Immer mehr Aufgaben zu bewältigen

Gespräch mit Dr. Johannes Klein, Pfarrer des evangelischen Kirchenverbandes A.B. Fogarasch und Mitglied des Munizipalrates

Pfarrer Dr. Johannes Klein
Foto: Johann Kessler

Pfarrer Dr. Johannes Klein setzt eine langjährige theologische Familientradition fort. Geboren 1969 in Reps/Rupea ist er ein Enkel des Bischofs Albert Klein, Sohn des Bischofsvikars Dr. Hans Klein. Seine Gattin Dr. Renate Klein und der Bruder Dr. Peter Klein ergänzen diese. Als Pfarrer von Fogarasch/Făgăraș und den dazu gehörenden weiteren acht Diasporagemeinden, vereint in dem ersten Gemeindeverband innerhalb der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, ist er seit Jahren als Seelsorger, auch aktive Person in allen kulturellen und sozialen Problemen der Stadt und des Umfeldes, dem Erhalt der kirchlichen Baudenkmäler und Rückgabe ehemaligen Eigentums engagiert – und seit dem Vorjahr nun auch als Mitglied des Munizipalrates von Fogarasch. Mit Dr. Johannes Klein, der 2001 in Bern seine Dissertation im Bereich des Alten Testaments verteidigte, führte der Journalist Dieter Drotleff folgendes Gespräch.

Der Fogarascher Gemeindeverband zählt zur Zeit rund 400 Gemeindeglieder, weitere 40 im Sonderstatus. Allein die Feier der Gottesdienste, der anfallenden seelsorgerischen Aufgaben in dem breiten geographischen Umfeld stellen an Sie besondere Anforderungen. Zudem sind Sie auch bei sozialen Fragen der Stadt eine sehr gefragte Person. Wie gelingt es Ihnen, all diesen Aufgaben gerecht zu werden?

Danke für die freundliche Vorstellung. Die Antwort auf die Frage, ob und inwiefern es gelingt, den Aufgaben gerecht zu werden, überlasse ich lieber anderen. Mein Empfinden ist, dass überall Aufgaben auf einen warten, wenn man nur die Augen und Ohren offen hält. In den letzten Jahren ist das mehr und mehr geworden. Und auch wenn ich begonnen habe, Augen und Ohren zu verschließen, und mir sogar ein dickeres Fell zugelegt habe, dringt immer noch zu viel an mich heran. Daher muss ich auswählen. Es kann nicht alles getan werden, was getan werden müsste. Dafür würden auch 48 Stunden pro Tag nicht ausreichen, das ist also eine Illusion. Ich bekomme aber tatsächlich viel Hilfe. Die Mannschaft des Gemeindeverbands arbeitet sehr gut. Dazu gehören 19 in Vollzeit Angestellte, dazu ein Kulturmanager des Instituts für Auslandsbeziehungen, Gelegenheitskräfte und viele Ehrenamtliche. Bedient werden muss neben der Verkündigung und Seelsorge auch die Administration von neun Kirchengemeinden mit ihren Immobilien und Liegenschaften, zwei Jugendzentren mit Übernachtungs- und Verpflegungsangebot sowie ein reiches Sommerlagerangebot, ein Museum, eine Kleiderkammer und neuerdings ein Transportunternehmen.

Gelegentlich werde ich gefragt, warum wir das alles machen. Eine Antwort muss vielschichtig, je nach Betrachtung ausfallen. Theologisch betrachtet geht es um die Verkündigung des das ganze Leben beherrschende Evangeliums, demographisch betrachtet um den Gemeindeaufbau durch Förderung des Nachwuchses. Aus kultureller Sicht geht es um das reiche Kulturerbe, dessen Erhalt, Förderung, Anpassung und Integrierung in die gegenwärtigen Gegebenheiten wichtig ist, aber auch um die Neuschöpfung von kulturellen Werten vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit. Möglicherweise hat das Ganze auch eine psychologische Komponente. Ich vermute, dass das Verlassenheitstrauma der 1990er Jahre und dessen Kompensation eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. 

Seit dem Vorjahr sind Sie gemeinsam mit Norbert Stengel und Marilena [uteu seitens des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) in den Munizipalrat von Fogarasch gewählt worden. Wie schätzen Sie die vom Stadtrat geführte Tätigkeit ein?

Da habe ich gemischte Gefühle. Sehr viel Zeit wird für Alltägliches aufgewendet. Das liegt an der Gesetzgebung. Im Prinzip muss über jeden Schritt, der im Rathaus getan wird, im Vorfeld abgestimmt werden. Da geht es im Wesentlichen um viele kleine Details, nicht um große Projekte, und da der Teufel ja bekanntlich im Detail steckt, ist diese Arbeit überhaupt nicht befriedigend. Trotzdem ist es wichtig, dass zuverlässige Leute da sind. Der Rumäne sagt nicht zu Unrecht: „Das Auge des Gebieters macht das Schwein fett.“ So halten wir vor der Abstimmung Augen und Ohren offen, tauschen uns aus und dadurch gibt es bessere Entscheidungen. Gute Projekte erhalten ein Ja von uns, wo wir Zweifel haben, suchen wir das Gespräch.

Haben Sie als Vertreter des Forums auch bereits eigene Projekte vorgeschlagen, und wie unterstützen Sie die Vertreter der anderen politischen Formationen?

In meiner bisher sehr kurzen Amtszeit hat das Forum noch keine eigenen Projekte vorgeschlagen. Ich persönlich fühle mich auch noch erst in der Orientierungsphase. Was wir aber erreichen konnten, war das Anregen einer Debatte über die Gebühren bei der Müllabfuhr. Im Dezember ist von uns erwartet worden, sehr schnell eine Erhöhung der Gebühren für die Müllabfuhr um 70 Prozent zu beschließen. Das Ganze in dem Kontext, dass ein Jahr zuvor – das war ein Wahljahr – die Gebühren um 40 Prozent gesenkt worden waren. Mit der Geschwindigkeit konnten wir nicht einverstanden sein. So haben wir eine zweimonatige Debatte angeregt, in der das Prozedere von allen Seiten beleuchtet wurde. Nachdem wir alle Hintergründe des pro und contra verstanden haben, waren wir bereit zur Abstimmung. Das Forum kann nur im Gespräch mit anderen politischen Formationen agieren. Wir versuchen daher, die Gesprächs- und Argumentationskultur zu verbessern.

Besonders in den acht Diasporagemeinden bestehen mittelalterliche Kirchenburgen, die auch für die Nachwelt erhalten bleiben müssen, und als touristische Anziehungspunkte besonders geschätzt werden. Gibt es diesbezügliche Restaurierungsprojekte, die eine finanzielle Unterstützung seitens des Staates erhalten haben, wie auch für die Restaurierung der Orgeln?

In den Gemeinden Schirkanyen/[ercaia, Leblang/Lovnic, Seiburg/Jibert und Fogarasch gibt es Kirchen, die im 19. Jahrhundert erbaut sind. Diese sind wasserdicht. Gelegentlich werden kleinere Erhaltungsarbeiten gemacht. Mittelalterliche Kirchenburgen gibt es in Felmern/Felmer, Scharosch/Șoarș, Rohrbach/Rodbav, Bekokten/Bărcut und Seligstadt/Seliștat. In Felmern hat sich der Verein Renascendis der Kirchenburg angenommen. Im vergangenen Jahr wurden da einige Sicherungsarbeiten vorgenommen. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun. In Scharosch ist die HOG sehr aktiv, da wurden vor drei Jahren das Dach generalüberholt und Dachrinnen angebracht. In Bekokten hat man vor 20 Jahren das Dach neu gemacht, in Seligstadt beginnen in diesem Jahr Restaurierungsarbeiten im Rahmen eines EU-Projektes. In Rohrbach wurde immer wieder etwas gemacht, die Hoffnung besteht, dass diese Kirche – übrigens die älteste in der Gegend, noch in romanischem Stil – in die nächste Runde EU-Projekte aufgenommen werden kann.

In Fogarasch gibt es zwei funktionsfähige Orgeln, die alteingesessene Fogarascher Orgel und die im Jahr 1996 restaurierte Felmerer Orgel. In Seligstadt ist die Orgel im Jahr 2004 restauriert worden, sie ist heute noch voll funktionstüchtig. Die Orgel in Bekokten wurde in den vergangenen Jahren spielbar gemacht, und in diesem Sommer soll weiter an Details gearbeitet werden.

Mehrere Rückgabeanträge, die Sie gestellt haben, zeigten Erfolg. Erwähnen wir nur die deutschen Schulgebäude in Fogarasch, Bekokten – Gemeinderäume, die sich nach ihrer Restaurierungen besonderer Verwendung für Veranstaltungen wie Gemeindefeste erfreuen. Das Jugendzentrum in Seligstadt oder die Kinderuni in Bekokten sind längst zum Begriff geworden. Darin fanden Veranstaltungen auch in der Pandemiezeit statt. Sie bauen auf sehr engagierte Mitarbeiter. Wie sehen Sie die Zukunft für diese Institutionen und Initiativen?

Betrachtet man die Besitztümer, gehört der Fogarascher Gemeindeverband zu den armen Verbänden. Es gibt wenig Immobilien, die Mieteinnahmen gewährleisten. Das, was rückerstattet wurde, war oder ist marode. Das wichtigste Kapital in der Gegend bleibt daher das persönliche Engagement. Durch viele Projekte und damit verbundene Projektfinanzierungen ist es aber gelungen, das eine oder andere herzurichten. So sind die rückerstatteten Gebäude in Seligstadt und Bekokten alle mittlerweile im Betrieb und dienen der Kinder- und Jugendarbeit. In Seligstadt ist zusätzlich zu den eigenen Gebäuden das alte Rathaus vom Bürgermeisteramt für 49 Jahre in Administration genommen worden, ebenso hat Herr Erich Lukas zwei Häuser mit ihren Höfen samt einem Museum an den Gemeindeverband gespendet. In Schirkanyen soll jetzt die alte Schule als Glockenmuseum eingerichtet werden. Das ist eine Initiative von Herrn Ovidiu Oană-Părău, der zeit seines Lebens viele Glocken jeder Art gesammelt hat.
Wir rechnen damit, dass die Projekte des Gemeindeverbands auch in Zukunft sehr gefragt sein werden. Vergangenes Jahr war pandemiebedingt zwar ein weniger gutes Jahr, es kamen etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen, die wir in normalen Jahren erwarten, aber dadurch waren die Veranstaltungen auch pandemiesicher. Man hat auf der neu eingerichteten Terrasse gegessen und die Aktivitäten fanden vor allem im Freien statt. Für diesen Sommer gibt es bereits viele Anmeldungen. Wir sind gespannt, wie es wird. Die Kinder können kaum erwarten, dass sie zu uns in die Ferien kommen können.

Sie bauen seit Jahren auf eine enge Zusammenarbeit mit der Leitung des städtischen Krankenhauses, von Nichtregierungsorganisationen, mit anderen Konfessionen. Auch haben Sie immer wieder auch materielle Unterstützung geboten. Wie läuft diese Zusammenarbeit?

Während der Pandemie gab es keine Hilfstransporte für das Krankenhaus. Dafür konnten wir Lebensmittel für die arme Bevölkerung im Kombinatviertel organisieren. Zwei Bauern aus der Gegend von Kassel haben im Frühjahr 2020 vier LKWs mit Kartoffeln, Möhren und vielen anderen Lebensmitteln geschickt. Ferner haben wir viele Kleider erhalten und verteilen können. Ein Schülernachmittagsprogramm lief – sofern das möglich war – mit Unterbrechungen seit Herbst im Kombinat zur vollen Zufriedenheit der Teilnehmer. Wir arbeiten in diesem Sinne eng mit Frau Reinhardt zusammen, die aus Deutschland nach Fogarasch gekommen ist und hier einen Verein leitet, der sich um Roma kümmert.

Trotz dieser umfangreichen Arbeit vergessen wir die eigenen Gemeindeglieder nicht. Zu Ostern und Weihnachten wurden in den Gemeinden Lebensmittel und Kleider verteilt, dazu gibt es eine Kraft für ambulante Altenpflege.

Die Coronavirus-Pandemie hat in allen Bereichen unzählige Probleme aufgeworfen, Schutzmaßnahmen mussten eingehalten werden. Wie haben Sie bisher im Gemeindeverband diese überbrücken können und wie sehen Sie die Zukunft?

Fogarasch war im November und März sehr von der Pandemie betroffen. Auch in der Gemeinde hatten wir einige Fälle. Es war uns aber wichtig, dass der Mut nicht sinkt. Aus diesem Grund wurden ab Mitte Mai 2020 alle Aktionen wieder aufgegriffen und weiter geführt. Der Chor hat beispielsweise ab diesem Zeitpunkt in der Kirche ohne Maske gesungen. Die Anwältin unseres Gemeindeverbands hatte gemeint, dass das gesetzlich vertretbar sei. Das war sehr wichtig, weil wir meinen, dass Singen das Immunsystem stärkt. In der Faschingszeit war es klar, dass man keinen Maskenball organisieren kann, ein Maskenworkshop wurde dennoch veranstaltet und war ein sehr großer Erfolg.

Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, auch im Namen unserer Leser.