Gedächtnis an der Schnittstelle von Gutenberg und Zuckerberg

Ein aufschlussreiches Künstler-Gespräch im Brukenthalmuseum

Radu Vancu, Mugur Grosu, Ana Negoiță, Cosmin Perța und Dr. Alexandru Chituță (von rechts nach links) an der Spitze des ausführlichen Künstler-Gespräches im Brukenthalmuseum Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Wie viele von uns blättern noch in den alten Alben?“, fragte Dr. Alexandru Chituță Freitagnachmittag, am 13. Januar, in den Raum der Ausstellung „Tinerețe fără bătrânețe și viață fără de moarte“ (Jugend ohne Lebensabend und Leben ohne Tod) von Lyriker und Schriftsteller Cosmin Perța im Erdgeschoss des Brukenthalpalais hinein. Sie war Mittwoch, am 7. Dezember, ohne Einladung zu einer Vernissage für eröffnet erklärt worden und schließt Sonntag, am 29. Januar. Nein, Cosmin Perța und die Bukarester Kuratorin Ana Negoiță sind dem Brukenthalmuseum und seinen Besucher-Scharen keine Erklärung schuldig geblieben, ohne die es schier unmöglich wäre, der Ausstellung auf den Grund zu gehen. Denn die unscharfen Schwarzweißfotos von Alltag und Freizeit der Familie Per]a aus den Kindheitstagen des ausstellenden Literaten, seine mehrteilige Dichtung dazu und das in einer Schleife laufende Video auf der weißen Wand – nichts anderes letztlich als die Aneinanderreihung der Bilder zum gleichzeitigen Vortrag der Gedichte durch die tiefe Stimme von Cosmin Perța selbst – bilden ein Dreieck, das sich mit ein wenig Geduld beim Hinhorchen und Hinschauen wie von selbst erklärt. Trotzdem jedoch ist damit noch nicht alles gesagt. Der „Artist talk“ (Künstler-Gespräch) am frühen Freitagabend Mitte des Monats hatte nicht zu viel versprochen. Das Brukenthalmuseum wäre „die alte Institution Hermannstadts, aber jung!“, so der interimistisch überzeugende Direktor Dr. Alexandru Chituță. „Es dient persönlicher wie kollektiver Erinnerung.“ Vieles wie etwa Energie, Mut, Tatendrang, Liebe und Integrität könne die Jugend für sich behaupten, nur eines nicht: das Bewusstsein. „Man sagt, in der Jugend würde es im Schatten ruhen“, wie Dr. Chitu]˛ in das Feld der Ausstellungs-Debatte rund um das wirklich große Thema von Erinnerung und Gedächtnis führte. Ein guter Grund, die Ausstellung „Tinerețe fără bătrânețe și viață fără de moarte“ von Cosmin Perța als eine Möglichkeit zur Einnahme „schönen Treibstoffs“ aufzufassen.

Mugur Grosu und Radu Vancu vervollständigten das Podium der Debatte zum Quintett. Ersterer erklärte einleuchtend, dass Poesie „das Manko“ mit sich brächte, „mit Wörtern zu arbeiten“, die nun mal „keine Präfabrikate“ wären. „Wir sollten versuchen, das, was die Poesie uns zeigt, nicht auszuschlagen“, weil „die Kreativität nicht im organisierten Rahmen auftreten kann“. Hermannstädter Radu Vancu bestätigte seinen um fünf Jahre älteren Kollegen aus Constan]a und sprach von der „Zerstörbarkeit der Erinnerung“, die im Elektronischen „viel brüchiger als auf dem Papier“ ist. Einer alt bewährten Zivilisation auf Grundlage des Lesens von Texten – der „Gutenberg-Galaxie“ – stünde heute eine Zivilisation gegenüber, in der vor allem Bilder zählten und selbst Facebook-Nutzer zum alten Eisen zu rechnen wären. Die „Zuckerberg-Galaxie“ eben, wie Radu Vancu es treffend interpretiert. Auf Cosmin Perța (Jahrgang 1982) – der am Ende des Podiums-Gespräches öffentlich bekannte, im Alter von 11 Jahren den gewaltsamen Tod seines Großvaters miterlebt zu haben, was einen blinden Fleck von zehn Jahren in seinem späteren Gedächtnis an die eigene Kindheit nach sich zog – warte bereits, so Radu Vancu, die schwierige wie spannende Aufgabe, sich zu einer Zeit an die eigene Vergangenheit erinnern zu wollen, in der die alte „Gutenberg-Galaxie“ und die neue „Zuckerberg-Galaxie“ einander überlagern.

Cosmin Perța besteht darauf, seine Ausstellung sei „niemals ein Projekt, sondern ein Gedanke, eine Obsession“ gewesen. Mugur Grosu erkennt nicht ohne Deckung durch die Wirklichkeit, Social-Media-Kanäle würden oft dazu verleiten, „sich an das Leben zu klammern wie an ein Vordach“, und Radu Vancu punktet, dass „wir eine Spezies mit der Fähigkeit zum Kreieren von Fiktion sind. Diese unsere Natur wird erst enden, wenn wir selbst verschwinden, weswegen sie auch unsere Grenze bedeutet.“ Eine der schlüssigsten Bemerkungen zur Ausstellung „Tinerețe fără bătrânețe și viață fără de moarte“ stellte Gast-Kuratorin Ana Negoi]˛ aus Bukarest auf: Cosmin Per]a habe seine Gedichte und Texte ausgehend von den Bildern geschrieben, und der Film dazu wäre nicht einfach nur ein Film, sondern eine visuelle Installation. Auch deswegen „sind wir die Generation, die ihr eigene Vergangenheit am besten archiviert hat“, resümiert Radu Vancu.