Eine kurze Geschichte der Seuchenbekämpfung

Von der Pest zu den Infektionserkrankungen unserer Zeit

Zum Schutz vor der Pest trugen Ärzte im 17. Jahrhundert ein Ledergewand mit Überwurf und eine Maske. In dem schnabelartigen Fortsatz befanden sich Kräuter oder Essigschwämme zum „Filtern“ der Luft. Foto: CC BY 3.0 Anagoria

2015 starben bei einem großen MERS-Ausbruch in Südkorea 38 Menschen. In der Folge hatte das Land sein Gesundheitssystem auf eine solche Situation vorbereitet und zufällig im Dezember vergangenen Jahres noch eine Übung durchgeführt, um auf Epidemie vorbereitet zu sein. Foto: dpa

Pest und Cholera, Syphilis und AIDS, Lepra und Typhus: Seuchen waren und sind ein ständiger Begleiter der Menschheit. Über Jahrtausende hinweg waren die Pocken Geißel der europäischen Bevölkerung. Auch in altägyptischen Gräbern wurden ihre Opfer entdeckt und bis in die Neuzeit zählte die Infektionskrankheit zu den häufigsten Todesursachen. Ab 1967 machte es sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Aufgabe, die Pocken auszurotten – was bis 1979 tatsächlich gelang. Es war der Triumph einer internationalen Impfstrategie.

Allerdings wurden noch nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden Deutschlands Zehntausende Grippetote einfach hingenommen und die Krankschreibungen der Arbeitnehmer beklagt, welche die Wirtschaftsleistung gefährdeten, schreiben die Medizinhistoriker Heiner Fangerau und Alfons Labisch in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Pest und Corona“. Zwar gab es auch damals Schulschließungen, um die Ausbreitung zu verlangsamen, und Teile der Wirtschaft mussten die Produktion verringern, doch die politischen Entscheidungsträger und große Teile der Bevölkerung sahen die Grippe-Pandemien eher gelassen. Etwa 50 Jahre später wurde nicht nur Deutschland vom neuen Coronavirus zeitweise nahezu komplett lahmgelegt – zumindest im Frühjahr.

Doch was hat sich in der Zwischenzeit verändert? Wir haben eine andere Einstellung Krankheiten gegenüber, glauben Fangerau und Labisch: „Heute ist die Gesellschaft entschlossen, vorzeitige Tode nicht mehr hinzunehmen und so viele Menschen wie möglich zu retten.“ Es sei Konsens, „dass jedes Leben, ob jung oder alt, gesund oder krank, gerettet werden soll – koste es was es wolle.“

Spätestens seit der Industrialisierung hat die Politik versucht, Epidemien zu beeinflussen. Generell könne man „vertikal“ und „horizontal“ eingreifen, führen die Autoren aus: Einmal bekämpft man den Erreger im Patienten, einmal seine Ausbreitung in der Bevölkerung. „Nichts von dem, was wir derzeit in der Corona-Pandemie an Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit erleben, ist also unerwartet oder neu.“ Kontaktbeschränkungen etwa wurden schon bei der Spanischen Grippe in Amerika erprobt – und als hilfreich erkannt.

Sogar die psychologischen Reaktionen ähneln sich: „Bei nahezu jeder Pandemie vorher gab es Phänomene der Ausgrenzung, Stigmatisierung und der Verdächtigung und Denunziation“, führen die Autoren aus. Kranke wurden isoliert, um die Bevölkerung zu schützen. Immerhin sind die Methoden heute weniger rabiat als im Mittelalter, wo die Infizierten in Pesthöfen ihrem Schicksal überlassen wurden. Denn mit Blick auf die Geschichte der Seuchen kann konstatiert werden: Früher war alles schlimmer.

Italienische Städte: Vorreiter im Umgang mit Seuchen

Das typische Bild von Krankheiten und Pandemien in der Geschichte ist heute immer noch stark geprägt von der Pest des Mittelalters. Der „Schwarze Tod“ war im 14. Jahrhundert eine der schwersten Pandemien, gegen die es lange kein Heilmittel gab. Innerhalb von wenigen Monaten verbreitete sich die Epidemie über den gesamten europäischen Kontinent und tötete ein Drittel der Bevölkerung. Doch sehr wahrscheinlich war es nicht der erste Ausbruch der Pest in Europa, genau so wenig wie es der letzte war.

Zwar versuchten Menschen schon damals, sich mit Tüchern und Ärzte mit Masken vor dem Mund zu schützen - beides blieb jedoch ohne Wirkung. Bereits für das Jahr 1374 ist für die italienische Stadt Reggio nell’ Emilia eine zehntägige Quarantäne belegt und Venedig beschloss sogar, ankommende Schiffe für 40 Tage zu isolieren. Das heißt, die Schiffe lagen im Hafen, die Besatzung durfte aber nicht an Land. Doch erst 1498 untersagte man in der Stadt beim Auftreten der Pest auch Gottesdienste, Prozessionen, Märkte und Versammlungen.

Die italienischen Städte waren es auch, die zuerst begannen, statistisch zu denken und die Todesopfer zu zählen. Auf diese Weise konnten sie Rückschlüsse ziehen, ob es sich bei einem Krankheitsausbruch lediglich um eine kurzfristige Anhäufung oder gar eine Seuche handelte. Dieses Verfahren gilt bis heute als Standard – auch wenn es darum geht, die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung zu beurteilen.

Influenza: Seuche des 20. Jahrhunderts

Die klassische Seuche im Europa des 20. Jahrhunderts wurde die Grippe (Influenza). Noch während im Frühjahr 1918, dem letzten Jahr des Ersten Weltkriegs in Europa, in den Schützengräben wöchentlich tausende Soldaten starben, verbreitete sich in den Ausbildungslagern der amerikanischen Armee ein Virus, das in den kommenden zwei Jahren noch weit mehr Menschenleben fordern sollte als die 17 Millionen Soldaten und Zivilisten, die im Krieg starben. Umgangssprachlich wird diese Pandemie, die in absoluten Zahlen an die Totenzahlen der Pest heranreicht, in vielen Sprachen als „Spanische Grippe“ bezeichnet.
Gleichwohl sind die „Spanische Grippe“ und die verschiedenen anderen Influenza-Pandemien seit dem Zweiten Weltkrieg bemerkenswert wenig präsent in den deutschen Erinnerungen. Die „Asiatische Grippe“ forderte 1957 und 1958 weltweit zwischen einer und zwei Millionen Tote – in der Bundesrepublik Deutschland gab es rund 30.000 Tote.

Nur zehn Jahre später starben infolge der letzten großen Influenza-Pandemie des 20. Jahrhunderts – der „Hongkong-Grippe“ – weltweit rund eine Million Menschen. Aufgrund der Verwandtschaft des Virus mit dem Erreger der „Asiatischen Grippe“ hatte ein Teil der Menschen noch Antikörper, der Verlauf der Grippe war daher bei einem großen Teil der Bevölkerung milder. In den beiden deutschen Staaten erreichte die Pandemie im Winter 1969/70 ihren Höhepunkt. Doch trotz Schulschließungen, Produktionsverringerungen und überlasteten Krankenhäusern wurde die Grippe in der bundesdeutschen Politik und Gesellschaft kaum ernst genommen. Gleichwohl wurde auch in der Deutschen Demokratischen Republik die Pandemie zunächst ignoriert. Tatsächlich zählten die Behörden aber bis 1971 knapp neun Millionen Fälle meldepflichtiger Atemwegserkrankungen, sodass schließlich ein nationaler Epidemieplan entwickelt wurde. In beiden Staaten wurde schließlich eine Übersterblichkeit von insgesamt etwa 50.000 Personen registriert, genaue Zahlen allerdings nicht erhoben.

Der „Russischen Grippe“ von 1977 fielen dann insbesondere Menschen unter 25 Jahren zum Opfer. Die Erkrankten entwickelten in der Regel zwar nur milde Symptome, trotzdem starben weltweit bis zu 700.000 Menschen. Hervorgerufen wurde die Pandemie durch den Subtyp A/H1N1, der bereits die „Spanische Grippe“ verursacht hatte. Es ergab sich der Verdacht, dass das Virus aus einem russischen oder chinesischen Labor entwichen sein könnte, weil es einem anderen Virustyp aus dem Jahre 1957 extrem ähnlich war. Die geringe Anzahl von Abweichungen in seinem Erbgut wurde darauf zurückgeführt, dass das Virus Jahrzehnte lang eingefroren gewesen sei. Diese Theorie konnte allerdings nie bewiesen werden.

Südkorea hat aus vorangegangenen Epidemien gelernt

Das Nahost-Atemwegssyndrom (MERS) ist eine schwere akute respiratorische Erkrankung, die durch das MERS-Coronavirus (MERS-CoV) verursacht wird. Eine MERS-CoV-Infektion wurde erstmals im September 2012 in Saudi-Arabien berichtet, aber ein Ausbruch in Jordanien im April 2012 wurde rückwirkend bestätigt. Bis 2019 wurden weltweit fast 2500 Fälle von MERS-CoV-Infektionen – mit mindestens 850 Todesfällen – aus 27 Ländern gemeldet. Der größte bekannte Ausbruch von MERS außerhalb der Arabischen Halbinsel ereignete sich 2015 in der Republik Korea und forderte 38 Todesopfer. Als sich 2018 erneut ein Südkoreaner mit dem Virus infiziert hatte, suchten die Gesundheitsbehörden im ganzen Land nach Menschen, die eventuell Kontakt zu ihm hatten. Nach zwei Monaten konnte die Regierung das Ende der tödlichen Epidemie verkünden.

Die Erfahrungen mit MERS und anderen Epidemien in jüngster Zeit sowie die rasche Ausbreitung des Coronavirus in der Volksrepublik China haben in der Republik Korea ein „Gefühl der Dringlichkeit“ und von „sozialer Höflichkeit“ eingeflößt, erklärt die koreanische Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin Leighanne Yuh von der Korea University. „Da Südkorea bereits solche Ausbrüche erlebt hat, weiß man, was zu tun ist und wie ernst die Gefahr ist.“ In der aktuellen Covid-19-Pandemie haben die koreanischen Behörden schnell reagiert und mit Massentests, der Isolierung von Erkrankten und dem Tracking von Handydaten die SARS-CoV-2-Ausbreitung stark verlangsamt – ohne dass das öffentliche Leben zum Erliegen kam.

Die ernüchternde Erkenntnis der Medizinhistoriker

Welche Schlüsse ziehen  Heiner Fangerau und Alfons Labisch nun aus früheren Seuchen für den Umgang mit der aktuellen und mit künftigen Epidemien? In einer Art Fazit am Ende des Buchs fordern sie: Frühzeitig eingreifen, um neue Erreger schon am Ort ihres Entstehens einzugrenzen, dafür müsse die WHO gestärkt werden. Die Flughäfen spielen eine Schlüsselrolle, um die Ausbreitung zu verhindern, dort müsse eine effektive Eindämmungsstrategie aufgebaut werden. Regionales Vorgehen habe sich mehr bewährt als zentraler Durchgriff. Und Vorbeugen kostet weniger als hinterher die Schäden zu finanzieren.

Doch die beiden Medizinhistoriker konstatieren eine bittere Erkenntnis: „Es ist mehr als verwunderlich, dass nach jeder Pandemie in den verschiedensten Gremien gründliche Analysen durchgeführt und vorausgreifend Szenarien entworfen werden – und danach nichts bis wenig geschieht, um die nächste Pandemie im Vorhinein zu verhindern oder zu stoppen.“

Die „Mutter“ aller Pandemien

An der „Spanischen Grippe“ erkrankten ab 1918 etwa 500 Millionen Menschen, dies entsprach einem Drittel der damals lebenden Menschheit. Auswirkungen dieser Pandemie gibt es bis heute, denn alle Influenza-A-Pandemien seit dieser Zeit wurden von Nachkommen des Virus von 1918 verursacht. Deshalb wird die „Spanische Grippe“ von Wissenschaftlern häufig auch als die „Mutter“ aller folgenden Influenza-Epidemien und -Pandemien bezeichnet.

Was ist eine Seuche?

Als Seuche werden sehr ansteckende Infektionskrankheit bezeichnet, an der in kurzer Zeit viele Menschen erkranken – im Sinne einer Epidemie. Doch Epidemien kommen in Wellen, in Form von oft wiederkehrenden Seuchenausbrüchen. Eine Seuche kann dagegen die Bevölkerung auch dauerhaft befallen. Die Tuberkulose ist dafür ein Beispiel. In der modernen Fachsprache wurde der Begriff „Seuche“ weitgehend durch Infektion ersetzt. In der Umgangssprache ist das Wort „Seuche“ darüber hinaus negativ konnotiert.

Epidemie oder  Pandemie? Der Unterschied

Eine Epidemie liegt vor, wenn sich eine hohe Anzahl an Menschen zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region mit einer Infektionskrankheit angesteckt haben. Vor allem in tropischen Regionen kommt es häufig zu Epidemien. Befällt eine Krankheit die Bevölkerung in verschiedenen Regionen, Ländern oder sogar Kontinenten, spricht man von einer Pandemie.

Cholera: die am längsten andauernde Pandemie

Unter den Pandemien der letzten Jahrhunderte nimmt die Cholera eine Sonderstellung ein. Sie gilt als eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten überhaupt: Sie verursacht heftige lokale Ausbrüche, bei denen sich sehr schnell sehr viele Menschen anstecken und sie kann einen Menschen binnen 24 Stunden töten. Zunächst trat die Cholera über mehrere Jahrhunderte hinweg ausschließlich auf dem indischen Subkontinent auf. Ab 1817 breitete sich die Infektionserkrankung schließlich vom Ganges-Delta in Indien über die ganze Welt aus. Sechs Pandemien in Folge töteten in den folgenden Jahrzehnten Millionen von Menschen. Die siebte Pandemie brach laut Weltgesundheitsorganisation im Jahr 1961 aus und dauert bis heute an. Damit gilt sie als die längste andauernde Pandemie.