Idylle der Altstadt in Gefahr

Unternehmer plant Überfrachtung des historischen Zentrums von Hermannstadt

Blick nach Nordost aus dem Innenhof zwischen den Wohnhäusern Fleischergasse Nummer 25 und Brukenthalgasse Nummer 20. In der Bildmitte ist weit weg und ganz klein das Dach des Hotels „Zum Römischen Kaiser“ zu erkennen. Das Foto wurde mit dem Weitwinkelobjektiv der Smartphone-Kamera geschossen. Um Nichts in der Welt lassen wir uns dieses grüne Fleckchen Stadtruhe verbauen! Foto: Klaus Philippi

Wer behauptet, Hermannstadt/Sibiu sei klein, hat damit nicht unrecht. Temeswar/Timișoara, Kronstadt/Brașov und Klausenburg/Cluj-Napoca sind größer. Hermannstadt aber ist Zentrum der zwei wichtigsten Institutionen der deutschen Minderheit Rumäniens: die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien (EKR) und das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR).

Unter Ex-Bürgermeister Klaus Johannis verzeichneten beide Entitäten eine politisch starke Präsenz. Kirche und Forum der seit Martin Luther und Johannes Honterus evangelischen Siebenbürger Sachsen zehren davon, dass der amtierende Staatschef die protestantische Ethik in der Europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2007 fest etabliert hat. 69 Prozent der Wählerinnen und Wähler setzten am Sonntag der Kommunalwahlen 2000 auf den Spruch „votez cu sasul“ – „Ich gebe meine Stimme dem Sachsen!“ Zunächst jedoch musste Klaus Johannis dulden, dass die Sozialdemokratische Partei (PSD) das stärkste Wahlergebnis für die Mitgliedschaft im Stadtrat eingefahren hatte. Im Hermannstadt des postkommunistischen Neustarts hatten die Siebenbürger Sachsen und die protestantische Ethik das Misstrauen der umgebenden Mehrheitsgesellschaft zu überwinden. Die lokale Bevölkerung stand erst 2004 auf der zum Plural erweiterten Denkstufe „votez cu sașii“.

Luther wird das Zitat „Die Politik, das Evangelium des Teufels“ nachgesagt. Alle Damen und Herren des DFDR und der EKR, die regional und national für die Minderheit, der sie selbst angehören, sprechen, werden für ihren Mut geschätzt. Es ist nun mal nicht jedermanns Sache, öffentlich für die Vision einzustehen, die Klaus Johannis seinerzeit in Hermannstadt überraschend durchsetzen konnte, und dass ganz Rumänien sich freiwillig für die protestantische Ethik entscheidet, ist zu viel verlangt. Bei Berücksichtigung des Fakts, dass Deutsch sprechende Menschen in Hermannstadt nur noch ein bis zwei Prozent der Bevölkerung stellen, braucht man sich als einzelner Minderheitsangehöriger nicht dafür schämen, dass einem das Stöbern in den Regalen des Erasmus-Büchercafés im Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ der EKR und der Schiller-Buchhandlung am Großen Ring/Piața Mare bereits genügt. Wer will denn schon dem Teufel der Politik begegnen, wenn er einem nicht auf den Leib rückt?

Hiobsbotschaft mit schändlichen Folgen

An Neujahr 2020 entdeckte ich im antiquarischen Angebot der Schiller-Buchhandlung den Roman „Der hinkende Teufel“ von Alain-René Lesage (1668-1747) – und stellte Anfang Oktober fest, dass die 1967 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom Leipziger Verlag Philipp Reclam jun. veröffentlichte Ausgabe der deutschen Übersetzung des „Le Diable boiteux“ noch immer zum Verkauf stand. Gewiss kenne ich Menschen in Hermannstadt, die sich auf das Verhandeln mit dem Teufel der Politik verstehen. Für manche ist das sogar Beruf – aber vor dem hinkenden Teufel scheinen selbst Hartgesottene zurückzuschrecken. Schließlich weiß man doch beim hinkenden Teufel nie genau, ob er tatsächlich verletzt ist oder etwa nur simuliert.

Ein Teufel versucht aktuell, sein Unwesen im historischen Zentrum Hermannstadts zu treiben. Er hinkt nicht, ist nicht verletzt und simuliert auch nicht. Das sei allen Bürgerinnen und Bürgern, denen die Authentizität der Altstadt am Herzen liegt, gesagt. Mitte Juli fand ich in meinem Briefkasten auf der Fleischergasse/Mitropoliei einen Postumschlag vom Rathaus. Darin steckte ein Brief mit dem Hinweis auf die Dokumentation des Projekts „P.U.Z.C.P – Centrul istoric_4(parțial) – Construire clădire birouri“, die im Auftrag der GmbH S.C. I-NUTRITION S.R.L. erstellt wurde. „P.U.Z.C.P“ ist das Kürzel für „Proiect de urbanizare zonală clădiri patrimoniu“, das in diesem Fall konkret auf das Viertel zielt, das der öffentliche Parkplatz hinter dem Hotel „Zum Römischen Kaiser“ und dem Haus mit den steinernen Jungfrauen, die Quergasse/Tribunei, die Fleischergasse und die Brukenthalgasse/Alexandru Xenopol umrahmen.
Der Brief forderte mich auf, dem Rathaus meine Stellungnahme zur Dokumentation spätestens bis Montag, den 17. August, per Email oder Post zu senden. Mehrere Nachbarn, ebenfalls Anrainer des Viertels, haben besagten Brief zur selben Zeit erhalten und ihrerseits darauf geantwortet.

Den Brief überflog ich rasch, nahm mir aber vor, mich erst nach dem Sommerurlaub damit zu befassen und dem Rathaus meine Stellungnahme zwar recht spät, aber noch pünktlich und vor allem so reflektiert wie nur irgend möglich mitzuteilen. Was ich Sonntagabend, am 16. August, tat, nachdem ich den mit Bauvorschlägen ergänzten Ausschnitt der Straßenkarte und den Text der Dokumentation konsultiert hatte. Der zuständigen Rathaus-Stelle schrieb ich, die Genauigkeit der Dokumentation nicht anzweifeln zu wollen. Doch machte ich schriftlich Gebrauch vom Recht und der Freiheit, das zur Debatte stehende „P.U.Z.C.P.“ schlicht als soziokulturelles Sakrileg einzustufen. Noch am selben Abend erfuhr ich von einer Nachbarin, rechtmäßige Besitzerin eines großen Wohnhauses auf der mir gegenüberliegenden Seite eines Innenhofes zwischen Fleischergasse und Brukenthalgasse, dass ich beileibe nicht der einzige Gegner der streitbaren Dokumentation bin.

Die S.C. I-NUTRITION S.R.L. handelt als Franchise-Unternehmen kommerziell mit synthetischen Kraftnahrungsmitteln europäischer und US-amerikanischer Spitzenhersteller und bewirbt sich um die Genehmigung für das Bauen neuer Büro-Gebäude im anvisierten Viertel der Altstadt. Inhaber der S.C. I-NUTRITION S.R.L. und folglich Auftraggeber der Dokumentation ist Unternehmer Iancu-Sebastian Boncuț (35 Jahre), der von 2004 bis 2008 an der Technischen Universität München (TUM) Betriebswirtschaftslehre studiert hat.

Eine Recherche unternommen hat auch Traian Deleanu, Chefredakteur der Hermannstädter Lokalzeitung „Turnul Sfatului“, dessen Artikel „Se mai poate construi în centrul istoric? Proiect imobiliar pentru zona zero a Sibiului“ (Kann man im historischen Zentrum noch bauen? Immobilienprojekt für die Herzzone Hermannstadts) am 13. September veröffentlicht wurde und der anmerkt, dass Iancu-Sebastian Boncuț bereits 2017 das 330 Quadratmeter große Grundstück auf der Brukenthalgasse Hausnummer 16, das an den örtlichen Parkplatz anschließt und noch immer brachliegt, gekauft hatte. Auf diesem Terrain, das ihm rechtmäßig gehört, will Iancu-Sebastian Boncuț ein Bürogebäude errichten.

Aber das ist noch längst nicht alles: Der Unternehmer begnügt sich nicht damit, nur auf seinem Grundstück bauen zu wollen. Die Dokumentation schlägt vor, auch auf weiteren fünf Grundstücken bauen zu lassen, was die Innenhöfe der zwei Wohnhausreihen ringsum belastet und einen langgezogenen Gebäudekomplex zur Folge hätte, der an der Mauer neben dem Parkplatz beginnt, im Hof der orthodoxen Hauptkathedrale des Erzbistums, dem Metropolit Laurențiu Streza voransteht, endet, und eine Verunstaltung der Altstadt bedeutete.

Wie kann das gutgehen?

Architekt Hermann Fabini hat mittels eines am 25. September in der Zeitung „Turnul Sfatului“ veröffentlichten Leserbriefes sowie in einem Artikel der ADZ vom 24. Oktober Bezug auf die Dokumentation genommen. Er erinnert an Otto Czekelius (1895-1974), der von 1967 bis 1972 Stadtarchitekt war und in einem Interview zur Antwort gegeben haben soll, das wichtigste seiner beruflichen Laufbahn sei nicht, was er gebaut habe, sondern die Bauten, die er in Hermannstadt verhindern konnte. Zum Vergleich: Der Mann, der die Dokumentation zum Projekt „P.U.Z.C.P – Centrul istoric_4(parțial) – Construire clădire birouri“ für gut befindet und alle gegnerischen Stellungnahmen der Anrainer des Viertels bereits durch schriftliche Antwort über die Kommunikationsbahn des Rathauses abgewiesen hat, ist – oh, Wunder! – Lucian Alexandru Găvozdea, Vorsitzender der Innung der Architekten Rumäniens (Ordinul Arhitectilor din România, OAR).

Wer nicht in diesen Straßenzügen wohnt, hat auch lange Zeit nichts von dieser Dokumentation erfahren, obwohl sie bald in einem für die Stadt relevanten Entscheidungsverfahren gipfeln wird. Das Rathaus gibt vor, allen Anrainern pünktlich die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben, weswegen die öffentliche Debatte zur Dokumentation seit Ende September als abgeschlossen gilt. Diana Mureșan jedoch hat am 6. Oktober auf ihrem Facebook-Account nachträglich ein Bild des Viertels aus der Vogelperspektive veröffentlicht. Über 50 Kommentare folgten auf den Fingerzeig der neugewählten Stadträtin der Fraktion des Bündnisses der Union Rettet Rumänien (USR) und der Partei für Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS).

Agieren statt abwarten!

In der neuen Legislaturperiode führt die Nationalliberale Partei (PNL) mit 9 von 23 Sitzen den Stadtrat numerisch an. Auf Platz zwei folgt das DFDR mit 8 Sitzen, auf Platz drei das USR-PLUS-Bündnis mit 4 Sitzen und auf Platz vier die PSD mit 2 Sitzen. Die 23 Stadtratsmitglieder werden wahrscheinlich noch vor Jahresende über die Dokumentation des Projekts „P.U.Z.C.P – Centrul istoric_4 (parțial) – Construire clădire birouri“ abstimmen. An dieser Stelle der Analyse ist der Punkt erreicht, wo die Frage nach der Partei oder politischen Organisation aufkommt, unter deren Protektorat Iancu-Sebastian Boncuț um die Gunst der städtischen Verwaltung buhlt?

Herauszufinden, wer für die S.C. I-NUTRITION S.R.L. Lobby macht, gleicht einem kafkaesken Spießrutenlauf. Klar dürfte hingegen sein, dass eine Genehmigung der beschriebenen Dokumentation das mehrere Hunderte Jahre alte Hermannstadt deklassieren würde. Dass das historische Zentrum Hermannstadts ein Kulturerbe mehrheitlich deutscher Prägung ist, steht ebenso außer Frage.

„Es ist unser aller Erbe, das wir verantwortlich zu verwalten verpflichtet sind, damit auch unsere Nachwelt sich daran erfreuen kann. Die Entwicklung dieses Viertels hat mit den Neuerungen der Zwischenkriegszeit ein Ende gefunden, weswegen wir heute ein apartes urbanes Bild vor uns stehen haben, das, wie ich finde, das Recht gewonnen hat, zu bleiben, was es gegenwärtig ist. Das (…) vorgeschlagene P.U.Z.C.P. beabsichtigt das Einschieben neuer Gebäude in bereits ohnehin dicht bebauten Raum (…) Ich finde dieses P.U.Z.C.P. nicht opportun. Es würde einem unglücklichen Präzedenzfall für weitere Eingriffe in das historische Zentrum die Bühne bereiten. (…) Auch glaube ich, dass es an der Zeit ist, die Bemühungen um die Aufnahme des historischen Zentrums von Hermannstadt in das UNESCO-Weltkulturerbe wieder aufzunehmen“, gibt Stadträtin Diana Mureșan auf Anfrage zu Protokoll.

Ohne Verbündete wird das DFDR Unternehmern wie Iancu-Sebastian Boncuț nicht Einhalt gebieten können. Wird es in Hermannstadt erneut eine Koalition mit der PNL eingehen? Oder brächte das Kooperieren mit dem Bündnis USR-PLUS zwar eine numerisch knappe, dafür aber vertrauenswürdigere Mehrheit im Stadtrat?

Niccolò Machiavelli bringt es im 23. Kapitel („Wie Schmeichler gemieden werden müssen“) des politischen Handbuchs „Der Fürst“ (Original: „Il Principe“) auf den Punkt: „Die Menschen sind ihrer Natur nach schlecht, wenn sie nicht durch Not gezwungen werden, gut zu handeln“ (Aus dem Italienischen von August Wilhelm Rehberg, S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt am Main, 2010). Es liegt an den gewählten Stadtratsmitgliedern der DFDR-Fraktion Corina Bokor, Zeno-Karl Pinter, Helmut Lerner, Bianke-Marion Grecu, Paul-Constantin Mezei, Wolfgang-Alexander Guib, Paul Kuttesch und Sarah Konnerth, dem jungen Teufel, der es auf das alte Hermannstadt abgesehen hat, das Handwerk zu legen.
Wir Privateigentümer noch nicht bebauter Grundstücke im von der Dokumentation „P.U.Z.C.P – Centrul istoric_4 (parțial) – Construire clădire birouri“ gefährdeten Hermannstadt brauchen politischen Feuerschutz. Bringt uns das politische Votum stattdessen in Teufels Küche, bleibt mir und meinen Nachbarn nur noch der juristische Weg übrig.