„Ist Frieden ohne Integrität und Transparenz möglich?“

Eine Investigativ-Zeitung in der Republik Moldau prangert die Korruption an

Staatspräsidentin Maia Sandu vor der roten Krake | Fotos: Aurelia Brecht

Putins fünf Kriege: Von Tschetschenien 1999 bis zur Ukraine 2022

Eine riesige weinrote Krake mit Aluaugen und ihren etwa sechs Meter langen Armen hängt an der Decke über der Ausstellung zum Thema Korruption und dominiert den Raum: Sie greift aus – als Symbol des Kampfes gegen die Korruption in der Republik Moldau. In diesem Jahr stellt die zweite Auflage dieser Ausstellung folgende Fragen in den Vordergrund: Ist Korruption einer der Gründe für Krieg? Kann die Bekämpfung von Korruption Kriege verhindern? Und: Ist Frieden ohne Integrität und Transparenz möglich?

Seit dem Jahr 2003 wird am 9. Dezember der Anti-Korruptions-Tag der Vereinten Nationen begangen – in diesem Jahr wurde durch die UN-Generalversammlung zugleich auch die Konvention gegen Korruption verabschiedet. Anlässlich dieses Tages fand im Dezember 2022 in den Räumlichkeiten des Historischen Museums in Chișinău eine Ausstellung unter dem Titel „Korruption und Krieg“/ „Corupția și Război“ statt. Ausgerichtet und kuratiert wurde sie durch die Investigativ-Wochenzeitung „Ziarul de Gardă“ (ZdG), die bereits im vergangenen Jahr eine Ausstellung unter dem Titel „Korruption in der Republik Moldau. 30 Jahre Kampf“ / „Corupția în Republica Moldova. 30 de ani de luptă“ initiiert hatte. In den kommenden Jahren sollen weitere Veranstaltungen dieser Art folgen. Auch ein Anti-Korruptionsmuseum ist in Planung.

„Unser Vorhaben ist es, anlässlich des Anti-Korruptionstages die Korruptionsfälle des jeweils vergangenen Jahres zu zeigen. Uns interessiert, was dagegen unternommen wurde, wer dagegen gekämpft hat und was wir erreichen können, wenn wir Korruption bezwingen, was wir zu verlieren haben, wenn die Korruption über uns siegt“, erklärt Alina Radu, Chefredakteurin und Gründerin der Zeitung „Ziarul de Gardă“. „Wir zeigen hier auf, wie die Korruption in Russland zum Krieg in der Ukraine geführt hat und wie der Krieg in der Ukraine auch die Republik Moldau gefährdet.“

Die Ausstellung ist in verschiedene Teile gegliedert, so dass Besucher eine Art „Parcours“ verschiedener Arten von Korruption durchlaufen: Kern ist der „Kreislauf des Krieges“. In diesem Teil wird über die Anzahl der Kriege aufgeklärt, die Wladimir Putin seit dem Beginn seiner ersten Amtszeit bereits geführt hat. Zudem geht dieser Ausstellungsteil auch auf den Einfluss bestimmter Personen ein, die in der Republik als Förderer des russischen Angriffskriegs gelten. Auch über destabilisierende Handlungen seitens des russischen Geheimdienstes in der Republik Moldau wird informiert. Ein Thema ist außerdem der russische Einfluss auf Presseinstitutionen in der Republik Moldau, der darauf abzielt, die Bevölkerung systematisch Falschinformationen auszusetzen. Nicht zuletzt wird die Energieversorgung, die durch die derzeitige Abhängigkeitssituation der Republik von Russland gefährdet ist, dokumentiert.

Im „Korridor der moldauischen Korruption“ werden die Korruptionsfälle, die sich 2022 auf nationaler Ebene abgespielt haben, dargestellt und erklärt: Zu nennen ist hier der Fall „Igor Dodon“. Der ehemalige Staatspräsident ist der erste, gegen den unter anderem wegen Amtsmissbrauch, unerlaubter Bereicherung und illegaler Parteifinanzierung strafrechtlich ermittelt wurde. Unter dem Titel „Aeroportul (re)stăpânit/der wiedereroberte Flughafen“ wird der Fall des Flughafens Chișinău dargestellt, der sich durch die Entscheidung zur Privatisierung zehn Jahre lang in der Hand verschiedener russischer Firmen befand, die mit der in der Republik aktiven korrupten Șor-Partei verbandelt waren und der schließlich dem Staat zurückgegeben werden konnte.

Die rund dreißig Ausstellungstafeln beruhen in weiten Teilen auf den Recherchen von Ziarul de Gardă selbst, beziehen aber auch die Reportagen und Recherchen anderer seriöser und unabhängiger Medien der Republik mit ein, wie beispielsweise „RISE Moldova“, „Cu sens“, „Europa Liberă“ oder „TV8“. Kollagenartig sind mehrere Artikel und Nachrichten zu einem Thema auf den Tafeln zusammengestellt.

Auch die Bedingungen, unter denen Journalistinnen und Journalisten arbeiten, die sich für eine unabhängige Recherche einsetzen, werden in der Ausstellung thematisiert – immer wieder werden sie während ihrer Nachforschungen bedroht. Handgreiflichkeiten oder Übergriffe während der Recherche vor Ort sowie Drohungen auf Social Media oder in Form von persönlichen Nachrichten sind an der Tagesordnung. Ein Bereich stellt die Mechanismen dar, mit deren Hilfe bestimmte Medien in der Republik von einigen Personen kontrolliert werden: Viele Fernsehsender befinden sich in der Hand von Geschäftsleuten, die strafrechtlich verfolgt werden, oder von Politikern, die durch Russland beeinflusst werden.  Eine Tafel beschäftigt sich mit den Hintergründen zu den Sanktionen auf internationaler Ebene und den Beschränkungen, die nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine gegen Russland ergriffen wurden. Ein weiteres Thema sind die Verquickungen zwischen Russland und der Republik Moldau die Korruption betreffend – bis auf die höchste Ebene der Politik bestehen hier Beziehungen zwischen Personen, Firmen und Fernsehsendern.

Aber die Ausstellung hält auch interaktive und humorvolle Elemente bereit: Eine Ausstellungswand bietet den Vorbeilaufenden die Möglichkeit, einen Gruß zu hinterlassen, etwas zu zeichnen oder ihre Meinung zur Ausstellung zu formulieren. Ein Zelt, aufgestellt in der Mitte des Raumes, Symbol der diesjährigen Demonstrationen gegen die proeuropäische Regierung der Staatspräsidentin Maia Sandu, lädt die Besucher zum Verweilen ein und soll dazu anregen, zu überlegen, was der Einzelne gegen korrupte Strukturen unternehmen kann.  Gefaltete Papierflieger symbolisieren die Flucht von Politikern und Geschäftsleuten, die, teilweise mit Interpol gesucht, ihr Leben im Ausland aufgebaut haben. Ein Spiegel am Ende der Ausstellung bietet die Möglichkeit, ein Selfie zu knipsen und darüber nachzudenken, ob man als Einzelner genug gegen Korruption unternommen hat. Schwarze Tüten, in denen oft Bestechungsgeld übergeben wird, werden zum Museumsstück und hängen an einer Ausstellungswand.

Zur Eröffnung am 9. Dezember sprechen ein Vertreter der Europäischen Union und die Botschafter Großbritanniens und der USA Grußworte. Seit Jahren erhält der Medienbereich der Republik Moldau auch finanzielle Unterstützung von außen, um unabhängige Berichterstattung zu gewährleisten.  Am 15. Dezember ist schließlich auch Staatspräsidentin Maia Sandu zu Gast. Alina Radu führt durch die verschiedenen Teile der Ausstellung, erläutert Details und interaktive Stationen. Das grüne Zelt, das in der Mitte des Saales zwischen den Ausstellungstrennwänden steht, trägt auf einer Seite die Aufschrift „Der Eintritt zum Zelt ist gratis für Museumsbesucher mit Eintrittskarte“. Auf der anderen Seite steht in englischer Sprache: „Dies ist ein (Off)-Șor-Zelt. Sie können es gratis verwenden. Bitte erwarten Sie hierfür keine Bezahlung.“ Das Zelt spielt auf die Demonstrationen in der Hauptstadt  im Herbst und Winter dieses Jahres an. Ein Reporterteam der Zeitung ZdG konnte verdeckt recherchieren und nachweisen, dass die Menschen, die an den Demonstrationen in der Innenstadt Chișinăus gegen die proeuropäische Regierung Maia Sandus beteiligt waren, gekauft wurden und größtenteils mit Bussen in die Hauptstadt transportiert wurden: Für die Teilnahme an den Demonstrationen zahlte die Șor-Partei 200 moldauische Lei, für das Übernachten in einem Zelt gar 400 Lei. Die Șor-Partei, benannt nach Ilan Șor, der als einer der Drahtzieher des Verschwindens von etwa einer Milliarde Dollar aus dem Staatshaushalt der Republik Moldau im November 2014 gilt, nutzt mit diesem Akt die bittere Armut der Bevölkerung für ihre Zwecke aus, um die Lage im Land zu destabilisieren. Das 2014 gestohlene Geld verschwand vermutlich auf Offshore-Konten und konnte seither nicht wiedergefunden werden. Șor wurde aufgrund dieser Tatbestände in der Republik Moldau zu einer Haftstrafe verurteilt, der er aber gegenwärtig entgeht, da er sich in Israel aufhält.

Das besagte Zelt zieht mitten in der Führung durch die Ausstellung schließlich die Aufmerksamkeit der Delegation auf sich, denn heraus hüpft die Reporterin Daniela Calmiș, die an der verdeckten Investigativ-Recherche zu den Protesten beteiligt war. Sie erläutert der Delegation die Arbeit und Hintergründe der Recherche: „Im September dieses Jahres gab es zunächst Gerüchte, dass die Menschen, die von der Șor-Partei ins Zentrum Chișinăus gebracht wurden, um zu demonstrierten, gekauft wurden. Wir im Team von Ziarul de Garda sahen es als unsere Pflicht an, den Dingen auf den Grund zu gehen. Drei Kolleginnen und Kollegen und ich haben uns Decknamen zugelegt. Es war nicht einfach, uns in die Busse einzuschleusen, weil Demonstrierende, die nicht auf den Listen der Busse standen, eigentlich nicht zugelassen waren. Wir mussten insistieren, um mitgenommen zu werden.“ Auch Calmiș wurde im Nachgang zu den Recherchen im Netz persönlich bedroht.

Die Staatspräsidentin betont nach der Tour, dass Korruption nur bekämpft werden könne, wenn dies auch als gesellschaftliches Ziel definiert sei. Die Korruptionsfälle der letzten Jahre hätten dem Staatshaushalt der Republik, dem Vertrauen in den Staat und nicht zuletzt dem Gesamtbild der Republik nach außen geschadet.

Die Chefredakteurin von ZdG führt weiter bis ans Ende des Parcours: „Das Thema der Ausstellung wiegt schwer – es muss aber auch etwas zu lachen geben. Denn über das Phänomen Korruption muss man auch lachen. Deswegen haben wir uns für das Ausstellungselement ‘Licht am Ende des Tunnels’ entschieden. Hier zeigen wir, dass es eine schöne Zukunft geben kann, wenn wir die Korruption bekämpfen“.

Am Ende der Ausstellung gibt es die Möglichkeit, durch ein Teleskop zu schauen. Dabei ist der Schriftzug „Integre Republik Moldau“ zu sehen. Beim Verlassen der Ausstellung bleibt so die Hoffnung auf ein Leben ohne korrupte Strukturen – Journalistinnen und Journalisten in der Republik Moldau kämpfen jeden Tag dafür.