Entheimatung durch Zwangsumsiedlung

1951: Aus dem kleinen Banater Keglewitschhausen werden 120 Personen deportiert

Ohne Prozess und Urteil – Internierungsprotokoll 661/1952 der Miliz – wurde Elisabeth R. aus dem neuen Bărăgan-Dorf Feteștii Noi für 24 Monate (Juli 1952 bis Juli 1954) in verschiedene Gefängnisse gesteckt. Das Vergehen: Sie war auf einem Markt wenige Kilometer außerhalb der D.O.-Sperrzone beim Versuch, ein Zuchtferkel zu kaufen, von der Miliz erwischt worden (siehe Ausschnitt aus der Gefängnisakte). In den fast zwei Jahren Zuchthaus musste die 33-jährige Ehefrau den bitteren Weg durch die berüchtigsten Frauengefängnisse erleiden (Popești-Leordeni, Rahova 3, Pipera, Dumbraveni; Einträge auf der Rückseite der Personalakte), was zu einer schweren Erkrankung und der Einlieferung in das Gefängniskrankenhaus Văcărești führte. Das war wohl mit der Grund für die etwas frühere Entlassung im Februar 1954, weil diese noch vor der Amnestie im Mai desselben Jahres erfolgt war.

Kopie einer Personalakte (hier Vorderseite) der umgesiedelten Keglewitscher Familie Marschang. Aufschlussreiche handschriftlich eingefügte Angaben finden sich auf vielen Karteikarten zum enteigneten Vermögen der Landwirte oder zu besonderen Ereignissen im Leben der Betroffenen, wie Flucht vor der Roten Armee, Rückkehr nach Kriegsende, Arbeitsstelle im Bărăgan, Militärdienst.

Als die Deportation in die dünn besiedelte Bărăgan-Steppe geplant und als vorgegebener Parteiauftrag vom höchsten Parteiplenum 1949 dann im Frühsommer 1951 durchgeführt wurde, zählte der relativ kleine Banater Grenzort Keglewitsch, auch Keglewitschhausen, rumänisch Cheglevici(u), knapp über 1000 Einwohnerinnen und Einwohner. Davon waren annähernd 610 Deutsche (bei insgesamt 660 römisch-katholischen und 150 griechisch-katholischen Gläubigen sowie 260 Orthodoxen). Die Verluste der Ortsbevölkerung durch den Zweiten Weltkrieg und die Deportation in die Sowjetunion im Januar 1945 hatten sich statistisch ausgeglichen durch den Zuzug bzw. die staatliche Zuweisung von „refugia]i“ (Flüchtlingen), die sich 1944 vor der Roten Armee ins Innere Rumäniens abgesetzt hatten und nicht zurück wollten nach Bessarabien oder in die nördliche Bukowina, in die Nachkriegs-Sowjetunion. Die Aktion zur Bekämpfung aller potentiellen Klassenfeinde in der Grenzregion zum damaligen Jugoslawien und, im Falle Keglewitsch, auch zu Ungarn, betraf in dieser Gemeinde im Wesentlichen vier Personengruppen: wohlhabende Land- und Gastwirte („chiaburi“, Ausbeuter), aus Bessarabien geflüchtete rumänische Familien, sowie frühere Angehörige deutscher Wehrmachtsverbände und sogenannte Ausländer bzw. Personen mit Verwandten im Ausland. Bei Letzteren handelte es sich hier um eingeheiratete Ehepartner aus nahen Orten der Nachbarländer (unmittelbar grenzte das Dorf an Ungarn), wie im Falle der Familie Balthasar. Sie waren aber rumänische Staatsbürger. So kam es, dass aus dem Dorf verhältnismäßig viele ungarische Familien zwangsumgesiedelt wurden. Alteingesessene rumänische Familien der Gemeinde waren nicht betroffen, die 14 rumänischen B²r²gan-Familien stammten aus Bessarabien, dem heutigen Moldawien. Die wenigen ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, die meist illegal ins Land zurück gekehrt waren, wurden alle unter „SS“ geführt in den Begleitpapieren, die für die Deportation angelegt und vor Kurzem von den Archivbeständen des CNSAS  ins Internet gestellt wurden. Den Hauptanteil der Entheimateten machte hier laut Personal-Strafakten – es war eine politische Strafaktion als wichtiger Teil des Klassenkampfes – wie allerorts die „C“-Gruppe aus, die Ausbeuter (Abkürzung für „chiabur“, Lehnwort aus dem Türkischen für wohlhabende Leute). In den erhaltenen vorgedruckten Personalakten ist für sie im oberen Abschnitt in der Rubrik „Categoria“ das große C eingetragen. So wurden die besten und fleißigsten Bauern über Nacht zu Feinden, Ausbeutern oder gar zu Verbrechern und staatsgefährlichen Personen abgestempelt. Besonders schwer getroffen wurden im Banat dadurch die schon infolge der Kriegsereignisse geschwächten schwäbischen, aber auch die wenigen katholischen bulgarischen und kroatischen Gemeinschaften. Als gesetzliche Grundlage für das Zwangsdomizil (D. O. im Personalausweis) wird „Decizie 200“ des damaligen Innenministeriums (M. A. I.) in den Karteien angeführt bzw. unter H. C. M. 200/1951 (Ministerratsbeschluss). Das machte den Unterschied aus zu späteren Verurteilten mit Zwangsaufenthalt im Bărăgan, bei denen es sich um eine zusätzliche Strafe nach der Entlassung aus dem Gefängnis handelte – beispielsweise die bekannte Gruppe siebenbürgisch-sächsischer  Schriftsteller.

Es ist dem inzwischen verstorbenen Diplomingenieur Silviu Sarafolean, der mit seiner Familie aus Großkomlosch (Comlo{u Mare) deportiert worden war, zu verdanken, dass wir heute ein monumentales Werk vorliegen haben, in dem die 9926 deportierten Familien (aus rund 300 Ortschaften) mit fast allen ihren Angehörigen (30.181 Namen) verzeichnet sind. Bisher ist in den wenigen deutschen Veröffentlichungen zum Thema in Verbindung mit Keglewitsch beispielsweise nur zu lesen, dass „viele“ Leute aus dem Ort fünf Jahre als Zwangsarbeiter im Bărăgan unter extrem schwierigen Bedingungen leben mussten. Der staatliche, nicht gerechtfertigte Zwang unterschiedlicher Art als Strafmittel – Zwangsumsiedlung, Zwangsaufenthalt in begrenztem Raum, Zwangsarbeit, Zwangsausweisung, Zwangsinternierung – steht symbolhaft für die stalinistische Repression dieser Jahre.

Als eine der Hauptursachen wurde bisher stets der innerkommunistische Konflikt mit dem abtrünnigen Staats- und Parteiführer Tito angeführt. Aber der war nur das auslösende zeitliche Moment: Die Massenaktion „Bărăgan-Deportation“ ist in eine Reihe einzuordnen mit den sowjetischen Vernichtungs- und Strafmaßnahmen gegen die „Kulaken“ (Synonym für „chiabur“) und „Unterkulaken“ (Podkulaschniki) sowie mit den Klassenkampf-Deportationen in Ungarn (der Befehl kam in der gleichen Nacht wie in Rumänien) und mit den gewaltsamen staatspolitischen Säuberungsaktionen in den Grenzgebieten der damaligen DDR zu Westdeutschland, die vielsagende Stasi-Tarnnamen wie  „Ungeziefer“ oder „Kornblume“ trugen. 

Die Gründung und Entwicklung des Dorfes Keglewitschhausen nun stellen im historischen Banater Raum eine Besonderheit dar. Es handelte sich nicht nur um eine späte Tochtersiedlung – davon gab es mehrere, bekannter die sogenannten staatlichen Kontraktualgemeinden –, sondern um eine Binnensiedlung aus dem Jahr 1843/1844 auf Privatgrund und aus Initiative eines Adeligen entstanden, dessen Name der Ort heute noch in leicht abgewandelter Form trägt. Dr. med. Erich Lammert (1912-1997) vermerkte in seinen Ortskarteien aus Banater Zeit dazu u. a.: Kameraladministrator Gabriel „Graf Keglevich besiedelte die Pusta Cervena media 1844 mit Deutschen aus Marienfeld, Deutschland, Groß-Sanktnikolaus, Alt-Beba, Triebswetter, Albrechtsflor, einige kamen aus der Batschka.“

Durch diese jungen Gründerfamilien bewahrten sich viele Verbindungen zu den Herkunftsorten. Beispielsweise kam der erste und langjährige Grundschullehrer Johannes Kreuter aus Marienfeld, der allein die 109 Schüler (von 129 schulfähigen Kindern) im Schuljahr 1853/54 unterrichtete. Eine weitere Besonderheit lag darin, dass einige Siedlerfamilien bald nach der Ortsgründung und den 1848er-Ereignissen frei Feld ankaufen konnten. Dadurch und dank guter Bewirtschaftung schafften es mehrere Grundwirte zu beachtlichem Feldbesitz, so dass in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Dutzend in den rumänischen Steuerunterlagen als „Gutsbesitzer“ geführt wurden. Bei 330 Häusern gehörten im Jahr 1930 laut Ioan Lotreanu über 2000 Joch Feld zur Dorfgemarkung. Die Namen der Großbauern finden sich teils dann trotz Totalenteignung im März 1945 auf den Deportationslisten von 1951 wieder, wie beispielsweise die Baier (Bayer), Lenhardt oder Marschang. Die Gemeinde hatte sich relativ rasch zu den wohlhabenderen auf der Banater Heide entwickelt, mit einem neuen Schulgebäude aus dem Jahr 1850, einer Filiale der Banater Schwäbischen Zentralbank, der 1906 erbauten katholischen Kirche, einem Kindergarten, Leseverein und Sportklub, einer Jagdgesellschaft, Freiwilligen Feuerwehr, mit zwei Musikkapellen, u. a.

Es soll hier nicht auf allgemein gültige und bekannte Ereignisse zur Durchführung und zum Alltagsleben nach den Deportationen eingegangen werden, für Keglewitsch gibt es beispielsweise den erschütternden illustrierten Bericht der Familie Emma (geborene Barbeck) und Ing. Ioan Strâmbei, deren erste Tochter (Lore) 1953 in einer Erdhütte geboren wurde (in: „Neue Banater Zeitung“ vom 17./18. März 1990). Anhand von Erläuterungen zu staatlichen Unterlagen sei hier aber auf zwei besondere Einzelschicksale aus dem Dorf verwiesen, wie die Internierung der umgesiedelten Elisabeth R., geborene Eberhardt aus Alt-Beba, die nach Keglewitsch geheiratet hatte. Die mit umgesiedelte alte Großmutter aus der Kleinterminer Familie Lenhardt ist im B²r²gan verstorben, sie wurde in den 1960er Jahren exhumiert und im Familiengrab beigesetzt. Elisabeth hatte in Hermannstadt vier Jahre lang die Klosterschule besucht. 

Auf dem D.O.-Familiendokument Marschang (siehe Kopie) ist festgehalten, dass Anton M., Sohn von Karoline und Georg, 1915 geboren war. Er besaß vor der Enteignung 31 bis 32 ha Feld, einen Traktor, eine Sähmaschine sowie weiteres landwirtschaftliches Gerät, 30 Schweine, vier Kühe, vier Pferde und hatte ständig zwei Mägde (Ausbeuter). Politisch war Marschang in der Volksgruppe als stellvertretender Ortsgruppenleiter geführt. Im Oktober 1944 flüchtete der Landwirt mit den abziehenden deutschen Truppen bis nach Österreich, kehrte aber am 18. Juni 1945 mit einem Teil der Familie nach Keglewitsch zurück. Seine Mutter und Schwester wanderten nach Amerika aus.