Gottesdiener zwischen Kollaboration und Widerstand

Berlinale-Film mit Vlad Ivanov in tragender Rolle jetzt im Kino

Wegen der Corona-Pandemie kommen jetzt erst Filme in die rumänischen Kinos, die eigentlich schon lange dort hätten zu sehen sein müssen. Dazu zählt auch der Film „Služobníci“ (Diener), der auf der letztjährigen Berlinale seine Weltpremiere feiern konnte, danach im Rahmen mehrerer internationaler Filmfestivals des vergangenen Jahres aufgeführt und dabei auch mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde.

Der in tschechischer Sprache (mit englischen Untertiteln) gezeigte Schwarzweißfilm mit einer Dauer von 80 Minuten, eine tschechisch-slowakisch-rumänisch-irische Koproduktion, spielt in der Tschechoslowakei des Jahres 1980, genauer gesagt in einem Priesterseminar, wo die Zöglinge auf ihren späteren Dienst in der katholischen Kirche vorbereitet werden.

Die Kamera (Juraj Chlpík) spielt die Hauptrolle in diesem ganz in Schwarzweiß gedrehten Film. Sie fängt nicht nur das kalte Ambiente des Priesterseminars überwältigend ein mit seinen dicken Klostermauern und kargen Innenräumen, sondern zeigt auch nüchtern die Tristesse des Ostblock-Sozialismus in den 1980er Jahren, die dampfenden Schornsteine maroder Fabriken, die dunklen Straßenzüge und die Ärmlichkeit des Lebens hinter dem Eisernen Vorhang. Gleichwohl ästhetisiert die Kamera die Strenge und die Zucht des gemeinschaftlichen Lebens der Priesteramtszöglinge, etwa wenn diese allesamt eine ovale Wendeltreppe emporsteigen oder – ebenfalls aus der Perspektive der Obersicht aufgenommen – in einem dunkeln Innenhof Fußball spielen oder dort Wäsche aufhängen. Grandios ist auch die Szene, in der sich zwei am Fenster stehende Priesteramtskandidaten miteinander unterhalten und das Bild einer übermächtigen Kuppel, die sich auf der Scheibe spiegelt, die beiden Gesprächspartner einfasst. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass die Kamera Juraj Chlpíks in „Služobníci“ (Diener) szenische Tableaus kreiert, lebende Bilder („tableaux vivants“), die in ihrer Statik eine ungeheure Dynamik in sich bergen, diese zugleich bändigen und gleichwohl fühlbar machen.

Dazu fügt sich auch das Hauptmotiv dieses höchst sehenswerten Films: das Motiv des Schweigens. Die stummen Bilder sagen ungleich viel mehr als das, was gesprächsweise in deren szenischem Rahmen verlautet. Man könnte hierbei an die Worte von Bertolt Brecht denken, der in seiner Hymne „An die Nachgeborenen“ dichtete: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Oder an Paul Celans lyrische Antwort auf Brechts Verse: „Was sind das für Zeiten, / wo ein Gespräch / beinah ein Verbrechen ist, / weil es soviel Gesagtes / mit einschließt?“ Das Thema des Schweigens trifft dabei ins Zentrum der politischen Handlung des Filmes, denn es ist darin keineswegs nur vom mystischen Schweigen die Rede, von der Offenbarung Gottes in der schweigenden Natur, sondern auch vom konspirativen Schweigen, vom Schweigen aus Furcht oder Angst, vom Schweigen der Standhaftigkeit und des Widerstands.

Der politische und historische Hintergrund des Films verweist auf die Aktivitäten der sog. Friedenspriester, die in der Tschechoslowakei seit den 1950er Jahren mit dem sozialistischen Staat kollaborierten und sich aus ideologischen und nationalistischen Gründen gegen die römisch-katholische Weltkirche stellten. Zynischerweise gaben sie ihrer Organisation später den Namen „Pacem in Terris“ nach der gleichnamigen Enzyklika aus dem Jahre 1963 von Papst Johannes XXIII., der sich darin freilich für die Achtung und Wahrung der Menschenrechte ausgesprochen hatte. Mit dem Prager Frühling wurde die Organisation der Friedenspriester zwar aufgelöst, um 1971 jedoch neu gegründet zu werden und bis zur Wende 1989 die Geschicke der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei zu bestimmen. Die Filmhandlung des Jahres 1980 fällt also genau in diesen Zeitraum der Kämpfe zwischen ideologischen Kollaborateuren und rechtgläubigen Widerständlern im Schoß des tschechoslowakischen Katholizismus.

Der Gegensatz zwischen Kollaboration und Widerstand, dieser tiefe Riss, der sich durch den tschechoslowakischen Katholizismus jener Jahre zieht, ist auf allen Ebenen des kirchlichen Personals spürbar, das in diesem Film gezeigt wird, von den hohen Würdenträgern bis hinab zu den Seminaristen. Ein Priester der Untergrundkirche, der Priester Coufar (Vladimír Obšil), der in konspirativen Wohnungen heimlich und verbotenermaßen Priesterweihen vornimmt (eine davon ist im Film zu sehen), wird eines Tages unter ungeklärten Umständen tot aufgefunden, wobei schnell klar wird, dass Coufar nicht Opfer eines Verkehrsunfalls wurde, sondern bei der Folterung durch die politische Polizei den Tod fand. Besagter Riss bedroht auch die Freundschaft der beiden jungen Seminaristen Juraj (Samuel Skyva) und Michal (Samuel Polakovic), die gemeinsam ins Priesterseminar kommen, sich dann aber nach und nach auseinanderleben, weil sich einer der beiden der Untergrundkirche anschließt und seinen Kameraden im Hinblick auf dessen mögliche Mitwisserschaft nicht in Gefahr bringen möchte. Nicht das Mitwissen, sondern die Wankelmütigkeit des Kameraden führt dann aber die Katastrophe herbei. Dessen Beichte, deren Geheimnis vom Beichtvater nicht gewahrt wird, setzt seinen widerständlerischen Freund derart unter Druck, dass er innerlich zusammenbricht und sich kurz darauf das Leben nimmt.

Auch in diesem Kontext des gemeinschaftlichen Widerstandes gelingen dem Film beeindruckende Bilder, wenn etwa die Seminaristen im Refektorium vor ihren dampfenden Tellern sitzen und alle, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nichts zu sich nehmen, weil sie wegen der erzwungenen Teilnahme an einer Veranstaltung der Organisation „Pacem in Terris“ in den Hungerstreik getreten sind. Oder wenn sie in der Sporthalle wie zum Gesellschaftstanz aufgestellt in Paartanzpose verharren. Oder wenn ein Priester in der Bibliothek auf einem Trampolin hüpft, wobei sich die Schöße seiner Soutane bei den einzelnen Sprüngen entfalten.

Die diabolische und zugleich bemitleidenswerte Figur dieses Films ist der Geheimpolizist Doktor Ivan, meisterhaft verkörpert durch den rumänischen Schauspieler Vlad Ivanov, der mit allen Mitteln versucht, das Priesterseminar auf Parteilinie zu bringen und die Geistlichen auf die sozialistische Ideologie einzuschwören. Er ist an der Ermordung Coufars beteiligt, er zieht den Dekan des Priesterseminars (Vladimír Strnisko) auf seine Seite, er sät Zwietracht bei den Seminaristen und setzt sie durch Drohungen (Entlassung aus dem Seminar, Einberufung zum Militärdienst) unter Druck, um sie gleichzuschalten und sie als inoffizielle Mitarbeiter, Spitzel oder Denunzianten zu gewinnen. Zugleich leidet der Geheimdienstoffizier an einer Hautkrankheit, die nach und nach seinen ganzen Körper überzieht und so das Krebsgeschwür politischer Unterdrückung leibhaftig versinnbildlicht.

Immer wieder wird Vlad Ivanov in seiner bloßen, schutzlosen und damit entmythologisierenden Körperlichkeit inszeniert: in der Arztpraxis, im Badezimmer vor dem Spiegel, im Wohnzimmer beim Bügeln vor dem Fernseher. Die Machtförmigkeit seiner Erscheinung als Offizier der politischen Polizei wird hier porös und durchsichtig auf einen zynischen Nihilismus mit tragischen Zügen. Man fühlt sich erinnert an eine andere Rolle Vlad Ivanovs, an die Rolle des Ausbildungspriesters in Daniel Sandus Film „Un pas în urma serafimilor“ (Einen Schritt hinter den Seraphim) aus dem Jahre 2017. Während Ivanov dort als Priester seine Zöglinge nach allen Regeln der Kunst umgarnt, wobei auch brutale Züchtigung und sadistische Demütigung eine Rolle spielen, während er dort also im Vollbesitz seiner verführerischen und dämonischen Kräfte agiert, wirkt er in Ivan Ostrochovskýs Film „Služobníci“ (Diener) nur noch als Wrack seiner selbst und als krankes Symbol einer abgelebten Ideologie. Ein wirklich sehenswerter, lehrreicher, ästhetisch ungemein ansprechender und fesselnder Film, der wegen seiner relativen Kürze umso prägnanter wirkt!