„In jedem Anfang liegt die Ewigkeit“

Abschluss der Kritischen Hugo von Hofmannsthal-Ausgabe

Der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) gehört zu den Autoren der Europäischen Moderne, die ein besonders vielschichtiges Werk geschaffen haben. Er hinterließ Gedichte, Erzählungen, ein Romanfragment, Lustspiele, Tragödien, Ballette, Pantomimen, Filmszenarien, Totentänze, eine große Anzahl von Reden und Essays sowie die Libretti „Arabella“, „Ariadne auf Naxos“, „Elektra“, „Die Ägyptische Helena“, „Die Frau ohne Schatten“, „Der Rosenkavalier“ zu den berühmten Opern von Richard Strauss. Die Vielfalt der Ausdrucksformen bei Hofmannsthal erklärt sich durch seine unerschöpfliche Lust am Experimentieren mit literarischen Stoffen und unterschiedlichen Gattungen. „Ich verließ jede Form, bevor sie erstarrte“, heißt es in seinen autobiografischen Aufzeichnungen „Ad me ipsum“.

Der umfangreiche Nachlass, der Textvarianten, Entwürfe und Aufzeichnungen enthält, macht einen bedeutenden Teil des Werks aus. Ein großer Teil der überlieferten Handschriften sowie die annotierte Arbeitsbibliothek befinden sich im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main, wo die Bestände seit über 50 Jahren erforscht und öffentlich zugänglich gemacht werden.

Das Freie Deutsche Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum zählt zu den bedeutendsten Kultureinrichtungen Deutschlands. Es wurde 1859 gegründet, ist eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands und eine gemeinnützige Forschungsinstitution.

Die Idee einer kritischen Gesamtausgabe hatte bereits Rudolf Borchardt am Tag von Hofmannsthals Beerdigung im Juli 1929. Die Familie Hofmannsthals veröffentlichte im S. Fischer-Verlag mehrere Werk- und Briefausgaben. Da sie aber vor dem Nationalsozialismus 1939 emigrieren musste, konnten viele Projekte nicht verwirklicht werden. Von 1945 bis 1959 erschien im S. Fischer Verlag eine in den USA erarbeitete 15-bändige Leseausgabe, die jedoch den umfangreichen Nachlass nicht vollständig berücksichtigen konnte. Gemeinsam mit der Internationalen Hofmannsthal-Gesellschaft, die ihren Sitz ebenfalls im Freien Deutschen Hochstift hat, ist die Arbeitsstelle der Kritischen Ausgabe für Forschende aus der ganzen Welt zu einem wichtigen Zentrum für Fragen hinsichtlich des Werks und der Biografie Hofmannsthals geworden.

Am 22. Februar 2022 luden das Freie Deutsche Hochstift gemeinsam mit der S. Fischer Stiftung, dem S. Fischer Verlag und der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft anlässlich des Abschlusses der Kritischen Hugo von Hofmannsthal-Ausgabe, einer der umfangreichsten kritischen Gesamtausgaben zu einem deutschsprachigen Autor des 20. Jahrhunderts, zu einer äußerst gehaltvollen Online-Veranstaltung ein. Es nahmen daran hochkarätige Herausgeber und Germanistinnen und Germanisten teil. Fünfundfünfzig Jahre wurde an der Werkausgabe gearbeitet. Die Edition umfasst 28.500 Druckseiten und dokumentiert knapp 1100 Werke und Werkpläne, herausgegeben von insgesamt 32 Bearbeiterinnen und Bearbeitern.

Die Hauptherausgeber sind: Anne Bohnenkamp, Heinz Otto Burger, Rudolf Hirsch, Clemens Köttelwesch, Detlev Lüders, Mathias Mayer, Christoph Perels, Edward Reichel, Heinz Rölleke, Martin Stern, Ernst Zinn. Weitere Herausgeber sind: Johannes Barth, Werner Bellmann, Ingeborg Beyer-Ahlert, Klaus E. Bohnenkamp, Peter Michael Braunwarth, Hans-Georg Dewitz, Jürgen Fackert, Roland Haltmeier, Konrad Heumann, Rudolf Hirsch, Dirk O. Hoffmann, Manfred Hoppe, Götz E. Hübner, Katja Kaluga, Hans-Albrecht Koch, Klaus-Dieter Krabiel, Hans H. Lendner, Mathias Mayer, Christoph Michel, Donata Miehe, Michael Müller, Klaus G. Pott, Ursula Renner, Jutta Rißmann, Ellen Ritter, Heinz Rölleke, Catherine Schlaud, Gisela Bärbel Schmid, Willi Schuh, Martin Stern, Andreas Thomasberger, Olivia Varwig, Eugene Weber.

Aufgeteilt ist die Kritische Ausgabe in neun Werkgruppen: Gedichte, Dramen, Operndichtungen, Ballette – Pantomimen – Filmszenarien, Erzählungen, Roman – Biografie, Erfundene Gespräche und Briefe, Reden und Aufsätze, Aufzeichnungen – Herausgebertätigkeit, wobei laut Editionsprinzipien alle von Hofmannsthal veröffentlichten und nachgelassenen Werke, Fragmente und Notizen vorgesehen sind. Die Werke erscheinen in der beim Abschluss des genetischen Prozesses erreichten Gestalt. Der kritische Apparat stellt die Entstehungsgeschichte der Texte dar, erfasst sämtliche Überlieferungsträger, gibt die Notizen und Entwürfe wieder und verzeichnet die Varianz. Außerdem werden Zeugnisse zur Entstehung aus Briefen, Tagebüchern sowie anderen Aufzeichnungen Hofmannsthals und seiner Zeitgenossen geboten. Die Texterläuterungen bringen neben Wort- und Sachkommentaren vor allem Zitat- und Quellennachweise sowie Hinweise auf Anspielungen und Pa-rallelstellen im Werk Hofmannsthals, so die Pressemitteilung des Hochstifts.

Finanziell wurde die Ausgabe zunächst von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dann von der S. Fischer Stiftung (Berlin) und dem Deutschen Literaturfonds e.V. (Darmstadt) gefördert sowie von privaten Förderern unterstützt. Das langjährige Engagement der Verlegerin Monika Schoeller (1939–2019) wurde in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben.

Der letzte Band „Reden und Aufsätze 4 / 1920–1929“ umfasst knapp 120 Texte, darunter die berühmte Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“, Schriften zu Theater und Literatur, einen wichtigen Text zum Kino, mehrere Programmschriften für die Salzburger Festspiele sowie Reiseessays (Sizilien, Marokko). Erwähnenswert sind auch fünf Berichte aus dem Wiener Kulturleben, die für die amerikanische Zeitschrift „The Dial“ entstanden und in denen sich Hofmannsthal u.a. zu Sigmund Freud äußert.

Auch nach dem Abschluss der Ausgabe wird sich das Freie Deutsche Hochstift der Erforschung und Vermittlung von Hofmannsthals Werk widmen. In Kürze wird nämlich die Digitalisierung des Handschriftenbestandes beginnen, gefolgt von einer On-line-Fassung der Kritischen Ausgabe. Bis zu den Feierlichkeiten des 150. Geburtstags Hofmannsthals im Jahr 2024 stehen weitere Projekte bevor. Somit kann man behaupten, „in jedem Anfang liegt die Ewigkeit“, um abschließend nochmals Hofmannsthal zu zitieren.