Ganz ohne Medikamente

Bei meiner letzten Lesung in der Bücherei Düsseldorf-Eller ist es so richtig voll geworden. Zu meiner Überraschung war sogar mein aus Bukarest stammender Hausarzt Dr. Lucian Ionescu, Spezialist für innere Medizin und Chirotherapie, erschienen, doch er musste dann plötzlich, bevor ich noch mit dem Lesen loslegte, leider wieder gehen. Er hatte schwarze Ringe unter den Augen, trug einen Zopf, stonewashed Jeans, ein rot-schwarz kariertes Hemd, und durch seinen Dreitagebart und sein breites Kreuz sah er aus wie David Garrett in der Holzfällerausgabe.

Er hatte kurz vorher als letzter seine Praxis verlassen, die er sich mit dem aus Siebenbürgen stammenden Dr. Johnny Georgescu teilte – in Düsseldorf gibt es entgegen eines weit verbreiteten Vorurteils wesentlich mehr zugelassene rumänische Ärzte als ohne Zulassung praktizierende rumänische Taschendiebe – und nun war sich Dr. Ionescu auf einmal nicht mehr sicher, ob er den Wasserhahn zugedreht und die Türen und die Fenster der Praxis geschlossen hatte. Das wunderte mich aber auch nicht, denn Dr. Ionescu war in der letzten Zeit bereits des Öfteren völlig neben der Spur gewesen. Er arbeitete einfach zu viel, denn er war eine Seele von einem Menschen und konnte zu seinen Patienten nie nein sagen. Er war praktisch Tag und Nacht für sie abrufbar, und auch wenn ein Teil seiner Patienten Lehrer waren und sie sich die Diagnose so gut wie immer selbst stellten und ihm die von ihnen einzunehmende Medikation hartnäckig zu diktieren versuchten, weil sie immer alles besser wussten, empfand er dies nicht als wirklich entlastend.

Es sei nicht immer ganz einfach für ihn, erzählte mir Dr. Ionescu neulich, denn er habe ja auch noch vier schulpflichtige Kinder von drei verschiedenen Frauen, für die er selbstverständlich immer da zu sein habe und freilich auch finanziell sorgen müsse. Gott behüte, die Praxis würde zu wackeln beginnen, fügte er hinzu, und erläuterte mir, er fände es daher besser, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Er absolviere nun eine Zusatzausbildung zum Psychoanalytiker und müsse sich aus diesem Grund, wie es die Regeln der Zunft erforderten, zweimal wöchentlich selbst auf die Couch legen. Dadurch sei er etwas frustriert, weil er nur noch mit Müh und Not dazu käme, an seinem umfangreichen Fachbuch über ultimative Strategien der Stressvermeidung zu arbeiten, welches noch in diesem Herbst zu erscheinen habe. Dr. Ionescu legte einen großen Wert auf die Selbstheilungskraft des menschlichen Organismus und, bis auf die drei Psychopharmaka, auf die er täglich zugriff, kam er lobenswerter Weise ganz ohne Medikamente aus.