Im Drehkreuz zwischen Orient und Moderne

Ein Stadtspaziergang durch Chișinău

Die Kirche zur Geburt des Herrn im Kathedralenpark ist eines der Wahrzeichen von Chișinău.

Das Rathaus von Chișinău wurde 1898-1901 errichtet und 1944 fast komplett zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte es wieder vollständig rekonstruiert werden.

Süßwarenangebot des 1946 gegründeten Unternehmens „Bucuria“

Die Ciuflea-Kirche | Fotos: die Verfasserin

Triumphbogen, auch „Heiliges Tor“ genannt

Das Parlament der Republik Moldau sieht aus wie ein offenes Buch.

Als Teil des Fürstentums Moldau wurde die Stadt Chișinău im Jahre 1436 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Ihr Name hat seinen Ursprung vermutlich im Altrumänischen: Er setzt sich aus den Worten „chișla“ und „nouă“ zusammen und bedeutet somit „neue Quelle“. Die Hauptstadt der Republik Moldau am Fluss Bîc, einem der Nebenflüsse des Dnister/Nistru, ist geprägt durch eine wechselvolle Geschichte zwischen den Großmächten. So stand sie nach der Schwächung des Osmanischen Reichs ab 1812 unter russischem Einfluss. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte die Stadt zu Großrumänien.

An diesem Drehkreuz der Kulturen prallen Einflüsse aus Ost und West aufeinander – Moderne und Zerfall gehen im Stadtbild vielerorts Hand in Hand. Das Wirken der verschiedenen Großmächte in der Region manifestiert sich in der Geschichte der Denkmäler und Bauten der Stadt. Die Stadt lässt sich in ein bis zwei Tagen problemlos zu Fuß erschließen. Hier ein paar Tipps zum Mitlaufen:

Hauptachse durch das Herz der Stadt

Die 3,8 Kilometer lange Hauptstraße Chișinăus, der Boulevard Ștefan Cel Mare, um 1834 unter russischer Herrschaft erbaut, hieß zunächst „Strada Moskovskaia“, später wurde sie zeitweise nach Lenin benannt. Es lohnt sich, die Hauptachse der Stadt, die sich vom Platz der Vereinten Nationen/Piața Națiunilor Unite im Südosten bis zum Dimitrie-Cantemir-Platz/Piața Dimitrie Cantemir im Nordwesten erstreckt, einmal in voller Länge zu erkunden, denn entlang dieser Prachtstraße liegen die wichtigsten Gebäude und Institutionen des öffentlichen Lebens der Stadt.  

Am südöstlichen Ende der Hauptstraße befindet sich die blau-weiße Kirche des Ciuflea-Klosters, das 20 Jahre lang der Sitz der Moldauisch-Orthodoxen Kirche war und die mit ihren Zwiebeltürmen stark von russischer Architektur beeinflusst ist. Neben Rathaus, Post und Stadtbibliothek, sind hier unter anderem das Nationaltheater „Mihai Eminescu“ und der Konzertsaal „Sala de Orgă“ ansässig, in dem regelmäßig klassische Konzerte stattfinden. Der Boulevard dient auch als Kulisse für das alljährlich im Oktober ausgerichtete Stadtfest, zu dem der erste junge Wein verköstigt wird.

Biegt man zur Rechten in die Armenische Straße/Strada Armenească ein – der Name geht auf die armenische Bevölkerung zurück, die sich in der einstigen Handelsstadt neben griechischen, türkischen und serbischen Händlern hier niedergelassen hatte –,  kann man den Großen Basar der Stadt besuchen, wo zu niedrigen Preisen eine breite Warenpalette von Gewürzen, Haushaltsgegenständen, Kleidung und Elektrowaren angeboten wird. 

Im Süßigkeitengeschäft „Bucuria“ auf der Nummer 126 kann man aus einem beeindruckenden Sortiment an bunten Naschereien auswählen. Das Unternehmen, das bereits 1946 als „Süßwarengeschäft Nr. 1 von Chișinău“ in der Republik Moldau gegründet wurde, wirbt mit dem im Land bekannten Slogan „Mit uns ist das Leben süßer…“ und stellt heute etwa 37 Tonnen Süßigkeiten im Jahr her.

Kurz hinter dem Rathaus befindet sich das Touristen-Informationszentrum, in dem man einen Stadtplan mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Innenstadt und eine Karte der Republik gratis erhalten kann. Auch eine Bus-Sightseeing-Tour ist in englischer, rumänischer und russischer Sprache buchbar, sowie Ausflüge zu diversen Sehenswürdigkeiten im Umland von Chișinău, etwa zu den Weinkellern von „Cricova“ oder „Asconi“.

Am Ende des Boulevards liegt das 1965 errichtete lang gezogene Regierungsgebäude, direkt gegenüber wirkt der Triumphbogen wie ein Tor zur im Park gelegenen berühmten Auferstehungskathedrale, deswegen auch „Heiliges Tor“ genannt: Er erinnert an den Sieg Russlands über das Osmanische Reich am Ende des Russisch-Osmanischen Kriegs 1828-1829.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragt stolz die Statue Stefans des Großen in den Himmel – sie wurde 1927 durch den Künstler Alexandru Plămădeala geschaffen und ziert den Eingang zum Park „Ștefan cel Mare“. 1972 wurde die Statue durch eine Entscheidung aus Moskau von ihrem Ort entfernt und im Park „versteckt“. Erst seit 1989 ziert sie wieder den Eingangsbereich.

Folgt man dem Straßenverlauf weiter, kann man auf der rechten Seite des Boulevards schließlich das Parlamentsgebäude entdecken, in Form eines Buches, das sich zur Straße hin öffnet.

Parks und Grünflächen zum Entspannen

Weltenbummelnde Naturfreunde sind in Chișinău richtig: Insgesamt gibt es in der Stadt 19 Parks, weitere drei befinden sich in den Vororten.

Am Ende des Boulevards „Stefan cel Mare“ trifft man auf den Park der Kathedrale zur Geburt des Herrn, der heutige Metropolitansitz der Moldauisch-Orthodoxen Kirche. Die 1830 im klassizistischen Stil errichtete Kathedrale gilt als eines der Wahrzeichen der Stadt. In der sowjetischen Zeit wurde sie in einen Ausstellungsraum, der dem Kulturministerium unterstand, umfunktioniert. Erst 1989 wurde der Kirche ihre Ursprungsfunktion zurückgegeben.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lockt der 1818 angelegte Stefan-der-Große-Park, eine der ältesten Grünanlagen Chișinăus und des gesamten Landes: Einige Bäume des Stadtparks sind über 200 Jahre alt. Inmitten dieser Parkanlage befindet sich ein Denkmal des russischen Dichters Alexander Puschkin, der von 1820 bis 1823 in der Verbannung in Chișinău lebte und hier spazieren gegangen sein soll. Zwölf Büsten moldauischer und rumänischer Schriftsteller reihen sich in der „Allee der Klassiker“, darunter Tudor Arghezi, Ion Creangă, Alexei Mateevici oder Dimitrie Cantemir.

Für eine Verschnaufpause eignet sich bis in den Herbst hinein das „Café Bonjour“, das mit französischer Patisserie und Spezialitäten zum Verweilen auf seiner Parkterrasse einlädt. Hier lässt es sich von früh morgens bis spät abends bei Kaffee und französischen Chansons gut aushalten. Kunstschaffende stellen ihre Zeichnungen und Bilder in unmittelbarer Nähe aus. Auch das Café „Crème de la Crème“ neben dem Park oder das sich in unmittelbarer Nähe befindende Restaurant „Karl Schmidt“, benannt nach dem berühmtesten Bürgermeister der Stadt und bessarbiendeutschen Architekten, laden mit ihrer guten Küche zu einer nachhaltigen Stärkung ein. 

Am Ende des Boulevards „Ștefan cel Mare“ kann man gegen die geringe Gebühr von zehn moldauischen Lei, was etwa 50 Cent entspricht, noch den Dendrologischen Park besuchen. In dieser auf 83 Hektar ausgedehnten Grünanlage mit seltenen Baumspezies wird der Lärm der Großstadt endgültig absorbiert – die beste Gelegenheit, sich sich vom Großstadttrubel zu erholen.