Gluckenglück

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Dass Hühnersuppe gegen Erkältung gut sein soll, hat wohl jeder schon mal gehört. Die These, dass auch Hühner zu Wohlbefinden und Gesundheit beitragen, stellte mein Mann erst kürzlich auf. Und nein, er meinte nicht Hühnerfleisch! Mit strahlendem Gesicht kam er aus unserem Vorraum, den derzeit zwei Türen vom übrigen Wohnraum hermetisch abriegeln, dahinter geheimnisvolles, rotes Licht. Das Grinsen wich ihm minutenlang, ach was, ein halbe Stunde lang, nicht mehr aus dem Gesicht. Und danach ging er einfach, um sich ein neues zu holen. Ein gesundheitsförderndes Dauerwohlfühlgrinsen.

Dass mein Göttergatte neuerdings öfters den Rotlichtbereich frequentiert, stört mich nicht im Geringsten. Mich zieht es doch auch ständig dort hin! Denn unter der warmen Infrarotlampe wuseln unsere 37 drei Tage alten Babys quirlig in einem riesigen Korb zwischen Wasser- und Futterquelle hin und her oder bilden in einer Ecke einen gelb-braunschwarz gefleckten, dichten Schlafteppich aus ermattet dahingesunkenen Hühner- und Perlhuhnküken. Und weil diese geballte Niedlichkeit die Seele scheunentorweit öffnet und Glück hereinströmen lässt – Mutterglück? Vaterglück? Oder einfach Gluckenglück? – sind Hühner neuerdings für uns der reinste Gesundbrunnen. Man denkt nur noch: Geht’s den Kleinen auch gut? Und kontrolliert bei jedem nächtlichen Gang zum Badezimmer Wasserstand und Temperatur im Brutkastenbereich. Auch den täglichen Wechsel stinkender Windeln – äh, Sägespäne-Einstreu – vollführt man mit Freude, wobei sich höchstens die Streitfrage stellt, wer saubermacht und wer die wuseligen Plüschis einfangen und vorsichtig in eine Schachtel umquartieren darf. Danach stehen wir, Hand in Hand, dauergrinsend und glücklich vor der frischen Kiste. Und schämen uns kein bisschen vor soviel Gefühlsduselei. Auch vor dem Schlafengehen, wenn Terroranschläge, Kriege und Politskandale endlich ins Fernsehkästchen zurückgeknipst werden, hilft ein Blick ins Körbchen. Dort schlummert die sanfte Unschuld höchstpersönlich und heilt den Betrachter augenblicklich von allem Bösen dieser Welt.

Weil uns die Entdeckung und auch das Ausmaß dieses Effekts selbst überrascht hat und fasziniert, überlegen wir nun, wie man das in größerem Stil nutzen könnte. Für die Weltgesundheit, den Weltfrieden – oder einfach für mehr glückliche Menschen! Sollten wir nicht Trump und Putin, Assad und Kim Jong Un mal ein Kistchen Küken schicken? Könnte man Küken auf den Bukarester Straßenverkehr loslassen, um Milde und Nachsicht bei den Hu-pern, Dränglern und Rasern auszulösen? Würden Küken im Wald Jägerherzen im Sturm erobern? Sollte man sie prophylaktisch über internationale Flughäfen wuseln lassen, um Terroristenherzen zu erweichen? „Hühnersuppe für die Seele“ lautete der Titel eines Buchs, das 1997 die Bestsellerlisten eroberte – mit wahren Geschichten, die Herz und Verstand ansprechen und zum Nachdenken anregen sollen. Das bringt mich jetzt auf eine klasse Buchidee: Wir wär’s mit „Küken für den Weltfrieden“?

Doch dann fällt mein Blick auf die Headline eines Artikels auf unserer Deutschlandseite: „ Weiter Kritik am Kükenschreddern“. Mehr als 40 Millionen männliche Küken werden jedes Jahr direkt nach dem Schlüpfen getötet, wird dort erklärt. Mit Hähnen, die keine Eier legen, kann der Kommerz nichts anfangen. Die große Koalition in Deutschland nehme das millionenfache Kükenschreddern aus rein wirtschaftlichen Gründen billigend in Kauf. Nicht nur die Tatsache, auch das Wie jagt mir kalte Schauer über den Rücken! Da kann man nur hoffen, dass es Karma gibt... Doch bis dieses endlich Gerechtigkeit schafft, geht noch viel Zeit ins Land. Wie wär’s daher mit einer Kampagne an die Bevölkerung: „Hol dir das Glück ins Haus – adoptiere einen kleinen Hahn!“