Ist das Kunst oder kann das weg?

Ikonoklasmus ist kein modernes Phänomen, sondern die historische Normalität

„Das Flügel-Denkmal ist ein symbolischer Sieg. Ironischerweise steht das Monument auf dem Platz, wo vor 27 Jahren Lenins Statue stand, die Statue einer der böswilligsten Persönlichkeiten der Geschichte, des Vaters der bolschewistischen Doktrin“, verkündete Klaus Johannis im Mai 2016 zur Einweihung des vom Bildhauer Mihai Buculei geschaffenen Denkmals vor dem heutigen „Haus der freien Presse“ in Bukarest. Foto: Christian Binder

Die Bilder vom Sturz der Statue von Edward Colston im englischen Bristol gingen um die Welt. Im Verlauf einer antirassistischen Demonstration im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde die Statue des britischen Sklavenhändlers zuerst von ihrem Sockel gerissen und schließlich in den Fluss Avon geworfen. Ein historischer Moment, denn in den folgenden Tagen wurden ähnliche Statuen, über die zumeist schon mehrere Dekaden gestritten wurde, auch in anderen Staaten niedergerissen oder von den lokalen Behörden entfernt.

Entgegen einiger Empörung ist der Bildersturm kein modernes Phänomen, sondern die historische Normalität. Die symbolische Zerstörung einer alten Ordnung oder sogar die Vernichtung von Erinnerung (damnatio memoriae) zieht sich durch die Jahrhunderte. Bereits im antiken Rom wurden Monumente von in Ungnade gefallenen Kaisern zerstört und sogar versucht, ihre Namen aus den Chroniken zu verbannen. Im Rahmen der Reformation wurden dann im 16. Jahrhundert auch in Siebenbürgen Altäre abgebaut und Heiligenbilder entfernt. In der Neuzeit tritt Ikonoklasmus zunehmend im Zusammenhang mit politischen Revolutionen auf.

Der Sturm auf die Bastille, ein Symbol der Unterdrückung durch das Ancien Régime, ist eines der wichtigsten Ereignisse zu Beginn der Französischen Revolution. Während der kurzen Zeit der Pariser Kommune (1871) wurde die Colonne Vendôme mit einem Standbild Napoléons I. abgebaut – während der Dritten Republik allerdings rekonstruiert. Von besonderer Symbolkraft war die Sprengung des Hakenkreuzes auf der Zeppelintribüne des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Nach dem Sturz von Saddam Hussein versuchte die lokale Bevölkerung seine Statue in Bagdad niederzureißen. Unterstützt wurden sie schließlich von amerikanischen Soldaten, welche den Kopf zunächst mit einer amerikanischen Flagge verhüllten.

Doch der moderne politische Ikonoklasmus kann durchaus als ein post-sozialistisches Phänomen gesehen werden. Im gesamten osteuropäischen und postsowjetischen Raum wurden Lenin-Denkmäler entfernt oder andere Erinnerungen an den real existierenden Sozialismus zerstört. Auch der Abbau der Lenin-Statue vor der Casa Scînteii in Bukarest war wohl inszeniert und wurde von den rumänischen Medien begleitet. An gleicher Stelle steht seit 2016 das Flügeldenkmal für die Anti-Kommunistischen Widerstandskämpfer in Rumänien und Bessarabien. In Berlin wurde an der Stelle des Palastes der Republik sogar eine Replika des im Zweiten Weltkrieg zerstörten barocken Schlosses errichtet. Und in der Ukraine verabschiedete die Regierung nach den Maidan-Protesten ein Gesetz, um sämtliche Referenzen an die Sowjetunion aus der Öffentlichkeit zu entfernen.

Die Bukarester Lenin-Statue wurde erst im April 1960 aufgestellt – 36 Jahre nach dem Tod des Revolutionärs. Knapp zwei Jahre später musste dann Stalin vom Eingang zum Herăstrău-Park weichen. Dabei hatte Nikita Chruschtschow die Entstalinisierung bereits 1953/1956 eingeleitet. Während die Budapester Stalin-Statue während des ungarischen Volksaufstands zerstört wurde, ließen die tschechischen und slowakischen Kommunisten das monumentale Prager Stalin-Denkmal erst 1962 sprengen. Mit der schließlich offenen Entstalinisierung (1956) ging dann auch eine Rückbesinnung auf die Lehren von Wladimir Iljitsch Uljanow einher.

Denkmäler erinnern zwar an Persönlichkeiten, sagen aber oft noch viel mehr über die Gesellschaften aus, die sie errichtet haben. Ihre Erbauer wollten nie Debatten anregen, sondern sich mit den in ihnen verkörperten Ideen und Idealen schmücken.

Während der Bukarester Stalin 1962 umgehend zerlegt wurde, lag Lenin zusammen mit Petru Groza über zwanzig Jahre auf dem Gelände des Schlosses in Mogoşoaia. Nach ihrer Demontage hatte Petre Oprea dazu angemahnt, die Statue zu dokumentarischen Zwecken aufzubewahren „Wir müssen eine vernünftige Haltung annehmen und sie aufgrund ihres künstlerischen Wertes aufbewahren, obwohl sie uns an traurige Momente im Leben unseres Vaterlandes erinnern.“

Doch in der Geschichte ist gerade die Zerstörung die Norm und die Bewahrung die seltene Ausnahme. Menschen haben Denkmäler geschaffen, um Menschen und Ideen zu verherrlichen, seit sie angefangen haben, Kunst zu machen, und seither haben andere Menschen diese Statuen niedergerissen.

Die Statuen von Lenin und Groza sollen von der Bukarester Polizei schließlich eingelagert worden sein. Die Statue von Edward Colston wurde nach einigen Tagen aus dem Avon geborgen und soll mit den ihr zugefügten Verunstaltungen aufbewahrt werden. Tatsächlich hat sie durch ihre Symbolkraft für die folgenden Denkmalstürze in ehemaligen Kolonialstaaten einen gesellschaftlich-historischen Wert erworben. Doch für viele andere überkommene Denkmäler sollte auch weiterhin gelten: Museen sind keine Müllhalden.