Gehorsam durch die Pandemie

Eine demokratische Krisenbewältigung benötigt politischen Streit und offene Debatten

Die Armee wurde zur Unterstützung der Kontrolle der Ausgangssperre eingesetzt. Foto: Agerpres

Warum ist es zu Beginn einer Virus-Pandemie legitim, als politischer Entscheidungsträger nach vergleichsweise restriktiven Maßnahmen sowie eigenen Warnungen über steigende Infektionszahlen nicht lebensnotwendigen Unternehmen den Betrieb zu erlauben, aber als Direktor eines Krankenhauses für Infektionskrankheiten nicht besondere Schutzmaßnahmen für gefährdete Personengruppen zur Diskussion zu stellen. Eine polemisch-verkürzende Aussage, die illustriert, wie Argumentation im öffentlichen Diskurs funktioniert. Doch auch die Polemik ist wichtiger Bestandteil der Streitkultur.

Vor allem ältere Menschen werden sterben. Das SARS-CoV-2 wird die Welt die nächsten Monate begleiten. Dieser Wahrheiten müssen sich Staatspräsidenten und Staatsbürger bewusst sein. Denn unter diesen Maßgaben gilt es, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben der nächsten Zeit auszuhandeln und fortzuführen, aber auch den Meinungswettstreit auszutragen. „Richtig“ und „Falsch“ orientieren sich dabei an individuellen Wertvorstellungen, allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien, Partikularinteressen oder unvollständigen Informationen. Es werden sich Allianzen mit denselben Zielvorstellungen, aber verschiedener Legitimierung bilden, polarisierende Vorschläge unterbreitet und Sündenböcke gesucht. Ändern wird sich folglich nicht viel, zumindest nicht in der Theorie, wie politische Meinungsbildung funktioniert.

Wenn der Premierminister am 15. März sagte, dass es keine Armee auf den Straßen geben wird, dann tat er das unter den Annahmen dieses Tages und seinen Vorstellungen über die Zukunft – oder er hat gelogen, denn am 25. März wurde die Armee zur Unterstützung der Kontrolle der Ausgangssperre hinzugerufen. Die Wahrheit ließe sich in diesem Fall durch Gespräche mit dem Premierminister und seinen Beratern herausfinden. Anders verhält es sich mit der Falschbehauptung von Staatspräsident Klaus Johannis in Bezug auf eine vermeintliche experimentelle Schulöffnung in einer französischen Gemeinde, die ihm als argumentative Grundlage für die Schließung der rumänischen Bildungseinrichtungen bis September diente. Während der Premierminister seine Ansicht möglicherweise aufgrund neuer Erkenntnisse verändert hat, hat der Staatspräsident eine Maßnahme mit einer nachweislich unwahren Behauptung begründet, wissentlich oder unwissentlich.

Staatspräsidenten und Premierminister handeln aufgrund von zur Verfügung stehenden Informationen und möglichen zukünftigen Entwicklungen; vor dem Hintergrund individueller Wertvorstellungen, allgemeiner Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien, aber auch Partikularinteressen. Auch die Entscheidungen in Bezug auf eine schrittweise Wiederherstellung des Normalzustandes mögen auf den ersten Blick nicht kohärent erscheinen. Doch einerseits impliziert „schrittweise“ eine Einteilung und anderseits treffen Politiker ihre Entscheidungen natürlich auch unter dem Einfluss von Interessengruppen. Politisches Handeln ist komplex wie es auch wirtschaftliches Handeln oder persönliche Beziehungen sind.

Und was ist schließlich erfolgreiches politisches Handeln? Sind es aktuell die noch nicht einmal 1000 Personen, die in Rumänien an COVID-19 gestorben sind oder die knapp über eine Million ausgesetzten respektive aufgelösten Lohnarbeitsverträge? Was ist am Ende der Pandemie ein Erfolg?

Die Pandemie bietet die Möglichkeit polemischer Leitartikel und sentimentaler Appelle, die an dieser Stelle stehen könnten. Sie ist ein Umstand, der das Leben aller Menschen im Land betrifft. Dementsprechend eignet sie sich in besonderer Weise, die Komplexität von Politik und Gesellschaft herauszustellen, Argumentationen zu verfolgen und Handlungen einzuordnen. Die Begleitumstände der Pandemie, also Einschränkungen von Freiheiten oder Grundrechten, Wirtschaftsförderungen oder Sozialhilfen werden in dem komplexen Zusammenspiel verschiedenster Akteure ausgehandelt.

Doch müssen die politischen Entscheidungsträger dazu einerseits ihr Handeln auch erklären und andererseits einen Meinungsaustausch zulassen. Bisher haben Regierung und Staatspräsident eine autoritäre Krisenbewältigung beruhend auf Repression und Angst geführt. Die Entlassung von Adrian Streinu-Cercel aus dem Wissenschaftsrat des Gesundheitsministeriums für die Covid-Krise, aber auch die Empörung über die von Sozialdemokraten und Ungarnverband eingeforderten wöchentlichen Berichterstattungen können beispielhaft für die diskussionsverweigernde Haltung stehen. Entgegen der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation und ohne eine Erklärung über einen vermeintlichen Nutzen wird auch weiterhin an der Grenzschließung festgehalten, dabei verweist gerade der Staatspräsident gerne auf Maßnahmen und Vorschläge internationaler Partner.

Natürlich begründen verschiedene Wertvorstellungen unterschiedliche Handlungsvorschläge und Zielvorstellungen, doch von der Diskussion sollten lediglich Verschwörungstheoretiker und notorische Lügner ausgeschlossen werden – die Polemik hingegen nicht. Meinungsführende Medien können dann statt der dauerhaften Einblendung der Infizierten- und Todeszahlen das möglicherweise widersprüchlich erscheinende politische Handeln nachvollziehbar erklären und einordnen.