Himmlisch geerdet

Ein Ausflug zurück nach Hause – ins Haus der Gottesmutter Maria von Radna

Gnadenbasilika

Gnadenbild

Stein mit Hufeisenabdruck

Baujahr der Wallfahrtskirche | Fotos: Pressebüro der Diözese Temeswar und Facebook/Basilica Maria Radna

Ein Geheimtipp kann die Wallfahrtskirche Maria Radna kaum sein, ist sie doch nicht nur laut Wikipedia der bedeutendste römisch-katholische Wallfahrtsort der Diözese von Temeswar/Timișoara, wahrscheinlich ganz Westrumäniens und seit 30 Jahren päpstliche Basilika in Radna auf dem gegenüberliegenden Maroschufer der Arader Kleinstadt Lippa/Lipova. 

Schlagzeilen rund um dieses Gotteshaus gibt es besonders zu den Wallfahrtshochfesten im August und September, zu besonderen Feiertagen oder Jubiläen, wie im Jahr 2020, als 500 Jahre gefeiert wurden, seitdem in Radna die erste Kapelle errichtet worden war. Und doch steht sie da, Tag für Tag, an jedem Wochentag, egal welches Wetter und welche Jahreszeit, weitere knappe 300 Tage im Jahr, die weder Sonn- noch Pilgertage sind. Dann ist es ein ganz anderes Maria Radna als jenes, das von Pilgerströmen überrannt wird: Ein Ort, der einen in seiner prunkvollen, natürlichen Stille so empfängt, wie man selbst ist ohne Festagsgewand, ohne Trachtenkleid, vielleicht auch ohne Pilgerstab, Gebetsbüchlein oder Rosenkranz. 

Die Hast des Alltags wird abgelegt, die Sorgen, die Freuden bewusst oder unbemerkt Gott und der Heiligen Gottesmutter zu Füßen gelegt. Dem Auge, dem Ohr, der Nase und der Haut tut sich etwas Heimisches, vielleicht Vertrautes auf, sofern man es schafft, innezuhalten, wenn Fotoapparat oder Handy die ersten Eindrücke festgehalten haben und man den geduldigen Erklärungen und Erzählungen des Pfarrers Andreas Reinholz oder des Fremdenführers Boda Ferenc lauscht, der dafür den Kiosk neben dem Haupteingang verlässt und erst später wieder darin Rosenkränze, Ansichtskarten, Gebetsbüchlein, Fremdenführer in verschiedenen Sprachen, Weihwasser und was für Souvenirs man sich noch von einer Pilgerstätte so mitnehmen möchte, bescheiden anbietet. Und ja, wer ganz für sich allein den Marienwallfahrtsort erkunden möchte, der findet auch handliche kleine Fremdenführer zu kaufen. Eins sollte man aber auf jedenfall mitbringen: Zeit.

Zeit zum Ankommen, Durchatmen, Hinhören, Schauen oder besser noch: Betrachten. Natürlich kann man die beiden Kirchtürme schon aus weiter Ferne sehen, wie sie sich hell von den Lippaer Hügeln abzeichnen. Auf dem Vorhof, bei den wenigen noch übrig gebliebenen großen alten Bäumen, wirkt die Kirche nebst Klostergebäude immer wieder imposant, und hat man erst die Stufen zu ihrem Eingang erklommen, scheint sie nur noch weiter in den Himmel ragen zu wollen. Im Inneren entzückt der Barockbau, erfreut das Lichtspiel von draußen bei Sonnenschein und an jedem Seitenaltar, Kreuzweg-Stationenbild oder der imposanten Deckenmalerei könnte man minutenlang verharren, wenn da vorne am Altar, zentral und hoch oben von einem monumentalen Silberrahmen gefasst, nicht das Gnadenbild wie ein Magnet die Aufmerksamkeit und das Objektiv der Kameras auf sich lenkte.

Und doch widersteht man, denn da ist links an der Wand der Stein mit dem Hufabdruck drin und man wird anhand des dazu gemalten Bildes und der ungarischen Beschriftung einer Legende gewahr: Ende des 17. Jahrhunderts soll es einen großen Brand in Lippa und Radna gegeben haben, dem auch die Kirche zum Opfer gefallen war. Türkische Reiter sollen zu Pferd in das neuerrichtete Gotteshaus dringen haben wollen, als der Huf eines Pferdes in einem Stein versank, als sei dieser aus Wachs. Ähnlich wie bei der Fontana di Trévi in Rom, in die man ein Geldstück werfen soll, heißt es, wer diesen Stein berühre, kehre wieder hierher zurück. So abgewetzt und glänzend er ist, wird es wohl einige Besucher geben, die daran glauben.

Und Besucher, ob Touristen oder Pilger, gibt es in Radna nicht wenige: Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie konnte Pfarrer Andreas Reinholz, der seit über 18 Jahren für diese kleinste Pfarrgemeinde der Diözese Temeswar zuständig ist, über 140.000 Pilger zählen, für die die heilige Messe in sieben verschiedenen Sprachen, besonders denen der Banater Minderheiten (Deutsch, Bulgarisch, Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch und Kroatisch) gefeiert wurde. Will man einem Gottesdienst beiwohnen, ohne mit großen Pilgergruppen rechnen zu müssen, so gibt es an Sonn- und Feiertagen um 8 Uhr auf Ungarisch und um 10.30 Uhr eine dreisprachige Messe (rumänisch, deutsch, ungarisch), an den Wochentagen um 18 Uhr im Sommer, um 16 Uhr im Winter und samstags um 10.30 Uhr Gottesdienste. Ein Gänsehaut-Erlebnis ist es dabei, der Organistin Andreea Bodroghi und ihrer Sopranstimme bei der musikalischen Gestaltung zuzuhören.

Weniger bekannt ist, dass die Kirchweih der Basilika Maria Radna am 25. März gefeiert wird, zumal die Kirche 1820 mit dem Patrozinium Mariä Verkündigung von Alexander Rudnay, Erzbischof von Gran (Esztergom) und damit Fürstprimas von Ungarn, neugeweiht wurde. Er schenkte der Kirche als Weihgabe die beiden Goldkronen, die der Muttergottes und dem Kind auf dem Gnadenbild aufgesetzt wurden und teils die sie krönenden Engel verdecken. Sein Sterbewunsch soll es gewesen sein, dass sein Herz in Maria Radna, in der Nähe der Gottenmutter mit dem Kinde, aufbewahrt werde. Und so kommt es, dass seit 1931 in einem Seitenaltar, in einem „Dunstglas“ in Formalin, das Organ aufbewahrt wird.

Es ist nicht das einzige Körperteil, das in der Wallfahrtskirche zu sehen ist, zumal rechts und links vom Hauptaltar in Rahmen gefasst auf rotem Samt eine Vielzahl von Votivgaben zu bestaunen ist. Hände, Arme, Beine, Augen, Herzen aus Silber hängen dort als Zeugen des Wunderwirkens der Gottesmutter von Maria Radna. Die lateinische Inschrift am Scheitelpunkt des Triumphbogens fasst zusammen, wofür die hunderte Votivgaben stehen: „dass der Sohn die hier der Gebärerin vorgetragenen Bitten gewähren will“. Gemeint sind nicht nur die ausgestellten Objekte, sondern auch die umfassende Danksagungs- und Heiligenbildersammlung, die Votivbilder, die auf drei Etagen in den Galerien entlang der Kirche zu betrachten sind. Manche von ihnen sind sehr plastische, naive Zeugen der Wunder, die durch Anrufung der Mutter Gottes von Radna bewirkt worden seien. Die ältesten stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wenngleich es Belege über hunderte noch ältere Votivbilder gibt, die jedoch auch im Zuge jüngster Renovierungsarbeiten nicht auffindbar waren. Dafür konnten Restauratoren an der Decke der Galerie die Portraits der franziskanischen Guardians und Heiligen in frischen Tönen zum Vorschein bringen. Bis 2003 waren die Franziskaner jene, die das Kloster und die Kirche in ihrer Obhut gehalten hatten, seither ist das gesamte kirchliche Leben des Wallfahrtsortes dem Diözesanklerus anvertraut. Wer mehr über das Kloster, seine Geschichte und Bewohner erfahren möchte, dem steht seit 2015 ein Museum auf drei Stockwerken im Westflügel des Klosters mit rund 130 Vitrinen und zahlreichen Infotafeln zur Verfügung. Konzipiert hat es der emeritierte Diözesanbischof Dr. hc. Martin Roos. Das Leben der franziskanischen Ordensleute und ihre über 700 Jahre alte Geschichte im Banat wird im Erdgeschoss präsentiert. Um die Kirche von der ersten Kapelle bis zur Basilika Minor, inklusive der Wallfahrten und des Pilgergeschehen, geht es im ersten Stockwerk, während im zweiten das Klosterleben und die Geschichte des Kreuzweges auf dem Hügel hinter der Kirche dargestellt sind, es werden hier jedoch auch verschiedene liturgische Kleidungsstücke und Schatzkammer-Gegenstände ausgestellt, die für den Laien oft viel attraktiver als die Dokumente in den ersten beiden Stockwerken sind.

Süd- und Ostflügel des Klosters beherbergen einen Konferenzraum, einen Speisesaal (das sogenannte Refektorium), einen Ausstellungsraum, Küche, sowie Unterkunftsmöglichkeiten. Es gibt auch einen besonderen Saal, in dem man standesamtliche Trauungen durchführen könnte, was bisher noch nicht passiert ist. Dafür wurde zu Pfingsten eine Hochzeit im Gästehaus des Klosters gefeiert.

Das Touristeninformationszentrum am unteren Teil bietet einen weiteren Raum für regelmäßige Treffen der Familien, Jugendlichen, Gebetsgruppen, Priester, Lehrer, Schüler und Freiwilligen.

Schon bemerkt, dass man sich am „Hauptattraktionspunkt“ vorbeigeschlichen hat? Nein, das wird dem Besucher in Maria Radna bestimmt nicht passieren können. Sie thront hoch oben über dem Hauptaltar, die Skapulier-Madonna, eine barocke Mariendarstellung. In den 1770er Jahren erhielt das Bild den prächtigen silbernen Rahmen, geschaffen vom Wiener Goldschmied Joseph Moser, der das 477 mal 705 Millimeter große Bild riesig ausstrahlend über dem Carrara-Marmor-Altar erscheinen lässt, obwohl es nur auf mittelmäßigem Papier gedruckt sein soll. Und doch habe es einen Kirchenbrand unversehrt überstanden und ist seit Jahrhunderten „eine Quelle, aus der viele Leute schöpfen, auch jetzt“, so Domherr Andreas Reinholz, der bezeugt, dass Wunder auch heutzutage viel häufiger geschehen würden als mancher vermute.

Ob gläubig oder nicht, findet man an der Lourdeskapelle links unterhalb der Basilika oder am Kalvarienberg hinter der Kirche, mit der Vielzahl an Heiligenstatuen, einigen Rastplätzen und weiteren kleinen Waldkapellen bei Maria Radna Orte der Besinnung, der Erdung und eventuell der Danksagung, oder einfach frische Waldluft zum Einatmen, den Geruch von grünem Laub, vom trockenen Laub oder der scharfer Eiseskälte, die tief in die Lungen dringt, während man langsam die breiten Stufen am schmerzhaften Kreuzweg immer weiter hochsteigt. Leider ist der glorreiche Weg, der von oben nach unten führt, mit seinen Stationen kaum noch zu finden, zumal viele davon zerstört wurden. Dass die Anlage hinter dem Kloster-Kirche-Gebäudekomplex einer dringenden Sanierung harrt, tut dem Gefühl einer Zeitreise oder eines Abstechers in eine andere Welt, weit weg vom Alltagstrubel, keinen Abbruch.