergangenheitsbewältigung“, sagt auch Servatius-Depner. Und auf einmal verstehen wir, warum die Baustellenatmosphäre in der Kirche niemanden stört...  Die Pfarrerin fährt fort: „Vor allem aber als Zeichen der Hoffnung. Wir bauen an der Zukunft!“