„In der Schule fühle ich mich wie zu Hause“

Ein Gespräch mit der neuen Schulleiterin des Goethe Kollegs Bukarest, Historikerin Rodica Ilinca

Rodica Ilinca, Historikerin und Leiterin des Goethe Kollegs Bukarest. Bild: privat

Seit Januar hat das deutsche Goethe Kolleg Bukarest eine neue Leitung: die Historikerin Rodica Ilinca. Seit 24 Jahren unterrichtet sie Geschichte an der deutschen Schule und hat gleichzeitig ein zweites Studium in Politikwissenschaften sowie ein Masterstudium absolviert und ihre Doktorarbeit über „Die Schulbücher aus der ehemaligen DDR und dem kommunistischen Rumänien“ erfolgreich verteidigt. Außerdem ist sie Autorin einiger Bücher, unter anderem auch die einzige Monographie über das Goethe Kolleg Bukarest. In den letzten Jahren war sie Mitglied des Verwaltungsrats des Kollegs und hat auch an Fortbildungen und Tagungen im Ausland teilgenommen, die ihr einen Einblick ins westeuropäische Schulsystem ermöglicht haben. Das Gespräch führte ADZ-Redakteur Șerban Căpățână.


Frau Ilinca, ich gratuliere zur neuen Position! Wie kommt es, dass eine Rumänin so viel Interesse für die deutsche Sprache und Kultur zeigt?

Danke für den Glückwunsch. Sie haben recht, ich bin in Konstanza in einer rumänischen Familie geboren, habe aber bereits in der Schule Deutsch als Fremdsprache gelernt und hatte dabei die besten Lehrerinnen und Lehrer: Manche stammten aus Siebenbürgen, andere aus dem Banat, sie wurden unter dem kommunistischen Regime in die Dobrutscha umgesiedelt. Im Grunde genommen hat mein wissenschaftliches Leben immer mit dem deutschsprachigen Raum zu tun gehabt – und natürlich habe ich diesbezüglich die deutsche Sprache gebraucht. Es war ein Muss. Ich muss aber gestehen: Auch jetzt noch habe ich einen Knoten im Magen, wenn ich spreche.

Nach meinem Universitätsabschluss wollte ich ins Schulwesen und hatte auch Glück: Der damalige Schulleiter, Herrr Zamfirescu, meinte, die deutsche Schule würde unbedingt eine Lehrkraft gebrauchen, die Geschichte unterrichtet.
Eine andere Direktorin, die leider inzwischen verstorbene Frau Ionescu, hat mich diesbezüglich immer gefördert und herausgefordert, was aber auch normal war, denn wenn man hier in der Schule unterrichten will, muss man auch Deutsch sprechen. Leider gibt es manche Lehrkräfte, die das nicht verstehen – und das möchte ich unbedingt ändern.

Warum glauben Sie, dass das Schulinspektorat Ihnen die Leitung der deutschen Schule anvertraut hat, und was hat Sie motiviert, das Angebot anzunehmen?

Die Tatsache, dass ich sehr motiviert bin und mein Wille, etwas zu ändern, groß ist, war für viele der Grund, mich zu unterstützen. In dieser Schule fühle ich mich wie zu Hause. Es ist eine Ehre für mich, eine Schule, die auf 275 Jahre Geschichte zurückblickt, zu leiten.

Was motiviert Eltern, in einer prägnant frankophilen Stadt wie Bukarest, ihre Kinder in eine deutsche Schule einzuschreiben?

Ich vermute, dass wir das Deutschland zu verdanken haben, weil das Land zur Zeit die stärkste Wirtschaftsmacht Europas ist. Obwohl Deutsch eine schwere Sprache ist, schreiben viele Eltern ihre Kinder in den Kindergarten ein und bemühen sich tagtäglich, ihnen die Chance zu geben, fließend Deutsch zu lernen. Diese Eltern helfen uns sehr, weil sie durch ihr Verhalten ihre Kinder ermutigen, nicht nur die Sprache zu erlernen, sondern auch selbständig zu arbeiten und Probleme zu lösen, Eigeninitiative zu entwickeln, Respekt, Disziplin und Toleranz.

Wie kommen rumänische Muttersprachler, die ja den Großteil der Schüler ausmachen, mit dem Online-Unterricht zurecht?

Es ist klar, dass der Unterricht im Online-Modus eine Herausforderung sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schülerinnen und Schüler ist. Niemand hat voriges Jahr im März damit gerechnet, dass die Pandemie so lange andauern wird – wir dachten, dass alles in zwei, drei Monaten vorbei ist und dass die Kinder nicht viel verpassen werden. Jetzt haben alle Schüler Tablets zuhause und arbeiten „elektronisch“.

Online-Unterricht ist eben die beste Lösung während der Pandemie, insbesondere da wir so viele Schüler in einer Klasse haben. Er unterscheidet sich aber radikal vom normalen Unterricht und es ist klar, dass manche mitmachen und manche eher nicht. Für die Schüchternen ist es sicherlich kein Vorteil, eher für die exterovertierten Schüler. Im Klassenraum ist jedoch die Dynamik komplett anders.

Ich muss aber sagen, dass wir sehr wenige Fälle haben, in denen die Kinder nicht ausreichend betreut werden oder nicht in der Lage sind, mitzumachen. Es ist aber schwierig zu sagen, wo die Kinder genau stehen. Man braucht wieder Face-to-Face-Unterricht, um eine „Diagnose“ durchführen zu können: Was haben wir verloren, was sollten wir wiederholen, usw.

Wie schätzen Sie, als selbst tätige Lehrkraft, das durchschnittliche Sprachniveau am Goethe Kolleg ein?

Die Zeiten haben sich geändert und die Gesellschaft hat sich in eine andere Richtung entwickelt. Sehr viele Angehörige der deutschen Minderheit sind ausgewandert, und selbstverständlich kann das deutsche Sprachniveau nicht mehr das gleiche sein wie vor 50 Jahren. In dieser Hinsicht ist aber das ganze Land betroffen, wie wir bei der Korrektur der Bakkalaureat-Arbeiten und bei der Prüfung nach der 8. Klasse auch in siebenbürgischen Schulen bemerkt haben.
Wir sind aber trotzdem sehr glücklich, dass der Andrang so groß ist und dass so viele Mitbürger großes Interesse für die deutsche Sprache, Kultur und für unsere Schule zeigen.

Und wie sieht das allgemeine Niveau der Schülerinnen und Schüler aus?

Ich muss auch gestehen, dass wir, als Schule, nicht sehr gut geworben haben für unsere Leistungen. Dabei sind diese beachtlich: Unsere Schüler haben sich beispielsweise an den bekannten MUN-Konferenzen (Modell United Nations, dabei werden Konferenzen der Vereinten Nationen simuliert, die Teilnehmenden debattieren in der Rolle von Delegierten weltpolitische Themen, Anm. d. Red.) beteiligt, die seit Jahren in Europa in Mode sind. Es gibt Schulen, die mit ihren Schülern seit drei oder vier Jahren an solchen Events in England teilnehmen, ich selbst war mit einer Gruppe in Schleswig-Holstein. Vor zwei Jahren haben die Schüler sogar bei uns in der Schule ein deutsch-englisches MUN organisiert, an dem sich zahlreiche ausländische Schüler beteiligt haben.

Voriges Schuljahr, bei der Abiturprüfung der Spezialabteilung, nach dem deutschen Modell, gab es gleich drei oder vier Einser (Anm. d. Red.: Bestnote) – das ist etwas sehr, sehr seltenes, auch in Deutschland. Bei den Deutscholympiaden kommen außerdem die meisten Preisträger der Nationalphase aus unserer Schule. In Zukunft möchten wir das Austauschprogramm wieder aufnehmen, das in den letzten zwei Jahren nicht mehr so gut gelaufen ist. Die Schüler könnten in der zehnten Klasse ein Jahr lang eine Schule in Deutschland, Österreich oder der deutschsprachigen Schweiz besuchen.

Haben Sie Pläne auch für die Weiterbildung der Lehrkräfte?

Es ist klar, für eine Lehrkraft ist das eine große Herausforderung: Manchmal sprechen die Kinder besser Deutsch als der Lehrer. Das ist nicht einfach so zu akzeptieren und man muss sich anstrengen, ständig am Ball zu bleiben, ständig weiter zu lernen. Andererseits versuchen wir ja den Kindern das Lernen beizubringen und müssten es daher auch selbst konsequent machen.

Im Laufe der Zeit habe ich oftmals die Meinung gehört: Ich bin Lehrer, das ist genug. Aber Lehrkraft zu sein bedeutet viel mehr als nur Wissen und Kenntnisse und Übungen im Klassenraum. Es ist nicht einfach – aber wenn man konsequent dran bleibt, wenn man irgendwie hartnäckig kämpft, dann schafft man es.

Viele unserer Lehrkräfte haben an Fortbildungen in Deutschland teilgenommen – jetzt, mit der Pandemie, konnten wir das leider nicht mehr tun. Fünf von uns haben auch am Programm für die Weiterbildung von Lehrkräften aus dem Süd-Ost-Europäischen Raum teilgenommen. Und man sieht die Änderung während der Unterrichtsstunden. Wir möchten nach der Pandemie, in ein bis zwei Jahren, diese Programme wieder aufnehmen. Es wäre hilfreich, wenn unsere Kollegen ein Jahr lang diesem Programm in Deutschland beiwohnen könnten.

Andererseits haben wir Lehrkräfte der Spezialabteilung, die aus Deutschland kommen, also Muttersprachler sind. Manche von ihnen unterrichten auch in den normalen Klassen, und wir versuchen ständig, mehr solche Lehkräfte für unsere Schule zu gewinnen.

Welche Pläne haben Sie, um neue deutschsprachige Lehrkräfte heranzuziehen?

Ein Neuanfänger wird sehr schlecht bezahlt, egal wie gut er oder sie ist. Manchmal ist es geradezu erniedrigend.
Wir haben uns im Team darüber Gedanken gemacht und möchten uns mit Absolventen aus anderen Städten, insbesondere von der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, aber auch der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt in Verbindung setzen. Die Fakultäten bieten dort Germanistik in Kombination mit einem anderen Studienfach an, z.B. Geschichte oder Erdkunde.

Andererseits gibt es in Bukarest Privatschulen, die Deutsch als Unterrichtssprache anbieten, und ich bin mit solchen Schulen in Verbindung. Wir möchten den Absolventen zwei Arbeitstellen anbieten: Die Hauptbeschäftigung soll bei uns in der Schule sein, und dann sollten sie auch in diesen Privatschulen zusätzlich unterrichten können. Wir können nicht Leute nach Bukarest bringen, ohne ihnen irgendwie den Lebensunterhalt und vielleicht auch eine Unterkunft anbieten zu können. In dieser Hinsicht wird uns auch die Evangelische Kirche unterstützen: Sie hätte die Möglichkeit, einige Wohnräume zu moderaten Preisen für solche Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen.

Wir wollen auch mit deutschen Firmen in Verbindung kommen und eine Zusammenarbeit entwickeln: Vielleicht kann eine neue Lehrkaft in Teilzeit bei einem deutschen Privatunternehmen arbeiten.

Wann man einsteigt, soll man irgend etwas in der Tasche haben. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es ein bisschen dauert, bis man sich in einer Großstadt wie Bukarest einrichtet. Vielleicht klappt es nicht dieses Jahr, aber in einem der nächsten Jahre sollte es klappen. Ich habe Hoffnung.

Wie wird das Goethe Kolleg in fünf Jahren aussehen?

Schwer zu sagen. Wahrscheinlich wird die Zukunft des Unterrichts ein Hybrid sein, ein Mittelweg zwischen Präsenz- und Online-Unterricht. In meinem Geschichte-Unterricht beispielsweise kann ich die Elektronik gut gebrauchen: Ich habe jederzeit die Möglichkeit, zwischen Landkarten, Aufnahmen historischer Gegenstände und Videos zu „hüpfen“. Es ist viel dynamischer. Im Klassenraum habe ich diese Möglichkeit nicht, weil uns einfach die Geräte fehlen.
Als Schulleiterin sehe ich mich nicht vorrangig als Verwaltungsinstanz und Kontrollorgan, sondern arbeite vor allem daran, eine innovative und eigenverantwortliche Schule zu entwickeln. Meine Kollegen sollten sich einander durch gemeinsame Ziele in unserer beruflichen Tätigkeit verbunden fühlen. Meine Vision ist eine Schule, die die Lehrkräfte dazu ermutigt und befähigt, den Unterricht aktiv und kooperativ zu gestalten.

Wir danken für das Gespräche und wünschen viel Erfolg bei der Umsetzung Ihrer Pläne!