Eine zweite Schule

Ein Interview mit Ingeborg Acker über den Erfolgsweg des von ihr vor 25 Jahren gegründeten Canzonetta-Ensembles

Ingeborg Acker im Gemeinderaum des Kronstädter Stadtpfarramtes, wo die Proben des Canzonetta-Ensembles regelmäßig stattfinden. Foto: Dieter Drotleff

Das Kinder- und Jugendensemble „Canzonetta“, gegründet und geleitet von Ingeborg Acker, erfreute sich kürzlich besonderer internationaler Anerkennung: Am 26. September 2019 wurde dem Ensemble in der Staatsbibliothek von Berlin der „Georg Dehio“-Förderpreis des Deutschen Kulturforums Östliches Europa verliehen. Überreicht wurde die Auszeichnung von Staatsministerin Prof. Monika Grütters. Rund 30 gegenwärtige und ehemalige Mitglieder des Ensembles beteiligten sich an dem Festakt. Im Anschluss wurden die rund 150 Gäste von der Kunst von „Canzonetta“ live überzeugt. Ingeborg Acker erzählte ADZ-Redakteur Dieter Drotleff von der Besonderheit und Geschichte des Ensembles und wie ihre tägliche Arbeit damit aussieht. 

Der Georg Dehio-Preis ist der zentrale Kulturpreis, der in der Bundesrepublik Deutschland für hervorragende Leistungen im Bereich des Kulturerbes im östlichen Europa verliehen wird. Er wird seit 2003 jährlich vom Deutschen Kulturforum Östliches Europa vergeben. Dieser Anerkennung erfreuten sich bisher auch Persönlichkeiten aus Siebenbürgen, darunter Dr. Christoph Machat, Dr. Gustav Gündisch, Dr. Harald Roth, Gernot Nussbächer, Altbischof D. Dr. Christoph Klein, Dr. Dr. h. c. Paul Philippi, Ehrenvorsitzender des Landesforums, oder der Hermannstädter Bachchor mit Ursula und Kurt Philippi. Wie war Ihre erste Reaktion und die der Mitglieder des Ensembles, als Ihnen mitgeteilt wurde, dass Sie die diesjährigen Gewinner sind? 

Im ersten Moment war es dieser Wow-Effekt, den wir kennen, wenn man sprachlos bleibt. Die Überraschung war riesengroß. Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums Östliches Europa, hat mich angerufen und mir das mitgeteilt. Anfangs habe ich ein bisschen herumgestottert, da ich nicht wusste, wie ich zusammen mit Canzonetta dazu komme, diesen wichtigen Preis zu erhalten. Dann habe ich überlegt: den Dehio-Preis bekommen wir nicht umsonst. Natürlich hat die Jury des Dehio-Preises, haben diese Leute sich das gut überlegt, also muss an dieser jahrelangen Arbeit wirklich etwas dran gewesen sein. Man hält dann so Rückschau, und da es sehr viele wichtige Momente im Lauf der Aktivitäten von Canzonetta gegeben hat, war es irgendwie voraussehbar. Dass man uns 2014 vom Landesforum für einen parlamentarischen Abend in die Rumänische Botschaft nach Berlin eingeladen hat, um das deutsche Schulwesen in Rumänien zu repräsentieren, das war bestimmt kein Zufall. Und an solche Sachen habe ich zurückgedacht und mich letztlich wirklich gefreut, dass wir jetzt diesen Preis bekommen.

Die Laudatio anlässlich der Preisverleihung wurde von Thomas Șindilariu, Vorsitzender des Kronstädter Ortsforums, gehalten, der das Ensemble vorstellte und auf die wichtigsten Etappen in dessen Geschichte einging – darunter auch darauf, dass einige ehemalige Mitwirkende eine Musikkarriere eingeschlagen haben und die meisten treue Freunde geblieben sind. Können Sie uns vielleicht einige davon nennen? 

Einige Ehemalige? Ich nenne jetzt nicht meine eigenen Kinder als erste, diese sind sehr oft dabei. Und Petra ist wirklich eine gute Mitarbeiterin geworden, die zu dem Ensemble steht. Als herausragendes Beispiel unter der Bezeichnung „treue Ehemalige“ nenne ich Alex Münz, der in Neuseeland lebt und bei unserem 25. Jubiläumskonzert im Kulturzentrum „Redoute“ auf der Bühne stand und die Ansage bestritten hat. Er erklärte, dass er extra für dieses Konzert angereist sei und betonte, wie groß seine Freude ist, hier mitmachen zu können, da er in Kronstadt nicht eine, sondern zwei Schulen besucht hat: die Honterusschule – und Canzonetta.

Alex hat dabei auch im Namen anderer ehemaliger Kollegen gesprochen, die immer wieder gern zurückkommen, um mitzumachen. Beatrice Benedek zum Beispiel, die eine Theaterhochschule absolviert hat, heute in London lebt und dort aktiv ist und bei jeder größeren Canzonetta-Veranstaltung teilnimmt. Da ist Andreea Bădău, die jetzt hier in Kronstadt bei Düwenbeck im Management tätig ist und eine ewige Canzonettistin bleibt. Laura Țibuleac, in Bukarest lebend, gehört zu den ersten Canzonettisten und ist ebenfalls immer wieder mal dabei. 
In dieser Reihe könnte ich noch weitere aufzählen... In der etwas jüngeren Generation ist es Laura Benedek, die Schwester von Beatrice. Immer wieder mitgemacht hat Victor Stoica, den hatten wir gelegentlich auch am Schlagzeug. Er hat von Canzonetta ausgehend eine Freizeit-Karriere in diese Richtung eingeschlagen und in verschiedenen Bands mitgewirkt. Jetzt ist der junge Mann in Kanada, und das ist weit weg....

Sie sind gebürtige Rosenauerin und haben schon im Elternhaus die Liebe zur Musik mitbekommen. Von der Mutter Erna die Freude am Singen, vom Vater Walter Gagesch die der Interpretation an Instrumenten. Nach Abschluss der Honterusschule haben Sie die Organistenschule in Hermannstadt besucht und ihr Gesangstalent bei Ernst Helmut Chrestel ausbilden können. Welches waren anschließend Ihre musikalischen Stationen?

Es war eine einzige: ich hatte großes Glück, dass man mich im Jahr 1980 bei der Honterusgemeinde angestellt hat. Das liegt schon eine ganze Weile zurück. Ich war als Organistin bei den anstehenden Gottesdiensten in der Honterusgemeinde tätig und bei Eckart Schlandt nahm ich Orgelunterricht. Von der Tätigkeit eines Konzertorganisten habe ich Abstand genommen, da meine Grundlagen dafür sich nicht ganz entwickelt hatten.

In der Grundschule habe ich im Rosenauer Kulturhaus Violine gespielt. Da hatte ich einen sehr enthusiastischen Geigenlehrer, Friedrich Stolz. Meine Gesangskarriere verdanke ich Ernst Helmut Chrestel. Nach einem ersten Vorsingen hat er mich angehalten, in Kantaten und größeren Oratorien solistisch aufzutreten, was für mich eine große Überraschung war. Bis dahin hatte mir niemand eröffnet, dass ich eine Stimme habe, die sich für den Sologesang eignet. Man muss wahrscheinlich im Leben immer auch eine Chance haben. Ernst H.Chrestel hat mir geraten, bei Zsolt Szilagy Gesangsunterricht zu nehmen. Das war in jener Zeit sehr mühsam, da ich immer nach Sankt Georgen/Sf. Gheorghe fahren musste und durch die von Ceaușescu eingeführten Sparmaßnahmen wenig Busse im Einsatz waren. Ich habe Zsolt für sein Können bewundert und habe viel von ihm gelernt. Im Rückblick: ich bin oft bei verschiedenen größeren Oratorien aufgetreten, die man in Kronstadt oder Hermannstadt aufgeführt hat. In den bekannten Oratorien von Bach: Johannes-Passion, Matthäus-Passion, Weihnachts-Oratorium, oder „Messias“ von Händel. Das gehörte nach einigen Jahren sozusagen schon zum Repertoire, neben vielen anderen, kleineren Werken von berühmten Komponisten, Kantaten von Bach oder Heinrich Schütz – Eckart Schlandt hat das Repertoire immer wieder bereichert. Es war eine aktive Zeit, natürlich mit viel Arbeit verbunden. Weil ich keine ausgebildete Sängerin bin, habe ich im Privaten daran sehr viel gearbeitet.

Sie gründeten den Kinderchor und die Flötengruppe 1994 an der Honterusschule, die sich zum Ensemble zusammenschlossen, was Sie als „Urknall“ bezeichnen. Die Mitglieder sind Honterianer. Gefördert wird das Ensemble von der Evangelischen Honterusgemeinde A. B. Kronstadt. Aber auch das Deutsche Forum und das Deutsche Kulturzentrum unterstützen die Formation. Worin besteht diese Unterstützung?

Unterstützung ist etwas viel gesagt, abgesehen von der Honterusgemeinde, der Honterusschule und vom Forum. Mit anderen Institutionen habe ich gelegentlich im Lauf der Jahre eine schöne Zusammenarbeit gehabt. Wenn uns zum Beispiel das Deutsche Kulturzentrum oder die Transilvania-Universität zu einem Event eingeladen haben, dann haben wir gerne mitgemacht. Das war aber punktuell.

Allgemeine Anerkennung fanden Sie mit dem Ensemble bei allen öffentlichen Auftritten im In- und Ausland – in Deutschland, Österreich, der Schweiz, bei den Kirchenchortreffen in Siebenbürgen, in den Ortschaften, wo sie Konzerte gegeben haben, oder in den Gotteshäusern sangen – und es spielten sich die Mitglieder des Ensembles in die Herzen der Zuhörer. Das ist auch auf das reichhaltige Repertoire zurückzuführen, das einstudiert wurde und wird. Haben Sie bevorzugte Komponisten und Kompositionen? 

Nein. Ich sage das immer wieder: für unser Repertoire gehen wir „quer durch den Gemüsegarten“. Natürlich habe ich einige Komponisten, die ich den Kindern immer wieder gerne vorlege. Das sind Bach, Mozart, damit ich herausragende Beispiele nenne. Aber nicht nur. Ich bin immer auf der Suche. Die Kinder sollen einen Einblick in Werke berühmter Musiker bekommen, wie zum Beispiel in das Schaffen eines Genies wie Bach, das die Jahrhunderte überdauert.
Aber es beginnt nicht nur bei Bach, sondern schon früher. In der Musik der Renaissancezeit habe ich zum Beispiel so tolle Sachen gefunden, die man ein wenig umschreiben und bearbeiten kann, damit die Kinder das musizieren können.

Das ist eines von vielen Dingen, an die ich denke, wenn ich am Computer sitze und in meinem Notenprogramm z. B. „einen Bach bearbeite“. Dann denke ich an Johann Sebastian und sage ihm, er soll mir verzeihen, dass ich dieses oder jenes ein bisschen vereinfache. Diejenigen, die das Werk sehr gut kennen, bemerken das vielleicht, aber ich mache es, damit die Kinder, die keine Profimusiker sind, das betreffende Stück interpretieren können. Und wenn ich ihnen ein solches Stück vorlege, muss ich in der nächsten Probe etwas Lockeres proben. Ich habe gemerkt, das funktioniert vortrefflich. So kann man mit den Kindern gut arbeiten.

Die besonderen Stimmen der Chormitglieder werden von Orff-Instrumenten, Gitarren, Xylophonen, Perkussionsinstrumenten, Klavier oder afrikanischen Handtrommeln begleitet. Hinzu kommt das erforderliche Notenmaterial, das gesichert werden muss. Wie bewältigen Sie all dieses, die Auslese der Stimmen, die Vorbereitung der Instrumentalisten?

Es ist in der Tat sehr viel Arbeit. Ich möchte zunächst auf die Vorbereitung des Notenmaterials eingehen, in die ich die meiste Zeit investiere. Die Vorbereitung verläuft so: Anfangs Bücher durchforsten und suchen, und nicht nur Bücher. Man sucht in Notenhandlungen in Deutschland, da es in Rumänien nur wenige Läden mit solchem Angebot gibt. Dazu habe ich in diesen Jahren ein großes Archiv angeschafft, finde aber immer wieder etwas Interessantes, was gerade an das Potenzial der Kinder anpassbar ist, die ich in dem jeweiligen Moment habe. Und wenn ich ein Stück gefunden habe, das mir gefällt, setze ich mich an den Computer und beginne, jede einzelne Note einzutippen. Das ganze Stück spielen die Großen, die fortgeschrittene Gruppe. Aber ich bringe immer auch kleinere Kinder ein, die das entsprechende Niveau noch nicht haben. In einem Takt spielen die großen Leute acht Noten, und ein kleiner Mensch spielt nur eine Note. Bei der Interpretation des Stückes merkt man das nicht. Aber der kleine Mensch hat die riesige Motivation, dass er mitgemacht hat. Das ist, ganz primitiv ausgedrückt, das Prinzip, nach dem ich arbeite. Deshalb arbeite ich an einem Stück, wenn ich es im Computer habe, viel länger, damit ich diese Selektion durchführe, für die kleinen und mittleren Kinder.

Wie wir das anschließend in die Tat umsetzen: wir haben verschiedene kleine Grüppchen. Innerhalb einer Woche arbeite ich mit zwei bis drei Blockflötengruppen, dann habe ich Proben mit den Stabspielen, das sind die Xylophone, Glockenspiele und Metallophone.

In den Chorproben mit der jüngeren Generation steht Stimmbildung und Gehörtraining im Vordergrund. Hinzu kommt eine erfreuliche Tatsache, basierend auf einer Feststellung, die ich schon vor vielen Jahren machen konnte: die Blockflöte ist hervorragend geeignet, eine Gehörschulung bei Kindern positiv zu beeinflussen.

Canzonetta läuft wie eine Institution, die bestens funktionieren muss. Für Konzerte werden Singfreizeiten organisiert, in denen neben Musik-Kenntnissen vor allem Teamgeist und Zusammengehörigkeitsgefühl gelernt werden.

Allein können Sie sicher nicht alles schaffen. Wer springt da helfend ein?

Inge und...Inge Acker. Das mache ich zum Großteil allein. Ich habe allerdings immer wieder wertvolle Hilfe von Petra, sobald sie etwas Freizeit erübrigen kann. Wenn es dann um eine große Reise geht, wie heuer im September nach Berlin, hatte ich Riesenglück mit der Hilfe von Thomas Șindilariu, der sich organisatorisch unwahrscheinlich eingebracht hat. Erfreulicherweise ist auch Hilfe von einigen begeisterungsfähigen Angestellten der Honterusgemeinde gekommen.
Im Jahr 2011 hat ein Chordirigent aus Deutschland, der sich viel mit Kinder- und Jugendarbeit befasst hat, festgestellt, dass es bei den diversen Aktivitäten rund um Canzonetta wie in einer Musikschule abläuft. Auch Dr. Adrian Lăcătuș, Dekan der Philologiefakultät in Kronstadt, dessen Sohn bei Canzonetta mitmacht, hat einen schönen Text mit dem Titel „Die Schule Canzonetta“ verfasst. Es ist das Vorwort zur 3. Canzonetta-Broschüre, die wir in diesem Jahr herausgebracht haben. 

Nach 25 Jahren des Bestehens – wie sehen Sie die Zukunft dieser einzigartigen Musikformation und welche Pläne haben Sie?

Ich habe keine konkreten Zukunftsvorstellungen. Ich habe bloß den großen Wunsch, dass man uns von außen her erlaubt, diese Aktivität weiterzuführen. Und dass wir die Möglichkeit haben, das ungehemmt zu tun. Wenn dieser „Wunsch“ in Erfüllung geht, dann fange ich an, Zukunftspläne zu schmieden.

Frau Acker, vielen Dank für Ihre offenen Ausführungen und viel Erfolg und Ausdauer für die nächsten Jahre!