Hoffnung auf dem letzten Weg

Die Münchnerin Anke Helten kämpft für ein Hospiz in Bukarest

Anke und Florentina auf Hausbesuch bei Alex und Flori.

Die achtjährige Flori ist eine begeisterte Tänzerin.

Anke Helten und Volontär Bogdan scherzen miteinander im Bukarester Büro von „Hospices of Hope“.
Fotos: Nina May

Fröhlich ging es im Kinderferienlager am Königstein zu.

Fröhlich springen Flori und Alex auf der Matratze herum, die den einzigen Wohnraum fast ganz einnimmt. Krankenschwester Florentina Baltag fängt sich den quirligen Buben ein und legt ihn übers Knie. Mit der hohlen Hand klopft sie dann minutenlang seinen Brustkorb ab. Flori spielt inzwischen mit der deutschen Besucherin, die neben ihr sitzt. „Aufstehen!” befiehlt sie dem Spielzeugauto, das unter einer Decke hervorlugt.

Die blonde Frau lächelt und zieht das Auto noch tiefer hinein.  „Nein, nicht schlafen! Es soll aufstehen!” protestiert die Kleine und quietscht vor Vergnügen. Dann ist sie an der Reihe. Die Klopfbehandlung gehört für beide Kinder zum dreimal täglichen Ritual. Mukoviszidose nennt man den genetischen Defekt, der das achtjährige Mädchen und ihren fünfjährigen Bruder zu Dauerpatienten des Bukarester Homecare-Teams von Casa Speranţei macht. Er führt zu zähflüssig verdicktem Schleim in den Lungen und anderen wichtigen Organen. Dank moderner Medikamente, einer speziellen Diät, teuren Nahrungsergänzungsmitteln und regelmäßigen Klopfmassagen zur Bronchialdrainage werden Mukoviszidose-Patienten heute im Schnitt dreißig Jahre alt...

Nicht immer laufen Patientenbesuche so fröhlich ab, erzählt Anke Helten, als wir wieder im Auto sitzen. Marius, ein anderer Schützling des Homecare-Teams, ist vom Hals an abwärts gelähmt–- Multiple Sklerose. Langsam, aber unaufhaltsam frisst die Krankheit an seinem Nervensystem. Die Welt des 50-jährigen Mannes besteht aus Fernsehen und Musikhören. Ein Student aus England, Praktikant bei Casa Speran]ei, besuchte ihn eine zeitlang täglich.Doch nun ist Marius wieder allein. Auf der Fahrt ins Büro wird Florentina Baltag in eine Kinderkrebsstation gerufen. „Ein 13-jähriger Junge“, sagt sie. „Er wird nicht mehr lange leben“. Anke Helten sitzt auf der Rückbank und schweigt. Wenige Tage noch, dann ist sie wieder zurück in ihrer alten Welt, als PR-Managerin eines britischen Pharmakonzerns in München. Doch die „alte“ Anke, die gibt es dann wohl nicht mehr...

Ein Haus der Hoffnung für Bukarest

„Ich habe diese Erfahrung gesucht“, sagt Anke Helten, als sie mir im lichtdurchfluteten Bukarester Büro gegenüber sitzt. Die Biologin mit Spezialfach Virologie verbrachte ihr bisheriges Berufsleben mit Pressekonferenzen, Medizinzeitschriften und Statistiken über die Wirkung der Krebsmedikamente, die ihr Arbeitgeber, der Konzern Glaxo- SmithKline, herstellt. „Drei Monate Lebensverlängerung” zitiert sie eine dieser abstrakten Erfolgsmeldungen. Sie fragte sich oft, was das konkret noch bedeutet. So kam es, dass sich die Münchnerin für ihr halbjähriges Volontariat, das der Arbeitgeber sorgfältig ausgewählten Mitarbeitern als eine Art Incentive anbietet, “Hospices of Hope” als Wunschziel angab.

Die britische Charity Organisation, für die Anke Helten zwischen Juni und Dezember in Bukarest die Werbetrommel rührte, baut in Osteuropa Hospizeinrichtungen auf, die Menschen auf dem letzten Weg palliativmedizinisch begleitet oder unheilbar Kranke fachkundig betreut. Allein in Bukarest sterben jährlich etwa 5000 Menschen an Krebs. Menschenwürdige Sterbebegleitung steht in Rumänien mangels geeigneter Einrichtungen weniger als sieben Prozent aller Patienten zur Verfügung. 

Wer sich keine Privatklinik leisten kann, muss auf adäquate Schmerztherapie, Linderung der Symptome durch Massagen oder Lymphdrainagen, psychologische und soziale Betreuung eben verzichten. „Hospices of Hope“ betreibt bereits in Kronstadt ein erfolgreiches Lehrhospiz unter dem Namen „Casa Speran]ei“, das als „Centre of Excellence“ ausgezeichnet wurde. Die Organisation hat sich nun zum Ziel gesetzt, in Bukarest eine ähnliche Einrichtung aufzubauen,  die ausschließlich sozial schwachen Menschen kostenlos zur Verfügung stehen soll.

„Wir suchen noch Gründermitglieder”

Für Anke Helten war das Volontariat eine Chance, sich einerseits mit ihrem Fachwissen  einzubringen und der Charity-Organisation wertvolle Dienste zu leisten, andererseits den eigenen Horizont durch hautnahe Patientenkontakte, aber auch durch Konfrontation mit dem Tod, zu erweitern. Ihre Hauptaufgabe bestand aus Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit  für das neue Casa Speran]ei- Hospiz, das Anfang 2012 am Rande von Bukarest auf einem bereits erworbenen Grundstück gebaut werden soll.

30 Pflegebetten sollen dort entstehen, die  700 Aufnahmen im Jahr ermöglichen. Ein ambulanter Bereich wird 8000 Behandlungen sicherstellen. Für etwa 5000 Patienten soll eine moderne, attraktive Tagesstätte geschaffen werden, zum Basteln, Fernsehen und Malen, oder für Gottesdienste und Gespräche mit Pfarrern und  Sozialarbeitern. Mobile Homecare-Teams sollen um die 11.000 Hausbesuche pro Jahr und spezielle ambulante Betreuuungsangebote wie Lymphdrainagen oder Massagen sicherstellen.

Über 2,6 Millionen Euro wurden für das Projekt bereits gesichert, weitere 2,1 Millionen fehlen noch. „Wir suchen vor allem noch Gründermitglieder, die sich mit größeren Summen einbringen“, meint Anke Helten und zitiert ein paar Firmen, die  für das Projekt gewonnen werden konnten: BCR, Raiffeisen, Vodafone... Ihre Ziele sind ausländische Unternehmen, Botschafter, Künstler und Musiker für Benefizveranstaltungen, aber auch einfache Bürger, die mit Spendenaktionen wie „Buy a Brick“ - dem symbolischen Ziegelkauf bei Erwerb eines kleinen Souvenirs –  einen Beitrag leisten möchten.

In einem Charity Marathon, den die Münchnerin aus Publicity Gründen mitlief, konnte sie selbst 2500 Pfund sammeln. Neben PR-Erfahrung und Organisationstalent ist bei  ihrer Tätigkeit vor allem Kreativität gefragt: Anke Helten berichtet über eines ihrer Lieblingsprojekte, den Malworkshop für kranke Kinder mit der Künstlerin Roxana Ene. Die Originalmalereien der Kleinen wurden  von der Grafikerin in einer als Overpainting bezeichneten Technik zu Kunstwerken umgestaltet, die gleichzeitig der Persönlichkeit jedes Kindes Rechnung tragen. In einer Ausstellung sollen die Bilder zugunsten von Casa Speranţei verkauft werden.

„Ich habe viel Schönes erlebt“

Doch der Einsatz von „Hospices of Hope“ für todkranke Menschen geht weit über medizinische Betreuung und Sterbebegleitung hinaus. Anke Helten zeigt Bilder von jährlich organisierten Kinderferienlagern, an denen sie im Sommer selbst teilnahm. Lachende Gesichter zeugen davon, dass Krankheit und Seelenschmerz dort für ein paar Tage von Spaß und Spiel in den Hintergrund gedrängt werden.

Die Ferienangebote gibt es sowohl für kranke und behinderte Kinder, als auch getrennt davon für gesunde  mit  einem im Sterben liegenden Elternteil oder einem Geschwisterchen als Hospizpatient. Auch Flori und Alex durften an einem  Ferienlager in Harghita teilnehmen. Die Betreuer sind neben Fachkräften meist Volontäre wie Anke. „Der älteste war 70“, verrät sie augenzwinkernd.

„Ich habe viel Spaß gehabt und viel Schönes erlebt“, resümiert Anke Helten ihr halbes Jahr in Bukarest. Über die stark vernetzte Expat-Community fand sie rasch sozialen Anschluss und kam gleichzeitig in Kreise hinein, die auch für ihre Tätigkeit für „Hospices of Hope“ wertvoll waren. Sie lernte rumänisch, bereiste das Land und ist begeistert von den warmherzigen Menschen.

„Rumänien ist total spannend, einfach toll!” Faszinierend fand sie auch die Kontraste: wunderschöne alte Stadtvillen, dann wieder Kabelsalat und graue Blocks.  Mystische orthodoxe Kirchen, oder moderne Supermärkte, in denen es alles gibt... Pferdewägen und Menschen, die noch Wasser aus dem Brunnen schöpfen. Auf der Fahrt mit dem Bus ins Büro schockierte sie vor allem der Blick in die Münder – schlechte oder fehlende Zähne empfand sie als Spiegel der Armut. Aber auch die vielen Bettler und die alten Mütterchen, die an der Kirchentüre diskret die Hand aufhalten, bedrückten sie oft.

Es war eine intensive Zeit, in der Freud und Leid eng beieinander lagen. Bereut hat sie ihren Aufenthalt nicht – im Gegenteil. „Ich wollte auch der Gesellschaft etwas zurückgeben“ motiviert die alleinstehende Karrierefrau ihren freiwilligen sozialen Einsatz. „In Rumänien kann man das noch.“

„Im Umgang mit Sterbenden hingegen fragt man sich oft, wie es für einen selbst sein wird”, sinniert die aparte blonde Frau. Schlimm war für sie, aus nächster Nähe mitzuerleben, wie der erst 30 jährige Sohn eines langjährigen rumänischen Mitarbeiters von „Hospices of Hope“ an Darmkrebs erkrankte und nun im Sterben liegt. „Er hat sich so unglaublich engagiert“,  flüstert sie mit erstickter Stimme und wischt sich eine Träne von der Wange. „Es ist einfach ungerecht!“

Auf der Fahrt durch die Stadt erzählt Florentina Baltag von einem Gemälde ihres krebskranken dreizehnjährigen Patienten: vier Bäume in unterschiedlichen Stadien, der letzte knorrig und verdorrt. Darüber, auf einer anderen Ebene, ein Bäumchen, mit bunten Blüten übersät. „Das ist der Ort, an den es seine Seele zieht“. Hoffnung – die gibt es auch auf dem letzten Weg.


Spenden für Casa Speranţei in Bukarest sind unter folgenden Kontonummern möglich:

Euro: RO87 RZBR 0000 0600 1221 6559
Lei: RO91 RZBR 0000 0600 1247 7320
Raiffeisen Bank, Braşov