Für Ideale auf die Straße

Der größte Gewinn des Jahres 2013 ist der Reifegrad und die Polarisierung, welche die Proteste gegen die Goldförderung mittels Zyaniden und die Erdgasförderung durch Fracking erreicht haben. Stolz sein darf Rumänien auf seine Protestler gegen die (noch geplante) Goldförderung von Ro{ia Montan². Zum ersten Mal seit 1989 ist die Botschaft nicht auf materielle Forderungen aufgebaut. Erstmals will sich keiner aufgrund dieser Proteste persönlich profilieren (wie die Lehrerin, die einen 72tägigen Hungerstreik gegen die Sparmaßnahmen der Boc-Regierung ausrief und jetzt komfortabel im Parlament thront). Die Profilierungsverweigerung der Köpfe der Proteste hinterlässt nach Außen den Eindruck von Chaos, von Verwirrung – auch wenn die kollektiven Auftritte der Protestler durchaus selbstbewusstes Profil, umfassende Information und kaltschnäuzige Spontaneität offenbarten, die den meisten „konsekrierten“ Politikern fehlt, wenn es nicht um ihre ureigensten Interessen geht.

Ich hoffte, dass aus der Anti-Roşia-Montană-Bewegung der Massenprotest einer Generation gegen den stur-stumpfsinnig-kleinbürgerlichen Egozentrismus der parlamentarischen Emporkömmlinge wird und dass durch sie ein frischer Wind die Politikszene aufmischt. In diesem fazettenreichen Land wurde diese Hoffnung (bisher) enttäuscht. Kommentatoren sprechen von einem „Bruch in der Rhythmizität“ der politischen Entwicklungen.

Natürlich wird in die Bewegung allerhand hineinprojiziert – dank ihrer selbstauferlegten Führungsverweigerung ist sie dazu wie geschaffen. Keiner widerspricht einer neuen Interpretation. Durch ihre ziemlich strikte Konzentrierung auf das Thema Goldgewinnung gibt es einen recht hohen Toleranzquotienten gegenüber den Augenblicks(-fehl-)entwicklungen in der Binnenpolitik. Aber wenn diese Bewegung lange nicht ernstgenommen wird von den Machtausübenden, wird sie für die Macht gefährlich: es geht zum ersten Mal nicht um was zum Beißen (= materielle oder allgemein-soziale Forderungen, durch einen Federstrich erfüllbar) sondern um Zukunft und Ideale. Solchen Forderungen ist nur durch Änderung der Vorgangsweisen, des Systems und durch Ersetzen der vorgeschobenen Mentalitätsträger zu begegnen, fanariotisches Korruptionserbe hin oder her. Wenn es um Ideale und Zukunft geht, kann auch Toleranz gefährlich werden. Deshalb haben die bornierten Parlamentssitzedrücker wiederholt und eindringlich nachgefragt, wer hinter der Bewegung steckt. Wer sie bezahlt. Denen geht es ganz einfach nicht in ihre feuchten Lehmschädel, dass es Leute geben kann, die nächtelang und über Monate für Ideale auf die Straße gehen, und dazu auch noch den Weltbürger Beethoven und nicht urbalkanische Manele (oder wenigstens Edelfolklore) hören.

Revolte als Gewissenspflicht. Am beeindruckendsten für mich: eine Vereinigung von Rechtsanwälten hat für die Übergriffsopfer der Macht gegen die Revoltierenden GRATIS ihren Beistand angeboten – und damit die Ehre ihres Berufsstands gerettet. Aus Idealismus. Ein Anzeichen mehr für eine neue politische Kultur. Für Reife.