Eine Frage von Ehre

Mit „Dishonored“ schuf die Spieleschmiede Arkane einen Klassiker

Die Reichtümer fließen nur in die Taschen der Aristokraten. Sie leben in Opulenz.
Fotos: Bethesda Softworks

Armut und Elend: Die Mehrheit der Bevölkerung wird von einer Seuche niedergerafft und lebt in Slums.

Maskenball in Dunwall: Obwohl eine verheerende Seuche die Unterschichten dahinrafft, feiern die Aristokraten reuelos wie in den glorreichen Tagen, als „Die Inseln” noch eine Kaiserin hatten und eine Zukunft. Grund zum Feiern gibt es aber nicht. Denn obwohl ein Staatsstreich erfolgreich war und das Kaiserreich vom skrupellosen Lordregenten übernommen wurde, dem Geliebten der Gastgeberin, welche opulent feiert, hat sich im Hintergrund eine Widerstandsbewegung gebildet. Diese möchte den Lordregenten sowie seine Anhänger stürzen. Diese wichtige und undankbare Rolle übernimmt der ehemalige Leibwächter der ermordeten Kaiserin, Corvo Attano, der zum Auftragsmörder geworden ist. Den Grund seines Feldzugs gegen den Lordregenten bestimmt der Spieler: Es kann Rache sein oder Gerechtigkeit. Diese Freiheit macht aus der Spieleserie „Dishonored“ - die inzwischen aus zwei Hauptspielen und vier Erweiterungen besteht - eines der besten Videospiele des vergangenen Jahrzehnts. 


Das erste Spiel, dass 2012 veröffentlicht wurde, war eine Überraschung. Angelehnt an Hybrid-Shooter wie etwa „Deus Ex“, versprach „Dishonored“ ein Abenteuerspiel aus der ersten Per-spektive zu sein, welches dem Spieler Freiheiten einräumt, wie es nur wenige Spiele seines Kalibers getan haben. Drei Jahre später erschien eine zunächst enttäuschende Fortsetzung. Zahlreiche technische Probleme sorgten für negative Rezensionen und schreckte viele Spieler vorerst ab. Erst ein Jahr später schafften es die Entwickler, die Bugs zu beseitigen und das Spiel spielbar zu machen. Die Geduld zahlte sich aus: Obwohl die Handlung dieses Mal schwächer ausfiel, übertrumpfte der Nachfolger das erste „Dishonored“-Spiel in allen anderen Punkten. Nicht nur optisch sah „Dishonored 2“ überragend aus, auch spielerisch lieferten die Entwickler die Höhepunkte der Serie. Das Fazit der Fachpresse sowie der Fans: „Dishonored 2“ hätte mehr Zeit gebraucht, um den Ambitionen seiner Entwickler gerecht zu werden. 

Eine lebendige Welt 

Doch über Mankos wie etwa eine relativ unspektakuläre Handlung, schauen „Dishonored“-Fans schnell hinweg. Denn sie stellt im Kontext nur einen Vorwand dar, um die detaillierte Welt von „Dishonored“ zu erkunden und zu entdecken. Die Missionen in „Dishonored“ finden in großen frei erkundbaren Arealen statt. Der Spielverlauf ist nicht linear. Nach einem kurzen Briefing erhält der Spieler die Aufgabe, eine bestimmte Person zu beseitigen. „Beseitigen” bedeutet in der Welt von „Dishonored“ nicht unbedingt ermorden. Beide Spiele erlauben den Spielern, keine einzige Spielfigur zu töten. Wer sich pazifistisch geben möchte, erhält dazu nicht nur die Erlaubnis von den Entwicklern, er wird sogar ermutigt. Besonders in „Dishonored 2“ hat der Spieler verschiedene Möglichkeiten, Gegner auszuschalten, ohne dass die fiktiven Widersacher ins digitale Jenseits befördert werden müssen. Jede Entscheidung wirkt sich auch auf die Handlung aus. „Dishonored“ belohnt Spieler für ihr Vorgehen. Ob brutal oder nicht - beide Methoden sind erlaubt und beide versprechen Erfolg. Allerdings wird ein kaltblütiger Killer am Ende nicht als der große Retter des Kaiserreichs gefeiert, sondern als Despot, der die Macht an sich gerissen hat. Wer am Ende als Held dastehen möchte, muss sich auch während des Spiels entsprechend verhalten. 

Wie das spielerisch und erzählerisch funktioniert, zeigt die Mission „Lady Boyles letzte Feier”. Die Mission findet während des besagten Maskenballs statt. Wir als maskierte Auftragsmörder finden schnell Einlass. Entweder über Hintereingänge oder auch per gestohlener Einladung über den Haupteingang. Auf einer Kostümparty fällt ein kostümierter Assassine schwer auf. Der Spieler kann wie Rambo anfangen, jeden Gast und jede Wache mit Schwert und Pistole niederzumähen. Oder er unterhält sich mit den Gästen und versucht sich als Detektiv: Da es sich um einen Maskenball handelt, weiß niemand, wer von den verkleideten Personen die eigentliche Lady Boyle ist. Sobald wir genügend Informationen gesammelt haben, können wir unsere Mission beenden, indem wir Lady Boyles Leben beenden. Oder wir können sie ins Exil schicken - eine Alternative, die ein Gast auf der Party uns anbietet. Der Gast sei ein heimlicher Verehrer von Lady Boyle und er möchte sie nur für sich haben.
Vor solche Entscheidungen wird der Spieler ständig gestellt. Töten oder bestrafen? Menschen helfen oder ihre Probleme einfach ignorieren. 

Damit diese Entscheidungen auch Gewicht haben, muss die fiktive Welt authentisch wirken. Und das ist eines der größten Errungenschaften dieser Spielserie. Die im Steampunk angesiedelte Welt aus „Dishonored“ erinnert an das viktorianische London. Die Architektur, die Kleidung, die Figuren, das politische und wirtschaftliche System - sie alle sind eine Anlehnung an das Britische Empire. Die industrielle Revolution erlebt ihre Blütezeit in „Dishonored“ und sie hat den Menschen zurückgelassen. Die Aristokratie profitiert von den Errungenschaften der Technik und Wissenschaft. 

Elitenkritik

Sämtliche Spiele handeln von den Ungerechtigkeiten eines Klassensystems. Die Leidtragenden sind stets die arme Mittel- und Unterschicht. Eine Handvoll regiert verantwortungslos, getrieben von Geld- und Machtgier und ist bereit, die Mehrheit zu opfern, damit es ihnen und nur ihnen gut geht. Das motiviert natürlich den Spieler, die Verantwortlichen zu bestrafen und eine bessere Welt zu schaffen. 

In den „Dishonored“-Spielen weiß man, wieso man jemanden bestraft. Die daraus resultierenden Veränderungen passieren subtil, mit einigen Ausnahmen. Indem man einen verrückten Erfinder unschädlich macht, hält man zum Beispiel die Produktion von Waffen auf. Ein Regent wird durch seinen Doppelgänger ersetzt, der aufgrund seines Ursprungs bessere Entscheidungen für das Volk trifft. Indem man eine Wissenschaftlerin rettet, kann sie ein Gegenmittel für eine verheerende Seuche entwickeln. 
Der moralische Anker bleibt der Spieler selbst. Er wird aber durch die Handlung von einer mysteriösen Gestalt gelotst, welche in der Welt von „Dishonored“ die Rolle einer Gottheit inne hält. Der „Outsider” schaut wie ein junger Mann aus, spricht in einer monotonen Stimme und verschenkt übernatürliche Kräfte. Nur sechs Personen wurden in der fiktiven Welt des Spiels vom „Outsider” heimgesucht und beschenkt. Der Spieler ist natürlich einer davon. Die übernatürlichen Kräfte erlauben es ihm, die Zeit anzuhalten, zu teleportieren, Duplikate von sich herzustellen oder von anderen Besitz zu ergreifen. 

Prachtvolle Welt

Obwohl die Spiele schon einige Jahre alt sind, sind sie grafisch noch immer wunderschön. Das Geheimnis: Die Entwickler haben nicht auf Photorealismus gesetzt, sondern versuchen die Welt wie aus einem Gemälde entnommen darzustellen. Kunst und Malerei werden in der Welt von „Dishonored“ ständig thematisiert. Wichtige Schlüsselfiguren sind Maler, der Spieler kann seltene Gemälde stehlen. Und dementsprechend schaut auch die Welt so aus, als hätte ein impressionistischer Maler sie eingefangen. Auch die Figuren werden übertrieben dargestellt, wirken eher wie Karikaturen echter Personen: Die Hauptgesichtszüge sind größer und unterstreichen die Makel. 

Auch die Soundkulisse passt, wenn auch Musik eine untergeordnete Rolle spielt. In einem Spiel, in dem meistens der Spieler ungesehen bleiben muss und jedes Geräusch ausschlaggebend ist, würde eine musikalische Untermalung eher stören. Hier ist jeder Schritt, jedes Gespräch überlebenswichtig. 

Ein Abenteuerspiel für die Ewigkeit

Arkane Studios, der Entwickler der „Dishonored“-Reihe, arbeitet gegenwärtig an einem anderen Spiel, das zwar vieles der Wesenszüge der „Dishonored“ Spiele enthält, jedoch weit von „Dishonored“ entfernt ist. Ob es überhaupt ein „Dishonored 3“ geben wird, steht momentan in den Sternen geschrieben. Obwohl das erste Spiel eine Überraschung war, enttäuschte die Fortsetzung. Doch ungeachtet von Verkaufszahlen, bleibt „Dishonored“ eines der besten Spielereien der 2010er. Ein Meisterwerk für das Medium Videospiele. Denn es bietet Tiefgang: Eine realistische Welt, eine zeitlose Message über Gesellschaft, Korruption und Fortschritt sowie ambitionierte Spielmechanismen. Es ist eines der seltenen Beispiele, was Videospiele leisten können.