„Kein Computer kann meine Schachrätsel lösen“

Er war Unternehmer, Kunstmaler, Modeschöpfer, Heilpraktiker, Redakteur – heute bestimmt Kniffel-Schach sein Leben

Schachrätselkönig Peter Krystufek

Passionierte Schachspieler gibt es viele – aber wer kennt schon Kniffel-Schach? „Kniffel-Schach spielt man nicht“, erklärt der Erfinder des als Marke eingetragenen Schachrätsels, Peter Krystufek, als Erstes. Es ist ein Rätsel, das man ohne Brett nur mit dem Bleistift löst, und es fördert nicht nur logisches Denken, sondern Kreativität und geistige Beweglichkeit. Dafür muss man nicht einmal Schachspielen können, sondern bloß die Grundregeln kennen. Und ein bisschen Gespür für Kriminalistik mitbringen, wie Agatha Christies  Kriminalkommissar Hercule Poirot. Seit Kniffel-Schach 1979 erfunden wurde, gibt es in über hundert Ländern auf zwei Kontinenten Fans. In jedem Land stellt Peter Krystufek immer nur einer - meist deutschsprachigen - Zeitung seine Rätselgrafiken zur Verfügung (siehe morgige Wochenendseite). Nebenbei schreibt er Bücher und Geschichten rund um das Thema Schach (siehe heutige Kulturseite). Wie es dazu kam, dass Kniffel-Schach trotz vielfältiger anderer Interessen und einer glücklichen Ehe mit Regina die Hauptrolle in seinem Leben spielt, verrät der 72-jährige Stuttgarter in einem Online-Interview gegenüber Nina May.

Herr Krystufek, wie kamen Sie zum Schach?
Meine fünf Geschwister und ich befassten uns im Vorschul-Alter mit Memory, Spielkarten, Würfelspielen und Dominosteinen. Wir hatten in der Villa auch einen vornehmen großen, viereckigen Tisch mit Rädern an den Füßen. Die Tischplatte war ein edles eingelegtes Schachbrett, auf dem 32 überdimensional große Holzfiguren aufgestellt waren. Ich hielt das lange Zeit für Deko-Artikel. Niemand spielte bei uns Schach. 
Doch eines Tages, da war ich vielleicht 7 oder 8 Jahre alt, beobachtete ich, wie mein Vater mit einem Geschäftsfreund und diesen schönen Holzfiguren eine Partie spielte. Ich wollte wissen, wie dieses komische Spiel funktionierte. So erklärte er mir die Regeln, die ich aufregend mathematisch und nachvollziehbar fand. 
Mein Vater war ein erstklassiger Denker. Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1975 spielte ich häufig Schach mit ihm, in diesen 18 Jahren gewann ich nur eine einzige Partie gegen ihn. Dafür erhielt ich einen 100-DM-Schein, was damals viel Geld war. In den wilden 1960er-Jahren spielte ich natürlich auch Schach mit Schulfreunden, dort war ich dann einer der Besten.

Wie ist die Idee für Kniffel-Schach entstanden?
Ende der 1970er-Jahre kamen die ersten klobigen Schachcomputer, nur mit Taschenrechner-Display, auf den Markt. Solche Gerätschaften waren damals sensationell. Ich kaufte mir 1978 sofort einen. Man konnte auch selbsterdachte Figurenstellungen eingeben, um festzustellen, wie viel Züge es bis zum Matt wären. Damit konnte jeder auf einfachste Art Schachrätsel komponieren: Man musste auf dem Brett die Figuren nur solange hin und her stellen, bis der Computer z.B. ein Matt in 3 Zügen bestätigte. Ich notierte die Lösungszeiten, um meinen Computer mit anderen zu vergleichen und die Spielstärke der Geräte zu bewerten. 
Dann kam 1979 der historische Augenblick: Um es dem Computer „so richtig schwer zu machen“, stellte ich sämtliche 16 weiße Figuren so aufs Brett, dass keine mehr eine andere deckte. Jetzt fehlte noch der schwarze König, der ganz allein auf dem Brett stehen sollte - und den ich beliebig einsetzen wollte, um zu sehen, in wie vielen Zügen ein Matt möglich wäre. Ohne es zu ahnen, hatte ich damit  Kniffel-Schach Nr. 1 konstruiert. 
Dann setzte ich den schwarzen König auf ein anderes Feld um, programmierte diese Umstellung in den Computer ein und es wurde eine weitere Matt-Möglichkeit entdeckt. Dann stellte ich fest, dass ich beim Neu-Programmieren des schwarzen Königs vergessen hatte, das Vorhanden-sein des vorherigen schwarzen Königs zu löschen - der Computer hatte mit 3  Königen auf dem Brett gerechnet! Ich war zuerst entsetzt. Dass so etwas bei einem so teuren Gerät vorkommen konnte? Und schon formulierte ich vor dem geistigen Auge eine Fragestellung, die es wohl noch nie zuvor gegeben hatte: Eine Schachfigur steht zu viel auf dem Brett. Welche? 
Und ich überlegte weiter: Man müsste Figuren legal so aufs Brett stellen können, dass man dazu behaupten konnte: Soeben ist eine Schachfigur vom Brett gefallen. Wo hatte sie gestanden? Dann stülpte ich meine leere Tasse spielerisch über eine Schachfigur und fragte mich: Wer ist wohl die unbekannte Figur auf diesem Feld? Kniffel-Schach war geboren! 

Und Sie haben sich vorgenommen, es in vielen Ländern zu verbreiten...
Ja, Kniffel-Schach erschien von 1983 bis 2020 in 112 Zeitungen in Europa und Asien. Von Ost nach West, meistens in deutscher Sprache: Thailand, Kasach-stan, Georgien, Litauen, Rumänien, Griechenland, Ungarn, Tschechien, Österreich, Deutschland, Schweiz, Spanien mit Balearen, Kanaren und Festland, und in Portugal. Heute gibt es über 1200 Kompositionen, davon sind im Internet bis zu 500 einsehbar. Kein Computer kann bis heute meine Schachrätsel lösen.

Sind Schachrätsel relativ neu?
Schachrätsel gab es schon im Mittelalter. Doch bis Anfang des 20. Jahrhunderts kannte man nur 3 Fragestellungen: Matt, Remis, Gewinnen. Anfang des 20. Jahrhunderts wagten dann einige Autoren, Kunst-Schach-Rätsel zu präsentieren. Das führte aber ein Mimosen-Dasein. 
Mein Anliegen betreffend Kniffel-Schach war es, eine viertel oder halbe Stunde lang amüsant zu unterhalten. So sind zum Beispiel zu ermitteln: Vom Brett heruntergefallene Schachfiguren, unbekannte Schachfiguren, vertauschte, farblose, zu verteilende, illegale, verdeckte, umgewandelte, vorgegebene, als Ziffern codierte, fehlende, geschlagene, rochierende, ungültige, noch einzusetzende, zuletzt ziehende, falsch eingefärbte, zu viel vorhandene, falsch platzierte oder unsichtbare Schachfiguren. Alles ganz legal nach den Schachregeln. Bei Kniffel-Schach wird also nicht Schach gespielt! Eine Person allein untersucht und befasst sich mit einer konstruierten Problematik. 

Ist das auch etwas für Anfänger?
Wer die zehn Schachregeln zu den zwölf verschiedenen Schachfiguren kennt, kann eigentlich jedes Schachrätsel lösen, auch wenn er noch nie eine Schachpartie gespielt hat. Das ist wie beim Sudoku: Wer die 9 Ziffern kennt, kann jedes Sudoku lösen, ohne zuvor jemals mit den Ziffern gerechnet zu haben. Computer können meine Schachrätsel  nicht lösen, da sie nur vorwärts denken können. Kniffel-Schach ist also nur geeignet für Personen mit entsprechend geistiger Beweglichkeit – ab Kindergarten-Alter!

Wer ist Peter Krystufek, wenn er nicht gerade Schachrätsel bastelt? Hobbys, Leidenschaften… beginnen Sie ruhig mit Kindheit und Jugend.
Mein Vater war Chef der Süddeutschen Brillenfabrik in Leonberg, meine Mutter Immobilien-Unternehmerin. Erzogen, beaufsichtigt, versorgt und teilweise unterrichtet wurden wir sechs Kinder von einer strengen Gouvernante, Tante Tulli, die auch in der elterlichen Villa wohnte und den gesamten Haushalt führte. 
Der Krystufek-Clan hat streng katholische Wurzeln, so dass Beten täglich vorgeschrieben war, vor dem Essen, zum Schlafen-Gehen, Kirchgang jeden Sonntag bei jedem Wetter bis Anfang der 60er-Jahre. Mit meinen Eltern reiste ich als kleiner und großer Knirps durch halb Europa, Geschäftsreisen bis nach Moskau, sah berühmte Gebäude, wohnte in wunderschönen Hotels oder Villen, begegnete wichtigen oder sonstigen Industrie-Größen, lernte vor allem bestes Essen kennen, und viele prominente Ausländer, z. B. Pierre Cardin. 
Meine Eltern vermittelten mir das Verständnis für klassische Musik: Haydn, Mozart, Bach, Boccherini, Rossini, Salieri, Händel, Vivaldi, Beethoven, Strauß, Offenbach – und zwangen mich zum Klavier-Spielen. Und für Geschichte, Biografien, Welt-Literatur. 
Ich las alle Comic-Hefte, die man damals so kriegen konnte. Meine Gouvernante las Jerry-Cotton-Romane, die mich so sehr faszinierten, dass ich auf dem Gymnasium einen Detektiv-Club gründete und mir selber den Rufnamen „Jerry” verpasste, den ich bei meinen Klassenkameraden bis heute behalten habe. Meine Lieblings-Buch-Autorin war Agatha Christie mit  Hercule Poirot. Im Elternhaus richtete ich eine Elektronik-Werkstatt und ein Chemie-Labor ein. In der Tanzschule 1966 wurde ich zum Tanz-Vorstandsvorsitzenden gewählt, gab die Tanzzeitung „Take it easy” heraus und hielt zum Abschlussball im Saal eine Rede vor 500 Menschen. Das war die Zeit der wilden  Sechziger Jahre, der Beatles, Stones, schneller Autos, Partys ab 30, 40 Leuten, Zigaretten, Alkohol, Abenteuer und „Weiber-Geschichten“ jeden Tag... 
Auf dem Albert-Schweitzer-Gymnasium in Leonberg machte ich das Abitur im Juni 1968. Mein Berufswunsch wäre Kriminalkommissar, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt gewesen, aber mein Leben und das meiner fünf Geschwister war vorgezeichnet: Ohne Widerrede hatten alle Kinder in die väterliche Brillenfabrik einzutreten. 

Und trotzdem hatten Sie einen recht illustren beruflichen Werdegang...
Ich besuchte die Universitäten Stuttgart und Tübingen (Betriebswirtschaft) und machte eine IHK-Ausbildung zum Industriekaufmann. Ich verkaufte persönlich Brillenfassungen in Frankreich, Belgien, Österreich, Liechtenstein, der Schweiz, Italien, in Russland und in England. Als Fotograf erschienen meine Brillen-Werbefotos in 80 Ländern auf allen sechs Kontinenten (bis 1975). Der Umgang mit den von mir ausgesuchten hübschen Models beflügelte mich dazu, Modeschöpfung zu versuchen: Ich erlernte das Nähen mit der Nähmaschine, gestaltete Kleidung (Hosen und Westen) aus Leoparden-, Zebra-, Jaguar-, Giraffen- und Katzenfell, die ich gelegentlich auch selber trug. Meinen Ford-Capri-Flitzer lackierte ich hierzu eigenhändig im Leoparden-Look und hatte damit einen Auftritt in der Fernseh-Abendschau sowie in Monaco und Cannes.
Mein Vater starb 1975, und mein älterer Bruder wurde wie standesüblich als Erstgeborener das Familien-Oberhaupt. Bis 1978 war ich sein stellvertretender Geschäftsführer in der Brillenfabrik, dann übernahm ich 30 Jahre lang die Immobilien-Unternehmung meiner Mutter, dort bis 2008 als alleiniger Geschäftsführer. 
1979 komponierte ich das allererste Kniffel-Schachrätsel, arbeitete nebenher nachts als Kunstmaler und ließ mich 3 Jahre lang zum Heilpraktiker ausbilden. 
1983 wurde ich handels-einig mit Direktor Köhler und Sohn, den Chefs des größten deutschen Schachmagazins, dort als unabhängiger Redakteur mitzuarbeiten, bis zum Jahr 2014 - 31 Jahre lang. Das war die aufregendste Schach-Zeit meines Lebens gewesen! In diesem Schachmagazin wurde mein allererstes Schachrätsel als Kniffel-Schach-Preisausschreiben für Deutschland publiziert, ebenfalls 31 Jahre lang. Seitdem spielt Kniffel-Schach die Hauptrolle in meinem Leben. 

Und heute?
Zu meinem 60. Geburtstag löste ich das Familien-Unternehmen vollständig auf und ging in den Ruhestand. Gesundheitlich angeschlagen zog ich mich 2015 aus der Öffentlichkeit zurück und befasste mich nur noch mit Kniffel-Schach. Das Thema Schach ist jetzt für mich Hobby und Berufung zugleich. Ich habe elf Bücher zum Thema Schach verfasst, dazu kommen mehrere Schach-Malbücher, heute im Antiquariat unbezahlbar, Schach-Kalender, Schachrätsel-Broschüren, Schachrätsel-Glückwunschkarten, einige Dutzend Schach-Themen-Publikationen und cirka 1000 Schachmotiv-Illustrationen und -Fotos. 

Spielt Corona bei Ihren Aktivitäten eine Rolle? Welche Pläne haben Sie für die Zeit danach?
Als Anfang 2020 das Corona-Virus die Welt eroberte, konstruierte ich das „Corona-Schach”: Zu vorgegeben Figuren sind weitere Figuren dazu zu stellen, und alle haben untereinander keinerlei Kontakt. Hierzu hab’ ich bis jetzt 200 Rätsel komponiert. Diese Rätsel möchte ich jetzt in der ganzen Welt verbreiten. 
Und an meinem eigenen Denkmal  arbeiten, um nachhaltig der Berühmteste im Krystufek-Clan zu werden. Dazu dürfte ich schon auf einem guten Weg sein. Mit meinen Schach-Kompositionen wird man sich in einigen hundert Jahren viel-leicht sogar mal auf fremden Planeten unterhaltsam beschäftigen.