Im Herzen die Musik und die Heimat

Ein ADZ-Gespräch mit Simona Böhm, Hermannstädter Geigerin im Brandenburgischen Staatsorchester

Musikerin Simona Böhm (li.) ist seit Jahren bei Protesten im In- und Ausland dabei.

Nach einer reichhaltigen Musikausbildung in Hermannstadt/Sibiu feierte die dort gebürtige Geigerin Simona Böhm am 18. Januar 40 Jahre Mitgliedschaft in der Gruppe der ersten Violinen am renommierten Brandenburgischen Staatsorchester in Frankfurt an der Oder, unter der Leitung von Chefdirigent Jörg-Peter Weigle. Wie es dazu kam und vom Bild Hermannstadts und Rumäniens aus der Ferne sowie ihrem politischen Engagement erzählte sie unserem Redakteur Vlad Popa.

Wie war Ihr Einstieg in die Musiklaufbahn, und wie führte diese Sie nach Frankfurt?
Ich bin in Hermannstadt geboren und ging dort zur Schule, bis 1978. Mit vier Jahren hatte ich privaten Klavierunterricht und mit sechs ging ich in die Musikvorschule, eine großartige Einrichtung der damaligen Musikschule. Wir waren dank der fantastischen Lehrerin Alexandrina George bereits bestens mit Musiktheorie, Solfeggio oder Chorgesang vertraut, als es dann mit sieben hieß, ein Instrument zu erlernen. Bei mir war es die Geige, aus dem Grund, dass es – falls das mein Beruf werden sollte – in einem Orchester viele Geigen gibt, jedoch bestenfalls ein Klavier. Bis zur fünften Klasse war ich externe Schülerin der Musikschule, ich ging vormittags zur Grundschule und nachmittags je zweimal die Woche zum Geigen- und Theorieunterricht.

Meine erste Geigenlehrerin, Lidia Popescu, war eine ganz besondere und eigenwillige Pädagogin, die nach ihrer eigenen Methode unterrichtete. Ich habe sie geliebt. Sie legte großen Wert darauf, dass ihre Schüler aller Altersgruppen musikalischen Kontakt miteinan-der haben, sogar im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestimmte Übungen gemeinsam durchführen. 

Ich hatte noch weitere tolle Lehrerinnen, genau zum richtigen Zeitpunkt Elsa Kreutzer, eine Legende des Hermannstädter Musiklebens. Ihr verdanke ich, dass ich, anders als die meisten Geiger, die zweite und die vierte Lage über alles liebe – und das macht mir oft das Orchesterleben leichter. Nach dem Tod von Elsa Kreutzer wurde ich in den Händen ihres ehemaligen Schülers Carol Roth geformt. Er war die Noblesse und Güte in Person, ein hervorragender Geiger, Mitglied der Staatsphilharmonie. Leider wurden genau im Jahr 1978 die Studienplätze an allen Hochschulen mit Kunstprofil drastisch reduziert und ich musste mit der Mittelnote 9,08 als erste die Reihe der Nichtangenommenen am Klausenburger Konservatorium eröffnen. 

Ich musste also dringend etwas tun, um meinen Wunschberuf nicht aufgeben zu müssen. Es sprach sich herum, dass in Bukarest regelmäßig Vorspiele stattfinden, die von der ARIA (Agenția Română de Impresariat Artistic) organisiert werden, um Künstler an Orchester im Ausland zu vermitteln, die Nachwuchs suchten. Ich meldete mich also bei der ARIA an und bekam im Oktober 1979 die Einladung zum Probespiel ins Athenäum. Als ich ankam, erfuhr ich, dass es ein Probespiel für die DDR war. Mir war es egal, war froh, über-haupt spielen zu dürfen. Gesagt, getan und „gesiegt“. Es wurden mir mehrere Stellen angeboten, ich entschied mich für Magdeburg. Einziges Auswahlkriterium war die Nähe zu Berlin, also zum Flughafen. Leider sagte Magdeburg nach vier Wochen ab, so wählte ich dann doch Frankfurt an der Oder, wovon mir aber vom obersten Leiter der deutschen Agentur, Herrn Barfuß, abgeraten wurde, weil „dort sind nur alte Leute“. Aber Frankfurt war noch näher an Berlin, und so feierte ich am 18. Januar 40 Jahre Mitgliedschaft in der Gruppe der ersten Violinen.

Haben Sie die Verbindung zu Hermannstadt trotz der relativ großen Entfernung aufrecht erhalten können?
Ich bin seit 2010 regelmäßig in Hermannstadt, schlimmstenfalls vier Wochen im Sommer. In den drei Uni-Jahren war ich sehr oft da, acht Mal im Jahr. Ich habe leider keine Familie mehr in Hermannstadt, aber die besten und liebsten Freunde. 
Wenn ich da bin, ist mein erster „Ausgang“ zum Thalia-Saal, am ersten Donnerstag, den ich dort bin, ins Konzert. Es freut mich festzustellen, wie sich das Orchester entwickelt, dass das Publikum treu und begeisterungsfähig ist. Ich finde, die eher traditionellen Programme passen sehr gut zur Stadt und zum Publikum; wir Hermannstädter haben es schon ziemlich stark mit den Traditionen, mit der Pflege der Werte, die diese umwerfende Stadt von jeher geprägt haben. Ich liebe Hermannstadt heiß und innig und jede Ankunft, jeder Abschied ist tränenreich. Immer bleibt was von mir dort.

Haben Sie in dieser Zeit ihre Entwicklung mitverfolgt?
Als Kind habe ich in der Burgergasse/Ocnei gewohnt. Was war das für eine Freude, als ich sah, wie viel Schönes in der Gegend passiert ist. Klar, nicht alles ist ganz so wie es sollte, aber es ist ein großer finanzieller Aufwand und das geht nicht einfach so. Die ganze Stadt ist schön. Ich habe Freunde in allen Gegenden, so kann ich die Veränderungen immer hautnah erleben. Ich konnte miterleben, wie sich die Menschen an Gutes gewöhnen, manchmal schwer, aber doch. Ich meine ganz besonders den Straßenverkehr. Was war das für ein Geschrei, als der Einbahnverkehr eingeführt wurde! Nun sieht fast jeder ein, dass es die beste Lösung ist, in einer Stadt, die nicht für Autos ausgelegt wurde. Worüber man sich mit Recht immer noch ärgert, ist der akute Parkplatzmangel. Da muss doch was passieren. Kluge Köpfe finden eine Lösung, man muss sie nur dazu auffordern. 

Ich verbringe Zeit mit Freunden in der Stadt, in Cafés, in Buchhandlungen, gerne im Theater. Das Hermannstädter Theaterensemble ist ein Juwel. Die rumänische und die deutsche Abteilung sind umwerfend. Tolles Repertoire und Inszenierungen, großartige Schauspieler, das ist Weltklasse. Ich bin so stolz auf meine Hermannstädter, die das Theater zu jeder Vorstellung so füllen, dass an der Abendkasse nur selten eine Karte zu bekommen ist. Meine liebste Kulturstadt! Ich war 2012 selbst ein Teilchen davon, habe das barocke Jahr mit einem Konzert im Thalia-Saal eingeläutet. Es war ein schönes Erlebnis, der Stadt meine Dankbarkeit zu zeigen für das, was sie in mir geweckt hat in Kindheit und Jugend.
Die Gastfreundschaft in der Stadt ist wohltuend. Hie und da müssen Manieren überprüft, Mentalitäten verändert werden. Nicht jeder Verkäufer/Dienstleister/Beamte ist wirklich in einer modernen Leistungsgesellschaft angekommen. Zum Glück sind die unerfreulichen Begegnungen dieser Art die Ausnahme. Warum ich das nicht ignoriere? Weil ich diese Stadt liebe und sie gerne perfekt hätte. Das ist ein wenig so wie die Unzufriedenheit der Kinder, wenn sie feststellen, dass ihre Eltern doch nicht, wie sie dachten, perfekt sind.

Bis vor Kurzem haben Sie bei Ihren Aufenthalten nicht nur das Kulturleben der Stadt genossen und Freunde getroffen, sondern auch aktiv am stillen Protest der Bürgerbewegung VăVedem teilgenommen. 

Was bewegte Sie dazu, wie war es, den Sitz der PSD zu „hüten“?
Ich war seit Februar 2017 immer wieder bei den Protesten dabei, habe V˛Vedem seit dem ersten Tag unterstützt. Als klar war, dass 24 Stunden am Tag protestiert wird, bat ich eine Freundin, die mutigen Menschen mit Essen und Getränken zu unterstützen. Es war eisige Kälte und der Entschluss, rund um die Uhr dort zu sein, war spontan. Dann war ich bei jedem Aufenthalt in der Stadt dabei. 


Am berüchtigten 10. August war ich natürlich in Bukarest, vom Anfang bis zum bitteren Ende. Diese grotesk-grauenvolle Erfahrung kann niemand vergessen. Ich habe auch erschütternde Aufnahmen gemacht, und den Husten bin ich noch nicht los. Warum ich da war? Das ist einfach mein Werdegang, ich musste. Eine Diktatur hat mich gezwungen, das Weite zu suchen, als ich gerade mal 20 war, hat mich regelrecht aus dem Nest geworfen. Ich war nicht gewollt, nicht gebraucht, war lästig. Meine Eltern waren nicht konform, die Großeltern schon gar nicht. 

Nach einem Leben als Fremde in einem Land, das 1989 zu sich gefunden hat und immer normaler wurde, musste ich feststellen (ich habe seit 2001 rumänisches Fernsehen), dass die Entwicklung in meinem Land (ich bin immer noch ausschließlich rumänische Staatsbürgerin) sehr langsam vorangeht und die Gefahr besteht, dass eine Partei, vollgestopft mit Altlasten und neuen Politikschmarotzern, ausgezeichnet durch mangelhafte Bildung, pathologisches Lügen, Arroganz, Korruption, ein einziges Ziel hat: Sich das Land zum Untertan zu machen. Was kann man sonst von einem solchen Verein mit einem Straffälligen als (damaligen) Vorsitzenden erwarten?
Ich bin im Februar 2017 extra nach Hermannstadt geflogen, um bei den Protesten dabei zu sein. Ich war so stolz, dass die Beteiligung der Hermannstädter, prozentual zur Gesamtbevölkerung, die höchste in Rumänien war. Als danach die VăVedem-Bewegung notwendig war, musste ich auch dazugehören. Es liegt mir sehr am Herzen, mein Land in Würde und Wohlstand, also in Normalität zu sehen, zu erleben. 

Demokratie ist wohl nicht ideal, aber Besseres gibt es nicht. Also muss diese unvollkommene Demokratie mit aller Kraft bewahrt bleiben. Ich bin ein überzeugter Wähler und habe mich auch sonst eingebracht, so gut ich konnte. 2014 war ich Wahlbeobachter in der Berliner Botschaft. Danach war ich bei allen Wahlen in einer Wahlkommission, ob in Berlin, Leipzig oder Braunschweig, dort wo gerade Not am Mann war. 

Die schlechte Politik der PSD hat diesem Land in 30 Jahren zu viel Leid gebracht. Die katastrophale Bildungspolitik wird noch lange Zeit verdorbene Früchte tragen, denn die Unfähigen, Ungebildeten, die Diplomkäufer, die Hochstapler sind überall und teils recht jung. Überall haben Politiker der PSD nur in die eigene Tasche gewirtschaftet. Das hält kein Land, keine Gesellschaft auf Dauer aus. 
Aber der rumänische Fatalismus war nie mein Fall. Ich konnte mich nie damit zufrieden geben, dass etwas so sei und man müsse es eben so ertragen, da man es ja nicht ändern könne. Doch, man kann, aber sicher nicht allein. Selbst das kleinste Zahnrädchen ist unverzichtbar für ein hervorragend funktionierendes Uhrwerk. Ich will so ein winziges Rädchen sein.

Wie sehen Sie es jetzt mit der PNL-Regierung weitergehen? Was steht uns noch bevor?
Ich freue mich über den Wechsel. Eine normale Arbeitsatmosphäre zwischen Regierung und Präsident war bitter nötig. Keine der ehemaligen Oppositionsparteien ist makellos. Die jungen Parteien sind unerfahren, stoßen sich noch die Hörner ab, das ist normal. 
Die PNL ist eine historisch wichtige Partei, mit beeindruckenden Leistungen vor dem Krieg, muss aber heute mit Menschen auskommen, die nicht ganz das Format der einstigen Parteiväter haben können. Auch hier gibt es Altlasten, Inkompetenz und Unehrlichkeit, blitzgescheit sind auch nicht alle. Die PNL ist aber ohne Zweifel eher fähig, sich zu säubern und eine gute Politik zu machen. Momentan ist es ein wahrer Feuerwehreinsatz, sie müssen die „Brände“ löschen, die die PSD bis zum letzten Moment legte, und sie zündelt noch immer. 

Die jetzige Regierung hat eine schwierige Aufgabe, doch da menschelt es, für meinen Geschmack, leider zu sehr. Ich finde die Bildungsministerin extrem schwach und für eine solche Stelle ungeeignet. Ich meine nicht nur die flagranten Grammatikfehler, nicht hinnehmbar bei einer Rumänisch-Lehrerin. Da ich als oberste Priorität eine überdurchschnittliche Bildungspolitik sehe, mache ich mir Sorgen. 
Ich hoffe sehr auf weise Entscheidungen für die künftigen Wahlen, und zwar von PNL und den jungen Parteien. Es ist keine Zeit für Kleinkriege. Wenn sie alle in guter Absicht handeln und ihnen Land und Leute am Herzen liegen, dann machen sie gemeinsame Front und ziehen, ohne Eitelkeiten, zusammen den Karren aus dem Dreck.

Worauf freuen Sie sich besonders bei Ihrem nächsten Besuch in Hermannstadt?
Ich freue mich besonders, meine Freunde zu treffen; zum Glück sind wir virtuell in ständigem Kontakt. Unseren Lieblingslehrer Jenö Erzse werden wir auch wieder treffen und verwöhnen. Vielleicht kriegt er uns alle wieder zum Singen. Der Kammerchor Villanella war sein „Kind“, und wir konnten kaum abwarten, bei den Großen mitzusingen. 
Eigentlich freue ich mich am meisten auf Hermannstadt insge-samt. Ein Teil von mir ist auch in den Bergen, und das Wiedersehen mit der Hohen Rinne macht mich immer wieder glücklich.

Vielen Dank für das Gespräch!