Gelebte Vielfalt im Banat

Jugendliche verschiedenster Ethnien führen die deutschen Traditionen weiter

Oana Eremie und Teodora Mateoc tragen mit Stolz die banatschwäbischen Trachten.

Iadranka Giurgiev aus Detta: „Vor jedem großen Fest erzählt uns unsere Tanzleiterin einiges darüber“.

Zwei „Warjascher Spatzen“, die keine Deutschen sind und dennoch mit viel Freude die deutschen Tänze tanzen: Andrei Țuca und Aleksandar Seculici Fotos: Zoltán Pázmány

Viele bunte Regenschirme hängen über den Köpfen der Passanten, doch niemand scheint heute auch nur ein Auge für die lustige Straßeninstallation in der Alba-Iulia-Straße zu haben. Mit ihren Smartphones in den Händen fotografieren alle den bunten Trachtenzug in der Innenstadt. Blasmusik ertönt dort, wo sonst Temeswars Straßenmusiker ihre Rock-Songs zum Besten geben. „Was geschieht hier? Wer sind diese schönen jungen Menschen?”, will eine Frau Mitte 50 wissen, die gerade dem Gottesdienst in der orthodoxen Kathedrale beigewohnt hat. „Das sind die Deutschen”, antwortet eine deutlich jüngere Frau, während sie einem geschätzt siebenjährigen Jungen den mit Blumen und Spiegelteilchen geschmückten Kirchweihhut auf dem Kopf zurechtrückt. Der Hauch von Stolz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

An einem brennend heißen Sommersonntag im Juni ziehen „die Deutschen”, wie sie von den „anderen“ bezeichnet werden, durch das Zentrum von Temeswar/Timișoara und locken alle Blicke auf sich. Die Heimattage der Banater Deutschen, die abwechselnd in Ulm und in der Stadt an der Bega stattfinden, sind in vollem Gange. Zahlreiche Tanzgruppen aus dem Banat und aus Deutschland haben sich in Temeswar eingefunden, um der Mehrheitsbevölkerung gemeinsam die Trachten und Tänze der Banater Schwaben und Berglanddeutschen vorzuführen. Unter den Trachtenträgern sind auch viele Jugendliche, die keine deutschen Wurzeln haben und dennoch mit viel Freude die deutschen Trachten tragen und das Tanzbein zum Walzer und zur Polka schwingen. Rumänen, Ungarn, Serben, Roma, Bulgaren – die Ethnien des Banats tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass die deutschen Sitten und Bräuche in Westrumänien weitergepflegt werden und weiterleben. 

Oana Eremie (22) und Teodora Mateoc (23) sind zwei waschechte Rumäninnen, die seit ihrer Kindheit deutsche Tänze tanzen. Am Heimattags-Sonntag tragen sie Original-Trachten aus Guttenbrunn/Zăbrani bzw. aus Bakowa/Bacova. Oana hat Latein und Germanistik an der West-Universität studiert, während Teodora, die bereits die Fakultät für Angewandte Sprachen absolviert hat, ab Herbst ins fünfte Studienjahr an der Medizinfakultät startet. Die beiden Mädchen haben schon in ihrer Kindheit in der banatschwäbischen Kindertanzgruppe „Hänschenklein” unter der Leitung von Grundschullehrerin Brigite Szokob getanzt und sind später, im Lyzeum, zu den „Banater Rosmareinern” hinzugestoßen. „Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich Deutsch lerne, also schickte sie mich in die Nikolaus-Lenau-Schule. Und da ich schon dort war, schrieb ich mich auch in die deutsche Tanzgruppe ein. Mein Vater hat so einen Spruch, er sagt zu meiner Mutter: ´Du hast dein Kind zu einer Minderheit in deinem eigenen Land gemacht´”, erzählt Teodora. “Es macht Spaß, es ist lustig, es ist viel Teamarbeit dabei. Das Anziehen der Trachten ist nur die Fassade. Die Menschen sehen nicht, was dahinter steckt: die Freunde, die man durch das Wirken in einer Tanzgruppe gewinnt, die zweite Familie sozusagen”, erklärt sie. 

Von ihrem Vater, der aus Altbeba/Beba Veche stammt, hat Oana Eremie immer wieder erzählt bekommen, dass seine Kindheitsfreunde den unterschiedlichsten Banater Ethnien angehörten. „Es war selbstverständlich, dass ich zur deutschen Schule ging”, sagt Oana nun. Auch sie hat mit dem Tanzen bei den „Hänschenkleins” begonnen. Dass die deutschen Tänze eine Zukunft im Banat haben, daran glauben die beiden Banater „Rosmareinerinnen“ ganz fest. „Die Lenau-Schule sichert unseren Nachwuchs”, weiß Teodora Mateoc. 13 Jungs und 15 Mädchen bilden aktuell die deutsche Tanzgruppe „Banater Rosmarein” unter der Leitung von Edith Singer und Andreea Lăpugean.

Iadranka Giurgiev (15) ist heute aus Detta/Deta nach Temeswar gekommen, um mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Tanzgruppe „Edelweiß” unter der Leitung von Elena Şamanţu beim Trachtenumzug durch die Innenstadt dabei zu sein. Seit zwei Jahren tanzt die Serbin mit den veilchenblauen Augen, wie es in dem bekannten Polka-Lied heißt, im deutschen Tanzensemble in der Temescher Kleinstadt. Von ihrer deutschen Großmutter lernte Iadranka auch die deutschen Sitten und Bräuche kennen und lieben. Sie war es, die das serbisch- und rumänischsprachige Mädchen zur Tanzgruppe „Edelweiß” schickte. „Ich mag den Walzer, die Trachten und die Kirchweihfeste”, schwärmt das Mädchen, das ab Herbst das Lyzeum besuchen wird. Zwölf Trachtenpaare bilden die große Tanzgruppe, in der kleinen tanzen etwa 15 Kinderpaare mit. „Edelweiß” probt jeden Freitag ab 18 Uhr im städtischen Kulturheim. „Wir sind in der Tanzgruppe alle sehr gute Freunde”, sagt Iadranka. Bereits seit ihrem vierten Lebensjahr tanzt Iadranka auch in der serbischen Tanzgruppe „Sveti Nikola” in Detta.

Fabrizio Nicola (12) ist seit etwa einem Jahr Mitglied der deutschen Tanzgruppe in Großjetscha/Iecea Mare. „Ich bin Roma”, antwortet der Junge auf die Frage, welcher Banater Ethnie er angehört. Was ihm an den deutschen Tänzen gefalle? „Alles”, antwortet er spontan mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Vor allem aber die Tatsache, dass ich mit meinen Kollegen zusammen bin. Wir lieben einander”, beschreibt Fabrizio die Atmosphäre in der Gruppe unter der Leitung von Tanzlehrer Hansi Müller. Jeden Donnerstag ab 17 Uhr kommen die Kinder im örtlichen Kulturheim zusammen, um die deutschen Tänze zu erlernen. Bei den Proben wird Rumänisch und Deutsch gesprochen, sagt Fabrizio. „Meine Eltern waren sehr froh, als ich zur deutschen Tanzgruppe gegangen bin”, fügt der Junge hinzu. 

Eine starke Präsenz bei fast allen banatschwäbischen Festen im Banat zeigen seit ihrer Gründung die „Warjascher Spatzen”, ebenfalls unter der Leitung von Hansi Müller. Andrei Şuca (18) und Aleksandar Seculici (19) sind Mitglieder dieser Gruppe. Andrei hat aromunische Wurzeln, Aleksandar ist Serbe. Beide tanzen bei den „Warjascher Spatzen” seit der Gründung dieser Tanzgruppe vor sechs Jahren. Es sind die Freundschaften, die in solchen Gemeinschaften entstehen, der Spaß, der bei allen Kirchweihfesten entsteht, und das Tanzen an sich, die auf die jungen Menschen so verlockend wirken. Acht Trachtenpaare bilden die „Warjascher Spatzen”, die jeden Freitag ab 19.30 Uhr im Sportsaal der Schule proben. 

Tobias Kozenkay (13) aus Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare ist Ungar, er tanzt aber nicht nur in der ungarischen Tanzgruppe, sondern auch in der des Deutschen Ortsforums. Obwohl Tobias kurz vor der Abschlussprüfung der achten Klasse stand, war er bei den Heimattagen der Banater Deutschen mit dabei. „Ich mag das Tanzen überhaupt und ich habe viele Freunde hier“, sagt Tobias, der seit acht Jahren in der deutschen und seit fünf Jahren in der ungarischen Tanzgruppe tanzt. Der Jugendliche, der mit seinen Großeltern Ungarisch und mit den Eltern Rumänisch spricht, besucht die deutsche Abteilung der Allgemeinschule „Nestor Oprean”. Eines muss der junge Mann schon zugeben: „Die ungarischen Tänze sind deutlich anspruchsvoller als die deutschen”, sagt er lächelnd. Seinen Zopf hat er heute unter dem Kirchweihhut versteckt. 13 Paare bilden die deutsche Tanzgruppe „Buntes Sträußchen”, dazu gehören mehrheitlich Schüler der deutschen Abteilung. „Bei den Proben spricht Hansi Müller nur Deutsch mit uns. Wir lernen da auch andere Choreografien, wie zum Beispiel serbische oder slowakische Tänze”, sagt Tobias Kozenkay. Im August fliegt das „Bunte Sträußchen” aus Großsanktnikolaus zusammen mit anderen Mitgliedern der von Hansi Müller geleiteten Tanzgruppen nach Istanbul, in die Türkei, wo wieder Auftritte auf dem Programm stehen.

Ein Ethnien-Gemisch, wie es das Banat vorzuweisen hat, ist kaum woanders in dieser Vielfalt anzutreffen. Kein Wunder also, wenn Kinder anderer Ethnien in die deutschen Trachten schlüpfen und die deutschen Tänze erlernen. Den Banater Kindern liegt es schon in den Genen, aber es macht auch viel Spaß. Dietlinde Huhn, Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Großsanktnikolaus, empfindet es für alle Beteiligten als Bereicherung. „Für uns ist das ein Grund zum Stolz, weil es eigentlich nur noch wenige gibt, die deutsche Wurzeln haben. Deswegen ist es umso erstaunlicher, wenn die anderen unsere Kultur und Tradition mittragen. Sie ziehen mit der größten Selbstverständlichkeit die deutsche Tracht an und machen bei solchen Veranstaltungen wie die Heimattage mit so viel Freude mit”, sagt die Deutschlehrerin aus der Stadt an der Aranka, die im Unterricht ihren Schülern die Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache als Bereicherung fürs Leben immer wieder zu erklären versucht. 

„Man kann ja nicht erwarten, dass es nach der starken Aussiedlung der Deutschen so weitergeht, als sei nichts geschehen. Es ist ein neues Phänomen, das zu beobachten ist, dass eben junge Leute aus anderen Ethnien, aber oft auch solche, die jemanden in der Familie aus den Reihen der Banater Schwaben haben, sich für dieses Brauchtum interessieren. Ich sage immer, das sind Bausteine unserer kulturellen Identität und ich finde das gut”, antwortet Peter Dietmar Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, auf die Frage, wie er dazu steht, dass Vertreter anderer Ethnien deutsche Trachten tragen. Auch in Deutschland gibt es in den Tanzgruppen Kinder und Jugendliche, die keine banatschwäbischen Wurzeln haben und die sich sehr wohl in dieser Gemeinschaft fühlen, erklärt Peter Dietmar Leber. Der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, Ovidiu Ganț sieht es ebenfalls positiv, dass die deutschen Sitten und Bräuche auch von jungen Leuten anderer Ethnien übernommen wurden. „Ich freue mich, dass die Kinder und Jugendlichen zusammenfinden und eben diese schwäbischen Traditionen mit uns zusammen weiterpflegen wollen.”

Das Banat mit seinen Ethnien, die einander schätzen und respektieren, die zusammenhalten und füreinander da sind, das mag im Alltag der Stadt Temeswar, der Kulturhauptstadt Europas 2021, oft unsichtbar scheinen. Wer es aber hautnah erleben möchte, der möge bei einem der vielen banatschwäbischen Kirchweihfeste in Westrumänien vorbeischauen - Beispiele der gelebten Vielfalt, die das Banat seit eh und je prägt.