Eine Chance für kranke Herzen

Dr. Gabriela Cozmanciuc baut Abteilung für Herzchirurgie am Kreiskrankenhaus Hermannstadt aus

Dr. Gabriela Cozmanciuc ist die erste rumänische Herzchirurgin, die eine erfolgreiche Herztranplantation vornahm. Foto: privat

Dr. Gabriela Cozmanciuc ist seit bald einem Jahr die Senior-Herzchirurgin des Kreiskrankenhauses Hermannstadt/Sibiu und baut die hier jüngst entstandene Abteilung für Herzchirurgie stetig aus, sodass nun spezifische chi-rurgische Eingriffe systematisch vorgenommen werden können. Sie ließ sich in bekannten Krankenhäusern in Paris und London aus- und fortbilden und ist in ihrem Fach europaweit anerkannt. Über ihre laufende Tätigkeit sprach Dr. Cozmanciuc mit Vlad P o p a.

Sie sind seit Neuestem in den Abteilungen für Herzchirurgie und Gefäßchirurgie des Hermannstädter Kreiskrankenhauses tätig. Wann begannen die Gespräche zur Einführung oder dem Ausbau Ihres Fachbereiches?
Die ersten Gespräche mit dem Kreiskrankenhaus zur Einrichtung einer Abteilung für Herzchirurgie begannen im Vorjahr und da erklärte ich mich bereit, auch aus Familiengründen, nach Hermannstadt zu kommen. Sie haben hier ein gut ausgestattetes Forschungszentrum und ich habe bereits umfassende Erfahrung aus meiner Zeit in Paris. Da habe ich gesagt, dass ich mit meinem Forschungsteam sprechen kann, damit eine für beide Seiten vorteilhafte Abmachung getroffen werden kann. Ich habe jedoch nie Forschung betrieben, ohne laufende chirurgische Eingriffe vorzunehmen, sodass ich vorschlug, dass ich auch Chirurgie ausüben möchte. Daraufhin sagten die Vertreter des Kreiskrankenhauses, dass sie eine Abteilung für Gefäßchirurgie haben, was ein Ansatzpunkt war, aber ich wollte als Herzchirurgin auch Herzchirurgie betreiben. Da Bedarf bestand, wurde mit der speziellen Ausbildung der Chirurgiemannschaft begonnen, sodass wir seit Januar systematisch Gefäßchirurgie-Eingriffe vornehmen und bis dato 50 Halsschlag- und Aorten-Eingriffe absolviert haben. Bei den komplizierteren Eingriffen operieren mehrere Chirurgen gemeinsam, damit die ganze Mannschaft auf denselben Stand kommt und jetzt wird ein zusätzlicher notwendiger Saal eingerichtet, sodass die Abteilung weiter wächst.

Wie viel von Ihren Fachkenntnissen können Sie aktuell mit der Mannschaft und der Ausstattung des Kreiskrankenhauses zum Einsatz bringen?
Sehr wenig. Die Kollegen am Kreiskrankenhaus betreiben periphere Gefäßchirurgie, ich operiere an Herzen und großen oder peripheren Blutgefäßen. Bedarf besteht genug an chi-rurgischen Eingriffen, die beiden Fachbereichen angehören. Was ich noch bräuchte wäre nicht viel, die Mannschaft müsste um einen Chirurgen und einen Perfusiologen erweitert werden, was nicht die Welt bedeutet.

Sie arbeiten seit rund sechs Jahren auch wieder in Rumänien und das Thema der Abwanderung von Fachkräften, darunter auch junge Ärzte, ist Ihnen sicher bekannt. Können die Politik oder die Verwaltung etwas tun, um dieser Auswanderung Einhalt zu gebieten oder die jungen Ärzte zu ermutigen, zurückzukehren, vielleicht auch konkret ins Kreiskrankenhaus?
Ich habe selbst rumänische Assistenzärzte, die ich ausgebildet habe und die interessiert wären, zurückzukehren. Ein Kern kann hier, in Hermannstadt, gebildet werden, wenn die technische Ausstattung und der politische sowie verwaltungstechnische Wille hierzu gegeben ist. Ein Arzt kehrt nicht für den Lohn zurück, denn hier kann trotz der jüngsten Gehaltserhöhungen nicht mit den Löhnen im Ausland mitgehalten werden. Was wir tun, das tun wir aus Leidenschaft und damit es gut gemacht ist, doch dazu bedarf es der Grundausstattung, der postoperatorischen Behandlung und anderer Teilbereiche, die aufgebaut werden müssen. Wenn alle Bedingungen gegeben sind und der Patient Chancen hat, alles gut zu überstehen, dann würden mehr Ärzte zurückkehren. Der Lohn ist eine Komponente - aber nicht alles.

Worauf können sich Ärzte gefasst machen, wenn sie zurückkommen? Kann von einem sogenannten Berufsschock die Rede sein?
In meinem Fall ist der Unterschied der, dass ich mich im Ausland nicht nur habe ausbilden lassen, sondern dort auch gearbeitet habe und es auch jetzt als Senior-Chirurgin tue. Das ist ein großer Unterschied, weil die Verantwortung eine ganz andere ist. Wenn man dort als Senior-Chirurg operiert, ist man für den Patienten verantwortlich und wenn sich sein Zustand verschlechtert, gibt es eine Reihe wichtiger Konsequenzen. Abgesehen davon, dass man den direkten Kontakt zum Patienten hat und dieser dich beschuldigen kann, einen schlechten medizinischen Akt erbracht zu haben, kann es zu Malpraxis-Anschuldigungen kommen. Hier geht es um eine andere Kategorie, weil die europäischen Senior-Chirurgen in einer Londoner Datenbank geführt werden, unsere Eingriffe je nach Anzahl, Ergebnis usw. ausgewertet werden und wir dementsprechend eingestuft werden. Es ist etwas anderes, sich im Ausland ausbilden zu lassen und ebenfalls dort zu operieren und zweitens ist der Westen als Schule sehr verschieden, weswegen ich auch sagte, dass einige Residenzärzte, die ich ausgebildet habe, zurückkehren oder herkommen wollen. Sie kommen, weil sie hier an Erfahrung gewinnen und es ihr Ziel ist, das „Handwerk“ zu lernen. Im Ausland lernt man den Beruf, die Hingabe für seine Mitmenschen, die Kommunikation mit dem Kranken, die Auswertung der Risiken und die schnelle Entscheidungsfassung. Es ist eine ganz andere Schule, weil die Folgen hinsichtlich der Verantwortung verschieden sind und die Folgen für dich, als europäisch anerkannten Senior-Chirurgen, verschieden sind. Es wäre eine ganz neue Welt, doch habe ich gesehen, dass überall in Rumänien sich Ausbildungszentren gebildet haben, die Chirurgen empfangen, die lernen und sich entwickeln wollen.

Ist das Projekt SOS-Aorta, das Sie am Kreiskrankenhaus betreuen, befristet oder unbefristet weil der Patientenzulauf so hoch ist?
Das Projekt SOS-Aorta bedeutet, dass eine trainierte Mannschaft bereitsteht, die kardiovaskuläre Notfälle übernimmt. Stellen Sie sich vor, es kommt ein gerissenes Aneurysma oder eine Aorten-Dissektion; die Sterblichkeitsrate liegt in diesem Fall für gewöhnlich bei 70 bis 80 Prozent. Hat man ein hochleistungsfähiges System, sinkt die Sterblichkeitsrate auf 15 Prozent. Der Rettungsdienst ruft uns an und kündigt den Notfall an und beschreibt ihn. Wir vermuten, dass es sich um den Riss eines wichtigen Blutgefäßes oder um ein anderes, dringendes kardiovaskuläres Problem handelt. Das Kreiskrankenhaus wird informiert, das seinerseits den Chirurgen, den Radiologen, den Kardiologen benachrichtigt. Kommt der Patient an, ist die Radiologie-Diagnose sofort bereit und alle Etappen, bis der Patient im OP-Saal ankommt, sind stark beschleunigt. Auch im OP-Saal, so wie in vielen anderen Berufen, gibt es eine Lernkurve, die dazu führen kann, dass mit der häufigen Arbeit an solchen Notfällen die Ergebnisse einer hierfür trainierten Mannschaft deutlich besser sind. Abgesehen von diesen Notfällen haben wir aber auch die laufenden chronischen Patienten mit Endokarditen, Problemen an den Herzklappen, Herzinfarkten und anderen, die ich täglich im Kreiskrankenhaus sehe und wofür ich noch keine Lösungen  habe. Die Ausstattung und die Mannschaft fehlen hierfür noch. Die Mannschaft muss noch ausgebildet werden und es geht hier nicht nur um das operative Team, sondern auch um die Kardiologen, die Anästhesisten oder die Krankenschwestern, weil wir Protokolle abarbeiten und für gute Ergebnisse auch hier eine Lernkurve durchzugehen ist. Zu tun hätten wir an die 10 bis 15 Jahre und Patienten haben wir enorm viele.

Worauf ist diese hohe Anzahl an Patienten zurückzuführen?
Es sind viele Patienten, aber vor allem viele sehr schwierige Fälle. Bei den Patienten im Ausland sind die Beschwerden meist nicht so fortgeschritten. Stellt man irgendwo ein gerissenes Blutgefäß fest, muss man auch die anderen Gefäße untersuchen und so kommt der Patient hier mit einem Problem herein und wir identifizieren weitere vier oder fünf, die gelöst werden müssen. Das sind komplizierte Kranke und dabei spielt die Lebensdisziplin eine wichtige Rolle. Es wird sehr gesalzenes und sehr fettiges Essen gegessen, es wird Alkohol getrunken. Es wäre nicht nur das, aber diese Risikofaktoren werden nicht durch Schutzfaktoren wie gesunde Ernährung und sportliche Betätigung ausgeglichen oder überwogen. Zudem sind wir ein sehr extrovertiertes Volk, kümmern uns dafür aber nicht um unsere innere, emotionale Hygiene. So wie wir morgens unsere Zähne putzen und duschen, sollte man ein Mal in der Woche alleine vor dem Spiegel oder vor einem Blatt Papier sitzen und überlegen „Welche ist meine Richtung?“, „Wo sehe ich mich in einem Jahr?“, „Habe ich eine gute Richtung eingeschlagen?“, es ist ein Akt der emotionalen Säuberung und der geistigen Beruhigung. Im Ausland treiben die Kinder an einem der Tage unter der Schulwoche Sport, auch das gibt es hier nicht. Bei uns gibt es diese Kultur nicht, sondern im Gegenteil. In der Sportstunde wird lieber Mathematik unterrichtet oder andere Wissenschaften, ohne zu bedenken, wie wichtig Sport ist.

Mit welcher Art Herzbeschwerden befassen Sie sich am meisten?
Sie sind nach Altersgruppen verschieden und die Pathologie sowie die Behandlung haben sich in den letzten Jahren sehr geändert, aber ich habe viele junge Patienten gesehen, die unter Bluthochdruck leiden oder Myokardinfarkte mit 27, 32 oder 40 Jahren erlitten haben, was in Westeuropa vor 60 nicht angetroffen wird. Die Jugendlichen essen ungesund, rauchen, sind sehr gestresst, nehmen Alkohol zu sich und die Folgen treten dann schnell zum Vorschein. Bei vielen Jugendlichen habe ich auch Herzinsuffizienz nach einer Herzmuskelentzündung angetroffen, wobei die neulich entwickelten Kunstherzen die Transplantation in einigen Fällen ersetzen konnten, weil sie es dem Herzen ermöglichten, sich zu regenerieren - in anderen Fällen geben sie einem drei bis vier Jahre Zeit, ein Spenderherz ausfindig zumachen.

Welche Symptome wären ein Grund für eine kardiologische Untersuchung?
Nehmen wir die Altersgruppe der 30 bis 40-Jährigen. Ein Mal in der Woche muss Sport getrieben werden, egal in welcher Form. Stellt man dann plötzlich Atemnot,  übermäßiges Herzklopfen oder gar Brustschmerzen fest, muss ein Arzt aufgesucht werden. Stellt man  Ohrenrauschen fest oder hat man einfach schwere Beine, muss der Blutdruck gemessen werden. Stellt man fest, dass sich etwas an der täglichen Lebensqualität ändert, muss man sich vom Hausarzt untersuchen lassen. Jeder sollte sich sportlich betätigen und auf seine Ernährung achten und möglichst die hierzulande übliche üppige Weihnachts- oder Ostertafel mit viel Fleisch, Fett, Alkohol und ohne Obst und Gemüse vermeiden. Obst,  Gemüse oder Olivenöl wirken gegen kardiovaskuläre Risikofaktoren und sollten einen guten Teil der Ernährung ausmachen. Allgemein sollte man auf Bewegung achten, dass die Ernährung stimmt und auf einen ausgeglichenen Lebensstil. Für ein Ungleichgewicht bezahlt man nicht heute oder morgen, aber bestimmt später.

Hier sehen wir oft Patienten, die meist im Endstadium einer Gefäßkrankheit ins Krankenhaus kommen und wo man nichts mehr machen kann, weil das Leiden zu fortgeschritten ist. Sie gewöhnen sich an den Schmerz und haben diese Kultur nicht, dass sie einen Arzt aufsuchen, wenn sie feststellen, dass etwas nicht in Ordnung ist und dann reicht oft die Zeit nicht, um noch etwas zu unternehmen. Die Beschwerden, die hier bei 50-jährigen Patienten auftreten, kommen in Frankreich oder der Schweiz bei 80-Jährigen vor und das ist eben auf diese mangelnde Kultur zurückzuführen.

Sie sind eine der wenigen Rumäninnen, die Herzchirurgie auf diesem Niveau betreiben. Wie ist es, in einem von Männern dominierten Bereich berufliche Hochleistung zu erbringen?
Oft ist es nicht einfach, weil Frauen das Kernstück einer Familie sind. Hat man Kinder, muss man als Frau für sie sorgen und der Beruf verändert die Persönlichkeit. Dieser ist ein Beruf, in dem man schnell Entscheidungen treffen muss, die oft radikal sind und man spielt ständig mit dem Leben, weil es sich oft um schwierige Patienten handelt und es kann dazu kommen, dass die Grenze zwischen dem beruflichen und dem persönlichen Leben verschwimmt. Man trifft dann auch im persönlichen Leben schnell Entscheidungen, die dann oft nicht die richtigen sind. Das Familienleben hat sicher darunter zu leiden, d.h. man muss jemanden finden, der es versteht, dass man in ein Konzert geht und um 21 Uhr ein Anruf kommt und man ins Krankenhaus zurück muss. Bis man ein gewisses Niveau erreicht, muss man manchmal doppelt so viel wie die Männer arbeiten. Zudem entspricht die Vergütung in der Herzchirurgie nicht dem Arbeitsvolumen; in anderen Fachbereichen verdient man mehr für weniger Arbeit. Auch ist es ein Fachbereich, der einen ausgeprägten emotionalen und körperlichen Verschleiß verursacht, weswegen meine Kollegen und ich Sport treiben, um dieser permanenten Ausdauerprobe Stand halten zu können.

Was halten Sie von Hermannstadt, jetzt, da Sie nun  hier wohnen? Was ist hier besser oder weniger gut im Vergleich zu den Städten, in denen Sie bislang tätig waren?
Die Stadt ist schön und rein, sie hat ein bestimmtes Flair. Im Krankenhaus ist es etwas schwieriger als anderenorts, weil  vieles fehlt, wenn man etwas aufbaut, und gesuch, zusammengestellt oder reformiert werden muss, aber die Stadt ist schön und bietet viel Gelegenheit zur Entspannung. Es ist eine warme, lebhafte Stadt. In der Schweiz oder Frankreich hatten wir nicht ein so reiches und vielfältiges Freizeitangebot und es ermöglicht einem ein Leben auch nach der Arbeit im Krankenhaus.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!