Es dürstet Leute nach neuer Musik

Andy Dragomir: Bassspieler, Germanistikstudent und angehender Tontechniker

Andy Dragomir | Foto: Music Hub Sibiu

Foto: Laura Trăilă

Es ist 16.00 Uhr nachmittags in Hermannstadt/Sibiu, Ende April. In dem ältesten Rockclub der Stadt, Rock´N´Bike Club, bekannt unter dem Kürzel R´N´B, soll am Abend die Klausenburger Band Truda auftreten. Als Eröffnungsband wurden die jungen Newcomer von Transilvanian Frost angesagt. Die beiden Bands sind gerade dabei, ihre Instrumente in den dunklen Keller, in dem zu keiner Uhrzeit das Tageslicht eindringt, zu schaffen. In ihrer Mitte schleppt ein drahtiger junger Mann mit langem Haar und Schnauzbart, der leicht an das Hollywood-Bild von Dumas Musketiere erinnert, Kisten mit Kabeln, Mikrofonen und weiterem Zubehör zur kleinen Bühne. Es ist Andy Dragomir, der seit mehreren Monaten für den Ton bei den Konzerten im R´N´B zuständig ist.

Andy ist kein Kosename, wie seine Mutter erzählt. Als Andy auf die Welt kam, hatten seine Eltern nur einen Mädchennamen parat, Andrei wäre eine mögliche Alternative für einen Jungen gewesen, doch kam der Name in der Zeit im Kreise der erweiterten Familie und der Freunde in verschiedenen Formen und Varianten zum Einsatz. Als dann die frischgebackene Mutter nach dem Namen des neugeborenen Jungen gefragt wurde, sagte sie „Andy“ und betonte „mit Ypsilon“. Den Mädchennamen sollte dann Jahre später Andys Schwester Antonia erhalten.

Nicht unüblich in Hermannstadt beschloss die Familie, dass Andys schulischer Werdegang in deutscher Sprache stattfinden soll, auch wenn zu Hause Deutsch nicht die Umgangssprache war. So kam Andy als Teenager an das „Samuel von Brukenthal“ Nationalkollegium. Das Lyzeum besuchte er im philologischen Zweig, für den naturwissenschaftlichen hatten die Noten nicht gereicht. Doch sollte dies Andys späteren Werdegang entscheidend mitprägen, was er heute rückblickend, laut eigenen Aussagen niemals bereute. „Außerdem hatte ich nie wirklich eine Leidenschaft für Mathematik, Biologie oder Chemie“ erläutert Andy.

Wie Andy zum Rock kam

In die Zeit, in der man sich als Achtklässer in Rumänien mit Mathematik, Rumänisch und Deutsch für die Eignungsprüfung zu plagen hat, fallen auch Andys musikalische Anfänge. Sein Familienumfeld war nicht unbedingt musikalisch geprägt, auch wenn der Vater immer wieder versuchte, ihm Jazz nahezubringen. „Mir fehlte damals wahrscheinlich das notwendige Grundwissen, um diese Musikrichtung zu verstehen“ analysiert Andy heute diese Zeit seines Lebens. Hört man aber in die Basspartien der Lieder von Wildchild, einer der beiden Bands, in denen Andy E-Bass spielt, scheint der väterliche Musikeinfluss schon seine Spuren hinterlassen zu haben.

Um den langen Stunden zu entkommen, in denen er die Fächer für die Prüfung zu „büffeln“ hatte, griff Andy in der achten Klasse zur Gitarre. Er hatte zwar schon in früheren Jahren Gitarrenunterricht erhalten, aber zur wirklichen Leidenschaft war es nicht gekommen. „Und wenn man ein Instrument wie die Gitarre spielt, kann man sich dem Rock nicht entziehen. So nahmen Rock und Metal immer mehr ihren Platz in meinem Leben ein. Je mehr ich mich mit der Gitarre und komplexeren Spieltechniken vertraut machte, desto mehr entdeckte ich neue Rockgattungen und neue Bands“.

Zwischen Semantik und Tontechnik

Inzwischen ist im R´N´B alles aufgebaut und es geht an den Soundcheck. Obwohl der Keller nicht wirklich groß ist, an den Tischen haben ungefähr 40 Leute Platz, kommen trotzdem bei so manchem Konzert bis zu 100 Leute zusammen. Mit einem Tablet in der Hand, mit dem er alle Einstellungen an dem Mischpult aus der Ferne kontrollieren kann, überprüft Andy den Klang der Instrumente und der Stimmen in allen möglichen Ecken des Clubs. Auch wenn er heute nicht selber auf der Bühne steht, fühlt er sich für den Erfolg des Abends verantwortlich. Er kennt es auch aus eigener Erfahrung, wie es ist, im Publikum zu sein und zu spüren, dass die Band mehr gibt und kann, als eine schlechte Sound-Einstellung es vermittelt. Aber auch die Perspektive des Musikers auf der Bühne ist ihm vertraut und so schafft er die Gratwanderung zwischen den Erwartungen der Band, den Ansprüchen des Publikums und der vorhandenen technischen Ausstattung. Zugleich denkt er in letzter Zeit manchmal an eine Zukunft als Toningenieur und so kann er es vor sich selber nicht verantworten, wenn er fühlen würde, dass er nur halbe Arbeit geleistet hätte.

Andy Dragomir studiert Germanistik und Anglistik an der Hermannstädter „Lucian Blaga“ Universität, Leistungsfach Deutsch. Nach dem Bakkalaureat war er sich nicht wirklich sicher, in welche Richtung sein Leben gehen sollte. Er spielte mit dem Gedanken, Design oder Architektur zu studieren, da er gerne zeichnete, Fotos überarbeitete und Plakate entwarf. Doch dann machte ihm die Covid-19-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. So kam es zur Entscheidung, doch in Hermannstadt zu studieren und sich der Philologie zu widmen. Nun steht Andy vor dem Abschluss seines Bachelor-Studiums. Seine Facharbeit wird nicht im Bereich der Literatur sein, wie man das von einem eher künstlerisch geprägten Gemüt erwarten würde, sondern im Bereich der Semantik. Obwohl auch hier in der Deutung sprachlicher Symbolik, wiederum das künstlerische Verständnis sicher zum Zuge kommen kann.

Wie bis jetzt an so manchem Scheideweg in seinem Leben, ist es noch nicht klar, in welche Richtung sein angedachtes Masterstudium führen wird. Sogar den Gedanken, einmal selber am Katheder zu stehen, schiebt er nicht ganz von sich, doch fügt lächelnd hinzu: „Kann ich aber nicht mit Sicherheit behaupten. Ich bin nicht wirklich die Person, die sich langfristige Gedanken macht.“

Apokalypse des wilden Kindes

Es ist 21.00 Uhr im R´N´B. Für die beiden Auftritte sind ungefähr 60 Leute zusammengekommen. Alles ist bereit. Auch die Tontechnik. Andy gibt sein OK und die Band auf der Bühne kann loslegen. Stimmung kommt schnell auf. Headbanging und Crowd-Surfing sind trotz Platzmangel angesagt. Vor der Bar versucht der Tonverantwortliche die Übersicht zu behalten. Wenn er sich mal nicht sicher ist, ob die eine oder andere Gitarre aus den Lautsprechern so klingt, wie es sein muss, oder ob die Instrumente die Stimmen von den Bühne nicht übertönen, drängt sich Andy, Tablet in der Hand, zwischen den Fans durch, hört kurz zu und mit ein paar kurzen Klicks auf dem Bildschirm versucht er, alles in Ordnung zu bringen.

2022 war für Andy Dragomir ein wichtiges Jahr. Eines der beiden musikalischen Projekte, in denen er mitwirkt, Doomsday Astronaut, ist viel näher an den erwünschten Durchbruch gekommen. Die Instrumental Progressive Rock Band um Waqas Ahmed, dessen Schüler eine Zeit lang Andy selber war, hat nicht nur ihr erstes Album veröffentlicht, sondern auch einen der begehrtesten Preise der Rock-Szene in Rumänien gewonnen: den Posada-Rock-Wettbewerb. Die Folge dieser Anerkennung ist an der Fülle der für 2023 geplanten Auftritte und Einladungen zu erkennen; zu den wichtigsten gehören Auftritte beim Maximum Rock Festival und bei Rock la Mureș.

Doch auch Wildchild, die Stoner-Rock Band, in der er mit ehemaligen Mitschülern aus der Brukenthal-Schule zusammenspielt, beansprucht ihn sehr, weil er hier verstärkt seine Kreativität ausleben kann. Die Band arbeitet an ihrem zweiten Album sowie auch an ihrem ersten Video. Da die Mitglieder in unterschiedlichen Städten studieren ist es nicht gerade einfach, Probezeiten und Auftritte zu managen, doch man ist jung und hat Kraft und Ausdauer. Für die bisherigen Aufnahmen der Band zeichnet auch Andy verantwortlich. In einem kleinen, selbst eingerichteten und -ausgestatteten Studio, hat er eben seine ersten Schritte im Bereich Tontechnik gewagt. Mit der Zeit hat er sich natürlich eine immer bessere Ausrüstung zugelegt, wobei dieses wahrscheinlich vielleicht nur ein weiterer Schritt in Richtung eines eigenen professionellen Studios sein wird.   

Fragt man Andy ob zwischen den beiden Bands eine ihm näher liegt, meint er: „Ich kann nicht sagen, dass mir die eine Band mehr am Herzen liegt als die andere. Ich liebe sie beide gleichermaßen, vor allem, weil sie unterschiedliche Stile haben und ich versuche, in beide gleichermaßen involviert zu sein.“

Das Vertrauen in die Zukunft im Bereich der Musik findet Andy auch in der positiven Entwicklung der rumänischen Rock-Szene. „Ich bemerke, dass immer mehr Konzerte mit großen Bands und Künstlern organisiert werden. Das lässt mich glauben, dass es in Rumänien ein sehr breites Publikum für Rockmusik gibt. Ich habe auch mit meinen Bands an ein paar Festivals teilgenommen und sehe Leute, die durstig sind, neue Musik zu entdecken.“ Trotzdem bekennt er: „Ich wünschte, es würde sich mehr ändern, in dem Sinne, dass es mehr Platz für kleine Bands gibt, die der breiten Öffentlichkeit unbekannt sind, weil sie so viel zu bieten haben und es sich um junge Leute mit außergewöhnlichem Talent handelt.“

Der Abend im R´N´B neigt sich seinem Ende zu. Die Bands haben ihre Auftritte erfolgreich bestritten. Beide haben sich öffentlich bei Andy bedankt, bevor sie von der Bühne gingen, und auch er erntete seinen wohlverdienten Applaus. Bevor er aber seine eigene Ausrüstung in die entsprechenden Kisten packt, um sie nach Hause zu bringen, wo sie gut verstaut bis zum nächsten Konzert bleiben werden, geht er den Musikern zur Hand und hilft ihnen, ihre Instrumente zu verstauen. Heute war er zwar „nur“ der Tontechniker, doch der Musiker, der sein Instrument liebt, zeigt sich bei Andy eben auch in diesen kleinen Gesten.