Flüchtlings-Zentrum statt Hörsaal

Wie sich rumänische Studierende in der Betreuung ukrainischer Flüchtlinge engagieren

Im „Aufnahmezentrum für ukrainische Flüchtlinge“, neben dem Temeswarer Nordbahnhof, engagieren sich zahlreiche Studierende freiwillig für die Betreuung und Beratung von Geflüchteten. | Foto: Aufnahmezentrum für Flüchtlinge

5.597.483 Menschen sind seit Kriegsbeginn bis 2. Mai aus der Ukraine geflüchtet – die meisten von ihnen zunächst nach Polen (3.075.240), Rumänien steht als Erstaufnahmeland an zweiter Stelle: Hier sind 836.173 Flüchtlinge angekommen. | Grafik: UNHCR

Ein Ende ist nicht abzusehen – beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Und ebenso wenig zeichnet sich ein Ende beim Flüchtlingsstrom aus der Ukraine ab: Über fünf Millionen Menschen haben das Land mittlerweile verlassen. Die meisten reisten über Polen aus, viele aber auch über Rumänien, Ungarn und die Republik Moldau. In Rumänien engagieren sich derzeit viele Studierende in der Flüchtlingsbetreuung – zum einen aus dem Wunsch heraus, zu helfen; zum anderen aber auch, um wertvolle praktische Erfahrungen für ihr Studium zu sammeln. 

Victoria Miron studiert Jura an der West-Universität Temeswar/Timișoara. Allerdings: Dieser Tage ist die angehende Juristin nicht nur im Hörsaal, sondern häufig ganz woanders anzutreffen: Im „Centru de suport pentru refugiați“, im „Aufnahmezentrum für ukrainische Flüchtlinge“, neben dem Temeswarer Nordbahnhof ein paar Kilometer von der Uni entfernt. Neben Rumänisch und ein paar Wörtern Deutsch spricht Victoria eine Sprache, die dort gerade sehr gefragt ist: „Ich arbeite hier als Freiwillige mit. Meine Aufgabe: Dolmetschen. Ich kann Russisch, verstehe ein wenig  Ukrainisch – und deshalb bin ich hier, um bei der Verständigung mitzuhelfen, zwischen den ukrainischen Flüchtlingen und den sogenannten ‚Sozialassistenten‘ hier.“

Ein kleiner Schritt für den Frieden

Studierende wie Viktoria mit Russisch-, Rumänisch- und Englischkenntnissen werden händeringend für die Flüchtlingsbetreuung in Temeswar gesucht. Dass sie über gute Russisch-Kenntnisse verfügt, hat seinen Grund. Denn Victoria studiert zwar in Rumänien, stammt aber aus der angrenzenden Republik Moldau. Dort wachsen junge Menschen in der Regel zweisprachig auf, lernen Rumänisch und Russisch. Ihre Sprachkenntnisse erweisen sich nun als Glücksfall für die Betreuung der ukrainischen Flüchtlinge. Mitzuhelfen im Aufnahmezentrum war für Victoria von Anfang an gar keine Frage. „Dass ich mit meinem Russisch hier mithelfen kann, gibt mir selbst auch ein gutes Gefühl. Es ist ein ganz kleiner Schritt für den Frieden“, sagt Victoria Miron. 

Studierende mit Russisch-Kenntnissen, die bei der Überwindung von Sprachproblemen mithelfen, bilden aber nur eines von vielen Angeboten zur Flüchtlingsbetreuung, die Studierende und Lehrende rumänischer Unis in den vergangenen Monaten entwickelt haben. „Ich war gerade an der rumänisch-ukrainischen Grenze bei Marmaroschsiget/Sighetu Marmației mit einigen weiteren Studienkolleginnen, um dort als Freiwillige mitzuhelfen. Ja, es war mein großes Anliegen, dort den Menschen zu helfen, die unsere Unterstützung benötigen“, schließt die angehende Juristin. 

„Juristische Klinik“

Andreea Iosup, Mitte 20, studiert im zweiten Jahr „Soziale Arbeit“, ebenfalls an der Temeswarer West-Universität. Mithelfen bei der Überwindung von Sprachproblemen, Mithelfen bei der Flüchtlingsbetreuung – das ist ihre Aufgabe bei ihren jeweils mehrtägigen Aufenthalten an der Grenze. In Temeswar haben die Studierenden darüber hinaus noch ein weiteres Projekt auf den Weg gebracht: „Als Studentin mache ich bei unserem Uni-Projekt ‚Clinica Juridică‘ (Juristische Klinik) mit, das heißt so viel wie: ‚Juristische Betreuung‘. Wir machen so eine Art Rechtsberatung für gemeinnützige Organisationen – und jetzt auch für Flüchtlinge aus der Ukraine“, erzählt eine weitere angehende Juristin, Ana Sinitianu. „Wir bieten unsere Hilfe an bei der Bewältigung dieser Bürokratie: Dokumente richtig ausfüllen etwa, oder – wie sind die Spielregeln für diejenigen, die im Land bleiben wollen, und die, die woanders hin möchten? Welche Regeln gelten für die Arbeitsaufnahme?“ erzählt auch die Jura-Studentin Laura Roșca. 

Lernen, mit Menschen umzugehen

So unterschiedlich die Hilfe bei der Flüchtlingsbetreuung ist, die die rumänischen Studierenden leisten – eines ist allen gemeinsam: Diese freiwilligen Einsätze sind für sie alle selbst ein einziger, großer Lernprozess – abseits von Hörsälen und Seminarräumen. „Klar, bei diesen freiwilligen Einsätzen lernen wir, wie man mit Menschen umzugehen hat. Und egal, wo ich mal arbeite: Als Richterin, Staatsanwältin, Anwältin – darauf kommt es an: Richtig mit Menschen umgehen“, erzählt die Jura-Studentin. „Klar, die praktischen Erfahrungen, die wir dort sammeln – die sind Gold wert. Wir haben dabei erstmals die Chance, die Theorie, die wir im Hörsaal mitbekommen, in der Praxis anzuwenden. Und diese praktischen Erfahrungen dort – die sind für uns ganz einfach essentiell“, schließt die angehende Sozialarbeiterin Andreea Iosup. 


Mindestens 82,4 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, fast 26,4 Millionen davon sind unter 18 Jahren. Bis zum Ukraine-Krieg kamen 68 Prozent aller Flüchtlinge aus nur fünf Ländern: Syrien (6,8 Millionen), Venezuela (4,1), Afghanistan (2,6), Südsudan (2,2) und Myanmar (1,1). Am meisten Flüchtlinge nahm die Türkei auf (3,7 Millionen), gefolgt von Kolumbien (1,7), Uganda (1,5), Pakistan (1,4) und Deutschland (1,2). Zahlen: UNHCR