Fleiß, Klugheit, Stillschweigen und ungeheuchelte Freundschaft

Samuel von Brukenthals 300. Geburtstag wirft neue Fragen auf

Eigens für die barocke und frühklassische Musik zum Fest an den ersten zwei Tagen der Jubiläums-Großveranstaltung und nicht nur wurde kürzlich im Raum Hermannstadt das Collegium Musicum Brukenthal gegründet. Hier auf der Bühne im Museums-Innenhof edle Harmoniemusik für zwei Klarinetten, zwei Hörner und Fagott

„Unsere Gegenwart ist widersprüchlich, und jene Brukenthals war es auch“, interpretierte in der evangelischen Kirche von Leschkirch Historiker Thomas Şindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens.

Den 1723 geschmiedeten Abendmahlskelch, aus dem in Leschkirch der evangelisch getaufte und konfirmierte Samuel von Brukenthal trank, gibt es heute noch.
Fotos: der Verfasser

Das Andenken eines großen Mannes zu feiern und zu wahren, der vor mehreren Hundert Jahren geboren wurde, ist gar nicht mal so einfach. Seiner siebenbürgisch-sächsischen und sicher auch der europäischen Nachwelt gibt Samuel von Brukenthal (1721-1803) bis heute mehr zu denken als es Kulturbeauftragten und Politikern recht sein mag. 

Der Stifter des ersten Museums in Siebenbürgen war schon zu Lebzeiten stets für Stellungnahmen gut, die ihm nicht nur Anerkennung einbrachten. Was für ein Prädikat fasst 300 Jahre nach seiner Geburt den Ausnahmestatus, der ihm klar zusteht, am besten in Worte? Sollte Samuel von Bruken-thal als „ein atypischer Baron“ oder als „ein früher Europäer“ in die Geschichte eingehen? Auf seinen Tod folgten nicht gleich die für jedes Museum üblichen Öffnungs- und Ruhetage, sondern erst einmal vierzehn Jahre heiße Debatte. Brukenthal hatte vorausgesehen, dass seine familiären und bald nur noch kollektiven Erben über das von ihm Erreichte streiten würden.

Und er macht es ihnen nach wie vor alles andere als leicht, wie zu Anfang der letzten Juli-Woche 2021 unschwer herausgehört werden konnte. Auch wenn so mancher Gastgeber und Ehrengast bemüht war, Baron Samuel von Brukenthal haargenau jene sozialpolitische Fortschrittlichkeit nachzusagen, die im modernen Staat Rumänien allzu oft als vermisst gemeldet wird. „Er ist eine Inspirationsquelle für uns, genauso atypisch zu werden“, sagte Adriana Stănescu, die Botschafterin Rumäniens in Berlin, am Montag, den 26. Juli, im Hof des Brukenthal-Palais Hermannstadt/Sibiu zum Auftakt der über drei Tage andauernden Jubiläums-Großveranstaltung. Für Kerstin Ursula Jahn, Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, war es der zweite Arbeitstag am Ort des EU-Gipfeltreffens vom 9. Mai 2019.
Emil Hurezeanu als neu berufener Botschafter Rumäniens in Wien und begnadeter Unterhalter optierte dafür, sich mit König Henry VIII. von England zu vergleichen, der seine sechs Ehefrauen reihum vorgewarnt haben soll, sie nicht lange behalten zu wollen. „Meine Damen und Herren, auch ich habe Sie lange genug aufgehalten“, ulkte Botschafter Hurezeanu zum Schluss der ihm bemessenen Redezeit ins Mikrofon. Dagegen hörte sich der Gruß von Sergiu Horia Hossu, dem Leiter der Kanzlei des Premierministers, wie ein Fehlen von Taktgefühl an: „Die Regierung Rumäniens wird auch weiterhin die rumänische Kultur unterstützen.“ Ein Glück, dass Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Samuel von Brukenthal als einen „Patrioten“ bezeichnete, der es als Alumnus der Universität Halle ablehnte, in den Dienst unter König Friedrich II. von Preußen zu treten.

Mithilfe von der Opposition

Loyalität war eine Faustregel, deren Einhaltung Brukenthal selbst vorlebte und die er auch von anderen streng erwartete. Forscherin Dr. Gudrun-Liane Ittu aus Hermannstadt zufolge soll er Sachsen, die nur Deutsch und den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt nicht sprechen wollten, zurechtgewiesen haben. Unter den Pfarrerinnen und Pfarrern der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) gibt es noch heute manche Diensthabende, die seinem Kriterium gerecht werden. Dr. Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer und auch Dechant des Bezirkes Schässburg/Sighi{oara, zählt zu ihnen. Er stammt aus Leschkirch/Nocrich, dem Geburtsort Brukenthals im Harbachtal/Valea Hârtibaciului, und ließ es sich dort am zweiten Tag der Jubiläums-Großveranstaltung nicht nehmen, das Publikum auf Dialekt zu begrüßen. Auf dem Choral-Blatt in der Taufkirche Brukenthals stand da auch der rumänische Text. Niemand schien ihn zu singen.

Kilian Dörr dafür, seit über zwanzig Jahren Stadtpfarrer der EKR in Hermannstadt, hatte vom 26. bis zum 28. Juli ganze drei Mal das Wort und nutzte es zweimal auf Rumänisch. Noch am eröffnenden Vormittag im Innenhof des Brukenthal-Palais sprach er für alle gut verständlich von „Kultur im Dienst der Toleranz“ und auch davon, dass „die Ganzheit eines Kollektivs mehr ist als die Summe seiner Einzelteile.“

Samuel von Brukenthal wünschte sein Erbe integer an die Nachwelt zu übergeben. Die Museums-Verstaatlichung im kommunistischen Rumänien 1948 sitzt immer noch tief in der Erinnerungskultur der siebenbürgisch-sächsischen Einheimischen, aber sie gehört grauer Vergangenheit an und dürfte der deutschen Minderheit Rumäniens nicht mehr länger als eine Messlatte für den Kontakt zur nationalen Mehrheitsgesellschaft dienen. 2005 wurde das Bruken-thalmuseum der EKR rückerstattet. Vor dem liberalen Kontext ist es nötig, die identitätsstiftende Gewichtung des Jahres 1948 rehabilitierend zu mindern.

Nachmittags auf der Tagung „Brukenthals Erbe: Chance, Auftrag und Herausforderung“ am Mittwoch, dem 28. Juli in der Aula des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums, folgte anschließend an den Vortrag „Die Wiederbelebung des Brukenthalguts in Fägendorf“ von Timotei Păcurar (Bündnis USR-PLUS) eine spürbar ergriffene Diskussionsrunde. „Das Brukenthal-Schloss in Fägendorf stand 2018 dem Kollaps nahe. Dorfbewohner hatten darin gewohnt und altes originales Holzmaterial verbrannt, um winters den Raum zu beheizen. Für mich jedoch war das kein Grund, sie zu verurteilen. Weil sie nicht gebildet worden waren“, erklärte der Bürgermeister von Fägendorf/Micăsasa. 

Im Juni 2021 endlich wurde das Schlossdach von der NGO „Ambulanţa pentru Monumente“ restauriert. Die Bewohner, die der Immobilie unwissend schädlich zu Leibe gerückt waren, hätten beim Anblick der Baustelle ihre Mithilfe angeboten, wie Păcurar hinzufügte. „Architekt Eugen Vaida betont, dass vom Verfall bedrohte Gebäude Mütze und Schuhwerk brauchen. Jetzt hat das Brukenthal-Schloss von Fägendorf zumindest eine neue Mütze.“

Stichwort Vergemeinschaftung

Historiker Dr. Harald Roth war bereits eine Stunde zuvor im Referat „Welterbe, Kulturerbe, Erblast. Kulturelles Erbe vor dem Hintergrund des ethnischen und konfessionellen Wandels“ davon ausgegangen, dass „Erbe zwangsläufig Veränderung unterworfen und Kulturerbe grundsätzlich kollektiv ist.“ 

Was für ein Wunsch-Kollektiv mag Samuel von Brukenthal vorgeschwebt haben, dessen Vorschlag der Gründung einer protestantischen Universität in der habsburgischen Provinz Siebenbürgen von Kaiserin Maria Theresia bewilligt, aber von den siebenbürgisch-sächsischen Gefolgsleuten vereitelt wurde?

„Diese Tage haben das staatliche Wohlwollen erweckt“, befand Kilian Dörr auf der Tagung in der Aula des Gymnasiums. Seit nun schon sechzehn Jahren ist der rumänische Staat nicht mehr Besitzer des Brukenthalmuseums. Aber er stellt und bezahlt das Personal und ist somit unverzichtbar. Es gibt wohl kaum eine andere öffentliche Einrichtung, an der die deutsche Minderheit Rumäniens und die nationale Mehrheitsgesellschaft noch dringender als hier an diesem Museum darauf angewiesen sind, einander stets aufs Neue zu verstehen und miteinander auszukommen. Wenn Stellvertreter wie beispielsweise Dr. Bernd Fabritius, Mitglied des Deutschen Bundestages und Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedler-Fragen und nationale Minderheiten, Baron Samuel von Brukenthal zitieren, dem zufolge „Wissen nicht das Vorrecht der Wenigen sein darf“, liegt auch Prof. Dr. Sabin Adrian Luca, Generaldirektor des Brukenthalmuseums, nur richtig: „Seinen 300. Geburtstag sollten wir nicht feiern, um vor ihm niederzuknien, sondern um uns an ihm aufzurichten!“

Für eine förderliche statt hinderliche Kommunikation nach außen hin ist es zwingend erforderlich, in einem belastbaren Netzwerk mit Entscheidungsträgern außerhalb der eigenen Komfortzone zu stehen. Baron Samuel von Brukenthal konnte seinerzeit auf eines zurückgreifen, wo er doch als Student in Wien und Halle eifrig an seinen freimaurerischen Kontakten gewebt hatte. Ohne sie hätte er in Siebenbürgen nicht die Karriere machen können, die er gemacht hat.

Er war der erste Gouverneur der Provinz Siebenbürgen im Auftrag des katholischen Habsbur-gerreiches und trotzdem ein durch und durch protestantischer Aufklärer von unbestechlicher Heimatliebe. War er aber auch so progressiv eingestellt, wie man ihn sich und anderen heute gerne vorzeichnet? Der drei Tage währende Diskurs der ihm gewidmeten Jubiläums-Großveranstaltung titelte Kaiser Joseph II. als einen Wiener Oberdienstherren mit „ungestümem Reformeifer“, der Brukenthal 1787 pensionierte. Dass der 1803 verstorbene Spitzenpolitiker sich dem Abbau von Sonderrechten der Siebenbürger Sachsen verweigert hatte, wurde nicht erwähnt. Einzig und allein Botschafter Emil Hurezeanu erinnerte an dieses Nein Brukenthals.

Nichts schöner als Bewusstmachung

„Studio, sapientia, silentio et non fucata amicitia quid nobilis“ war das Credo der Wiener Freimaurer-Loge „Aux Trois Canons“, die Samuel von Brukenthal 1743 die Mitgliedschaft zubilligte – Fleiß, Klugheit, Stillschweigen und unverfälschte Freundschaft, was gibt es Schöneres. Bald drei Jahrhunderte danach aber stehen auch viele hohe Hürden zu Buche, wie die promovierten Museums-Fachkräfte Alexandru Munteanu, Radu Teuceanu, Alexandru Sonoc, Valentin Trifescu, Iulia Mesea, Raluca Teodorescu, Raluca Frîncu, Ghizela Vonica, Anamaria Păpurean und Daniela Dâmboiu auf der Tagung in der Aula des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums beharrlich aufzählten.

Dem Wunsch der EKR, zukünftig die Hälfte des Verwaltungsrates vom Brukenthalmuseum zu stellen, steht der Fakt der personellen Unterbesetzung an Letzterem gegenüber. „Wir bräuchten doppelt so viele Fachkräfte“, betonte Dr. Alexandru Sonoc. Erste deutliche Anzeichen eines bildungs- und kulturpolitischen Abwärtstrends in Rumänien lassen sich auch am Brukenthalmuseum klar ablesen. Aushandeln elitärer Geltungsansprüche führt nirgendwohin denn in die Sackgasse. 

„Herausforderung bedeutet auch Schwierigkeiten. Wenn aber in Fägendorf Bewusstmachung gelungen ist, muss sie auch an anderen Orten möglich sein!“, resümierte Martin Bottesch, Siebenbürgen-Vorsitzender des DFDR und Ex-Mathematiklehrer, abends im Gymnasium.