„Es geht um einen Dialog, nicht einfach nur zu sagen: Das ist jetzt deutsche Kultur“

Mit Ingo Tegge, Leiter des Deutschen Kulturzentrums Klausenburg, sprach ADZ-Redakteurin

Ingo Tegge wurde in Bremen geboren und studierte Neuere Deutsche Literatur in Berlin. Anschließend war er tätig für die Goethe-Institute in Kapstadt, Südafrika, und Lagos, Nigeria, wo er Erfahrungen im Kulturmanagement sammelte. Von dort führte sein Weg zurück nach Deutschland, wo er in Stuttgart bei einer Unternehmensberatung in den Bereichen New Work und Innovationsmanagement tätig war. Im Frühjahr 2016 schließlich kam er nach Klausenburg, um das Deutsche Kulturzentrum zu leiten.

Zuerst eine grundsätzliche Frage – spreche ich gerade mit dem Leiter des Deutschen Kulturzen-trums Klausenburg, oder mit dem des Goethe-Zentrums Klausenburg?
Beides! „Deutsches Kulturzentrum Klausenburg“ ist der Gründungsname und beschreibt auch unsere Funktion. „Goethe-Zentrum“ ist eine Art Qualitäts-Auszeichnung des Goethe-Instituts. Als wir die 2014 bekommen haben, haben wir uns überlegt – wie treten wir jetzt auf? Verkünden wir allen, wir sind ab jetzt das Goethe-Zentrum? Das wäre sehr aufwendig gewesen, und so sind wir beim alten Namen geblieben – einfach, weil wir mit dem in der Stadt seit 25 Jahren bekannt sind. „Goethe-Zentrum“ benutzen wir in der Spracharbeit oder in der Arbeit mit Künstlern, weil der Name in diesen Bereichen sehr renommiert ist. 

Sie haben Ihre Stelle hier 2016 angetreten. Nach fast vier Jahren – wie würden Sie Klausenburg einer Person beschreiben, die noch nie hier war?
Ich beschreibe Klausenburg immer als eine überraschende, tolle Stadt – „überraschend“ sind nicht meine Worte, aber die Leute, die hierher kommen, sind überrascht! 
Klausenburg und auch Transsylvanien ist für mich ein kleiner Prototyp für Europa als Ganzes – dieses Vereinte, aber mit unterschiedlichen Kulturen und einer großen Vielfalt. Die Minderheiten, die seit Jahrhunderten recht friedlich gemeinsam hier lebten, sind zurückgegangen, dafür hat man eine neue Form von Multikulturalität: Und zwar durch die vielen internationalen Studierenden, oder die Expatriierten, die in den Firmen hier arbeiten. Das ist etwas sehr sehr Bereicherndes. 
Heute boomt Klausenburg aus meiner Sicht vor allem in drei Bereichen: Kultur, Wirtschaft und auch in den Wissenschaften. Und man sieht das ja, die Stadt wächst gewaltig, was natürlich immer auch mit Problemen einher kommt – Gentrifizierung vor allem. Aber es ist insgesamt eine spannende Stadt mit wahnsinnig viel Potential, und mit einer unglaublich lebendigen Kunst- und Kulturszene. Wenn man Klausenburg mit einer deutschen Stadt dieser Größe vergleicht, dann fühlt sich es sich viel größer an – einfach, weil hier so viel mehr passiert.

Wenn die Besucher so positiv überrascht sind – heißt das nicht, dass sie davor ein sehr negatives Bild von Rumänien hatten?
Meiner Meinung nach ist Rumänien in Deutschland weitgehend unbekannt. Man verbindet das Land vielleicht mit Armut, oder mit den Protesten von 2017, über die positiv berichtet wurde. Aber: Man weiß allgemein sehr wenig – und das, obwohl Rumänen in manchen Bundesländern die drittgrößte Minderheit stellen. In Baden-Württemberg zum Beispiel – aber das habe ich erst herausgefunden, als ich hier war, und ich habe vorher in Baden-Württemberg gewohnt! 

Die Rumänen in Deutschland sind recht unsichtbar, anders als die anderen großen Minderheiten – da gibt es Cem Özdemir oder Fatih Akin, und jeder hat seinen Lieblings-Italiener. Aber es gibt keine Sarmale-Läden oder rumänischen Kulturvereine. In meinem Bekanntenkreis gab es vielleicht zwei Personen, die den Namen Klausenburg kannten – der eine ist Fußballfan, der andere ist Arzt, die Hälfte seiner Kolleginnen und Kollegen hat hier studiert oder kommt von hier.

Ich sag immer, die Rumänen sind zu gut integriert in Deutschland, deshalb nimmt man sie nicht wahr. Sie haben vielleicht ungewöhnliche Namen, aber das haben viele in Deutschland, deswegen habe ich am Anfang auch nicht gewusst, dass ich sogar Bekannte von hier habe. Was einerseits schön ist, dass sie sich so gut integrieren und sich auch, denk ich mal, ganz wohlfühlen, aber andererseits schade ist, denn der deutschen Öffentlichkeit ist überhaupt nicht bewusst, wie viel die Rumänen zur Gesellschaft beitragen – viele arbeiten in der IT, als Ingenieure oder Facharbeiter, aber auch im medizinischen Bereich und Pflegesektor. Aber die sind nicht sichtbar, das finde ich ganz interessant. Deshalb ist es für viele Deutsche, wenn sie hierher kommen, so überraschend, wie toll und interessant das alles ist. 

Ändert die Arbeit des Kulturzentrums daran etwas?
Das ist nicht unsere Aufgabe – aber indirekt denke ich schon, dass das passiert, etwa durch unsere Gäste, die mit einem positiven Bild von Rumänien heimkehren. Und – es gab da ein Projekt, aus dem ein wunderbarer Kulturbotschafter hervorgekommen ist: Beim Clujotronic-Festival gibt es immer eine Game Jam, ein Wettbewerb, wo kleine Teams 24 Stunden lang Zeit haben, ein Spiel zu bauen. Dabei entstand 2018 der Prototyp für das Kartenspiel „Zestrea“, „Mitgift“, das inzwischen publiziert wurde. Jeder Spieler ist ein Bojar mit Ländereien und Kindern, die möglichst gewinnbringend verheiratet werden sollen – wer am Ende am reichsten ist, hat gewonnen. Dabei geschehen allerlei Katastrophen – die Heiduken kommen, oder der Kommunismus bricht aus – oder, was ich sehr schön finde: Einer deiner Leute hat zu viel }uica getrunken und mäht versehentlich das Feld des Nachbarn, der sich dann aber schämt deswegen und dir Geld gibt. Da steckt also sehr viel Humor drin – aber eben auch rumänische Kultur und Geschichte. 

Das klingt recht speziell – so wie Sie allgemein angetreten sind mit dem Vorhaben, die Nischenkultur in Klausenburg zu fördern. Konnten Sie das umsetzen?
Ich sehe das nach wie vor als eine unserer Kernaufgaben – Themen in den Vordergrund zu rücken, die in Deutschland fast schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, aber hier eher eine Nischenstellung haben. Ein gutes Beispiel ist Slam Poetry: Das ist im deutschsprachigen Raum extrem populär, die Szene ist nach der englischsprachigen die zweitgrößte der Welt. Ich persönlich finds super spannend, ich hab ja auch Literatur studiert und weiß, dass gerade Lyrik dem Publikum manchmal sehr schwer nahezubringen ist. Aber Slam Poetry verknüpft das Wort mit der Performance und dem Wettkampf, das ist schon sehr faszinierend. Es gab in Klausenburg bereits eine kleine ungarischsprachige und eine klitzekleine rumänischsprachige Szene, und wir haben dann einen viersprachigen Slam und einen Workshop organisiert – ich glaube, das hat der Szene schon etwas frischen Wind gegeben, inzwischen gibt es immer wieder Veranstaltungen. 

Ist das öfter der Fall, dass Künstler nicht nur ihr Werk präsentieren, sondern auch Workshops halten?
Ja, das ist für uns sehr wichtig – dass wir den Austausch zwischen Leuten aus Deutschland und von hier fördern. Wohlgemerkt als Dialog, es geht nicht darum, dass man hierher kommt und den Leuten vermittelt: So macht man das. Es ist im Gegenteil immer ein Geben und Nehmen. Das ist auch ganz klar unser Auftrag, es geht uns darum, einen kulturellen Dialog aufzubauen, nicht einfach nur zu zeigen „Das ist jetzt deutsche Kultur“ oder so was.

Das heißt, Sie arbeiten auch mit lokalen Künstlern zusammen?
Eigentlich fast immer – wir haben meistens sowohl einen deutschen als auch einen lokalen Teil. Gerade hatten wir eine Veranstaltung zu früher Elektro-Musik, wie sie in den 80er Jahren entstand. Aus Berlin reiste Mark Reeder an, der seit 1979 dort lebt und ein ganz früher Akteur in der Elektro-Szene war – ein extrem spannender Mensch, der ist auch in den 80ern viel durch Osteuropa gereist und hat illegale Punk-Konzerte organisiert... und dann hatten wir Rodion G.A. eingeladen, den Vater der Elektro-Musik in Rumänien – die beiden haben sich prächtig verstanden. 

Apropos Verstehen – kommt es öfter bei Veranstaltungen vor, dass mit der Sprachenvielfalt bewusst „gespielt“ wird, wie bei diesem viersprachigen Poetry Slam?
Das ist schon oft eine Herausforderung. Wir stehen immer vor dem Dilemma, dass wir ja eigentlich die deutsche Sprache fördern wollen, aber vor allem bei etwas spezielleren Themen, also für ein kleineres Publikum, ist Dolmetschen zu aufwendig, und man weicht oft auf Englisch aus. 
Und auch im Bereich Literatur ist es sehr schwierig, da bin ich manchmal ein bisschen neidisch auf die Kolleginnen und Kollegen in Hermannstadt oder Temeswar, die haben auch ein deutschsprachiges Publikum. Andererseits muss ich auch sagen, dass das nicht unsere Zielgruppe ist, wir in Klausenburg sollen ja die deutsche Kultur nicht denen nahebringen, die sie sowieso schon kennen. Deswegen gibt es immer eine Form von Übersetzung – man kann quasi alle Veranstaltungen auch dann mitverfolgen, wenn man nur Rumänisch oder Englisch kann. 

Joachim Umlauf vom Goethe-Institut Bukarest meinte, dass sich die Kulturarbeit immer stärker in eine gesellschaftspolitische Richtung bewegt – teilen Sie diese Einschätzung?
Auf jeden Fall – man merkt auch, dass diese Themen von politischer Seite mehr und mehr den Kulturinstitutionen zugeordnet werden. Das heißt, unsere Arbeit wird komplexer, aber auch als wichtiger wahrgenommen. Grundsätzlich muss ich sagen, wir haben in Deutschland diese Luxus-Situation, dass die Außenpolitik seit den 1950ern auf drei Säulen aufgebaut wurde: Sicherheit, Wirtschaft und Kultur. Und meiner Meinung nach ist die Kultur eigentlich die Basis für alles andere – was die Kulturarbeit schafft, ist: Verständnis füreinander aufbauen, im ganz direkten Sinn über die Sprache, aber auch im übertragenen Sinn – und erst mit diesem Verständnis kann auch konkret bei Sicherheit oder Wirtschaft zusammengearbeitet werden. Deshalb stecken gesellschaftliche Themen und Werte da schon von Anfang an mit drinnen, ich sehe auch unsere Aufgaben da sehr klar. 

Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Ein Beispiel – auch dafür, dass unsere Arbeit nicht als Einbahnstraße, sondern nur als Dialog funktioniert – ist das Projekt zu Nachhaltigkeit vom letzten Jahr: 
Es ging um Abfall als Ressource. Ich finde es immer bemerkenswert, wie schnell man in so Schwarz-Weiß-Bilder rutscht – Deutschland ist der Recycling-Weltmeister, Rumänien, naja, eher weniger. Aber: Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass die Pro-Kopf-Müllproduktion in Deutschland ein Vielfaches so groß ist wie in Rumänien! Da kann man sich tausendmal sagen: Wir recyclen drei Viertel unseres Mülls – das letzte Viertel ist wahrscheinlich immer noch mehr als das, was in Rumänien überhaupt produziert wird. Sich hinstellen und den Leuten zeigen, wies geht – das funktioniert nicht, man braucht einen Dialog, um voneinander zu lernen. 
Zu den Werten – wir unterstützen beispielsweise immer wieder die lokale LGBT-Szene, das finde ich als europäischer Wert ganz wichtig: Dass wirklich jeder und jede ohne Verfolgung, in Freiheit und fairen Bedingungen leben kann. Solche Szenen sind oft darauf angewiesen, dass sich internationale Institutionen hinter sie stellen und sagen, ihr steht nicht alleine da. 

Gibt es Dinge, die Sie sich für das neue Jahr wünschen würden? 
Grundsätzlich passiert schon sehr viel sehr Gutes in der Stadt, ich freue mich sehr, dass dieses Centrul Cultural Clujean gegründet wurde, das aus der Bewerbung für die europäische Kulturhauptstadt hervorgegangen ist, ein sehr wertvolles Bindeglied zwischen der Stadtverwaltung und der Kunst- und Kulturszene. 
Was ich mir wünsche: Dass die ein Auge haben auf die unabhängige Szene, denn bei Gentrifizierungsprozessen, wie sie hier gerade im Gange sind, kommt diese schnell unter die Räder. Und für uns als Kulturzentrum – mehr Stabilität wäre gut. Das betrifft viele Bereiche hier in Rumänien: Die Finanzierung, oder die Gesetzgebung, die sich gerne mal über Nacht ändert. 
Aber, wie gesagt, wir sind seit 25 Jahren hier und fühlen uns in der Stadt und ihrer Kulturszene sehr wohl.