„Einer dieser vielen, herzerwärmenden Heimatmomente“

31. Sachsentreffen in Großau – endlich wieder zusammen

Trachtenzug von der Kirchenburg über die Brücke zum Rathaus
Fotos: George Dumitriu

Strahlend hinter Blumenstrauß und Honterus-Medaille: Rosemarie „Rosi“ Müller, Kuratorin aus Alzen

Auch die Kirche ist wieder offline: Bischofsvikar Daniel Zikeli, Bischof Reinhart Guib, Bezirksdechant Dietrich Galter (v.l.n.r.)

Erstmals steht eine Persönlichkeit Pate als Motto des Sachsentreffens: Samuel von Brukenthal.Und obwohl sich der Gubernator Siebenbürgens, ein herausragendesVerwaltungsgenie, dessen  Geburtstag sich heuer zum 300. Male jährt, gefreut hätte über die digitalen Kompetenzen, die die Siebenbürger Sachsen erworben haben, um die Gemeinsamkeit während der Corona-Zeit nicht abhanden kommen zu lassen, geht doch nichts über die „vielen, herzerwärmenden Heimatmomente“, die Umarmungen nach der langen berührungsfreien Zeit, die ausgelassenen Tänze der Jugend in der Pfarrscheune oder im Hof der Großauer Kirchenburg, mal in Jeans, mal in Tracht, endlich wieder Arm in Arm. Die Freude des Wiedersehens, nachdem das jährliche Sachsentreffen letztes Jahr online stattfand - niemand bezeichnete es als ausgefallen – schwebte spürbar über den Mauern der Kirchenburg.

„300 Jahre Brukenthal wollten wir ursprünglich in einem großen Rahmen im Sommer begehen“, bedauert Rainer Lehni, Vorstand des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland,  das verschobene große Sachsentreffen, das für Hermannstadt geplant war, hätte da nicht „ein kleines Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht“. Und doch ist das festliche Wiedersehen im kleinen Großau/Cristian besonders: Gastgeber sind nicht nur die Siebenbürger Sachsen, sondern auch die aus Oberösterreich, dem „Landl“, nach Siebenbürgen ausgewanderten reformierten Landler. Bei der Organisation half den Ortsansässigen eine sehr aktive HOG, die jedes Jahr 20 bis 30 Helfer zur Pflege von Kirchenburg und Friedhof entsendet, wie der Großauer Kurator Mathias Krauss betont. 

Bei der Eröffnung des 31. Sachsentreffens donnernder Salut auch aus dem Himmel: zweimal schlug der Blitz in den Kirchturm ein – der Blitzableiter hielt. So manche Hand ergriff erschreckt eine andere - endlich wieder. Ergreifend.

Lebensfäden großer Vorbilder

Freitagabend, 17. September, Eröffnung durch den Leiter des Siebenbürgenforums, Martin Bottesch. Im Hintergrund die Paneele der Ausstellung „Samuel von Brukenthal – ein früher Europäer“. In der ersten Reihe: Forumsvorsitzender Dr. Paul Jürgen Porr, Ursula Jahn, die neue deutsche Konsulin in Hermannstadt/Sibiu, aus deren Rede das Titelzitat stammt; der Historiker Dr. Harald Roth, der die Wanderausstellung konzipiert hat, Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen (DRI), der das Buch „Schwarzer Tod und Pest im frühneuzeitlichen Hermannstadt“ präsentiert, Maria Luise Höppner-Roth, erzählende Zeitzeugin in der anschließenden Filmpremiere „Hans Otto Roth – ein herausragender Politiker“ von Eduard Schneider, die Tochter desselben, Astrophysikerin. Die Lebensfäden bedeutender Siebenbürger verflechten sich an diesem Abend: Samuel von Brukenthal, der aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen emporstrebende „Visionär, Macher und Quellensammler“, wie ihn Harald Roth bezeichnet, als standhafter Protestant hatte er sich unter der erzkatholischen Kaiserin Maria Theresia als begnadeter Verwalter und Siebenbürgenkenner unentbehrlich machen können. Hans Otto Roth, ein herausragender sächsischer Politiker der Zwischenkriegszeit, der sich jung im Zusammenhang mit der Großen Vereinigung 1918 profilierte und 1933 Hitler nach einer persönlichen Begegnung als „allerpeinlichst“ bezeichnet, ein „Emporkömmling“, in dem sich „Dämonen vereinigen“. Roth, auch ein politischer Verteidiger der evangelischen Kirche, war kein Nazi, wurde kein Antonescu-Anhänger, kein Kommunist. „Der Film ist unser Corona-Projekt“, erklärt Wolfgang Köber, der die Idee dazu hatte. Spannend könnte es noch werden, wenn das im Garten des ehemaligen Ferienhauses in Michelsberg vergrabene Gästebuch des Politikers gefunden werden könnte, an das sich seine Tochter erinnert. Dort soll ein Kontakt zwischen diesem und einem Gegner der Nazi-Bewegung festgehalten sein...

Parallelen zur heutigen Pandemie zieht Șindilariu mit seinem Pestbuch, „die historisch vergleichende Antwort auf Covid“. Eine erstaunliche Erkenntnis: Die Seuche hatte für die Verbreitung der deutschen Muttersprache eine ähnlich wichtige Rolle wie die Reformation! Denn die Erlasse zur Pestbekämpfung mussten allen Bürgern verständlich vermittelt werden. Vieles weckt lebhafte Erinnerungen: Distanzregeln, Ausgangssperre. Bereits damals durfte nur einer im Haushalt auf die Straße, um die nötigsten Besorgungsgänge zu tätigen, „auch hier in Großau“.

Hautnah und digital

Samstag, 18. September. Impfzertifikate oder Coronatest am Eingang zur Kirchenburg, dazu ein eisiger Wind. Doch die Augen über den Maskenrändern lächeln alle warm. Menschentrauben streben zur Kirche. Die originalen Klänge der dortigen Johannes-Hahn-Orgel (1775) hören wir vorerst zum letzten Mal, sie wird bald zur Restaurierung ausgebaut. „Es geht weiter - das ist eine Botschaft“,  sagt Bezirksdechant Dietrich Galter. Im Gestühl warten Bischof Guib und Bischofsvikar Daniel Zikeli auf ihren Einsatz. Schwarze Mäntel, blaue und rote Maske. Zikeli erinnert an schwere historische Momente, auch an die Pest in Siebenbürgen, und an die Erkenntnis, dass Geduld die notwendige Vorraussetzung ist, um Gottes Wirken zu erfassen.

Immerhin hat sich das Verlangen, sich näherzukommen, um sich gegenseitig zu stärken, nach eineinhalb Jahren Gesundheitskrise wieder erfüllt, tröstet Bischof Guib. Und erklärt damit das Motto des Sachsentreffens, „300 Jahre Samuel von Brukenthal“, wo erstmals eine Person im Mittelpunkt steht. Nicht nur als Vorbild, sondern auch als Botschaft: Auf die einzelne Person kommt es an – auf jeden, auf mich, auf dich! Die Pandemie forderte auch die Kirche heraus, neue Wege zu gehen. Das Motto für 2020, „Grenzen überwinden“, hatte sich als Omen erwiesen.

An eine endlich wieder volle Kirche hatten Kurator Krauss und HOG-Leiterin Dagmar Baatz nicht nur aus Corona-Gründen kaum noch geglaubt. Und doch wird die Online-Komponente auch künftig alle Events der Siebenbürger Sachsen begleiten, wie die aufwendige Technik im Hintergrund beweist. Das Team um Robert Sonnleitner zur Digitalisierung sächsischer Einrichtungen hat gerade eine Siebenbürgen-Dokumentationsreise hinter sich und bietet nun für alle, die am Sachsentreffen nicht teilnehmen konnten, Live-streams auf mehreren Kanälen (YouTube: Siebenbuerger.de): die Party mit „Trio Saxones“, Blasmusik und Trachtenumzug, das Theaterstück auf Sächsisch „Dot Gezich uch der Aparat“ von Hilde Jochum unter der Regie von Maria Schenker.

Füreinander da sein...

Trachtenspalier vor dem Kirchentor, leuchtende Gesichter. Die Burzenländer und Bistritzer Bläser wetteifern mit dem Wind. Trachtenzug aus der Kirche, über die Brücke, zum Rathaus und zurück. Die Jugend: den Blick zum Himmel erhoben, obwohl heftige Böen Haare zausen und Röcke bauschen. Die Junggebliebenen: am Rande in Grüppchen, die Krägen hochgezogen, im Plausch. Über den Kirchhof wabert der tröstliche Duft von Grillfleisch und Mici. Die Tanzgruppen aus Hermannstadt, Mühlbach, Kronstadt, Deva, Schäßburg, Bistritz und Sächsisch Regen entlocken der Sonne endlich ein warmes Lächeln! 

Die Festveranstaltung in der Kirche wird erstmals simultan auf Rumänisch übersetzt. Grußworte, Festvorträge, Ehrengäste: Dr. Klaus Fabritius als stellvertretender Leiter des DFDR, der parlamentarische Abgeordnete Ovidiu Ganț, Andreas Huber, österreichischer Honorarkonsul und Sprachrohr der Landler, Konsulent Manfred Schuller, Obmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen, Ilse Welther, Vorsitzende des HOG-Verbands, Christian Plate, Geschäftsträger ad interim der deutschen Botschaft, Astrid Fodor, Bürgermeisterin Hermannstadts, Kreispräfekt Mircea Dorin Crețu...

Im Festvortrag ergänzt Șindilariu, was die Ausstellung über Brukenthal nicht verrät: Leistung, nicht Adelstitel war der Schlüssel zum Erfolg! Darum geht es auch bei der Verleihung der Honterusmedaille an Rosemarie Müller, Kuratorin in Alzen/Al]âna, die Laudatio hielt Landeskirchenkurator Friedrich Philippi. „Heimat ist da, wo es meiner Seele gut geht“, fasst diese den Grund für ihr Verbleiben in Alzen und ihren Einsatz für Brauchtum, Gemeinschaft und Kirche schlicht zusammen. In einer Zeit, in der 16 Pfarrer wechselten, hielt sie, wenn Not am Mann war, Gottesdienste ab, schrieb für Auswanderer Ahnenpässe aus dem Kirchenarchiv, fuhr Gemeindemitglieder zum Arzt - und will jetzt auch noch das Akkordeonspielen erlernen! Das Wirken der lebhaften Deutschlehrerin im geistlichen, diakonischen und gemeinschaftlichen Bereich über viele Jahre ist beispiellos - und beispielgebend. Es muss gar nicht immer Brukenthal sein...