Identität schaffen, motivieren, vereinen

Auf dem Presseseminar der in München erscheinenden „Siebenbürgischen Zeitung“

Die Aufgabe als Moderatoren teilten sich während der zweieinhalb intensiven Tage Chefredakteur Siegbert Bruss und der Bundeskulturreferent des Verbands der Siebenbürger Sachsen, Hans-Werner Schuster.

Alt-SbZ-Chefredakteur Hannes Schuster referiert über das Interview.
Fotos: George Dumitriu

Wie schafft man es, den Leser anbeißen zu lassen und zum Weiteressen zu verführen? Mal in kleinen, genussvollen Häppchen, mal herzhaft schlürfend – Hauptsache, es schmeckt! Schreiben ist tatsächlich ein bisschen wie Haute Cuisine. Entscheidend für das Ergebnis? Die Auswahl guter Zutaten und ein raffiniertes Rezept. Qualität, Relevanz und Vielfalt dürfen auf dem Büfett nicht fehlen. Eine starke, glaubwürdige Presse mit einem breiten Meinungskorridor ist Nahrungsgrundlage für jede Demokratie.

Mit der Frage, wie dies konkret zu bewerkstelligen sei, um eine noch bessere Zeitung zu machen, befasste sich das Presseseminar der „Siebenbürgischen Zeitung“ (SbZ), dem Vereinsblatt der in Deutschland organisierten Siebenbürger Sachsen, vom 14. bis 16. Oktober im Diözesan-Exerzitienhaus St. Paulus in Leitershofen bei Augsburg. Schwerpunkt der Veranstaltung, die sich an den Kreis jener richtete, die die SbZ täglich mitgestalten – Redakteure, Korrespondenten, Pressereferenten der Kreis- und Landesgruppen, in der Mehrzahl Freiwillige – war das Thema „Interview“. In Vorträgen und Übungen wurde vermittelt, wie man die Zeitung für den Leser noch lebhafter, interessanter, relevanter gestalten kann. Aber auch, welche multimedialen Ansätze es gibt, um die Internet-Plattform als Ergänzung zur Zeitung besser zu bedienen.

Motivation schaffen in der Krise

„Die Welt ist aus den Fugen geraten“ – mit dem Zitat von Außenminister Franz-Walter Steinmeier in Bezug auf die Krise der gedruckten Presse leitet Chefredakteur Siegbert Bruss seinen Vortrag über die „Siebenbürgische Zeitung“ im Wandel der Zeit ein. In den vergangenen zehn Jahren halbierten sich in Deutschland die Werbeeinnahmen der Medienbranche, die Auflage der gedruckten Presse schrumpfte um ein Drittel. Nicht nur der digitale Wandel hat den Einbruch bewirkt, sondern auch eine Glaubwürdigkeitskrise. Medien-Bashing wurde zum Trendsport: Stichwort „Lügenpresse“. Vielleicht haben Journalisten Herrschaftswissen zu lange für sich behalten, leichtfertig oberflächlich mit Politikern abgerechnet und den Leser so verdrossen, wird Steinmeier weiter zitiert. Und: „Nur mit Texten und Recherchen, die durchdringen und nachwirken“, könne die Presse ihrer Wächterrolle gerecht werden.

Wie positioniert sich die „Siebenbürgische Zeitung“ vor dieser Identitätskrise? Zwar ist ihre Auflage von rund 28.000 Exemplaren in den 90er Jahren auf 21.500 gesunken, was sich vor allem durch den Mitgliederschwund im Verband erklärt: Im Jahr 2000 gab es noch 25.000 zahlende Mitglieder, heute sind es rund 20.000. Doch als publizistischer Begleiter aller Aktivitäten des Verbands ist die SbZ eine Chronik für die Entwicklung einer Landsmannschaft, die ihren Wirkungskreis in den letzten Jahren stark vergrößert hat, verdeutlicht Bruss und führt einige Meilensteine an: Die Wahl von Dr. Bernd Fabritius 2013 zum Bundesabgeordneten und 2014 zum Präsidenten des Bundes der Vertriebenen: Unter dieser Konstellation seien Einschnitte wie das deutsche Fremdrentengesetz von 1996, das Rentenanwartschaften von Aussiedlern um 40 Prozent kürzte, nicht mehr möglich, „weil wir in Politik und Gesellschaft viel aktiver aufgestellt sind“.

Erfolge in der rechtlichen Interessenvertretung der Landsleute durch den Verband: Lastenausgleich, Familienzusammenführung, Einsatz für die Minderheitenrechte in Rumänien, Aussiedlerzuzug, Renten, Eigentumsrückgabe. Ein regelrechtes „diplomatisches Meisterstück“ sei die 2013 auf Initiative des Verbands erfolgte Ausweitung des rumänischen Entschädigungsdekrets 118/1990 auf Betroffene, die nicht mehr im Besitz der rumänischen Staatsangehörigkeit sind: Ehemalige Deportierte erhalten für jedes in der UdSSR verbrachte Jahr monatlich stolze 100 Euro.

Der Imagegewinn der Siebenbürger Sachsen als Brückenbauer in der rumänischen und bundesdeutschen Politik.
Mit dem EU-Beitritt Rumäniens haben auch die Siebenbürger Sachsen eine Art Wiedervereinigung erlebt: Dies zeigt der Trend zu mehr Heimattreffen, kulturellen Initiativen und Restaurierungen von sächsischem Kulturerbe in Rumänien, aber auch die wachsende Zahl der „Sommersachsen“ als Grenzgänger zwischen zwei Welten. Beim Heimattag in Dinkelsbühl 2016 lud der rumänische Premierminister Dacian Ciolo{ die Ausgewanderten explizit ein, sich mit ihrem Wissen wieder einzubringen. Man wolle die Kirchenburgen erneut mit Leben füllen und baue dabei auch auf die Siebenbürger Sachsen.
Der 2014 zum Staatspräsidenten gewählte Klaus Johannis steht für den Rechtsstaat und den Kampf gegen die Korruption. Er ist der erste Siebenbürger Sachse, der ein so hohes Amt bekleidet, er hat den Bekanntheitsgrad derselben auf der ganzen Welt erhöht.

Innerhalb der Gemeinschaft sind Veränderungen zu erkennen: Die Vernetzung der Vereine unter sich, aber auch die Offenheit für Zusammenarbeit mit rumänischen Einrichtungen, hat zugenommen. Bruss bringt es auf den Punkt: Die SbZ ist mehr als ein Informationsblatt der Siebenbürger Sachsen. Sie stiftet Identität, fördert den Zusammenhalt und das Miteinander der Generationen. Werte, die im Wandel sind, „wir haben sie nicht für ewig gepachtet“, warnt er. Hinzu kommt die Förderung der Kulturpflege und des europäischen Dialogs zwischen Ost und West. Vor allem aber steht das Blatt vor einer einzigartigen Aufgabe, die in den Handbüchern für Journalismus für größere Medien nicht vorgesehen ist: Motivation zu schaffen!

Das Interview als belebendes Element

Hannes Schuster, der ehemalige Chefredakteur der SbZ, verrät zum Thema Interview, wie man Zeitungsinhalte lebendiger gestalten könne. Mehr Zitate von Mitgliedern und Funktionsträgern, z. B. anerkennende Wertungen oder kritische Anmerkungen, weniger protokollarische Aufzählungen, legt er den Pressereferenten nahe, um nicht den falschen Eindruck eines wenig lebendigen Verbandslebens zu vermitteln. Ein Ansatz sei die punktuelle Verwendung des Interviews durch eingestreute Zitate oder als indirekte Rede. Als belebende Elemente kommen Augenzeugenberichte und persönliche Eindrücke infrage. Dies gilt auch für Reisereportagen, die häufig Etappen aufzählen und bekannte Informationen zu Sehenswürdigkeiten wiederge-ben.„Wenn ich die persönlichen Eindrücke eines Reisenden hätte – ich würde den Bericht von Anfang bis zum Ende lesen, obwohl ich tausendmal in Siebenbürgen war!“ illustriert Schuster.

Auch Tipps zur Vorbereitung eines Interviews, zur Gesprächsführung und presserechtliche Aspekte kamen zur Sprache. In Deutschland hat jedes Bundesland ein eigenes Presserecht. So gilt für die SbZ das Pressegesetz in Bayern, weil München der Erscheinungsort ist. In ganz Deutschland hat der Interviewpartner zudem das Recht, innerhalb einer vereinbarten Frist die Textfassung einzusehen und zu korrigieren. Redaktionelle Änderungen – Kürzungen, Zusammenfassungen, stilistische Eingriffe und Zurechtrücken missverständlicher Formulierungen – sind nur dann zu autorisieren, wenn sie Ziel und Richtung des Gesagten verändern. Als Beispiel zitierte der Vortragende Rita Süßmuth anlässlich ihres ersten Besuchs bei der Knesset: Bezugnehmend auf die deutsche Geschichte sagte die damalige Bundestagspräsidentin: „Ich komme mit meiner Scham zu Ihnen“ (statt „mit meinem Schamgefühl“). Ein gefundenes Fressen für die deutsche Presse! Hier wäre auch eine stillschweigende Richtigstellung möglich gewesen, lächelt Schuster.
In Übungen, angeleitet von SbZ-Redakteur Christian Schoger, konnte das Gelernte anschließend konkret vertieft werden.

Die Internetplattform – nicht nur Konkurrenz

Eine zunehmend wichtige Ergänzung zur gedruckten Zeitung bildet die Internetplattform www.siebenbuer ger.de, die zu einem großen Imagegewinn geführt hat, wie Siegbert Bruss erklärt. Herzstück der Webseite ist die Online-Zeitung mit drei neuen Artikeln täglich und aktualisiertem Pressespiegel. Sie sorgt für mehr Aktualität, denn die Druckversion erscheint nur zweimal im Monat. Hinzu informiert ein elektronischer Newsletter über neue Entwicklungen. Im eigenen YouTube-Kanal sowie auf den Social Media (Facebook, Instagram, Twitter) werden Fotos, Interviews oder Filme zu aktuellen Ereignissen und Veranstaltungen zeitnah hochgeladen. Über den richtigen Gebrauch der Online-Plattform und die komplexen Suchfunktionen referierte Webmaster Gunther Krauss. Internetreferent Robert Sonnleitner regt mit seinem Vortrag „Mobiler Journalismus – das Studio in der Hosentasche“ zu einer multimedialen, kreativen Online-Berichterstattung mithilfe des Mobiltelefons an. Texte zu schreiben und drei Wochen später in der Zeitung veröffentlichen – das reiche nicht mehr, provoziert er.

Crossmediale Verteilung und multisensorisches Storytelling sind die neuen Zauberworte, die vor allem die Jugend ansprechen. Filme und Tonaufnahmen von Events oder Interviews können live übertragen werden. Online-Plattformen und moderne Endgeräte erlauben vernetzte Kommunikation und den interaktiven Umgang mit Informationen. „Erstelle dein E-Book mit SbZ-Artikeln deiner Wahl“, der Videowettbewerb „Dein Trailer bringt dich zum Heimattag“ oder Fotostories wie „Rückblick auf den Heimattag 2016“ sind nur einige Beispiele, wie die junge Generation bei der Stange gehalten wird. Auch ihre Identifikationselemente haben sich gewandelt: Neben Trachten und Blasmusik begeistern sich Jugendliche für sächsische Hip- Hop-Bands, tragen T-Shirts mit lustigen sächsischen Sprüchen oder Halskettchen und Tattoos des Siebenbürgen-Wappens.

Die Zeitung – Element des Zusammenhalts

„Wir sind mehr als ein Trachten- und Tanzverein“, versucht Ingrid Hermann, Bundesreferentin für Öffentlichkeitsarbeit des Verbands der Siebenbürger Sachsen, zu vermitteln. Ihr Ziel ist, auf die Tätigkeit des Verbands aufmerksam zu machen, aktuellen und potenziellen Mitgliedern dessen Nutzen nahezubringen, Teilhabe und Engagement zu fördern. Zwar erfreut sich der Heimattag bei Jung und Alt großer Beliebtheit, doch die Rolle des Verbandes als Organisator wird nicht von allen wahrgenommen, klagt sie. „Was bekomme ich für meinen Mitgliedsbeitrag?“ fragen vor allem junge Leute ganz direkt. Auch die Zahl jener, die noch bereit sind, ein Ehrenamt zu übernehmen, nimmt ab. Dabei ist Selbstverwaltung und Mitgestaltung der Gesellschaft – auch als Kulturschaffende – bei den Sachsen Tradition, erinnert Siegbert Bruss. Viele singen, tanzen, spielen Theater – Aktivitäten, die auch das Miteinander der Generationen fördern. „Junge werden früh ins Leben eingebunden, alte Leute nicht frühzeitig ausgegliedert und in ein Altenheim abgeschoben.“

Die SbZ als publizistischer Begleiter der Aktivitäten des Verbands ist ein wichtiges Element dieses Zusammenhalts. Ihre schwierige Aufgabe besteht jedoch in dem Spagat, jedes zahlende Mitglied zufriedenzustellen. Da beschwert sich schon mal einer über seitenweise Todesanzeigen – andere wiederum lesen gerade diese, klagt Bruss. Zumindest aber hilft das seit 1993 etwa alle zwei Jahre veranstaltete Presseseminar, vom Kulturreferat und der SbZ organisiert und über das Haus des Deutschen Ostens vom bayerischen Sozialministerium gefördert, die journalistischen Kenntnisse der freiwilligen Mitarbeiter zu erweitern und die Zeitung ansprechender zu gestalten. Es dient darüber hinaus dem Austausch und der Beziehungspflege und ist Seismograf für die Sorgen und Nöte ihrer Mitgestalter. Das Resümee der diesjährigen Veranstaltung? „Mir sind Lichter aufgegangen!“, bekennt eine Teilnehmerin nach den intensiven zweieinhalb Tagen.