Kein Funken Anstand im „Annus horribilis“

Wie Rumäniens Regierende von ihrem Polit-Geschacher nicht abzubringen sind

Interimspremier Ludovic Orban und Präsident Klaus Johannis am vergangenen Mittwoch beim Regierungssitz Foto: presidency.ro

Keine drei Monate ist das Jahr 2020 alt und es scheint, es werde  als ein „Annus horribilis“ in die Geschichte eingehen, gekennzeichnet von einer Epidemie, die 2019 in China ihren Anlauf genommen hat und sich innerhalb weniger Wochen auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Noch schneller als das neuartige Virus hat sich die Panik ausgebreitet und diese dürfte für viel schlimmere Folgen sorgen als die Seuche selbst. Im Griff der Angst scheinen sich ganze Länder zu befinden, vor allem in der Europäischen Union, einer Region der Welt, die seit mindestens einem Jahrzehnt akute Zeichen der Erschöpfung zeigt und dennoch von vielen Bürgern sowohl im Westen, als auch im Osten des Kontinents weiterhin als einziger Garant für Frieden und Wohlstand betrachtet wird. Sowohl das Virus als auch die Angst haben in der zu Ende gehenden Woche auch Rumänien erreicht, obwohl die Zahl der Infizierungen hierzulande weiterhin verhältnismäßig gering ist.

Die Corona-Krise trifft Rumänien mitten in der Krise, und zwar in einer politischen. Und seit Donnerstag dürfte sich diese politische Krise deutlich verschärft haben. Wenn man bis Ende 2019 immer wieder staunen konnte, wie sich die Sozialdemokraten innerhalb von weniger als drei Jahren unter Liviu Dragnea und Viorica Dăncilă derart meisterhaft selbst zerlegen konnten, beweisen die Liberalen gegenwärtig, dass man dafür nicht wirklich zwei Jahre braucht, sondern lediglich zwei Monate. Oder gar weniger, denn Anfang Februar schien die PNL fest im Sattel zu sitzen und eine klare politische Linie zu verfolgen. Zwar gehörten der Regierungsmannschaft etliche Gestalten an, die man sich lieber anderswo als im Victoria-Palast gewünscht hätte, doch zumindest Präsident Johannis schien sich in den Anfangswochen der neuen Regierung ernsthaft um deren Schicksal zu kümmern. Gelegentlich gelang es auch dem ehemaligen Polit-Entertainer Ludovic Orban sogar, die richtigen Worte zu finden. Seit das Orban-Kabinett gestürzt wurde, der Präsident den verfassungsmäßig groben Fehler der erneuten Nominierung Orbans begangen und der erratische Finanzminister Florin Cîțu den Auftrag der Regierungsbildung erhalten hat, stolpern die Liberalen von einer Peinlichkeit zur nächsten. Dass Cîțu wenige Minuten vor der Parlamentsabstimmung über das neue Kabinett seinen Auftrag zurückgegeben hat, gleicht in diesem Kontext einer Zumutung sondergleichen, einer Verhöhnung der Wähler, eine Rücksichtslosigkeit, welche sich problemlos mit jenen vergleichen lässt, die einst die Liberalen der PSD vorgeworfen haben. Nicht um die Bekämpfung der Epidemie, nicht um die Übernahme von Verantwortung in einer höchst prekären Lage geht es der PNL und ihrem Vorsitzenden, all dies ist Nebensache. Hauptsache sind politische Spielchen im Zusammenhang mit der Regierungsbildung, den bevorstehenden Kommunal- und Parlamentswahlen und, um es direkt zu sagen, um das Verharren an den Schalthebeln der Macht, an den Quellen öffentlicher Gelder.

Anders gesagt: Während seit Montag Gerichte, Universitäten, Kultureinrichtungen, Behörden sich in einem Wettbewerb der Schließungen, Untersagungen, Einschränkungen und allerlei anderer restriktiver Maßnahmen überbieten und dabei oft Gesetze mit Füßen getreten werden – wie zum Beispiel im Falle der Gerichte, die erst nach drei, vier chaotischen Tagen zu einer Einheitsregelung für die kommenden Wochen gefunden haben –, während kleine und große Unternehmen um ihre Zukunft bangen und etliche Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze verlieren könnten, spielen Cîțu und Orban Hinterzimmerspielchen, während die Opposition den lärmenden Zaungast abgibt. Gleichzeitig lädt Präsident Johannis zu Beratungen ein, wahrscheinlich nur deshalb, weil die Verfassung sie vorschreibt und weil er und die PNL vom Verfassungsgericht schon zweimal in die Schranken gewiesen worden sind. In Deutschland erklärt die Bundeskanzlerin allen Ernstes, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung erkranken könnte, in Rumänien erklärt der ehemalige designierte Premier Cîțu, dass nur ein Parteivorsitzender dem Kabinett vorstehen kann, sonst könne man die Coronakrise nicht überstehen. Präsident Johannis sagte, Cîțus Verzicht beweise politische Ernsthaftigkeit. Mag sein. Aber was beweist dann die Entscheidung, Cîțu die Regierung anzutragen?

Es scheint, dass es in der PNL keinen gibt, der den Ernst der Lage begreift. Oder dass es in der Regierung nur einen einzigen gibt, der dieser Tage gezeigt hat, dass er regieren kann und regieren will und dass er trotz aller realen und vermeintlichen Fehler in der Lage ist, eine Krise zu managen und der Bevölkerung auch das Gefühl zu geben, dass gehandelt wird. Es ist traurig für die PNL, für Interimspremier Orban und für Innenminister Vela, dass es sich hierbei um Staatssekretär Raed Arafat handelt, den sie von der Vorgängerregierung geerbt und sehr gerne abgesägt hätten. Wer erinnert sich noch mitten in der Corona-Krise, wenn die Notfallausschüsse, denen Arafat vorsteht, neue Maßnahmen ankündigen, daran, dass Vela, der obskure Ex-Versicherungsverkäufer aus der Provinz, Arafat vor laufenden Kameras angebrüllt und ihm mit der internen Revision gedroht hatte? Wenn Arafat nicht gerade in seiner Funktion als oberster Katastrophenschützer so dringend gebraucht würde, könnte Präsident Johannis ihn auch mit der Regierung betrauen, ein Versuch wäre es ja vielleicht wert, zumindest deshalb, weil es ja keinesfalls schlimmer werden könnte als mit dem verantwortungslosen Duo Orban – Cîțu.

Jedweder Witz beiseite: Es könnte sich durchaus erweisen, dass die Coronavirus-Epidemie Rumänien auf die schwerste Probe seit dem Zweiten Weltkrieg und der 1989er Revolution stellt, schlimmer als die „Mineriaden“ der 1990er Jahre und die damalige Dauer-Wirtschaftskrise. Es könnte sein, dass in den kommenden Tagen weitere Maßnahmen getroffen werden, die die Rechte und Freiheiten der Bürger stärker einschränken als bisher. Oder dass im Falle der starken Zunahme der Infektionsfälle das Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt. Von den Versprechen des Präsidentschaftswahlkampfs ist nicht mehr viel übrig geblieben, doch liegt es an Präsident Johannis zu begreifen, dass politische Hasardeure, wie die derzeit führenden Köpfe der PNL, entweder schnell zur Vernunft zu bringen sind, oder, dass die Regierung jemandem anzuvertrauen ist, der zwar keine Wunder vollbringen kann, aber wenigstens noch den nötigen Funken Anstand hat, um in merkwürdigen Zeiten das Richtige zu tun.