„Für mich bedeutet Temeswar Aufbruch“

Gespräch mit dem Bürgermeisterkandidaten Dominic Samuel Fritz (I)

Dominic Samuel Fritz (36) wird 2020 für das Amt des Temeswarer Bürgermeisters kandidieren. Foto: dominicprimar.ro

In der Temeswarer Kulturszene ist Dominic Samuel Fritz ein bekannter Name. Der aus Lörrach in Deutschland stammende 36-Jährige bringt bereits seit 2005 das „Timişoara Gospel Project“, bei dem Dutzende von Laien- und Profisängern zusammenkommen, um gemeinsam für einen guten Zweck zu singen, erfolgreich in Temeswar/Timişoara auf die Bühne. Der charismatische Dirigent ist schon seit 2003 in der Stadt an der Bega zu Hause, dem Zeitpunkt, zu dem er ein freiwilliges soziales Jahr hier verbrachte. Dass es ihm Rumänien und ganz besonders Temeswar angetan haben, das hat er schon oft bewiesen – nicht nur durch seinen Einsatz im kulturellen Bereich. So beteiligte er sich beispielsweise 2017 aktiv an den Antikorruptionsprotesten. Nun möchte Dominic Samuel Fritz mehr für seine Wahlheimat Temeswar tun. Er wurde im Juni dieses Jahres seitens der Union Rettet Rumänien (USR) zum Kandidaten für das Bürgermeisteramt ernannt und nun bereitet er sich auf den Wahlkampf 2020 vor. Wieso er diesen Weg gehen möchte und was er in Temeswar bewegen will, sollte er die Kommunalwahlen gewinnen, das verriet Dominic Samuel Fritz ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu in folgendem Gespräch.

Sie werden im kommenden Jahr als Repräsentant der USR für das Amt des Temeswarer Bürgermeisters kandidieren. Wann und wie haben Sie sich entschlossen, Bürgermeister von Temeswar werden zu wollen?

Es war im Herbst letzten Jahres, als bei mir dieser Gedanke zum ersten Mal aufgekeimt ist. Ich bin zufällig über das Wahlgesetz gestoßen und habe dort den Artikel gefunden, wonach Bürger der Europäischen Union, wenn sie ihren Wohnsitz in der entsprechenden Stadt haben, für solche Ämter kandidieren dürfen. Vorher habe ich nie darüber nachgedacht. Dann schoss mir der Gedanke durch den Kopf: „Oh, sogar ich könnte Bürgermeister von Temeswar werden!“ Ich hatte eigentlich schon seit 2017, als die Antikorruptionsproteste stattgefunden hatten, irgendwie das Gefühl, ich kann nicht mehr die Augen verschließen vor den politischen Gefahren, aber auch nicht die positiven politischen Entwicklungen verneinen, die sich hier in Rumänien abspielen, und ich kann nicht mehr einfach nur meine Kultursache hier abziehen, denn ich bin eigentlich auch ein sehr politischer Mensch und arbeite in Deutschland in der Politik und Verwaltung. Ich habe dann sehr aufmerksam die neue Parteienlandschaft verfolgt, die Entwicklung der USR, und mir war gleichzeitig klar, dass es nicht nur auf der nationalen Ebene eine große Frustration gibt, sondern eben auch auf der lokalen. Das Problem einer alten politischen Klasse, die das Land seit 30 Jahren lähmt, existiert nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch hier, in Temeswar. Also habe ich angefangen, mit Leuten darüber zu sprechen, wie wir es schaffen könnten, hier in Temeswar für Veränderung zu sorgen. Ich habe im letzten Herbst viele Gespräche geführt und da hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass es vielleicht tatsächlich eine Idee wäre, mit etwas ganz Neuem und Unkonventionellem zu kommen, gerade um eben auch zu verdeutlichen, dass es ein systemisches Problem gibt. Es geht nicht einfach nur um Personen, es geht nicht mehr darum, den einen Bürgermeister durch einen anderen zu ersetzen, sondern darum, wirklich endlich mal eine neue Art des Denkens in die Politik zu bekommen. Ich wurde dann von verschiedenen Seiten ermutigt und habe Anfang dieses Jahres angefangen, meine Kandidatur und mich selber vorzubereiten und habe das nach den Europawahlen dann auch öffentlich gemacht.

Wieso haben Sie sich für die USR entschieden?

Die Reformierung der politischen Klasse in Rumänien ist dringend notwendig. Ich habe aber sehr, sehr große Zweifel, ob die alten Parteien diese Reinigung wirklich aus sich selbst heraus schaffen. Bei den Sozialdemokraten, glaube ich, kann man das aufgeben, bei der Nationalliberalen Partei gibt es viele Leute, die das gern möchten, aber es gibt gerade im lokalen Bereich immer noch Strukturen, die verhindern, dass man transparent und ehrlich politisch handelt. Deshalb finde ich, dass die USR eine ganz neue, wichtige und echte Alternative ist. Es handelt sich nicht nur um eine Parteineugründung, die gab es immer mal wieder in den letzten 30 Jahren, sondern sie haben gezeigt, dass sie das auf einer organisatorischen Ebene auch hinbekommen und mit den Ergebnissen bei den letzten Wahlen (Anm. d. Red.: die Europawahlen 2019) eben auch demonstriert, dass auch die Menschen ein großes Vertrauen in sie haben. Und warum haben sie das Vertrauen und warum bekommen sie das hin? Weil sie es mit der Transparenz und mit der Erneuerung der politischen Klasse wirklich ernst nehmen. Meine Nominierung als Kandidat war das Ergebnis eines Vorwahlprozesses, in dem sich über Wochen hinweg mehrere Kandidaten den Mitgliedern präsentiert haben, es gab eine Kampagne und es gab öffentliche Debatten, bei denen ganz Temeswar mitverfolgen konnte, wie die USR ihren Bürgermeisterkandidaten aussucht. Am Ende wurde ich mit einer großen Mehrheit von den Mitgliedern gewählt. Das ist genau der Weg, wie wir eben von dieser Kungelei, von dieser Intransparenz, von dieser Mauschelei, die die rumänische Politik geprägt hat, wegkommen.

Ich beziehe mich nun auf Ihren letzten Job in Ihrem beruflichen Lebenslauf: Was macht so ein Kabinettschef des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und inwiefern ist das nützlich für den Einstieg in die rumänische Politik und vor allem als Bürgermeister in einem Land in Südosteuropa?

Die Antwort auf diese Frage hängt sehr damit zusammen, was eigentlich ein ehemaliger Bundespräsident so macht. Ja, ich habe für Horst Köhler gearbeitet, der vorher auch geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) war, bevor er Bundespräsident wurde, also ein sehr internationales Profil hat. Und er hat nun so eine Art „Elder Statesman“-Rolle, sowohl innerhalb Deutschlands, wo er an gesellschaftlichen Debatten teilnimmt, sie auch anstößt und bestimmte Themen voranbringt, als auch auf internationaler Ebene. Da wird er sehr respektiert. Er hat viel mit afrikanischen Staaten gearbeitet, eben auch als IWF-Chef, er hat dorthin viele Kontakte, und auch mit den Vereinten Nationen, er war in den letzten zwei Jahren Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für einen Konflikt in Nordafrika. Meine Aufgabe war es eben, seine Aufgaben zu organisieren, zu unterstützen, ihn zu beraten, im Grunde genommen den Kontakt zu all den Institutionen zu halten, mit denen er zusammenarbeitet. Ich habe sehr viel mit den Vereinten Nationen kooperiert, mit der afrikanischen Entwicklungsbank. Er arbeitet in Kommissionen, er wird gern dahin eingeladen, wo zum Beispiel „Welt-Intellektuelle“ zusammenkommen und sich zu großen Themen beraten. All diese Arbeit muss organisiert werden, und ich rede jetzt nicht über die Logistik, sondern über die Inhalte, über die politischen Kooperationen. Dies alles macht ein Büroleiter. Das ist eine sehr hilfreiche Erfahrung, auch als Vorbereitung für das Bürgermeisteramt, auch wenn ich natürlich ein paar Politikebenen überspringe und von der internationalen und globalen Ebene auf die lokale Ebene gelange. Ich bin aber überzeugt, dass ich durch meine politische Arbeit einen relativ guten konzeptionellen Überblick habe, hinsichtlich der großen, politischen Herausforderungen unserer Zeit und wie diese mit den ganz konkreten Herausforderungen hier in Temeswar im Zusammenhang stehen: Temeswar entwickelt sich nicht in einer Blase, in einem Vakuum, sondern in einem größeren politischen Kontext. 

Und das andere ist die ganz konkrete „Verwaltungsarbeit“, die ich eher als Kooperationsarbeit verstehe. Ich hatte keinen riesigen Apparat unter mir, aber ich musste genau deshalb mit ganz vielen unterschiedlichen Institutionen zusammenarbeiten, mit den Außenministerien verschiedener Länder, mit den Vereinten Nationen, mit NGOs. Mit Firmen, mit dem Bundeskanzleramt usw., und da lernt man schon, sich in diesem Labyrinth der politischen Akteure zu bewegen. Das ist auch das, was für einen Bürgermeister sehr, sehr wichtig ist, denn natürlich kann ein Bürgermeister nicht alles ändern. Das ist kein kleiner, lokaler König mit seinem eigenen Königreich, vielmehr bewegt auch er sich in einem politischen Kontext und muss also mit der Kreisebene, mit der Landesebene, mit der europäischen Ebene, mit den Wirtschaftsleuten und den lokalen, zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten. Das ist das, was ich gelernt habe und was ich sehr gut kann.

Welche wären, aus Ihrer Sicht, drei der wichtigsten Probleme, mit denen sich die Stadt zurzeit auseinandersetzt?

Ich glaube, ein Großproblem ist der ganze Themenkomplex der Mobilität. Wir haben, wie viele andere Städte natürlich auch, ein massives Verkehrsproblem, weil die Autoinfrastruktur nicht für diese Masse von Fahrzeugen angelegt ist. Für Temeswar kommt noch das Problem hinzu, dass die Leute in den Vororten leben und mit den Autos jeden Tag nach Temeswar pendeln. D. h., die große Frage, wie entwickeln wir den Verkehr weiter, ist wahnsinnig wichtig. Und Temeswar hat alle Voraussetzungen für ein tolles Fahrradinfrastruktursystem, die Stadt hat die perfekte Größe dafür, es sind ungefähr zehn Kilometer von einem Ende zum anderen, es ist flaches Land, es gibt also keinen Grund, weshalb nicht die Hälfte oder ein Drittel der Temeswarer Bürger Fahrrad fahren sollte. Aber dafür muss es sicher sein, die Fahrradwege müssen verbunden sein, usw. Wir haben auch alle Voraussetzungen für ein tolles öffentliches Nahverkehrssystem.

Ein anderes Thema, das mir sehr am Herzen liegt, und, ich glaube, vielen Temeswarern brennt es auch unter den Nägeln, ist die Frage, wie wir mit unseren Stadtteilen umgehen. Temeswar hat ein wunderschönes Zentrum, in dem in den letzten Jahren einiges passiert ist, da wurde viel renoviert und es entwickelt sich eine sogenannte Café- und Restaurantkultur, aber es ist alles extrem auf das Zentrum beschränkt. Wenn man sich die historischen Stadtviertel ansieht, die Elisabeth-, Josef- oder Fabrikstadt, dann ist es schon traurig, wie heruntergekommen es dort ist und man hat das Gefühl, alles dümpelt ein bisschen vor sich hin und die Stadtverwaltung hat wirklich keine Idee, wie die Zukunft dieser Stadtviertel aussehen könnte. Wir haben andere Stadtviertel, die ehemaligen Arbeiterviertel mit den großen, kommunistischen Blocks, die im Grunde genommen auch furchtbar dreckig sind und keine Parkplätze, keine Spielplätze und wenig Grün haben. Wir müssen über eine neue Stadtentwicklung nachdenken, auch darüber streiten und uns fragen, was wollen wir eigentlich mit unseren Stadtteilen und wie wollen wir sie wirtschaftlich, sozial und architektonisch entwickeln.

Ein drittes Thema ist die Frage: Welche Rolle hat eigentlich Temeswar im erweiterten Großstadtraum? Wir haben eigentlich mit Dumbrăviţa, Giroc oder Moşniţa Vororte, die juristisch und politisch eigene Entitäten sind, eigene Orte, aber real leben wir in einem Raum und die Leute wohnen dort und arbeiten da und bewegen sich auch fort. Für die Zukunft müssen wir uns Gedanken machen, wie wir den gesamten Großstadtraum entwickeln wollen und wie das zusammenhängt, denn wir können nicht einfach so tun, als wäre Neumoschnitza nur ein nettes Dörfchen vor den Toren Temeswars, das mit uns nichts zu tun hat. Da gibt es langfristig sehr viele Herausforderungen. Und kurzfristig hat man nur einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, um zu sehen, dass wir noch viel zu tun haben, was die Sauberkeit angeht, die öffentliche Ordnung, u. Ä.