Interaktivität statt Passivität

Wie Klaus Obermaier die performative Kunst revolutioniert hat

Die interaktive Installation „Dancing House“ in Kosice/Slowakei | Foto: Exile.at

Klaus Obermaier | Foto: Gabi Hauser

Mit den computergenerierten Echtzeit-Grafiken aus dem Projekt „Apparition“ von Klaus Obermaier können sich die Tänzer frei auf der Bühne bewegen. | Foto: Exile.at

Erst Gitarrist auf Tourneen, dann Schöpfer interaktiver Installationen und elektronischer Musik, entwickelt der in Linz geborene Medienkünstler Klaus Obermaier seit mehr als zwei Jahrzehnten innovative Projekte, in denen bildende Kunst, Ton und Performance miteinander  verschmelzen. Seine intermedialen Performances und Kunstprojekte werden auf Festivals und Theatern in Europa, Asien, Nord- und Südamerika sowie Australien gezeigt. Viele seiner Projekte gelten als wegweisend und genreprägend für die Entwicklung neuer künstlerischer Formen der menschlichen Interaktion mit digitalen Systemen.

In einer sich wandelnden, modernen Gesellschaft, in der das Arbeiten, Gestalten und Kommunizieren mit digitalen Technologien zu einem neuen gemeinsamen Denken geworden ist, agiert Obermaier aber auch als Vermittler interaktiver Kunst. Mit bedeutenden Professuren und Workshops für Choreografie und Neue Medien an vielen europäischen Universitäten wie dem Universitätsinstitut für Architektur Venedig (IUAV), der Webster University in Wien oder der Accademia Nazionale di Danza di Roma, lehrt Obermaier auch im Masterkurs „Digital and Interactive Arts“ an der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg/Cluj-Napoca, ein echter Anziehungspunkt sowohl für rumänische als auch für deutsche Studierende.

Mit der Unterstützung des Österreichischen Kulturforums hielt der Künstler am 14. September im Rahmen des Programms „New Regional Cultural Cooperation 2021“ (NRCC) und der jährlichen Veranstaltung „Where Art Thou?“ den Vortrag „Interactive Space“ in der Residenz BRD Scena 9, Bukarest. Die Konferenz von Klaus Obermaier gab einen Einblick in seine Arbeitserfahrungen mit interaktiven Technologien in darstellenden Künsten, Musik und Installationen. Im Mittelpunkt stand das künstlerische Forschungsprojekt „(St) Age of Participation“, eine Kooperation mit dem Ars Electronica Futurelab. 

Zuschauer werden zu Mitwirkenden

Obermaier hält sich an die Theorie des kanadischen Philosophen Marshall McLuhan von 1967, die besagt, dass das Publikum in einem Zeitalter der Partizipation eine schöpferische  Kraft sei. Die passiven Zuschauer sollten zu aktiven Mitwirkenden werden, erklärte McLuhan dann.

Forschungen zu innovativen Formen der Interaktion zwischen Publikum und Medienkunst sind in den Konzeptionsphasen der Projekte Obermaiers immer präsent. Mit seinen interaktiven Projekten möchte der Künstler den Besuchern allerdings ein unvergessliches Erlebnis bieten, egal ob als Beobachter oder Teilnehmer.

Zu den wissenschaftlichen Grundlagen hinter Obermaiers interaktiver Arbeit gehört prinzipiell die Flow-Theorie von Mihály Csíkszentmihályi, in der ein psychologischer Rahmen für optimale kollektive Erfahrung und Motivation erforscht wird. Wenn Kunst, Gruppentanz und Musik zusammenkommen, entsteht laut aktuelleren Studien eines der schönsten Flow-Erlebnisse.

In „(St) Age of Participation“ bezieht sich Obermaier auf das aktuelle Paradigma von sozialen Medien und der Kultur der Zusammenarbeit. Was dieses bühnenbasierte Medienprojekt völlig neu macht, ist die Echtzeit-Performance zwischen den professionellen Performern und dem Publikum, begleitet von Musik und digitaler Technik.

Soziale Medien als Kommunikationswege, die keine präsenzbezogenen Aktionen erfordern, fördern eher die Depersonalisierung. Als Reaktion darauf möchte der Künstler durch die „(St) Age of Participation“ einen Raum des Zusammenseins und der Interaktion schaffen.

Interaktivität ist eigentlich nicht immer nur ein Mittel zur Gemeinschaftsbildung oder visueller Komposition, sondern wird zum Gegenstand des Projekts selbst, wie in der Performance „Apparition“ von 2004, der ersten Zusammenarbeit des Künstlers mit dem Ars Electronica Future Lab. Die interaktiven Projektionen haben dekorative Eigenschaften, fungieren aber gleichzeitig als echte Auftrittspartner für die Darsteller.

(A)soziale Medien?

Auch in der „Visage R-0-R“ werden die digitalen Kommunikationskanäle kritisch gesehen. Da unsere Gesichter mit dem Fortschritt der Technik immer wieder für unterschiedliche Zwecke verwendet werden, sei es in Milliarden Selfies, beim Entsperren von Geräten, in der Werbung oder in Überwachungssystemen, wird unsere Privatsphäre grundlegend angegriffen. Mit „Visage R-0-R“ will Obermaier den Spieß umdrehen, indem er eine Art „Anti-Gesichtserkennungssystem“ einsetzt, das die Gesichter nach und nach auflöst und in einen bunten Fehlerstrom verwandelt.

Realität umgestalten

Die 90er und Anfang der 2000er Jahre prägte Obermaier technisch und visuell mit seinen ersten Projektionen auf bewegte Körper von „D.A.V.E“ (Digital Amplified Video Engine) und „Vivisector“. Die gelenkigen Darsteller tanzten mit sanften Bewegungen in einem lebendigen Spiel voller visueller und musikalischer Harmonie, in dem sich virtuelle und natürliche Körperbilder abwechselten. Inwieweit die physische Realität im digitalen Raum erhalten bleibt, ist ein Problem, das in vielen Projekten des Künstlers thematisiert wurde.

2006 behandelte der Künstler dieses Thema noch komplexer und auch durch das Ballett von Igor Strawinsky „Le Sacre du Printemps“. Das klassische Werk des russischen Komponisten, gespielt von einem Orchester, begleitet einen in Echtzeit generierten stereoskopischen Tanz, in dem die wahren und abstrakten Körperbilder der Performer unter umlaufenden Schriftzügen entfesselt werden. Von den slawischen Symbolen des alten glagolitischen Alphabets bis zum Hexadezimalcode, wird die technologische Basis selbst zu einem künstlerischen Artefakt.
Das Spiel mit der Realität überschreitet die Dimensionen des menschlichen Körpers und erstreckt sich bis hin zur Architektur. Herrliche Gebäudefassaden aus mehreren Ländern konnten in der interaktiven Projektion von „Dancing House“ von 2011 durch die Bewegungen des Publikums dekonstruiert, verfärbt oder sogar aufgelöst werden.

Bei solchen Aufführungen steht die Praktikabilität immer im Vordergrund. Dank Computer Vision sind keine Kabel oder Sensoren am Körper notwendig. Auch die leichtere Teilnahme halte die Flow-Stimmung aufrecht, sagt Obermaier.

Aus technischer Sicht erfordern all diese Projekte eigene Programmiersprachen; es gehe nur ums Erfinden und Testen, verrät der Künstler.

Klassik trifft auf performative Künste

Die Beschäftigung mit klassischer Musik und modernen, interaktiven Performances lässt Obermaier auch in seine früheren Werke einfließen, etwa in „Swim“, einer Komposition für das Art Ensemble of Chicago und der Deutschen Kammerphilharmonie, oder in „The Cloned Sound“ von 1993, einer interaktiven intermedialen Performance mit dem Kronos Quartett aus San Francisco.

Aus dem Interesse Obermaiers für rumänische Kultur ergab sich das Projekt „Maria T.“. Stimmungsvolle Volkslieder aus dem Repertoire der legendären rumänischen Sängerin Maria Tănase, die die rumänische Musikkultur nachhaltig geprägt haben, treffen auf das avantgardistische, 1987 gegründete Bălănescu Quartett. Seine Erfahrungen als Erwachsener im Westen haben Alexander Bălănescu dazu beeinflusst, den osteuropäischen Charme der Lieder von Maria T²nase in neuen Kompositionen umzuinterpretieren. Dieser Ansatz spiegelte Bălănescu leidenschaftlichen Glauben an die Interkommunikation und das Fluidität zwischen verschiedenen musikalischen Feldern wider.

Eindrucksvolle visuelle Kreationen von Klaus Obermaier wurden in Performances von „Maria T.“ gezeigt. Archivaufnahmen von Maria Tănase, Bilder aus der bewegten Vergangenheit Rumäniens von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg bis zum Übergang zum Kommunismus und später aus den sechziger Jahren, bilden den visuellen Hintergrund hinter dem spielenden Bălănescu Quartett.

Durch aktive Teilnahme bewusster werden

Wandelnde Mentalitäten, Instabilität und das physische Dasein der modernen Gesellschaft sind Themen, die Klaus Obermaier immer adressiert hat.

Mit psychoanalytischen Begriffen und interaktiven Installationen möchte Obermaier dem Publikum auch versteckte Aspekte des Lebens nahebringen. Im Projekt „EGO“ von 2015 zum Beispiel ist die Theorie der Verfremdung von Jaques Lacan umgekehrt gedacht. Laut dem französischen Psychoanalytiker findet diese Verfremdung erst dann statt, wenn es beim Blick in den Spiegel zu einem Konflikt zwischen wahrgenommener visueller Erscheinung und emotionalem Erleben kommt. In der interaktiven Installation „EGO“ wird das abstrakte Spiegelbild jedoch durch die Bewegungen des Besuchers verstärkt und verformt. Der Betrachter kommt wieder zum Selbst und die Spannung zwischen Realem und Symbolischem, Ego und Es wird wiederhergestellt.

Problematiken wie globale Erwärmung, erschöpfte Ressourcen, Hungersnöte, Pandemien oder die ungerechte Verteilung des Reichtums, haben Obermaier dazu getrieben, die interaktive Installation „233 Milliseconds or: The Truth is Unreasonable“ zu gestalten. Angesichts eines unsicheren, dystopischen Zukunftsbildes entsteht ein Bedürfnis nach Verdrängung als Abwehrmechanismus gegen das Inakzeptable, lautet etwa die von  Sigmund Freud erarbeitete psychoanalytische Theorie der Verdrängung. Umgesetzt wird dies in der Installation durch die Präsenz des Publikums, das einen digitalen Avatar von den aufkommenden, negativen Ereignissen ablenkt.

Ein anderes interaktives Projekt, „Facing Life“, gibt Hinweise auf umstrittene soziale Strukturen, die das eigene Denken oder die Anpassungsfähigkeit behindern können. Die Installation thematisiert den Konflikt zwischen Unschuld und manipulativen Gemeinschaften in Form von kindlichen Avataren, die von einem in Echtzeit aktivierten System beweglicher Blöcke angezogen und abgestoßen werden.