„Ich bin anonym und ich bin Alkoholikerin“

Treffen in Kronstadt zum internationalen alkoholfreien Tag

Einige der Redner vom Treffen zum alkoholfreien Tag weltweit

Die Maßeinheit Alkohol pro Tag, die man nicht überschreiten sollte sieht 10 g puren Alkohol, oder 1 Bier (330 ml), oder ein Glas Wein (125 ml), oder 1 Shot (40 ml) vor

Drei Millionen Menschen sterben jedes Jahr aus pathologischen Gründen, die mit Alkohol zusammenhängen (2016). Dabei zählt unser Land, laut einer Studie des Nationalen Instituts für Öffentliche Gesundheit, die meisten Frauen europaweit, deren Tod auf den Alkoholkonsum zurückzuführen ist, wobei die rumänischen Männer beim Alkoholkonsum einen der führenden Plätze weltweit einnehmen. Unkontrollierter Gebrauch alkoholhaltiger Getränke kann zu rund 200 Krankheiten beitragen, davon können 30 ausschließlich davon ausgelöst werden.

„Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Kind und würden nachts durch Riemenschläge vom betrunkenen Vater geweckt. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, jede Nacht aufzuwachen, um nachzuschauen, ob der Vater noch lebt. Und einige Stunden später müssten Sie zur Schule, weil das die Aufgabe eines Kindes ist. Stellen Sie sich vor, wie Ihr 7-jähriges Kind am Tor steht und anderen Eltern hinterherschaut, die mit ihren Kinder an der Hand gehen. Es ist nichts Besonderes, aber das Kind fragt sich, ob es das auch irgendwann mal erleben darf“. Dieses Geständnis und gleichzeitig diese Einladung zur Reflexion machte ein 25-jähriger Mann in Kronstadt/Brașov im Rahmen eines vom Verein der Kronstädter Hausärzte veranstalteten Treffens von Spezialisten aus mehreren Bereichen, die allesamt Patienten mit Alkoholproblemen sowie deren Angehörige behandeln. Am Mittwoch, dem 2. Oktober, dem internationalen alkoholfreien Tag, sind Hausärzte, Assistenzärzte, eine Psychiaterin sowie Psychologen, Psychotherapeuten und Vertreter der Anonymen Alkoholiker aus Kronstadt, eine Sozialassistentin von der landesweit größten Allianz zur Bekämpfung von Trunksucht und Toxikomanien, ALIAT aus Bukarest, sowie Medizinstudenten zusammengekommen, um zum Thema „Alkoholkonsum – vom Problem zur Lösung“ zu sprechen. Auch Interessierte außerhalb der medizinischen Branche waren anwesend.

Beim Treffen, das im Multikulturellen Zentrum der Transilvania-Universität abgehalten wurde, sind mehrere Aspekte des Alkoholkonsums besprochen worden: die Auswirkungen des übermäßigen Alkoholkonsums auf die Betroffenen sowie auf deren Familie, Freunde, Arbeitskollegen, vorzeitiges Erkennen der Symptome von Alkoholsucht, Prävention und Schritte zur Behandlung von Alkoholkranken.

Angehörige sind mit abhängig

Erstaunlicherweise wurde sehr viel über die Familienmitglieder von Personen gesprochen, die kein Maß beim Trinken haben, da diese, in der Regel, die ersten sind, die merken, dass etwas nicht stimmt. Allerdings merken sie erst zu spät, dass es um Missbrauch geht, und wissen dann nicht, wie sie damit umgehen sollen, wie sie reagieren, was sie tun sollen. In den meisten Fällen wird versucht, das Problem im Rahmen der Familie zu lösen, möglichst fern von den Blicken oder dem Wissen der Außenwelt – es ist eine Angelegenheit, wegen der man sich schämt. Das Vertuschen der Situation macht alles nur noch schlimmer, erklärten die Spezialisten, da die chronische Alkoholvergiftung eine psychische Erkrankung ist, die professionelle Unterstützung benötigt und nicht zu Hause behandelt werden kann. „Man muss mit dem Betreffenden darüber sprechen und Hilfe von außen holen“, erklärt Daniela Ivana von ALIAT. Doch die wenigsten erkennen, dass sie ein Problem haben, hängen an einem gesunden Selbstbild so lange wie möglich. Bis es zu spät ist. Dabei sei der Einstieg in eine Sucht, egal welcher Art, ein schleichender Prozess, so die Experten.

Deswegen müssten Familienärzte mit den Partnern der Personen, die unkontrolliert trinken, zusammenarbeiten, um schon bei den ersten Symptomen eingreifen zu können. In diesem Sinne könnte der AUDIT-Fragebogen, ein Selbsttest zur Alkoholabhängigkeit, helfen. „Dieser Test ist wie ein Spiegel für den Patienten. Manchmal ist sich dieser nicht einmal bewusst, dass er regelmäßig Alkohol trinkt oder in zu hohem Maße“, erklärt Anca Lăcătuș, Hausärztin und Veranstalterin des Ereignisses.

Wie erkennt man, dass es zu viel ist?

Wenn der Partner seine täglichen Angelegenheiten nicht mehr erledigen kann, immer häufiger bei der Arbeit fehlt, keine Kontrolle mehr über die Menge des Alkoholkonsums hat, ein starkes Verlangen nach Alkohol aufweist, dann auch noch heimlich alleine trinkt und das zum Lösen von Problemen oder als Entspannungsmittel macht, dann sollte man professionelle Hilfe aufsuchen. Infolge des Audit-Fragebogens und eines Gesprächs kann der Hausarzt den Patienten, aber auch dessen Angehörigen, die selbstverständlich vom Problem betroffen sind und mitleiden, eine Therapie durch Einzelberatung oder bei Selbsthilfegruppen sowie eine ambulante Psychotherapie empfehlen. Dass sich nicht alle Menschen Therapien oder kostenpflichtige Beratungen leisten, darüber sind sich die Experten bewusst und hoffen auf eine Gesetzesänderung diesbezüglich. Die regelmäßigen Treffen im Rahmen des Vereins der „Anonymen Alkoholiker“ oder Hotlines, wo man Informationen bekommen oder sich einfach nur aussprechen kann, sind hingegen kostenlos und können auch sehr effektiv wirken. Die Ärzte haben auch über die dringende Notwendigkeit des Errichtens von staatlichen Kliniken für Suchtkranke gesprochen, zumal nur in Bukarest so ein Dienst angeboten wird, ansonsten landen die Trinker in der Psychiatrie.

An die Wurzel gehen

Besonders wichtig ist es, die Ursachen, warum ein Mensch übermäßig trinkt, zu suchen und zu finden. In zahlreichen Fällen wird Alkohol als dysfunktionale Lösungsstrategie angewendet. „Deswegen ist es wichtig, zuerst das wahre Problem des Konsumenten zu erkennen, den Grund, der zum Trinken führt, sei dieser Depression, Angst, Seelenqual, innere Kämpfe, unerfülltes inneres Bedürfnis oder ein anderer. Erst nachdem dieses Leiden behandelt wurde, kann man sich den übermäßigen Alkoholkonsum vornehmen“, sagt Gyöngyi Márton, Psychologin beim Verein „Psihosfera“ aus der Zinnenstadt. Die Psychologin lädt auch zu einem Wechsel des Blickwinkels ein: Diese Krankheit könnte als notwendige Zeitspanne für den Betroffenen betrachtet werden, die zu seiner inneren Entwicklung führen könnte. Wenn auch der Patient das so sähe, könne ihm geholfen werden und die Chancen zur Genesung seien besser. 
„Die Alkoholsucht ist eine komplexe Störung, eine psychische Krankheit, die manchmal nur ein einziges Symptom aufweist“, erklärte Simona Simion, Psychiaterin im Krankenhaus für Neurologie und Psychiatrie in Kronstadt.

Hilfeleistung

Die anwesenden Gäste bei der Diskussion vom 2. Oktober sprachen über die unglaublichen Bemühungen, die ein Mensch leisten muss, wenn er mit dem Trinken aufhören möchte, und unterstrichen, dass die Hoffnung für den Prozess der Genesung wesentlich sei.
„Es spielt keine Rolle, wie ich heiße. Seit 3350 Tagen habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Ich bin öfter im Psychiatriekrankenhaus gelandet, war dort festgebunden, alle Ärzte kannten mich, zeigten mir Kranke im letzten Stadium und sagten, ich werde genau wie die enden, wenn ich weiterhin trinke. Nichts hat mich interessiert“, erklärt eine ältere Dame, die seit vielen Jahren beim Verein der Anonymen Alkoholiker (AA) in Kronstadt Menschen mit Alkoholsucht betreut. Jede Art professioneller Hilfe hilft, die Menschen müssen sich aussprechen, sich von anderen Kraft nehmen, Hoffnung bekommen. Die meisten Menschen, die an den regelmäßigen Treffen der AA teilnehmen, kommen freiwillig dorthin. Das sei eigentlich der Auslöser zum Genesungsprozess, das haben alle anwesenden Experten beim Treffen in Kronstadt erklärt. Gegen den eigenen Willen kann ein Mensch nicht behandelt werden, der eigene Wunsch sei der erste Schritt zur Heilung. Die Frau mit strahlend weißen Haaren, die selbstsicher spricht, erzählt offen über ihre Jahre, in denen sie der Sucht verfallen war, und für sich selbst, die beiden Kinder, den Ehemann, sowie für die erweiterte Familie, die Freunde und Kollegen eine Last war. Laut der Weltgesundheitsorganisation leiden um einen Trinker rund sieben Menschen. „Niemand will eine Last für die anderen sein, aber man kann das Trinken nicht lassen, egal wie stark der Wille ist“ sagt sie. 

Rückfälle gehören zur Heilung dazu

„Niemand, der so etwas nicht erlebt hat, kann diese Sucht verstehen“, sagt die Frau. Zum Verstehen helfe ein Vergleich mit den eigenen Süchten, „jeder von uns ist süchtig nach irgend etwas“, wenn nicht nach Drogen, Spielen, Sex oder Medikamenten, dann vielleicht nach Nikotin, Schokolade oder Einkaufen. „Man kann das Trinken nicht lassen, lebt in einer Lüge, die zur Normalität wird“, sagt sie.

„Mit dem Trinken kann man nicht ab Montag, ab dem neuen Jahr aufhören, das geht nicht so. Man muss tatsächlich, tief im Herzen, davon überzeugt sein, dass man sich nicht auf dieser Erde befindet, um auf erbärmliche Art und Weise unterzugehen, sondern dass man eine wunderbare Person ist, mit einer Mission, die noch viele tolle Sachen hier erleben kann. Sobald man das einsieht, beginnt die Suche nach Lösungen und die muss dann aber gesteuert sein“, erklärt die Vertreterin der „Anonymen Alkoholiker“. Die Genesung sei ein sehr langer und schwieriger Prozess, der von Rückfällen begleitet ist. „Nachdem die Patienten trocken sind, müssen sie auf lange Dauer noch überwacht werden, das Gleichgewicht, das sie mit so großer Mühe erlangt haben, kann am besten durch Gruppentherapien behalten werden“, weiß Gyöngyi Márton. „Diese Menschen brauchen Zuwendung, Liebe, sie müssen sich angenommen fühlen, so wie sie sind, mit ihren Stärken und Schwächen.“

Schlussfolgerungen

Die Teilnehmer an der Begegnung in Kronstadt haben die Initiative, sich zu vereinen, begrüßt, zumal sie sich kennenlernen und vernetzen konnten. Außerdem hatten sie die Gelegenheit, sich auszutauschen, mehrere Methoden zum Behandeln alkoholkranker Patienten und deren Angehörigen zu erfahren. Der Wunsch, sich landesweit zu vernetzen und regelmäßige Veranstaltungen zum Thema zu organisieren, kam auf. Diese würde sowohl für Ärzte wie auch für die Kranken und deren Familien von Nutzen sein und dazu beitragen, gegenüber dem Leid dieser Menschen nicht gleichgültig zu bleiben, sie nicht mehr zu verachten und auf sie hinunterzuschauen, wie das meist der Fall ist, sondern zu versuchen, diese zu unterstützten oder zumindest zu verstehen.