Initiativen, Gesetze und Verordnungen – Berufsbildung im rumänischen Bildungswesen

ADZ-Gespräch mit Anca Hociotă, Beauftragte der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer für Berufsbildung

Jahrelang war das Unterfangen „Berufsschule“ in Rumänien eine todgeweihte Angelegenheit. 2012 wurde dieser Bildungsweg nach einer Unterbrechung wieder ins Leben gerufen. Die Notwendigkeit, Fachkräfte für die Wirtschaft auszubilden, war der Grundstein für neue Berufe und Ansätze, doch sie fußten auf alten Strukturen, die nur mühsam aus dem Weg geräumt werden können, da vieles am Faktor „Geld“ liegt. Parallel dazu versuchten die deutschsprachigen Wirtschaftsklubs, Abhilfe zu schaffen, und starteten ein Pilotprojekt der dualen Ausbildung, das bereits erste Ergebnisse aufzuweisen hat. Die rumänische Regierung versuchte mit der Dringlichkeitsverordnung 94 vom 29.

Dezember 2014 weitere Akzente zu setzen und brachte praktisch einen weiteren Bildungsweg in die Struktur der Berufsschulen ein: Beginn der Berufsausbildung nach der 10. Klasse. Gegen diese neue Variante äußerte sich die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien) in einem Schreiben an die Regierung. Sie wies darauf hin, dass eine zusätzliche Ausbildungsoption wenig bewirke und dabei auch noch für Verwirrung sorge. Um Klarheit im Dschungel von Varianten, Angeboten und Verordnungen zu schaffen und die richtigen Schlüsse zuzulassen, sprach ADZ-Redakteur Siegfried Thiel mit Anca Hociot², Beauftragte der AHK Rumänien für Berufsbildung.


Was unterscheidet die duale Ausbildung, die die rumänische Regierung durch eine Eilverordnung durchgerungen hat, vom Pilotprojekt der deutschsprachigen Wirtschaftsklubs?

Es geht um zwei komplett unterschiedliche Sachverhalte, die nicht vergleichbar sind! Nach dem, was wir wissen, bindet das Pilotprojekt, von dem Sie sprechen, nur einige ausgewählte Schulen ein. Ziel ist es, im kleinen Rahmen zu beginnen und die gesammelten Erfahrungen dann in einem zweiten Schritt auf weitere Schulen auszubreiten. Allerdings funktionieren auch diese Schulen, die im Pilotprojekt eingebunden sind, noch im aktuellen Berufsbildungssystem in Rumänien. Die Unternehmen profitieren von dem 2012 eingeführten Berufsbildungssystem. Das Pilotprojekt ist noch in seiner Vorbereitungsphase, es ist noch keine Klasse in diesem System gestartet. Das durch die Verordnung 94/2014 eingeführte System heißt zwar dual, hat aber nichts Duales. Es hat nichts mit den Bestrebungen des Pilotprojektes zu tun und kommt als zusätzliche Form zum aktuellen Berufsbildungssystem hinzu.

Welches ist der Punkt der Dringlichkeitsverordnung, der am meisten von Ihnen beanstandet wird?

Die Dringlichkeitsverordnung beinhaltet erstens nur sehr wenige Bestimmungen bezüglich des darin genannten dualen Systems. Diese sollen erst durch nachträglich erarbeitete, spezielle Methodologien festgelegt werden. Diese Methodologien befinden sich wahrscheinlich jetzt in Arbeit beim Bildungsministerium. Hierüber wissen wir nichts Weiteres. Zweitens: Das, was wir an der Dringlichkeitsverordnung am Stärksten kritisieren, ist die Einführung einer zusätzlichen, angeblich dualen Form der Berufsbildung – zusätzlich zum bestehenden Berufsbildungssystem. Zum Hintergrund: Die Berufsbildung, die 2012 eingeführt wurde, wurde von Anfang an so gedacht, dass sie Elemente des dualen Systems beinhaltet: großer Praktikumsanteil, praktische Ausbildung im Betrieb, Möglichkeit der Beteiligung der Arbeitgeber bei der Auswahl der Auszubildenden, Organisation der Abschlussprüfungen usw. Im Schuljahr 2014-2015 haben ca. 35.000 Schüler in diesem System eine Ausbildung begonnen, über 2600 Betriebe haben sich daran beteiligt. Auch die bekannten Berufsbildungsprojekte, bei denen deutsche Unternehmen Ausbildungspartner sind, wie die Berufsschule in Kronstadt, in Karlsburg, Temeswar oder Sathmar, funktionieren in diesem System. Diese beteiligten deutschen Unternehmen sind einige unter den 2600. Dieses kann leicht auf der Webseite alegetidrumul.ro überprüft werden. Dort sind alle beteiligten Unternehmen mit deren Partnerschulen nach Kreisen aufgelistet.

Das heißt unserer Meinung nach zusammenfassend: Es gibt ein funktionierendes Berufsbildungssystem in Rumänien, mit dualen Elementen. Jetzt muss kein weiteres zusätzliches „duales“ System durch diese Dringlichkeitsverordnung eingeführt werden. Denn das führt nur zur Verwirrung und zu einem Durcheinander von Systemen. Das wiederum bedeutet nicht, dass keine Verbesserungsmaßnahmen notwendig sind; Ganz im Gegenteil, alle sollten sich darauf konzentrieren, das bestehende System zu verbessern, aber dafür braucht man nicht die bisher fast inhaltlose Einführung eines neuen Systems. Des Weiteren führt das Bildungsministerium durch die Verordnung eine Unter- oder Nebenform der Berufsbildung ein, die „dual“ heißt, ab der 11. Klasse beginnen soll (zuvor muss der verpflichtende Schulbesuch mit 10 Klassen abgeschlossen werden), aber bis zum 18. Lebensjahr beendet werden muss und auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages erfolgt.

Was bedeutet das? Zunächst herrscht eine generelle Unklarheit, da das aktuelle Berufsbildungssystem bereits nach dualem Muster funktioniert. Daher sind wir der Auffassung, dass die Eilverordnung Verwirrung stiftet. Sie besagt, dass diese neu eingeführte Form der Berufsbildung bis zum 18. Lebensjahr abgeschlossen sein muss, obwohl diese erst ab der 11. Klasse beginnt (i.d.R. mit 16 Jahren). Diese Form der Ausbildung richtet sich an eine sehr kleine Anzahl von Schülern: an jene, die den verpflichtenden Schulbesuch absolviert haben oder an Schulabbrecher, die mit 18 Jahren über eine berufliche Ausbildung verfügen möchten.

Hinsichtlich des Arbeitsvertrages stellt sich zudem die Frage nach einer Aufteilung der Verantwortung. Ist der Auszubildende nun ein Schüler oder ein Arbeitnehmer?

Sollte das deutsche Modell der Berufsausbildung irgendwann einmal in Rumänien offiziell als Bildungsweg für Berufsschüler gelten, wäre das erneut eine zweigleisige Sache; ein Aspekt, den Sie ja – gemäß Ihrer Presseaussendung – vermeiden wollen. Wie sind diese beiden Aspekte miteinander vereinbar!
Wir unterstützen das in 2012 eingeführte Berufsbildungssystem, das meistens mit dem „dualen System“ gleichgesetzt wird. Wir unterstützen die Entwicklung des jetzigen Systems und all unsere Bestrebungen bis dato gehen in diese Richtung. Wir sind seit Jahren in engem Kontakt mit den Vertretern des Bildungsministeriums und kommunizieren, was im Berufsbildungssystem verbessert werden sollte und welche Probleme das jetzige System hat.

Wir sprechen hier über Steigerung der Qualität durch Anpassung der Rahmenlehrpläne, Annäherung an die Arbeitsmarktanforderungen, Einführung eines Systems zur Beaufsichtigung der ausbildenden Schulen und Betriebe, Ausstattung der Schulen, Organisation von standardisierten Abschlussprüfungen auf nationaler Ebene usw. Das sind Aspekte, die das Ministerium für das jetzige Berufsbildungssystem berücksichtigen sollte, um sich mehr dem deutschen dualen System anzunähern. Langfristig gesehen, glauben wir, dass in Rumänien ein einziges Berufsbildungssystem existieren soll, das dem dualen System in Deutschland, Österreich oder der Schweiz sehr ähnlich sein sollte, damit sich der Markt die notwendigen qualifizierten Arbeitskräfte sichern kann.

Wie sehen Sie die Zukunft der rumänischen Berufsschulen? Ein landesweites Anpassen an das „deutsche Modell“, oder ein step by step-Aufrüsten der derzeit vorwiegend schlecht ausgestatteten Schulwerkstätten?

Die schlecht ausgestatteten Schulwerkstätten sind nur ein Problem des jetzigen Berufsbildungssystems. Hauptziel für die Entwicklung des jetzigen Systems sollte die Steigerung der Qualität sein. Und dazu gehören die Ausstattungen oder die schon erwähnten Aspekte. Dafür müssen aber die institutionellen Strukturen step by step aufgebaut werden, um die Qualitätssicherung langfristig zu sichern.

In Kronstadt, Temeswar, Hermannstadt und Hunedoara gibt es Schüler, die in das duale System eingebunden sind und da lernen. Welchen Status haben diese Schüler angesichts der Dringlichkeitsverordnung Ihrer Ansicht nach? Sollte dieses Pilotprojekt aufgegeben werden, wo viele dieser Schüler bereits entsprechende Verträge mit den Ausbildungsfirmen abgeschlossen haben und von diesen mit Stipendien unterstützt werden – was ja in den Berufsschulen außerhalb des Pilotprojektes nicht der Fall ist?

Ich denke, es gibt eine starke Verwirrung und ich hoffe, durch meine Antwort das ein wenig aufzuklären: Die Schüler in Kronstadt, Temeswar, Hermannstadt und Hunedoara sind eingebunden in das derzeitige Berufsbildungssystem. Und das nicht nur aus Sicht der AHK, sondern auch aus Sicht des Bildungsministeriums. Es ist richtig, diese Schulen werben damit, dass sie dual sind, aber es ist eine Marketingmaßnahme, denn sie funktionieren im normalen Berufsbildungssystem, eingeführt im Jahr 2012. Allerdings, wie schon erwähnt, funktionieren diese Schulen mit sehr vielen Elementen aus dem dualen deutschen System, deswegen ist es auch nicht so falsch, wenn sie sich dual nennen.

Wie die ADZ erfahren hat, ist ein Protestschreiben der AHK an die Ponta-Regierung gegangen. Was erwarten Sie davon?

Wir wollen hier unterstreichen, es geht nicht um ein Protestschreiben. Die AHK Rumänien schreibt keine Protestschreiben, sondern vermittelt ihre Position, ihre Meinung zu verschiedenen aktuellen Aspekten des öffentlichen Lebens, die die Wirtschaft betreffen – insbesondere da, wo wir über Kompetenzen verfügen. Und wir machen so etwas konstruktiv, das heißt, wir wollen eine positive Entwicklung herbeiführen. Die AHK Rumänien ist die offizielle Vertretung der deutschen Wirtschaft in Rumänien, und eine unserer Rollen ist, als einheitliche Stimme der deutschen Wirtschaft vor den Regierungsstellen aufzutreten. Daher auch unsere Bestrebungen, wie bereits oben erwähnt, eng mit dem Bildungsministerium und mit anderen Wirtschaftsorganisationen zusammenzuarbeiten für die Entwicklung des jetzigen Berufsbildungssystems, im Sinne der Qualitätssteigerung.

Deswegen haben wir nach der Veröffentlichung der Dringlichkeitsverordnung auch unsere Position an die Regierungsstellen geschickt, um unsere Sorgen diesbezüglich bekanntzumachen. Es geht nicht darum, was wir davon erwarten, sondern wir sehen das als unsere Rolle, darauf zu reagieren und zu sagen, dass wir so etwas nicht unterstützen.