„Fotografie ist keine Einbahnstraße”

Fotograf Kristian Schuller über Siebenbürgen-Erinnerungen, Berlin und Mode

Der Fotograf Kristian Schuller Foto: Peggy Schuller

In den Strahlen einer rötlichen Abdendsonne trägt eine Frau ein Kleid aus bunten Schmetterlingen, manche von ihnen fliegen weg. Im Hintergrund sieht man einen jungen Mann im Anzug, der sie mit einem Schmetterlingnetz verfolgt. Eine andere Frau ist auf dem Meer gelandet, sie zieht ihren Fallschirm hinter sich wie eine riesengroße, weiße, gehemnisvolle Muschel. Eine andere, in rosafarbenem Glitzerkleid, gleitet dahin, einen Zirkuselefanten hinter sich ziehend wie einen riesigen Luftballon. Eine andere Frau sieht man in goldenem Licht inmitte von Schaukelpferden und überdimensionalen Weihnachtskugeln. Es sind farbenprächtige Phantasiewelten, die sich dem Betrachter von Kristian Schullers Modefotografien auftun. Schaut man die Fotos an, ist man plötzlich mit den Gedanken weit weg und taucht in diese Welten ein. Es ist, als ob man sich ein modernes Märchen erzählen lässt.

Viele der Fotografien hatte ich schon längst im Internet bewundert. Oder schon in der einen oder anderen Frauenzeitschrift gesehen, ohne zu wissen, wer der Autor ist. Von Kristian Schuller wusste ich von seinem Vater, dem Schriftsteller Frieder Schuller. 2008, als ich ihn in Berlin kennenlernte und zum ersten Mal interviewte, war ich noch nie in Katzendorf gewesen. Schuller schwärmte von dem kleinen Dorf in der Nähe von Reps, erzählte dass sein Sohn, ein weltbekannter Modefotograf, vor einem Jahr hier geheiratet hatte, und dass Gäste aus aller Welt, darunter Models aus New York, gekommen waren und bei Dorfbewohnern übernachtet hatten. Ich fand ein paar Bilder von der Hochzeit auf einem Internetblog und war begeistert.
13 Jahre später, im Jahr 2021, ist mir Katzendorf mehr als bekannt und Mitte Juli muss ich wieder einmal hier sein, um Frieder Schuller für ein deutsches Kulturmagazin zu interviewen. „Mein Sohn Kristian ist auch da, du kannst gleich auch mit ihm ein Interview machen”, meint Schuller, als wir am Telefon einen Termin vereinbaren. Als die beiden mich von einer Tankstelle in Reps abholen, bin ich zu aufgeregt, um Kristian nach einem Interview zu fragen. Ein Starfotograf hat doch keine Zeit für so etwas, denke ich dauernd. Außerdem fühle ich mich total unvorbereitet. Was für Fragen sollte man jemandem stellen, der Penelope Cruz fotografiert hat, ohne dass er denkt, sie seien dumm?
Ich traue mich im allerletzten Moment, als mir klar ist, dass ich sonst eine Chance verpasse. Es ist Nachmittag und befinden uns schon wieder im Auto, er fährt mich zurück nach Reps.
Natürlich gibt er gerne ein Interview für die Karpatenrundschau. „Das ist doch die Zeitung, wo mein Vater gearbeitet hat”, meint Schuller. Mit seinem Job reist er durch die ganze Welt, manchmal verbringt er ein paar Wochen in Katzendorf mit seiner Frau Peggy und ihren beiden Söhnen Anton und Oskar. In Deutschland ist er dem breiten Publikum bekannt, seitdem er Juror bei Germany´s Next Top Model war. Hier kann er die Anonymität genießen und auf Rumänisch in einer Repser Apotheke nach Nasentropfen fragen. „Pic²turi de nas“,  bringe ich ihm noch bei, bevor ich aus dem Auto steige.

Inszenierte Portraits

Eine Woche später rufe ich an. „Ich komme gerade vom Joggen”, meint Schuller gelassen. Die WhatsApp-Verbindung ist manchmal sehr schlecht. Trotzdem wird es sein nettes Gespräch.
Kristian Schuller wurde in Heldsdorf geboren und ist in Hermannstadt aufgewachsen, heute lebt und arbeitet er in Berlin und New York und ist weltberühmt für seine imposanten Modeaufnahmen in internationalen Magazinen.
Auf die Frage, warum er sich gerade in Katzendorf erholen will und nicht auf einer Karibikinsel, antwortet er einfach: „Das ist meine Heimat: Siebenbürgen”. Er war acht Jahre alt, als seine Familie nach Deutschland umsiedelte, doch kam er auch nach der Auswanderung oft nach Rumänien, meistens zu den Dreharbeiten seines Vaters. „Ich bin auch gekommen, damit ich hier zur Ruhe komme. Und weil ich hier ein Fotoprojekt machen will”. Es werden, wie immer, inszenierte Portraits sein. „Es gibt schon eine Serie von Portraits mit weißem Hintergrund im Garten des Pfarrhofs von Katzendorf. Bei meiner Hochzeit 2007 habe ich alle Gäste, die da waren, vor der Scheune fotografiert”. Für die 140 Gäste, die in einem Jahr angereist sind wo es noch keine Billigflüge nach Rumänien gab und die Straßen noch viel schlechter waren als heute, gab es damals ein unvergessliches Fest.

Für die meisten von ihnen war es das erste Mal in Siebenbürgen. Die Frauen aus dem Dorf haben für sie gekocht, manche Gäste haben bei Dorfbewohnern übernachte und für viele war diese Erfahrung sehr spannend und einmalig. „Wenn du schon hier eine Hochzeit machst, dann sollte sie traditionell siebenbürgisch-sächsisch sein”.

Der Geruch der Kindheitstage

Von Heldsdorf hat Kristian Schuller keine Erinnerungen mehr, da er nur zwei Jahre alt war, als die Familie nach Hermannstadt umzog. „Ich glaube, die wichtigsten Erinnerungen aus der Kindheit sind die Fahrten ans Schwarze Meer mit dem Auto. Dabei war die Autofahrt ein ganz wichtiger Teil. Ich erinnere mich an das Hexenzelt, das wir dann 2 Meter vor dem Meer aufschlugen, es war immer am Strand von 2 Mai. Dann erinnere ich mich an Hermannstadt, an das Theater, wo mein Vater gearbeitet hat, an einen Skoda-Bus voll mit Schauspielern, mit dem man durch die Dörfer auf Tournee fuhr. Ich erinnere mich ganz deutlich an den Geruch in diesem Bus – nach Schnaps und Carpa]i-Zigaretten, ich wurde von Schoß zu Schoß im Bus herumgereicht. Es waren die 70er Jahre. Ich verbrachte viel Zeit in den Büros des Theaters. Auch im Kommunismus hat man Überstunden gemacht. Die Eltern waren lange in der Arbeit, dann hat ab und zu ein Mädchen vom Dorf auf mich und meinen Bruder aufgepasst. Aber ansonsten mussten die Kinder an den Arbeitsplatz der Eltern“.
Die Leidenschaft für Mode und Fotografie kam erst später, als die Familie schon in Deutschland lebte, aber mit Sicherheit hat die „Theaterzeit“ in Hermannstadt wesentlich dazu beigetragen. „Mit zwölf Jahren habe ich eine Nähmaschine bekommen. Mit zwölfeinhalb dann eine Kamera”. Schuller studierte Mode bei Vivienne Westwood und Fotografie bei F.C. Gundlach.
„Ich habe immer gedacht: was is wichtiger- Mode oder Fotografie? Die Antwort war: Mode, denn sie muss ja als erstes da sein. Während des Studiums habe ich mein ganzes Geld als Fotograf verdient. Kristian, habe ich zu mir gesagt, du bist ein Knipser und kein Näher”. Die Entscheidung war getroffen: er wollte Modefotograf sein. Früh hat er eingesehen, dass es eine harte Arbeit ist. „Ich habe mir fünf Jahre gegeben,um mich durchzusetzen”. Und er hat es geschafft.

Antons Berlin

Hinter den bunten Phantasiewelten aus Schullers Fotografien steckt die Arbeit vieler Menschen. Die künstlerische Konzeption und Realisierung der Bilder entstehen immer in Zusammenarbeit mit seiner Frau Peggy.  „Inszenierte Fotografie ist eine Gesamtzusammenstellung, es ist ein kreativer Prozess, an dem viele Menschen zusammenarbeiten. Aber die Anfangsidee kommt immer von Kristian und seiner Frau. Manche Fotografien Schullers findet man auch in Fotobänden, das letzte von ihnen heißt „Antons Berlin“ und ist 2020 erschienen.
„Wir waren jahrelang auf Reisen, und als wir zurückkehrten merkten wir: die Stadt hat sich verändert. Sie hat sich stark entwickelt, sie ist anders geworden. Wie machen wir es am besten, um uns hier neu einzuleben? Die Antwort war: durch Fotografie. So beschlossen wir, ein Berlinbuch zu machen. Der Verlag fand das sehr spannend”. Also hat sich Kristian Schuller mit der Kamera aufgemacht, um die Menschen aus Berlin zu fotografieren, die hier leben, arbeiten und feiern. Entstanden ist ein Album mit Porträts von bunten Menschen- Künstlern, Kreativen, Partyvolk- eine Kombination zwischen Studio- und Outdoorfotografie, dessen Zusammenstellung etwa zwei Jahre lang gedauert hat. Dort, in diesen Portraits, liegt Berlin. Die glitzernde, schräge, laute, nie schlafende, von Leben sprühende Stadt. „Es war unsre Art, zurückzukommen”.

Das Wunschfoto ist immer das nächste Foto

In Rumänien hatte Schuller bisher eine einzige Ausstellung, sie konnte 2007 im Hermanstädter Teutsch-Haus besucht werden. Vor seiner Kamera standen berühmte Künstlerinnen und Models, darunter Namen wie Sharon Stone oder Penelope Cruz. Ich frage ihn, wer am schwersten zu fotografieren war. „Langweilige Menschen sind am schwersten zu fotografieren. Das Schlimmste für Fotografen sind Menschen, die keine Ausstrahlung haben. Fotografie ist keine Einbahnstraße, es muss eine Verbindung geben zwischen dem Fotografen und demjenigen, der fotografiert wird. Es gibt auch schwierige Persönlichkeiten, aber das ist dann spannend”. Was tut man, wenn man eine langweilige Person vor der Kamera hat? „Das ist keine besondere Herausforderung, ich versuche zwar das Beste”. Ihn selbst fotografiert seine Frau oder sein Assistent.
Ein Wunschfoto, das er noch nicht gemacht hat?, frage ich ihn zum Schluss, etwas  wütend auf mich, dass mir keine bessere Frage eingefallen ist. „Das ist immer das nächste Foto. Desto mehr du fotografierst, desto spannender wird dein nächstes Foto sein. Du musst dauernd an dir arbeiten. Es ist wie im Fußball: nach dem Spiel ist vor dem Spiel”.