Jede Person zählt und wird gezählt

Im nächsten Jahr erfolgt ein EU-weiter Zensus

Einmal in zehn Jahren will der Staat genau wissen, wie es um seine Bevölkerung steht. Seit Rumänien zur Europäischen Union gehört, sind diese Daten für den gesamten Staatenbund von Relevanz. 2011 erfolgte die letzte Volkszählung in der EU, auch Zensus genannt. In diesem Jahr wäre also der nächste Zensus fällig gewesen. Corona sorgte aber für einen  Strich durch diese Rechnung, so dass diese umfassende Erhebung erst im nächsten Jahr erfolgen wird. 

Bevölkerungs- und Wohnungszählung

Der 15. Mai ist der Stichtag dieses Zensus. Wie bei einer Fotografie soll eine Momentaufnahme erfolgen, die eine Menge von Daten betreffend Bevölkerung und Haushalte festhält. Zum Unterschied von Volkszählungen vergangener Jahrzehnte ist es inzwischen nicht mehr notwendig, dass diese Daten von Tür zu Tür von Interviewerinnen und Interviewern durch das Ausfüllen von umfangreichen und teilweise komplizierten Fragebögen erfasst werden. In Deutschland, mehr als in Rumänien, kommt es zu einem „registergestützten Zensus“. Das heißt, es wird auf bereits erfolgte Eintragungen bei Verwaltungsämtern zurückgegriffen, ein Verfahren, das bereits 2011 verwendet wurde und nun verbessert wird. Die Kopien dieser Daten aus den Registern werden unter Wahrung des Datenschutzgesetzes an die Statistikämter geschickt. Eine Aktualisierung muss trotzdem erfolgen, z. B. im Falle von Einwohnermeldeämtern, wo Daten betreffend Geburt, Tod oder Umzug aktualisiert („fortgeschrieben“) werden. Dank dieser Methode und der Vernetzung von Datenbanken wird in Deutschland nur ein kleiner Teil der Bevölkerung direkt befragt. So zum Beispiel wurden bei der Haushaltsbefragung 2011 nur zehn Prozent der Bevölkerung (etwa 7,9 Millionen) um Auskunft gebeten, wobei diese Personen durch ein mathematisch-statistisches Zufallsverfahren ausgewählt wurden. Stichproben zwecks Qualitätsbewertung der Antworten sind nach wie vor erforderlich.

„Online first“ heißt die Strategie, die die gedruckten Fragebögen mit elektronischen Fragebögen am Tablet oder Smartphone ersetzt. Das ist nicht nur umweltfreundlich, sondern auch billiger und schneller, weil es eine einfachere Aufarbeitung ermöglicht. Auch in Rumänien wird auf die Eigeneintragung der Daten und ihre Online-Weiterleitung Wert gelegt. Nur versetzt hier der relativ geringe Prozentsatz der Personen, die über die dafür notwendigen Mittel und Kenntnisse verfügen, der Sache einen Dämpfer. Ermutigend ist die Bekanntgabe, dass jene, die Fragebögen online ausfüllen (oder anderen dabei helfen), sich dafür über einen zusätzlichen Urlaubstag freuen können. Die Interviewer kommen selbstverständlich mit Tablets dorthin, wo es notwendig ist.

Persönliche Daten – ein sensibles Thema

Bei der letzten klassischen Volkszählung in Deutschland (für 1983 angesetzt, aber erst 1987 erfolgt) gab es deutliche Proteste und Vorbehalte gegen diese Aktion des Staates. „Lasse dich nicht erfassen!“ lautete eine der bekanntesten Schlagzeilen, die die Furcht vor einem „Überwachungsstaat“ zum Ausdruck brachte. Bereits damals, als Internet und soziales Netzwerk noch unbekannt waren, wurde die Bezeichnung „gläserner Bürger“ lanciert. Es kam zu Verfassungsbeschwerden seitens zahlreicher Bürgerinnen und Bürger vor dem Bundesverfassugsgericht. Dieses gab ihnen zum Teil Recht, denn in einem der Urteil-Leitsätze heißt es: „Indessen bedarf es zur Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ergänzender verfahrensrechtlicher Vorkehrungen für Durchführung und Organisation der Datenerhebung.” Die „informationelle Selbstbestimmung“ war die Reaktion auf das Schlagwort „Meine Daten gehören mir.“ Datenschutz wurde sehr ernst genommen, weil Missbrauch befürchtet wurde seitens der Behörden und der ihnen zur Verfügung stehenden Computer.

Jahrzehnte später ist der Datenschutz  EU-weit strikt geregelt. Aber heute, durch Nutzung der so verbreiteten und beliebten sozialen Netzwerke, wird viel Persönliches so gut wie freiwillig der virtuellen Öffentlichkeit preisgegeben. Trotzdem sind in Deutschland, wie auch in Rumänien und in anderen Ländern, Themen wie ethnische Herkunft, Familienstand oder Religionszugehörigkeit ein Bereich, wo sich viele fragen: „Was geht das den Staat an?“ Selbst wenn diese Erhebungen von Daten, die als „Merkmale“ geführt werden, anonymisiert und vertraulich behandelt werden, bestehen oft Zweifel, ob das tatsächlich  bei langfristiger Speicherung dieser Angaben auch so bleibt. Vielleicht um solchen Bedenken entgegenzukommen, wurden auch einige kleine Änderungen vorgenommen. So informiert ein Newsletter des Statistischen Bundesamtes: „Bei der Haushaltebefragung fallen im Vergleich zum Zensus 2011 die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft sowie die freiwillige Frage nach dem Glaubensbekenntnis weg. Informationen zur Religion werden im Zensus 2022 auschließlich aus den Melderegistern genutzt. Hinsichtlich des Themas Migration beschränken sich die Fragen beim Zensus 2022 nur auf die nach europäischem Recht geforderten Merkmale. Der Migrationshintergrund einer Person wird auch hier aus den Angaben in den Melderegistern abgeleitet.”

In Rumänien weist die Frage nach der ethnischen Herkunft im Falle der Deutschen wie auch der Ungarn, Roma und anderer Minderheiten eine Besonderheit auf. Das Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung (DRI) erstellt in Zusammenarbeit mit der Fraktion der nationalen Minderheiten im Rumänischen Parlament und mit dem Forschungsinstitut zu Fragen der nationalen Minderheiten eine Liste („Nomenclator“) der in Rumänien lebenden Ethnien und ihrer Muttersprachen. Unter dem Oberbegriff „Deutscher“ (Codenummer 1300) wurden beim Zensus 2011 folgende Unterteilungen vorgenommen:1301 – Deutscher; 1302 – Landler; 1303 – „neamț”; 1304 – Sachse; 1305 – Schwabe; 1306 – Zipser. Dementsprechend konnten als Muttersprache auch Sächsisch oder Schwäbisch angegeben werden, nicht aber „nemțește“. Bei der Datenaufarbeitung wurden die Angaben unter dem jeweiligen Oberbegriff zusammengezählt. Bei den Ungarn gibt es  die „Unterarten“ Magyare, Ungar, Szekler, nicht aber die Tschangos, die als „sonstige Ethnien“ geführt werden; für die Roma kommen nicht weniger als 19 verschiedene Bezeichnungen vor, einschließlich „Zigeuner“ - ein Begriff, der zwar nicht der „Political Correctness“ entspricht, aber mit dem sich viele Roma selbst identifizieren. Die Aromunen mit Varianten wie Mazedorumänen, Istrorumänen, Meglenorumänen/Walachen gelten nicht als nationale Minderheit, sondern fallen in die Rubrik „Rumänen“.

Es ist davon auszugehen, dass auf diese Liste auch nächstes Jahr zurückgegriffen wird. Die Zugehörigkeitserklärung zu der einen oder anderen Ethnie erfolgt ausschließlich auf Grund der eigenen Aussage, ohne dass dafür irgendein Beweis notwendig ist. Auch das Beherrschen der dafür entsprechenden Muttersprache ist nicht zwingend. Im Falle der Roma kann davon ausgegangen werden, dass Angehörige dieser nach den Ungarn zweitstärksten nationalen Minderheit es vorziehen, sich als Rumänen eintragen zu lassen. Dies könnte auch als Versuch gedeutet werden, nicht in breiten Teilen der rumänischen Gesellschaft diskriminiert zu werden. Den Organisationen der nationalen Minderheiten wird per Regierungserlass Nr. 19 vom 4. Februar 2020 zugestanden, bei der Organisierung und Durchführung des Zensus mitzuwirken. So können z. B. die Fragebögen in die Sprache der Minderheit übersetzt werden, wo diese zahlenmäßig stark vertreten ist, oder über die  Massenmedien in der jeweiligen Minderheitssprache Infos und Hinweise zur Verfügung gestellt werden.

Harmonisierung der Zensusergebnisse

Damit die Ergebnisse dieses Zensus in Brüssel auch leicht verglichen werden können, wurde per Verordnung 1059/2003 des Europäischen Parlaments eine einheitliche Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik eingeführt, die „Nomenclature des unités territoriales statistiques“, kurz NUTS genannt. Sie besteht aus drei Ebenen: Für Rumänien sind es die vier Makroregionen (NUTS 1), die sieben Entwicklungs- oder Wirtschaftsregionen (NUTS 2) und die 41 Landeskreise (NUTS 3). Die hierzulande selten erwähnten Makroregionen sind: Makroregion 1 (Entwicklungsregionen Nordwest und Zentrum), Makroregion 2 (Regionen Nordosten und Südosten), Makroregion 3 (Region Süd und  Bukarest -Ilfov) und Makroregion 4 (Regionen Südwest und West). Es gelten folgende Bevölkerungsgrenzen: NUTS 1 - von 3 Millionen bis 7 Millionen Einwohner, NUTS 2 – von 800.000 bis 3 Millionen Einwohner und NUTS 3 – von 150.000 bis 800.000 Einwohner. Außerdem gibt es noch lokale Verwaltungseinheiten LAU (Local Administrative Units). Eine Aufstellung der Daten in einem Ein-Quadratkilometer-Netz ist eine weitere Hilfe für einen leichteren und übersichtlicheren Zugang zu Daten, zusammengetragen in einem Zensus-Atlas.

Wenn die Daten gesammelt sind, sollen sie, um relevant zu bleiben, schnell geordnet und bearbeitet werden. Das kommt den Statistikern zu, die Summen, Durchschnitte und verschiedene Koeffizienten berechnen. Es wird also verallgemeinert. Der Einzelfall ist in diesem Bereich uninteressant. Jede Person wird tatsächlich nur als eine Nummer erscheinen, die eigene  Merkmale aufweist. Sie verschwindet in einer Flut von Daten, bleibt anonym, ist aber die Basis der gesellschaftlichen Struktur. Nur Kennzahlen betreffend die Gesamtheit auf verschiedenen Ebenen – von Gemeinde bis Region, Land und EU – sind für die Ausarbeitung von Plänen und Strategien in praktisch allen Bereichen für Experten, Wissenschaftler und für Politiker wichtig. Es geht zum Beispiel um Wohnungsbau, Anzahl der Schulklassen und Lehrerstellen oder Abgrenzung der Wahlkreise. Es geht um Wirtschaft, Bildung, Handel, Tourismus, Sicherheit, Kultur – um alles. 

Korrekte Daten sind die Voraussetzung, aber leider nicht auch die Garantie für richtige Entscheidungen. Jeder Einzelne trägt dazu durch seine Zensus-Teilnahme bei.