Entlang der Donau

Ein Engländer hält uns den Spiegel vor

Nick Thorpe: „Die Donau. Eine Reise gegen den Strom“ (2013) Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2017. ISBN 978-3-552-05861-3. 382 Seiten.

Das Buch ist eine Enzyklopädie des großen Stroms, beginnend mit der ersten Erwähnung durch Herodot bis zu den Auswirkungen der Katastrophe von Fukushima: radioaktives Jod, das man Ende März 2011 in der Milch von Schafen fand, die nahe der Donau in Rumänien grasten. Nur sind die Einzelheiten nicht alphabetisch geordnet, sondern wie Tagebuchaufzeichnungen im Rhythmus der Reise von der Mündung bis zur Quelle, 2850 Kilometer weit. Ob Siebenbürgen vorkommt? Nicht wirklich. Ada Kaleh kommt vor, wir hören vom ehemaligen Imam der Moschee, den das kommunistische Regime als angeblichen Spion zu dreizehn Jahren Haft verurteilte, weil er ein rumänisch-englisches Wörterbuch besaß. Hermannstadt wird erwähnt, eine Frau aus dem ukrainischen Dorf Caraorman erzählt, dass ihr Urgroßvater mütterlicherseits rumänischer Schafhirte war und mit seiner Herde aus den Karpaten in die Dobrudscha wanderte. Orschowa kommt vor, weil Ada-Kaleh zu Orschowa gehörte. Der Verfasser macht in Neu-Orschowa Station, wo er sich von Alt-Orschowa erzählen lässt. Allerdings interessiert ihn Belgrad mehr.

Nick Thorpe, so heißt der Verfasser, wurde 1960 in Upnor (England) geboren, studierte u. a. in Freiburg und lebt seit 1986 in Budapest, wo er als Berichterstatter und Filmemacher tätig ist. Als Rückgrat seines Buchs dient eine Reise, die – mit Unterbrechungen – vom März 2011 bis März 2012 dauerte, doch sind auch Erlebnisse von früheren und späteren Ausflügen in die Darstellung eingeflossen.

Wie man sich denken kann, sind die Begegnungen unterwegs teils das Ergebnis ambitiöser Planung, teils zufallsbedingt. Thorpe besucht das Donaudelta-Forschungszentrum von Tulcea, das Leprosarium von Tichileşti, das Weingut von Niculiţel bei Galaţi, die Zollbehörde am Grenzübergang zur Republik Moldau bei Giurgiuleşti, das Atomkraftwerk von Cernavodă. So geht das weiter bis zur Quelle bei Donaueschingen. Er spricht mit Fischern, Bauern, Schafhirten und Gastwirten, mit Polizisten, Schiffskapitänen und Geistlichen, mit Imkern, Kupferschmieden, Museumsdirektoren und Touristen, mit Archäologen, Köchinnen, Müllern, Forstarbeitern, Hydrologen und Ökologen. Unter seinen Gesprächspartnern sind Rumänen, Ukrainer, Türken, Roma, Griechen, Russen, Tataren, Bulgaren, Serben, Kroaten, Ungarn, Slowaken, Österreicher und Deutsche. In der Nähe von Grein in Österreich begegnet er Tschetschenen, die aus Grosny geflüchtet waren. Den Leser überwältigt eine Flut von geschichtlichen Einzelheiten, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Erinnerungen, Anekdoten und Kochrezepten. Gegessen wird hauptsächlich Fisch, es gibt hundert Arten.

Die Auswirkungen des jugoslawischen Bruderkriegs sind in den Seiten des Buches noch gegenwärtig. In Vukovar hört Thorpe von Jovan Njegic: „Vor dem Krieg wussten wir hier nicht, wer ein Serbe war und wer ein Kroate. Fünfzig Prozent der Ehen waren gemischt.“

Ein besonderes Anliegen des Autors ist der Naturschutz zum Wohle der Menschen. Immer wieder wird veranschaulicht, welch unfassbare Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt unüberlegte Eingriffe in den Naturhaushalt – Stauseen, Begradigungen, Abriegeln von alten Flussarmen – gezeitigt haben. Es wird auch beschrieben, wie man sich in Österreich und in Deutschland bemüht, die Schäden auszubügeln.

Der Stil ist ein bekömmliches Gemisch von impressionistischer Belletristik und sachlichem Journalismus.

Warum nur hat der Verlag keine Landkarten beigefügt? Noch mehr Frust erzeugt das mangelhafte Inhaltsverzeichnis. Die Kapitelüberschriften sind nämlich lyrisch, und es fehlen Untertitel mit Hinweisen auf die Stationen der Reise, auf die vom Autor aufgesuchten Betriebe, Forschungseinrichtungen und Museen. Deshalb kannst du eine interessante Stelle nur durch viel Blättern wiederfinden. Leider sind rumänische wie auch ungarische Personennamen und Ortsnamen manchmal falsch geschrieben und, im Falle der Wiederholung, nicht immer identisch. (Zu den serbischen, zu den kroatischen kann ich mich nicht äußern.) Wer sich in das Buch vertieft, wird sich delektieren und ärgern wie ich.