Gehorsam

Vom aus dem christlichen Kirchen- und Mönchswesen kommenden „Gehorsam“ (der aber schon im assyrisch-babylonischen und ägyptischen Mönchswesen belegt ist), hörte man im heutigen Rumänien bis zum Ausbruch der Gesundheitskrise häufig in den bukowinischen Nonnenklöstern: „Mă duc la ascultare“/„Ich folge dem Gehorsam“ oder „Sunt obligată la ascultare“/„Ich bin zu Gehorsam verpflichtet“ sind die häufigsten Bemerkungen, wenn es einem gelingt, die Nonnen (oder auch Mönche) eines orthodoxen Klosters in ein Gespräch zu verwickeln. Wozu sie gerade der „Gehorsam“ (wenn schon nicht kategorisch verbietet – man lebt von Tourismus, das ist auch „Wahrung des Scheins“ – so doch) nicht ausdrücklich ermuntert.

Die Grundregeln des Gehorsams sind von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert novelliert und für lange Zeit festgeschrieben worden, in der Ostkirche gelten sie in hohem Maß heute noch, in der Westkirche seit Luther und dem Zweiten Vatikanischen Konzil immer weniger. Man merke sich trotzdem: gehorsam (und seine umfangreiche und breit gefächerte Bedeutung: anständig, artig, botmäßig, brav, ergeben, folgsam, fügsam, führig, gefügsam, gesittet, kirre, lenkbar, lieb, manierlich, sittsam, unterwürfig, willfährig, wohlerzogen, zahm) haben etwas mit Hierarchie, Führungsannahme, Unterordnung und Duckmäusertum zu tun. Mit dem Erhalt einer Ordnung, der man sich fügen muss, auch wenn man mit ihr und den Organen des Ordnungserhalts nicht vollkommen einverstanden ist.

In diesem Sinn erlebten wir bis heute einen Zustand des Gehorsams, der bisweilen verdächtig eine Diktatur touchierte1, welche die Obrigkeit – zumindest im Anfangsstadium der „militärischen Verordnungen“ – sich ohne Zögern und Bedenken umzusetzen bereit zeigte. Für mich sprach die Lederjacke, in der Innenminister Ion M. Vela im Abendfernsehen auftrat, Bände. Dieser Zustand der Kaschierung des Chaos durch forsch-autoritäres Auftreten und (auch einander widersprechenden) Kommuniqué-Sentenzen von Präsidentschaft, Regierung, Innen- und Gesundheitsministerium, das ellenbogenkrachige Vorspreschen reeller und eingebildeter Autoritäten des Bereichs, das reziproke Stoppen von Aussagen (Premier Orban ging bedenklich weit, als er sagte, in diesem Land gelte nur, was der Präsident sagt!... – wenn das so stimmt, ist es einfach schlimm...), alldas ist alles andere als vertrauensfördernd.

Recht haben jene Kommentatoren, die behaupten, das Schlimmste sei zur Zeit nicht die Gesundheits-, die Wirtschafts- oder die Krise der Politik, am schlimmsten sei die Vertrauenskrise – die alle genannten Krisen umfasst. Es ist die Krise des Bürgerbewusstseins (ich bin überzeugt: So lange ein Spitzenpolitiker von „meinen Rumänen“ und nicht von „unseren Bürgern“ spricht – das „mündig“ lasse ich erst mal weg – so lange ist diese Krise unüberwindbar und so lange werden die Obrigkeiten überzeugt sein, dass dieses Volk nur auf Peitschenhiebe reagiert – und seien sie auch „nur“ in Form empfindlich hoher Geldstrafen...).

Über diese Geldstrafen sagte ein BBC-Reporter, sie lägen etwa auf der Höhe der Einkommenssteuer sämtlicher Firmen Rumäniens im Februar. Strafgelder als Haushaltsbeschaffungsmaßnahme, fußend auf der Vertrauenskrise zwischen Politikern und Wählern. In diesem – und nur in diesem – Sinn hat mich das skandalöse Urteil des Verfassungsgerichts über die Strafgelder gefreut.

Denn eigentlich hat die Bevölkerung Rumäniens in den gut zwei Monaten des Notstands dezent-exem-plarischen Gehorsam (in jedem Sinn der obigen Wortfamilie, und: nicht verbissen, mit Humor) an den Tag gelegt. Dass die Zahl der Covid-19-Erkrankungen in Rumänien sich in Grenzen hält, ist nicht nur auf die peinlich geringe Zahl von Testen und auf den propagandistischen Riesenaufwand (Kompensation für das, was in Krankenhäusern fehlt?) zurückzuführen, sondern auch auf den mönchshaften „Gehorsam“ der zahmen Bürger Rumäniens.


1„… Wir haben Grund zu der Annahme – und das auf der Grundlage offizieller Daten zur Epidemie in Bezug auf die Anzahl der Todesfälle – dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen. Auf diese Weise wollen sie dauerhaft Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung aufzwingen, die Menschen kontrollieren und ihre Bewegungen überwachen…“  Kardinal Gerhard Ludwig Müller, früherer Bischof von Regensburg